BUNDESARBEITSGERICHT
Az.: 2 AZR 536/06
Urteil vom 17.01.2008
Leitsätze:
1. Die verhaltensbedingte Kündigung gegenüber einem leistungsschwachen Arbeitnehmer kann nach § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten dadurch vorwerfbar verletzt, dass er fehlerhaft arbeitet.
2. Ein Arbeitnehmer genügt – mangels anderer Vereinbarungen – seiner Vertragspflicht, wenn er unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeitet. Er verstößt gegen seine Arbeitspflicht nicht allein dadurch, dass er die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller Arbeitnehmer überschreitet.
3. Allerdings kann die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquote je nach tatsächlicher Fehlerzahl, Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt. Legt der Arbeitgeber dies im Prozess dar, so muss der Arbeitnehmer erläutern, warum er trotz erheblich unterdurchschnittlicher Leistungen seine Leistungsfähigkeit ausschöpft.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 7. April 2006 - 3 Sa 425/05 - aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten noch über eine ordentliche Arbeitgeberkündigung wegen Minderleistung und einen Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin.
Die 1956 geborene Klägerin ist seit 16. Januar 1995 in dem Versandkaufhaus der Beklagten als Lager- und Versandarbeiterin zu einem Bruttoverdienst von zuletzt 1.265,00 Euro (Grundvergütung und leistungsabhängige Prämie) bei einer 31-Stunden-Woche beschäftigt. Sie ist im „Sorter-Versand“ eingesetzt. Dort werden die Warensendungen auf der Grundlage der Kundenbestellungen fertiggestellt. Die Beklagte wirft der Klägerin vor, ihre Fehlerhäufigkeit liege um ein Mehrfaches über der ihrer mit vergleichbaren Arbeiten beschäftigten Kolleginnen. Ausweislich der elektronischen Fehlerdokumentation habe die Klägerin in den Jahren 2003 – 2004 eine Fehlerquote zwischen 4,01 Promille und 5,44 Promille verursacht. Die durchschnittliche Fehlerquote der 209 eingesetzten Mitarbeiter habe demgegenüber im dritten Quartal 2004 nur 1,34 Promille betragen. Als sich aus Sicht der Beklagten die Leistungen der Klägerin trotz schriftlicher Abmahnungen vom 25. August 2003 und vom 28. Juni 2004 nicht besserten, kündigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 30. November 2004 verhaltensbedingt zum 31. März 2005. Der zuvor angehörte Betriebsrat hatte gegen die Kündigung Bedenken geäußert.
Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben und ihre Weiterbeschäftigung begehrt. Die Abmahnungen entsprächen nicht den Tatsachen und seien nicht hinreichend konkret. Sie bestreite die Zahl der ihr vorgeworfenen Fehler. Das EDV-System ermögliche keine zutreffende Fehlerfeststellung. Eine kündigungsrelevante Minderleistung könne schon deshalb nicht vorliegen, weil nach der einschlägigen Betriebsvereinbarung ihr auch bei Unterstellung des Vorbringens der Beklagten zur Fehlerhäufigkeit noch 50 % der sich aus der Betriebsvereinbarung ergebenden Prämie zustehe.
Die Klägerin hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30. November 2004 nicht beendet worden ist.
