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Krankheitsbedingte Kündigung und Änderungskündigung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Az.: 10 Sa 495/08

Urteil vom 02.04.2009


1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 3. Juli 2008, Az.: 5 Ca 170/08, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung der Beklagten vom 24.01.2008 zum 31.07.2008 und über die Weiterbeschäftigung der Klägerin.

Die Klägerin (geb. am … 1977, ledig, ein Kind) ist seit dem 01.09.1993 bei der Beklagten beschäftigt. Sie wurde zuletzt als Verbundzustellerin im Zustellstützpunkt F.-Stadt zu einem Bruttomonatsgehalt von € 2.588,42 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden eingesetzt. In der Zeit vom 28.10.2000 bis zum 31.10.2003 war die Klägerin wegen Elternzeit und anschließend zur Kinderbetreuung beurlaubt. Die Klägerin hatte seit 2004 folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten:

Datum Arbeits-
tage LohnFZ-
Kosten Diagnose nach Angaben der
Klägerin

2004

04.03. – 05.03. 02 ?

09.03. – 30.03. 19 ?

16.11. – 11.12. 23 ?

Summe 44 € 4.776,22

2005

14.09.-25.12. 86 – im Sept. + Okt. Rückenprobleme
– Mutter-Kind-Kur
– akute Nebenhöhlenvereiterung

Summe 86 € 5.051,37

2006

14.01.-31.01. 15 ?

14.02.-19.02. 05 am 01.02.06 Reha für 14 Tage ?

12.05.-03.06. 19 Kniebeschwerden
Rückenleiden

Summe 39 € 2.697,86

2007

10.02.-24.03. 37 € 4.311,76 niedriger Blutdruck, Kollaps

04.05.-16.06. X € 4.376,74 Arbeitsunfall am 04.05.

07.09.-08.09. 02 € 208,35 Zahnschmerzen

28.12.-31.12. 09 ? Rückenleiden

Summe 48 € 8.896,85

2008 (bis 26.01.)

01.01-26.01.08 22 Rückenleiden –
Bandscheibenvorfälle?

Summe 22 ?

Am 29.08.2006 wurde die Klägerin „aus sozialen Gründen und zur Reduzierung der Fehlzeiten“ heimatnah vom Zustellstützpunkt D-Stadt nach F.-Stadt versetzt. Die Beklagte hat der Klägerin mit Schreiben vom 12.09.2006 zum 31.03.2007 bereits einmal krankheitsbedingt gekündigt. Das damalige Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Mainz (Az.: 4 Ca 1956/06) endete durch Klagerücknahme, nachdem die Beklagte die Kündigung am 22.12.2006 zurückgezogen hat.

Seit dem 28.12.2007 ist die Klägerin ununterbrochen wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig erkrankt. In einem Telefonat mit dem Stützpunktleiter gab sie am 03.01.2008 an, dass sie vermutlich zwei Bandscheibenvorfälle habe. Die Erkrankung dauerte bis zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer am 19.02.2009 an.

Mit Schreiben vom 24.01.2008, das der Klägerin am 25.01.2008 zugegangen ist, kündigte die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrates das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin unter Einhaltung der tarifvertraglichen Kündigungsfrist zum 31.07.2008. Gegen diese Kündigung wehrt sich die Klägerin mit ihrer am 13.02.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Von einer weiteren Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlichen Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG zur Vermeidung von Wiederholungen abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach 03.08.2008 (dort Seite 2 – 8 = Bl. 64 – 70 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 03.07.2008 der Kündigungsschutzklage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin nach Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Verbundzustellerin im Bezirk F.-Stadt weiter zu beschäftigen. Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei unverhältnismäßig, weil die Beklagte kein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt habe. Es könne somit nicht festgestellt werden, ob die Kündigung nicht durch mildere Maßnahmen hätte vermieden werden können. Vorliegend habe die Beklagte noch nicht einmal pauschal vorgetragen, dass keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin bestünden. Soweit sie behaupte, sie habe den Anforderungen des § 84 Abs. 2 SGB IX entsprochen, weil sie die Klägerin im Jahr 2006 wohnortnah versetzt habe, könne es sich hierbei nicht um eine Maßnahme handeln, die sie im Vorfeld der krankheitsbedingten Kündigung vom 24.01.2008 getroffen habe. Die Versetzung sei auf Wunsch der Klägerin ca. zwei Jahre vor der Kündigung erfolgt. Mithin sei davon auszugehen, dass kein BEM durchgeführt worden sei, so dass es nicht nur eines Sachvortrages der Beklagten bedurft hätte, dass es keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin gebe, sondern darüber hinaus eines Sachvortrages, warum eine leidensgerechte Beschäftigung der Klägerin auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz oder eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit nicht möglich sein soll. Insbesondere wäre es der Beklagten möglich gewesen, dies unter Einschaltung des Betriebsarztes zu eruieren. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichtes wird auf Seite 8-13 des Urteils vom 03.07.2008 (= Bl. 70-75 d. A.) verwiesen.

