OVG Lüneburg
Az: 12 ME 93/11
Beschluss vom 11.07.2011
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist Halterin des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen C.. Das Finanzamt teilte dem Antragsgegner im Oktober 2010 mit, dass die Antragstellerin für die Zeit von Juli 2009 bis Juli 2011 Kraftfahrzeugsteuer für das genannte Fahrzeug nicht entrichtet habe und bat, das Fahrzeug von Amts wegen abzumelden.
Nach Anhörung forderte der Antragsgegner die Antragstellerin mit Bescheid vom 16. November 2010 auf, innerhalb von 14 Tagen eine Einzahlungsquittung über die gezahlte Kraftfahrzeugsteuer vorzulegen oder ihr Fahrzeug unter Vorlage des Fahrzeugbriefs, des Fahrzeugscheins bzw. der Zulassungsbescheinigungen Teil I und II sowie der Kennzeichenschilder abzumelden. Für den Fall, dass die Antragstellerin dieser Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkomme, drohte ihr der Antragsgegner die zwangsweise Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs an. Zugleich wurden als Kosten für den Bescheid 30,- EUR festgesetzt.
Die Antragstellerin hat hiergegen am 15. Dezember 2010 Klage erhoben (6 A 250/10) und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hat der Antragsgegner mit weiterem Bescheid vom 27. Januar 2011 die zwangsweise Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs der Antragstellerin angeordnet; auch hiergegen hat die Antragstellerin Klage erhoben (6 A 48/11).
Das Verwaltungsgericht hat auf den Antrag der Antragstellerin festgestellt, dass ihre unter dem Aktenzeichen 6 A 250/10 anhängige Klage gegen den Bescheid vom 16. November 2010 aufschiebende Wirkung entfalte. Es handele sich bei dem Bescheid bereits aufgrund seiner formalen Ausgestaltung um einen – von der Antragstellerin auch so verstandenen – belastenden Verwaltungsakt, der nach der vom Antragsgegner im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich bekräftigten Auffassung ein „Erstbescheid“ sein solle, mit dem der Antragstellerin bestimmte Handlungspflichten auferlegt sowie Zwangsmittel angedroht worden seien. Da der Antragsgegner diesen Bescheid als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs ansehe und ihn kraft Gesetzes (§ 64 Abs. 4 Nds. SOG) für sofort vollziehbar erachte, könne die Antragstellerin hiergegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach Maßgabe des § 80 Abs. 5 VwGO beantragen. Der Antrag sei auch begründet, weil der angefochtene Bescheid rechtswidrig sei. Es fehle nämlich an einer Rechtsgrundlage dafür, die Antragstellerin unter Androhung des unmittelbaren Zwangs auf der Grundlage des Nds. SOG aufzufordern, entweder die nachträgliche Zahlung der Kraftfahrzeugsteuer nachzuweisen oder ihr Fahrzeug selbst abzumelden. Die Zwangsabmeldung eines Fahrzeugs wegen rückständiger Kraftfahrzeugsteuer einschließlich des hierbei einzuhaltenden Verfahrens sei (bundes-)rechtlich abschließend in § 14 KraftStG geregelt. Danach sei der betroffene Halter vor Erlass des Abmeldungsbescheides zwar gemäß § 28 VwVfG anzuhören; der Erlass eines „zwischengeschalteten“, vom Antragsgegner als „Erstbescheid“ bezeichneten Verwaltungsakts, mit dem dem Halter nach ergebnisloser Anhörung, aber vor Erlass des eigentlichen Abmeldungsbescheides zunächst noch bestimmte Handlungspflichten auferlegt werden, sei dagegen nicht von § 14 KraftStG gedeckt. Ein Rückgriff auf landesrechtliche Vorschriften über die zwangsweise Durchsetzung von Verwaltungsakten scheide aus, so dass für die im angefochtenen Bescheid enthaltene Androhung des unmittelbaren Zwangs ebenfalls kein Raum sei. Hierfür bestehe auch kein Bedürfnis, weil es sich bei der Zwangsabmeldung eines Fahrzeugs nicht um ein – zuvor anzudrohendes – Zwangsmittel im Sinne der polizeirechtlichen Vorschriften, sondern um eine spezielle, bundesrechtlich normierte „Vollstreckungsregelung“ handele, durch die die Zulassungsbehörden unmittelbar – ggf. unter Inanspruchnahme von Polizei- oder Vollziehungsbeamten – zur Einziehung des Fahrzeugscheins und zur Entstempelung des amtlichen Kennzeichens ermächtigt würden. Aus diesem Grund greife die vom Antragsgegner für anwendbar gehaltene Vorschrift des § 64 Abs. 4 Nds. SOG im vorliegenden Fall nicht ein und sei zur Klarstellung festzustellen, dass die von der Antragstellerin erhobene Klage gegen den Bescheid aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) habe. Auch für die vom Antragsgegner festgesetzten Verwaltungskosten fehle es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage, weil es sich bei dem Bescheid vom 16. November 2010 nicht um eine „sonstige Anordnung nach dem Kraftfahrzeugsteuergesetz“ im Sinne der Gebührenziffer 254 des Gebührentarifs zur GebOSt, sondern – wie dargelegt – um eine von diesem Gesetz nicht gedeckte Maßnahme handele. Anderweitige Gebührentatbestände, die die angesetzten Kosten rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich, so dass dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin auch insoweit zu entsprechen gewesen sei.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Das vom Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfende Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses nicht.