2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1), die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Lager- und Versandarbeiterin weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie hat behauptet, es stehe fest, dass die Klägerin trotz mehrfacher Gespräche, Ermahnungen und Abmahnungen fahrlässig über einen längeren Zeitraum hinweg ihre Sorgfaltspflichten bei der Verrichtung ihrer Tätigkeit verletzt habe. Die von der Klägerin und den anderen Mitarbeiterinnen der Versandabteilung verursachten Fehler ließen sich durch die elektronische Fehlerdokumentation lückenlos feststellen. Die fehlerhafte Arbeitsleistung der Klägerin führe in nicht mehr hinnehmbarem Maße dazu, dass bei einzelnen Sendungen Warenstücke fehlten, Kunden verwechselt würden und Sendungen den falschen Versandaufkleber erhielten. Dies führe zu einem Imageverlust beim Kunden. Die Behebung der Fehler verursache darüber hinaus nicht unerhebliche Kosten. Auf die Prämienregelung der Betriebsvereinbarung könne sich die Klägerin nicht berufen. Mit der Prämie werde lediglich der von dem jeweiligen Arbeitnehmer erreichte Zeitgrad, also die Arbeitsmenge honoriert. Der Prämienabzug solle demgegenüber nur sicherstellen, dass eine Mindestqualität der Arbeitsleistung eingehalten werde.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in dem noch streitigen Umfang stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung konnte die Berufung der Beklagten nicht zurückgewiesen werden. Ob die Kündigung der Beklagten sozialwidrig oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, kann der Senat auf Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Dies führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits (§ 563 ZPO).
A.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine erhebliche Unterschreitung der Durchschnittsleistung könne dem Tatsachenvorbringen der Beklagten nicht entnommen werden. Es sei insbesondere nicht bekannt, aus welcher Art von Fehlern sich die Durchschnittsfehlerquote der anderen Arbeitnehmer zusammensetze. Nach der Betriebsvereinbarung, die bei einer der Klägerin angelasteten Fehlerquote immerhin noch 50 vom Hundert der Prämie bestehen lasse, spreche vieles dafür, dass erst bei einer Fehlerquote von 5 Promille eine erhebliche Abweichung der Durchschnittsleistung anzunehmen sei. Jedenfalls verletze die Kündigung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Als milderes Mittel sei eine Reduzierung der Vergütung der Klägerin in Betracht gekommen.
B.
Dem folgt der Senat weder im Ergebnis noch in der Begründung.
I.
Die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung hält der Überprüfung an § 1 Abs. 2 KSchG nicht stand.
1.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr., statt vieler Senat 31. Mai 2007 – 2 AZR 200/06 – Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 71 ).
2.
Auch diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab wird das Berufungsurteil nicht gerecht.
a) Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen solche, im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien zumindest die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine rechts- oder (vertrags-)widrige Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis geeignet, wobei regelmäßig Verschulden erforderlich ist; die Leistungsstörung muss dem Arbeitnehmer vorwerfbar sein (Senat 21. November 1996 - 2 AZR 357/95 - AP BGB § 626 Nr. 130 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50, zu II 3 b der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - BAGE 70, 262, zu II 2 b der Gründe; 17. Januar 1991 - 2 AZR 375/90 - BAGE 67, 75, zu II 2 a der Gründe) . Insofern genügt ein Umstand, der einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung bestimmen kann (vgl. Senat 17. Juni 2003 - 2 AZR 62/02 - EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59, zu B II der Gründe; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - aaO).
b) Auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen sind geeignet, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen (st. Rspr. Senat 26. Juni 1997 - 2 AZR 502/96 - RzK I 5i Nr. 126, zu B I 3 der Gründe; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 652 ff.; HWK/Quecke 2. Aufl. § 1 KSchG Rn. 239 f.; KR-Griebeling 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 448).
c) Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie meistens, der Menge und der Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen (Senat 21. Mai 1992 - 2 AZR 551/91 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 28 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 42, zu II 3 a der Gründe; BAG 14. Januar 1986 - 1 ABR 75/83 - BAGE 50, 330, zu B 3 der Gründe; 16. Juli 1970 - 3 AZR 423/69 - BAGE 22, 402, zu III 1 der Gründe; Bitter AR-Blattei SD 190 (Arbeitspflicht des Arbeitnehmers) Rn. 76 f.; Brune AR-Blattei SD 1420 (Schlechtleistung) Rn. 13 ff. mwN). Der gegenteiligen Auffassung (Hunold BB 2003, 2345, 2346), wonach der Arbeitnehmer in Anlehnung an § 243 BGB aF eine „objektive Normalleistung“ schulde, ist der Senat nicht gefolgt. Diese Auffassung berücksichtigt nicht ausreichend, dass der Arbeitsvertrag als Dienstvertrag keine „Erfolgshaftung“ des Arbeitnehmers kennt. Der Dienstverpflichtete schuldet das „Wirken“, nicht das „Werk“.