Die Beklagte, der das Urteil am 05.09.2008 zugestellt worden ist, hat am 12.09.2008 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese innerhalb der bis zum 05.12.2008 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 05.12.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte trägt vor, sie habe dem Erfordernis des § 84 Abs. 2 SGB IX Rechnung getragen. Selbst wenn das Gericht dem nicht folgen sollte, hätte ein BEM jedenfalls keinen Erfolg gehabt. Die Klägerin leide nach ihren eigenen Angaben unter Rückenproblemen und – infolge eines alten Schulunfalls – auch unter Knieproblemen, weswegen sie in den vergangenen Jahren regelmäßig arbeitsunfähig krank gewesen sei. Zusteller seien im Rahmen ihrer Tätigkeit in besonderem Maße Witterungseinflüssen sowie orthopädischen Beeinträchtigungen durch das permanente Arbeiten im Freien und das Tragen der Zustellsendungen ausgesetzt. Eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes der Klägerin komme nicht in Betracht. Die Klägerin habe die Zustellungen mit dem Auto und dem Karren im Verbund zu tätigen. Damit seien die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Arbeitserleichterung ausgeschöpft. Selbst wenn sie der Klägerin ein Fahrrad zur Verfügung stelle, sei sie weiterhin dauerhaft Witterungseinflüssen ausgesetzt und müsse Lasten heben und bewegen. Im Bereich der Zustellung sei – dies dürfte offenkundig sein – kein Schonarbeitsplatz denkbar. Im Innendienst (Briefsortierung, Verteilung) sei kein gleichwertiger Arbeitsplatz vorhanden, weil die Klägerin nach Entgeltgruppe 3 vergütet werde, während im Innendienst nur Mitarbeiter tätig seien, die nach Entgeltgruppe 2 vergütet werden. Die Klägerin habe in zahlreichen Gesprächen zu verstehen gegeben, dass sie Probleme habe, neben ihrer Vollzeittätigkeit ihre privaten Angelegenheiten zu organisieren. Sie habe die Klägerin daraufhin heimatnah versetzt, in der Hoffnung, dass sich ihr Ausfallverhalten ändere. Eine Reduzierung der Arbeitszeit habe die Klägerin abgelehnt. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 05.12.2008 (Bl. 106-113 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 03.07.2008, Az.: 5 Ca 170/08, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt vor, ein zeitnahes BEM sei vor Ausspruch der Kündigung nicht durchgeführt worden. Die von der Beklagten ohne Angabe eines Datums genannten Gespräche hätten alle vor ihrer Versetzung im Jahr 2006 stattgefunden. Bei gehöriger Durchführung des BEM hätten Möglichkeiten einer alternativen Beschäftigung bestanden. Auch bei der Tätigkeit einer Zustellerin bestünden vielfache Möglichkeiten, die körperlichen Belastungen einzuschränken. Ihr könne etwa durch Übertragung eines anderen oder geänderten Zustellbezirks eine geringere Zustellmenge zugeteilt werden, um die körperliche Belastung zu reduzieren. Im Übrigen wäre auch eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen in Betracht gekommen. Sie hätte auch im Innendienst, insbesondere in der Briefsortierung und -verteilung beschäftigt werden können. Schließlich habe bereits der Betriebsrat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Beklagte mehrere Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Einschränkungen in anderen Beschäftigungsfeldern, bis hin zur Konzerntochter „Post-Direkt“ untergebracht habe. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 26.01.2009 (Bl. 129-132 d. A.) Bezug genommen.

Außerdem wird auf die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift vom 19.02.2009 (Bl. 135-138 d. A.) und den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte 4 Ca 1956/06 (ArbG Mainz) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Die krankheitsbedingte Kündigung der Beklagten vom 24.01.2008 zum 31.07.2008 ist im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial nicht gerechtfertigt.