Das Verwaltungsgericht hat in nachvollziehbarer Weise begründet, dass die Verfügung des Antragsgegners vom 16. November 2010 als Verwaltungsakt anzusehen ist und die dagegen erhobene Klage der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet. Da die Antragsgegnerin den Eintritt der aufschiebenden Wirkung bestreitet, hat das vorläufige Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin nach Maßgabe des erstinstanzlichen Beschlusses Erfolg (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 80 Rn. 20 zur sog. faktischen Vollziehung). Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung. Ohne Erfolg macht der Antragsgegner geltend, anders als das Verwaltungsgericht annehme, sei die angefochtene Verfügung durch § 14 Abs. 1 Satz 2 KraftStG gedeckt. Zwar sei die Zulassungsbehörde nach dieser Regelung verpflichtet, das betreffende Kraftfahrzeug abzumelden und die hierzu erforderlichen Anordnungen zu treffen. Das bedeute aber nicht, dass er zur sofortigen zwangsweisen Durchsetzung der Einziehung und Entstempelung verpflichtet sei. Vielmehr sei unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zunächst ein milderes Mittel zu wählen, wie etwa die hier gewählte Anordnung, eine Einzahlungsquittung über die Kfz-Steuer beizubringen oder den Pkw freiwillig durch Vorlage des Fahrzeugscheins bzw. der Zulassungsbescheinigung Teil I und der amtlichen Kennzeichen selbst abzumelden. Sollte es zu einer zwangsweisen Abmeldung kommen, sei § 70 Nds. VwVG i. V. m. §§ 64 Nds. SOG heranzuziehen. Ein solches zwangsweises Vorgehen sei der Antragstellerin daher im angefochtenen Bescheid angedroht worden. Der Antragsgegner verkennt insoweit jedoch die Systematik des Gesetzes. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass es sich bei der Abmeldung von Amts wegen gemäß § 14 Abs. 1 KraftStG um eine spezielle bundesrechtlich normierte Regelung und nicht um ein – zuvor anzudrohendes – Zwangsmittel im Sinne der polizeirechtlichen Vorschriften handelt. Der Abmeldebescheid ist keine Vollstreckungsmaßnahme (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 11.2.1974 – VI A 149/73 -, NJW 1975, 358; App, DAR 1990, 452). Der Vollzug der durch Bescheid verfügten Abmeldung setzt neben dem schriftlichen Verwaltungsakt nach § 14 Abs. 1 Satz 2 KraftStG voraus, dass der Fahrzeugschein eingezogen, etwa ausgestellte Anhängerverzeichnisse berichtigt und die amtlichen Kennzeichen entstempelt werden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KraftStG). Die Abmeldung wird dabei erst wirksam, wenn der letzte dieser Akte vollzogen ist (§ 5 Abs. 4 KraftStG). Die zwangsweise Durchsetzung der Einziehung der Dokumente und der Entstempelung der Kennzeichen durch Vollstreckungsbeamte aus dem Zuständigkeitsbereich der Zulassungsbehörde sind dabei schon durch § 14 Abs. 1 Satz 1 KraftStG gedeckt. Dabei kann zur Ausübung unmittelbaren Zwangs im Einzelfall im Rahmen der Amts- und Vollzugshilfe ggf. auch die Polizei eingesetzt werden (vgl. Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuer, Kommentar, § 14 Rn. 4 und 8). All dieses richtet sich – anders als der Antragsgegner meint – demnach nicht nach den Regelungen des Nds. SOG, sondern nach Bundesrecht. Zwar trifft es zu, dass die Abmeldung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nur dann mit Zwang durchgesetzt werden sollte, wenn der Steuerschuldner der Anordnung, den Fahrzeugschein abzuliefern, etwa ausgestellte Anhängerverzeichnisse zu berichtigen und das amtliche Kennzeichen entstempeln zu lassen, nicht nachkommt (vgl. Strodthoff, a. a. O., § 14 Rn. 8; zur vergleichbaren Regelung in § 25 FZV: Dauer, in: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 25 FZV Rn. 9). Dies ändert aber nichts daran, dass schon die Norm selbst zur zwangsweisen Durchsetzung der Abmeldung ermächtigt. Daher ist für eine Androhung i. S. d. Nds. SOG und die sich daraus ergebenden Wirkungen, insbesondere § 64 Abs. 4 Nds. SOG kein Raum. Somit hat das Verwaltungsgericht, da der Antragsgegner die sofortige Vollziehung seiner Verfügung nicht angeordnet hatte, zutreffend festgestellt, dass die von der Antragstellerin erhobene Klage aufschiebende Wirkung entfaltet. Auf die Frage, ob die angefochtenen Regelungen in § 14 Abs. 1 KraftStG eine hinreichende Rechtsgrundlage finden, kommt es insoweit nicht an.
Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg, soweit es die im Bescheid festgesetzten Kosten in Höhe von 30,- EUR betrifft. Zwar hätte das Verwaltungsgericht konsequenterweise diesbezüglich die aufschiebende Wirkung der Klage nicht feststellen, sondern angesichts der Regelung des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO anordnen müssen. Durch dieses Versäumnis ist der Antragsgegner als Beschwerdeführer jedoch nicht beschwert. Letztlich kann auch offenbleiben, ob, wie das Verwaltungsgericht meint, es für die angefochtene, als „Erstbescheid“ benannte „zwischengeschaltete“ Verfügung des Antragsgegners an einer Rechtsgrundlage fehlt oder es sich bei dieser Verfügung – wofür nach Auffassung des Senats einiges spricht – jedenfalls der Sache nach um den Abmeldebescheid handelt. Geht man von letzterem aus, wäre die „Abmeldung“ i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 2 KraftStG durch den angefochtenen (schriftlichen) Verwaltungsakt verfügt, die „zwangsweise“ Durchsetzung der Einziehung des Fahrzeugscheins und der Entstempelung der amtlichen Kennzeichen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jedoch zunächst zurückgestellt. Dadurch hätte die Antragstellerin Gelegenheit erhalten, entweder die Zahlung der Steuer nachzuweisen oder die erforderlichen Dokumente und Kennzeichen selbst vorzulegen, um den Vollzug der (bereits verfügten) Abmeldung zu ermöglichen. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist wäre es dem Antragsgegner dann möglich gewesen, auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 KraftStG – ohne weiteren schriftlichen Verwaltungsakt – die für die Abmeldung noch notwendigen Schritte vorzunehmen, etwa den Fahrzeugschein und die Kennzeichen im Wege der Vollstreckung zu beschaffen und sie einzuziehen bzw. zu entstempeln. Selbst wenn man aber die Verfügung als Abmeldeverfügung und grundsätzlich durch § 14 Abs. 1 KraftStG gedeckt ansieht, so ist im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu berücksichtigen, dass die Vorgehensweise des Antragsgegners insoweit nicht konsequent war. Zum einen hat er nämlich mit dem Bescheid zugleich – wie dargelegt – Zwangsmittel i. S. d. Nds. SOG androhen wollen und zum anderen hat er nach dem angefochtenen Bescheid unter dem 27. Januar 2011 einen weiteren, mit „Zwangsweise Außerbetriebsetzung Ihres Fahrzeuges wegen Nichtzahlung der Kfz-Steuer“ überschriebenen Bescheid erlassen und auch für diesen Gebühren angesetzt. Angesichts dessen wäre es auch aus Sicht des Senates sachgerecht gewesen, bis zu einer etwaigen, weiteren Klärung des Sachverhalts im Hauptsacheverfahren hinsichtlich der Kosten die aufschiebende Wirkung anzuordnen und war die Beschwerde mithin im Ergebnis auch insoweit zurückzuweisen.