d) Daraus ist allerdings nicht zu folgern, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht selbst willkürlich bestimmen kann. Dem Arbeitnehmer ist es nicht gestattet, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig nach seinem Belieben zu bestimmen (zum umgekehrten Fall: BAG 13. Mai 1987 - 5 AZR 125/86 - BAGE 55, 275, zu II 2 der Gründe). Er muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. Ob der Arbeitnehmer dieser Verpflichtung nachkommt, ist für den Arbeitgeber anhand objektivierbarer Kriterien nicht immer erkennbar. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Leistungen erbringt, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft (Senat 22. Juli 1982 - 2 AZR 30/81 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 10, zu III 3 c der Gründe). In einer Vergleichsgruppe ist stets ein Angehöriger der Gruppe das „Schlusslicht“. Das kann seine Ursache auch darin haben, dass die übrigen Gruppenangehörigen besonders leistungsstark sind, sich überfordern oder dass umgekehrt der gruppenschwächste Arbeitnehmer besonders leistungsschwach ist. Andererseits ist das deutliche und längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren Arbeitnehmern erreichbaren Mittelwerts oft der einzige für den Arbeitgeber erkennbare Hinweis darauf, dass der schwache Ergebnisse erzielende Arbeitnehmer Reserven nicht ausschöpft, die mit zumutbaren Anstrengungen nutzbar wären. Dem muss auch im Rahmen des Kündigungsschutzrechts Rechnung getragen werden, da ansonsten einer Vertragspartei die Möglichkeit genommen würde, einen vertragswidrigen Zustand mit rechtlich zulässigen Mitteln zu beseitigen.
e) Dieser Konflikt zwischen den genannten widerstreitenden Gesichtspunkten kann nach den Regeln der abgestuften Darlegungslast angemessen gelöst werden (Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 - BAGE 109, 87, zu B I 2 d der Gründe).
aa) Dabei ist es zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln das vorzutragen, was er wissen kann. Kennt er lediglich die objektiv messbaren Arbeitsergebnisse, so genügt er seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen ersichtlich ist, dass die Leistungen des betreffenden Arbeitnehmers deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben, also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreiten. Davon kann dann gesprochen werden, wenn, gemessen an der durchschnittlichen Leistung der vergleichbaren Arbeitnehmer, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist.
Hat der Arbeitgeber vorgetragen, dass die Leistungen des Arbeitnehmers über einen längeren Zeitraum den Durchschnitt im vorgenannten Sinne unterschritten haben, ist es Sache des Arbeitnehmers, hierauf zu entgegnen, ggf. das Zahlenwerk und seine Aussagefähigkeit im Einzelnen zu bestreiten und/oder darzulegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Hier können altersbedingte Leistungsdefizite, Beeinträchtigungen durch Krankheit, aber auch betriebliche Umstände eine Rolle spielen. Legt der Arbeitnehmer derartige Umstände plausibel dar, so ist es alsdann Sache des Arbeitgebers, sie zu widerlegen. Trägt der Arbeitnehmer hingegen derartige Umstände nicht vor, so gilt das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Es ist dann davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft.
bb) Bei quantitativen Minderleistungen hat sich der Senat (11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 - BAGE 109, 87, zu B I 2 d der Gründe) an den Werten orientiert, die für die Annahme einer grundlegenden Störung des Leistungsgleichgewichts herangezogen worden sind.