1. Das Arbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht zur Kündigung wegen häufiger Erkrankungen entwickelt hat. Das Arbeitsgericht hat seiner Entscheidung auch zutreffend die Grundsätze zu Grunde gelegt, die das Bundesarbeitsgericht zur kündigungsrechtlichen Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX erstmals in seinem Urteil vom 12.07.2007 (2 AZR 716/06 – AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung) niedergelegt hat. Die Berufungskammer folgt zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung zur kündigungsrechtlichen Anwendung des § 84 Abs. 2 SGB IX im Urteil vom 23.04.2008 (2 AZR 1012/06 – EzA Nr. 55 zu § 1 KSchG Krankheit) fortgeführt und darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung drei voneinander teilweise abhängige Aspekte zu beachten sind: Zunächst ist zu fragen, ob ein BEM stattgefunden hat. Ist dies der Fall, so ist für die Frage der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit das -positive oder auch negative – Ergebnis des BEM maßgeblich zu berücksichtigen. Hat dagegen kein BEM stattgefunden, ist – zweitens – zu prüfen, ob es ein positives Ergebnis hätte erbringen können. Ist dies nicht der Fall, so kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen des BEM kein Nachteil entstehen. Wäre ein positives Ergebnis dagegen möglich gewesen, treten – drittens – Verschiebungen in der Darlegungslast ein. In diesem Fall darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine „freien Arbeitsplätze“, die der erkrankte Arbeitnehmer auf Grund seiner Erkrankung noch ausfüllen könne. Es bedarf vielmehr eines umfassenderen konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und warum andererseits eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden könne.

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Würdigung des Arbeitsgerichts, dass die krankheitsbedingte Kündigung der Beklagten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung haben keinen Erfolg.

2.1. Das Arbeitsgericht hat (erstens) zutreffend erkannt, dass die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung vom 24.01.2008 kein BEM durchgeführt hat. Auch das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

Die Beklagte macht geltend, sie habe dem Erfordernis des § 84 Abs. 2 SGB IX dadurch Rechnung getragen, dass sie „zahlreiche Gespräche“ mit der Klägerin geführt und sie auf ihre gehäuften Arbeitsunfähigkeitszeiten seit dem 01.01.2004 angesprochen habe. Die Klägerin habe zu verstehen gegeben, dass sie Probleme habe, neben ihrer Vollzeittätigkeit ihre privaten Angelegenheiten zu organisieren. Die von der Beklagten – ohne Angabe eines Datums – erwähnten Gespräche haben nach ihrer eigenen Darstellung zeitlich vor der Versetzung der Klägerin nach F.-Stadt, die am 29.08.2006 erfolgt ist, stattgefunden. Die Beklagte trägt selbst vor, dass sie die Klägerin „daraufhin“, also nach den Gesprächen, heimatnah versetzt habe, in der Hoffnung, ihr Ausfallverhalten möge sich ändern.

Die Gespräche und die anschließende Versetzung der Klägerin im August 2006 vor Ausspruch der ersten Kündigung vom 12.09.2006, die die Beklagte am 22.12.2006 zurückgezogen hat, ersetzen nicht die Durchführung eines BEM vor Ausspruch der hier streitgegenständlichen zweiten Kündigung vom 24.01.2008. Nach § 84 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber bei einer Beschäftigten, die – wie die Klägerin – innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen wiederholt arbeitsunfähig gewesen ist, mit der zuständigen Interessenvertretung und mit Zustimmung der betroffenen Person, die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin erhalten werden kann. Eine Klärung in diesem Sinne hat vor Ausspruch der zweiten Kündigung vom 24.01.2008 nicht stattgefunden.

2.2. Das Arbeitsgericht ist außerdem zutreffend davon ausgegangen, dass (zweitens) ein BEM ein positives Ergebnis hätte erbringen können. Bei der Größe des Betriebs der Beklagten kann nicht angenommen werden, dass es für Postzusteller, die unter Rücken- und Knieproblemen leiden, überhaupt keine alternativen Einsatzmöglichkeiten gibt, die bei gehöriger Durchführung des BEM – ggf. unter Einschaltung des postärztlichen Dienstes – erkannt und entwickelt werden können.

Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend angenommen, dass es (drittens) eines umfassenderen konkreten Sachvortrags der Beklagten bedurft hätte, weshalb ein Einsatz der Klägerin auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz als Verbundzustellerin ausgeschlossen sein soll und weshalb die Klägerin auch nicht leidensgerecht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann.

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Die Beklagte hat in der Berufung ihren erstinstanzlichen Vortrag konkretisiert und ausgeführt, eine Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes der Klägerin als Verbundzustellerin komme nicht in Betracht. Zusteller seien im Rahmen ihrer Tätigkeit in besonderem Maße Witterungseinflüssen sowie orthopädischen Beeinträchtigungen durch das permanente Arbeiten im Freien und das Tragen der Sendungen ausgesetzt. Die Zustellungen seien mit dem Auto und dem Karren im Verbund zu tätigen. Damit seien die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Arbeitserleichterung ausgeschöpft. Selbst wenn sie der Klägerin ein Fahrrad zur Verfügung stelle, sei sie weiterhin dauerhaft Witterungseinflüssen ausgesetzt und müsse Lasten heben und bewegen. Hierauf hat die Klägerin erwidert, dass ihr die Beklagte einen anderen oder geänderten (kleineren) Zustellbezirk mit einer geringeren Zustellmenge hätte zuteilen können, um die körperlichen Belastungen bei der Verbundzustellung zu reduzieren.

