Sozialgericht Dresden
Az.: S 33 R 2012/05
Urteil vom 06.11.2007
Entscheidung:
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Behandlung.
Die am geborene Klägerin war nach einer Lehre zur Bekleidungsnäherin und Bekleidungsfertigerin in der Zeit vom.1995 bis.1998 von April bis September im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als Schneiderhelferin beschäftigt und anschließend arbeitslos. Seit September 2006 besucht die Klägerin eine Abendschule mit dem Ziel eines Realschulabschlusses. Seit dem 23.3.2005 wurde bei der Klägerin vom Amt für Familie und Soziales ein GdB von 50% mit dem Merkzeichen G anerkannt.
Die Klägerin beantragte am 6.4.2005 bei der Beklagten Leistungen zur Rehabilitation für Versicherte.
Mit Bescheid vom 12.4.2005 lehnte die Beklagte die Erbringung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ab, da die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien und trotz der Gesundheitsbeeinträchtigungen – erhebliches Übergewicht und Lipödem – keine Rehabilitationsbedürftigkeit vorliege. Eine dauerhafte Gewichtsreduktion durch Umstellung der Ernährungsgewohnheiten unter häuslichen Bedingungen ggf. unter psychotherapeutischer Begleitung oder Inanspruchnahme einer Selbsthilfeorganisation sei ausreichend.
Am 10.5.2005 erhob die Klägerin Widerspruch und führt aus, dass ihre Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet sei, da das chronische Lipödem und Lymphödem trotz kontinuierlicher ambulanter Behandlung nicht verbessert habe.
Die Beklagte berücksichtigte im Verwaltungsverfahren einen Rehabilitationsentlassungsbericht zum Aufenthalt von November 2000 bis Januar 2001 in der Seeklinik Z., bei dem die Klägerin 12 kg Gewichtsreduktion erreicht hatte. Ein weiterer Rehabilitationsentlassungsbericht vom 30.7.2002 der Seeklinik Z. zum Aufenthalt vom 2.7.2002 bis 23.7.2002 berichtet über eine Gewichtsabnahme von 6 kg und die Empfehlung einer weiterführenden ambulanten Behandlung. Ein von der Beklagten am 8.7.2005 eingeholtes Gutachten auf fachinternistischem Gebiet von Prof. Dr. med. B. berichtet über extreme Adipositas bei familiärer Veranlagung, wobei die Lipohypertrophie durch eine Diät nicht erfolgreich beeinflussbar sei. Der Versuch einer mehrwöchigen Rehamaßnahme zur Ernährungsumstellung sei trotz vollschichtiger Arbeitsfähigkeit und ohne akute Gefährdung der Erwerbsfähigkeit zumindest indiziert. Die Beklagte zog außerdem einen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. med. E. vom 24.10.2005 bei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4.10.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Beklagte führt darin aus, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nur erbracht werden, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten wesentlich gebessert oder wieder hergestellt werden kann oder wenn bei einer bestehenden Minderung eine wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VI). Der Gesundheitszustand der Klägerin rechtfertige keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation da das erhebliche Übergewicht mit Lipohypertrophie der Arme und Beine nur durch eine dauerhafte Gewichtsreduktion durch Umstellung der Ernährungsgewohnheiten unter häuslichen Bedingungen und ggf. begleitender psychotherapeutischer Begleitung gelöst werden kann, nicht aber im Rahmen einer dreiwöchigen stationären Behandlung.