cc) Für den Fall qualitativer Minderleistung sind solche auf die bloße Fehlerhäufigkeit abstellende Grenzen, auch wenn sie für eine rechtssichere Handhabung durch die Tatsacheninstanzen wünschenswert wären, für sich nicht geeignet, die Kündigungsrelevanz der dem Arbeitnehmer konkret vorgeworfenen Pflichtverletzungen hinreichend sicher einzugrenzen. Absolute Bezugsgrößen, etwa dergestalt, dass bei einer doppelten oder, wovon das Arbeitsgericht wohl ausgegangen ist, dreifachen Fehlerquote ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund angenommen wird, berücksichtigen nicht hinreichend, dass je nach Art der Tätigkeit und der dabei möglicherweise auftretenden Fehler diesen ein sehr unterschiedliches kündigungsrelevantes Gewicht beizumessen ist. Es sind Tätigkeiten denkbar, bei denen bereits ein einmaliger Fehler derart weitreichende Konsequenzen hat, dass eine Vertragspflichtverletzung erheblich eher anzunehmen ist als bei anderen Fehlern (zB Sorgfaltspflichten eines Piloten). Andererseits gibt es Tätigkeiten, bei denen Fehler nach der Art der Tätigkeit vom Arbeitnehmer kaum zu vermeiden und vom Arbeitgeber eher hinzunehmen sind, weil ihre Folgen das Arbeitsverhältnis nicht all zu stark belasten. Deshalb ist in derartigen Fällen über die bloße Betrachtung der Fehlerhäufigkeit hinaus eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsanforderungen und der konkreten Gegebenheiten des Arbeitsplatzes geboten. Die Prüfung hat sich auch hier an dem Maßstab zu orientieren, ob und ggf. in welchem Umfang das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung beeinträchtigt ist.
dd) Bei einer Kündigung wegen qualitativer Minderleistung des Arbeitnehmers ist es danach zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den aufgetretenen Leistungsmängeln das vorzutragen, was er über die Fehlerzahl, die Art und Schwere sowie Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wissen kann. Kann der Arbeitgeber darlegen, dass der Arbeitnehmer längerfristig die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller mit vergleichbaren Arbeiten beschäftigter Arbeitnehmer erheblich überschreitet, so kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt. Da jedoch der Vergleich durchschnittlicher Fehlerquoten für sich noch keinen hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob durch die fehlerhafte Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist, muss der Arbeitgeber hier weitere Umstände darlegen. Anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des betreffenden Arbeitnehmers ist näher darzulegen, dass die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquoten nach den Gesamtumständen darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt. Legt der Arbeitgeber dies im Prozess dar, so muss der Arbeitnehmer erläutern, warum er trotz erheblich unterdurchschnittlicher Leistungen seine Leistungsfähigkeit ausschöpft. Hierbei ist insbesondere darzulegen, welche betrieblichen Beeinträchtigungen durch die konkret darzulegenden Fehler verursacht werden und dass es sich insoweit nicht lediglich um Fehler handelt, die trotz einer gewissen Häufigkeit angesichts der konkreten Umstände der Arbeitsleistung vom Arbeitgeber hinzunehmen sind.
f) Diesen Maßstäben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht gerecht. Sie stellt ohne weitere Prüfung der Gesamtumstände entscheidend auf die abstrakte Fehlerhäufigkeit der Klägerin im Verhältnis zu den anderen Mitarbeitern ab. Dies greift zu kurz.