Nach Auffassung der Berufungskammer hätte die Beklagte vor Ausspruch einer Beendigungskündigung prüfen müssen, ob sie der Klägerin nicht im Wege der Änderungskündigung mit entsprechender Reduzierung der Arbeitszeit einen kleineren Zustellbezirk mit einer geringeren Zustellmenge hätte zuweisen können. Dadurch hätten sich die körperlichen Belastungen der Zustelltätigkeit verringern lassen, weil sich nicht nur das Gewicht der Sendungen, die zu Heben und zu Tragen sind, reduziert, sondern sich auch die zurückzulegende Wegstrecke und die Aufenthaltsdauer im Freien verkürzt. Das die Klägerin (wohl bereits im Jahr 2006) eine Reduzierung der Arbeitszeit abgelehnt hat, verwehrt es ihr nicht, sich auf eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berufen. Insoweit gelten die zur Frage der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz im Falle betriebsbedingter Kündigungen entwickelten Grundsätze auch bei krankheitsbedingten Kündigungen: Bietet der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung dem Arbeitnehmer an, den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen und lehnt der Arbeitnehmer dies ab, so bleibt der Arbeitgeber regelmäßig dennoch verpflichtet, das abgelehnte Angebot durch Änderungskündigung anzubieten. Eine Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annehmen (BAG 21.04.2005 – 2 AZR 244/04 – AP Nr. 80 zu § 2 KSchG 1969). Die im Jahr 2006 erklärte Weigerung der Klägerin, einer Reduzierung der Arbeitszeit zuzustimmen, kann nicht dahin verstanden werden, dass sie an dieser Ablehnung auch im Jahr 2008 noch festhält, nachdem sich herausgestellt hat, dass ihre heimatnahe Versetzung nur vorübergehend zu einer Reduzierung der Fehlzeiten geführt hat.

Die Beklagte hätte außerdem vor Ausspruch der Beendigungskündigung prüfen müssen, ob nicht eine Beschäftigung der Klägerin als Briefsortiererin bzw. Briefverteilerin im Innendienst möglich gewesen wäre. Auch auf diese Beschäftigungsalternative hat sich die Klägerin ausdrücklich berufen. Zwar werden die Mitarbeiter im Innendienst nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten geringer vergütet als die Klägerin (Entgeltgruppe 2, statt 3), jedoch gilt auch hier – wie bereits ausgeführt – der Vorrang der Änderungskündigung. Soweit die Beklagte in der mündlichen Berufungsverhandlung erklärt hat, dass ein heimatnaher Einsatz der Klägerin als Briefsortiererin nicht möglich ist, weil sich das Briefverteilzentrum in D-G-Stadt befindet, so ist dieser Umstand nicht erheblich. Stellt die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, die der Arbeitgeber in seinem Betrieb sieht, gegenüber einer Beendigungskündigung die einzige Alternative dar, so hat er sie dem Arbeitnehmer regelmäßig anzubieten, ohne dass es Sache des Arbeitgebers wäre, sich über die Zumutbarkeit der neuen Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer Gedanken zu machen. Das gleiche gilt für den Hinweis der Beklagten, dass die Tätigkeit im Verteilzentrum an den Briefsortiermaschinen von den körperlichen Anforderungen nicht mit Leichtarbeitsplätzen verwechselt werden dürfe, weil es sich um keine Bürotätigkeit handele. Diese Arbeitsumstände sind der Klägerin, die bereits ihre Ausbildung bei der Beklagten absolviert hat, bekannt. Wenn sie gleichwohl diese alternative Beschäftigungsmöglichkeit vortragen lässt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie die geänderten Arbeitsbedingungen in der Briefsortierung und -verteilung (geringere Vergütung, längerer Arbeitsweg, ggf. Teilzeitbeschäftigung) im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung angenommen hätte.

Danach hatte die Beklagte der Klägerin die neuen Arbeitsbedingungen durch eine Änderungskündigung anzubieten. Es war Sache der Klägerin zu entscheiden, ob sie die neuen Arbeitsbedingungen mit oder ohne Vorbehalt annehmen oder ablehnen wollte.

III.

Die Berufung der Beklagten ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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