aa) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, dass der Betriebsvereinbarung „Prämienentlohnung BVL 9602“ und der ihr beigefügten Anlage 3, über deren Geltungsdauer die Parteien streiten, ein gewisses Indiz dafür entnommen werden kann, welche Fehlerhäufigkeit nach der Wertung der Betriebspartner vom Arbeitgeber hinzunehmen ist. Bei einer repetitiven Tätigkeit wie der im „Sorter-Versand“ entspricht es der menschlichen Natur, dass über einen längeren Zeitraum hinweg eine nahezu fehlerlose Arbeitsweise kaum möglich und deshalb vom Arbeitnehmer nicht zu verlangen und auch nicht zu erwarten ist. Wenn danach die Betriebsparteien von einer Toleranzgröße der Fehlerquote von zwei Promille ausgehen, und auch die von der Beklagten dargelegte durchschnittliche Fehlerquote aller Arbeitnehmer sich in dieser Größenordnung hält und sogar etwas darunterliegt, so spricht dies dafür, dass nach der Wertung der Betriebsparteien eine Fehlerhäufigkeit in der Schwankungsbreite bis etwa zwei Promille nicht schon als Vertragspflichtverletzung der betreffenden Arbeitnehmer angesehen werden kann. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, bei einer Fehlerhäufigkeit, die zwei Promille erheblich überschreitet, ohne Weiteres ebenfalls entscheidend auf die Betriebsvereinbarung abzustellen und abstrakte Grenzwerte festzulegen, ab deren Erreichen eine Vertragspflichtverletzung schon oder noch nicht anzunehmen ist. Die Betriebsvereinbarung legt keine Prämie für eine qualitativ gute Leistung fest. Prämiert wird vielmehr allein der erreichte Leistungsgrad, also die in einer bestimmten Zeit geleistete Arbeitsmenge. Der Prämienabzug soll nach dem Gesamtinhalt der Betriebsvereinbarung lediglich die Arbeitnehmer dazu anhalten, nicht pflichtwidrig zu versuchen, die Arbeitsmenge dadurch zu steigern, dass sie qualitativ schlechte Arbeit leisten. Es stellt damit keinen tauglichen Maßstab für den Grad der Vertragswidrigkeit einer fehlerhaften Arbeitsleistung dar, wie die Betriebspartner in dem völlig anderen Zusammenhang einer auf die Arbeitsmenge abstellenden Prämie den Prämienabzug für fehlerhafte Arbeit regeln.
bb) Soweit das Landesarbeitsgericht ausgehend von der Betriebsvereinbarung meint, eine erhebliche Unterschreitung der Durchschnittsleistung durch die Klägerin könne nicht festgestellt werden, folgt der Senat dem nicht. Zutreffend weist das Landesarbeitsgericht zwar zunächst darauf hin, dass formelhafte Berechnungen aus dem Bereich der quantitativen Minderleistung auf Fälle der qualitativen Minderleistung nicht ohne Weiteres übertragen werden können. Allerdings nimmt das Landesarbeitsgericht dann doch mit einer im wesentlichen rechnerisch begründeten Wertung an, der Aussagewert einer das Dreifache der durchschnittlichen Fehlerquote sei ohne jede Aussagekraft. Die Heranziehung der Prämienabzüge nach der Anlage 3 der BVL 9602 ist - wie bereits dargelegt - nicht geeignet, die Frage der erheblichen Abweichung verbindlich zu beurteilen und etwa erst beim Überschreiten einer Fehlerquote von mehr als 5 Promille Kündigungsrelevanz anzunehmen. Die Prämie wird in erster Linie gezahlt, um die Anzahl der gefertigten Sendungen zu erhöhen. Die Verringerung der Fehlerquote hat sie allenfalls auf dem Umweg des Prämienabzugs im Auge. Welche qualitativen Anforderungen an die Arbeit aller im „Sorter-Versand“ tätigen Arbeitnehmer zu stellen sind und ab welcher Fehlerquote eine pflichtwidrige Schlechtleistung anzunehmen ist, muss deshalb anhand der Gesamtumstände beurteilt werden.
cc) Deshalb war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, § 563 ZPO. Ob die Klägerin pflichtwidrig erheblich unterdurchschnittliche Leistungen erbracht hat, ist als unbestimmter Rechtsbegriff mit einem Wertungs- und Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanzen versehen, in den der Senat nicht eingreifen möchte. Zwar ist eine gegenüber dem Abteilungsdurchschnitt dreifach höhere Fehlerquote als ein deutlicher Anhaltspunkt für ein mögliches pflichtwidriges Verhalten der Klägerin einzustufen, als absoluter Wert ist sie aber ungeeignet.
3.
Die Zurückverweisung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist, § 561 ZPO. Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung verstoße im Ergebnis gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ist rechtsfehlerhaft. Zumindest mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung lässt sich ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht bejahen.
a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine Unwirksamkeit der Kündigung folge insoweit nicht bereits aus dem Umstand, dass die andere Beschäftigung der Klägerin zu geänderten Bedingungen möglich gewesen wäre, denn die Klägerin habe entsprechende Möglichkeiten nicht aufgezeigt. Gegen diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts wendet sich die Klägerin in der Revisionsinstanz nicht.
b) Zu Unrecht geht das Landesarbeitsgericht davon aus, die Kündigung sei gleichwohl unwirksam, weil die Beklagte das mildere Mittel einer Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung nicht genutzt habe.
Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Das Landesarbeitsgericht verkennt hier, dass in Fällen einer qualitativen Schlechtleistung eine Entgeltreduzierung kaum geeignet ist, eine rechtssichere Handhabung zu gewährleisten. Das Landesarbeitsgericht legt auch nicht dar, in welchem Umfang durch eine Änderungskündigung das Gehalt der Klägerin reduziert werden soll. Die Prämienreduzierung durch die Betriebsvereinbarung ist angesichts des von der Klägerin erreichten Leistungsgrades ohnehin marginal. Auch eine Erhöhung der Prämienminderung etwa auf das Dreifache oder das Fünffache würde deshalb für die Klägerin keinen hinreichenden Anreiz zu einer Reduzierung ihrer Fehlerquote bieten. Eine solche Änderungskündigung wäre zudem wohl unverhältnismäßig, weil der geringe Umfang der Gehaltsreduzierung eine Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen würde.
c) Soweit das Landesarbeitsgericht meint, die Kündigung sei auch deshalb unverhältnismäßig, weil die Abmahnungen der Beklagten vom 25. August/2. September 2003 und 28. Juni 2004 nicht deutlich genug seien, überschreitet das Landesarbeitsgericht den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum. Aus den Abmahnungen konnte die Klägerin die Aufforderung entnehmen, sie möge ihre Arbeitsleistung sorgfältiger erbringen und ihre Fehlerquote verringern. Auch die Klägerin hat offensichtlich die Abmahnungen so verstanden, denn sie hat zunächst ihre Fehlerquote deutlich verringert. Von einer Unbestimmtheit der Abmahnungen durfte das Landesarbeitsgericht bei dieser Sachlage nicht ausgehen.
Abgesehen davon war die Klägerin schon dadurch gewarnt, dass seit geraumer Zeit bei ihr auf Grundlage der BVL 9602 Prämienabzüge wegen Überschreitens der Fehlerquoten vorgenommen wurden. Die Klägerin musste deshalb davon ausgehen, dass ihr Verhalten nicht folgenlos bleiben würde. Außerdem war vor dem Prämienabzug das gestufte Interventionsverfahren durchgeführt worden. Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob die Anlage 3 zur BVL 9602 im Kalenderjahr 2004 noch Gültigkeit hatte. Das Interventionsverfahren hatte vor dem Prämienabzug stattgefunden, den die Klägerin unstreitig schon geraume Zeit vor Ausspruch der Kündigung hinzunehmen hatte.
4.
Von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent, hat das Landesarbeitsgericht keine abschließende Interessenabwägung durchgeführt. Diese wird es ggf. nachzuholen haben. Von Hinweisen hierzu wird abgesehen, da das Landesarbeitsgericht hierzu keinerlei Feststellungen getroffen und auch keine Würdigungen vorgenommen hat.
II.
Auch der auf vorläufige Weiterbeschäftigung während der Dauer des Rechtsstreits gerichtete Antrag zu 2) unterliegt damit der Zurückverweisung.
III.
Das Berufungsgericht hat auch über die Kosten der Revision zu entscheiden.