Mit der am 4.11.2005 vor dem Sozialgericht Dresden erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, dass die Beklagte die begehrte medizinische Rehabilitation bereits in der Vergangenheit zweimal gewährt habe und die Kuren jeweils das Wohlbefinden vorübergehend verbessert hätten. Das chronische Lipödem und Lymphödem habe sich trotz Tragens von Lymphdrainagen und Kompressionsbestrumpfung nicht verbessert. Eine Gewichtsreduktion sei durch eine Ernährungsumstellung nicht möglich, auch wenn seit dem letzten stationären Aufenthalt keine Ernährungsberatung oder Kontrolle mehr erfolgt sei. Ohne regelmäßige Kuren werde sich das Lymphödem weiterentwickeln bis hin zur Elephantitis. Eine das Fortschreiten des Lymphödems hindernde Wicklung wegen des Lymphödems sei nur im Rahmen eines stationären Aufenthalts möglich, da andernfalls die Zeit fehle und die Wicklungen zu Behinderungen der Bewegungsfreiheit führen würden. Das Gutachten von Prof. S. sei unvollständig, da Ausführungen zur Therapie des nicht heilbaren Lymphödems fehlen würden und eine Gewichtsreduktion gar nicht möglich sei.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 12.4.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.10.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über den Antrag der Klägerin zu entscheiden. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich im Wesentlichen auf Ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, dass die Erwerbsfähigkeit weder erheblich gefährdet noch gemindert sei und dass bislang keine wesentlichen Funktionseinschränkungen für das Erwerbsleben bestünden. Das Hauptproblem sei das Übergewicht, das in erster Linie ernährungsbedingt sei. Das Vorliegen von Lyphödemen werde nicht bestritten. Diese stellten aber eher ein geringes gesundheitliches Problem dar, da für die Körperform eine Lipomatose ursächlich sei, die einer rehabilitativen Einflussnahme nicht zugänglich sei und nicht aus Lymphödemen entstehe. Eine Gewichtsreduktion mit nennenswertem Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit müsste mindestens 50 kg betragen und könne nur innerhalb eines Jahres erreicht werden, nicht in 3-4 Wochen Klinikaufenthalt. Eine erneute Leistungserbringung könne nicht zu einer Verbesserung führen und sei daher nicht indiziert.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie teile die Auffassung der Beklagten zur fehlenden Erforderlichkeit einer Rehabilitationsleistung, da ambulante Maßnahmen gewährt würden und die Nutzung einer Ernährungsberatung sowie einer Selbsthilfegruppe angeboten worden sei.
Das Gericht hat einen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. med. E. vom 12.7.2006 eingeholt und Prof. Dr. med. S. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens auf Sozial- und Arbeitsmedizinischem Fachgebiet beauftragt. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen und der Untersuchung vom 1.11.2006 hat der Gutachter folgende Diagnosen gestellt: – Adipositas per magma, mit Köpergewicht von 158 kg BMI 51 kg/m2, – Lymphödem linkes Bein sowie chronisches Lipödem vom Beckenbeintyp, – arterielle Hypertonie, – Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion), – Hyperandrogenämie (Hormonüberproduktion), – andere Hormonstörungen, – Gon- und Retropatellararthrose rechts mit Z.n. OP des rechten Beins bei rezidivierender Patellaluxation. Der Gutachter führt in sozialmedizinischer Hinsicht weiter aus, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin weder erheblich gefährdet oder gemindert sei. Die Erkrankungen wären beim Eintritt in die Erwerbleben im Wesentlichen bereits vorhanden gewesen. Rückschlüsse, dass ohne Gewährung einer Rehabilitationsleistung eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eintreten würde, könnten nicht gezogen werden. Ein erneuter Aufenthalt im stationären Bereich sei nicht notwendig, die Behandlung der ineinander greifenden Adipositas und des Lipödems ambulant durch Ernährungsberatung, sportliche Betätigung, psychologische Beratung und die bereits erfolgenden physikalischen Maßnahmen erfolgen könne. Das Lipödem könne ambulant durch Bewegungstherapie, Kompressionstherapie, intermittierende pneumatische Kompression und manuelle Lymphdrainage – wie bereits erfolgt – behandelt werden. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 31.1.2007 führt der Sachverständige ergänzend aus, dass der nicht anhaltende Therapieerfolg der stationären Maßnahmen zeige, dass ein nachhaltiger Therapieerfolg außerhalb der normalen Lebensbedingungen nicht zu erwarten sei. Es gebe keine Begründung dafür, dass es nur in einer stationären Rehabilitationseinrichtung möglich sei, eine wirksame Therapie durchzuführen.
Der Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG vom 3.9.2007 wurde von der Klägerin mit Schreiben vom 8.10.2007 zurückgenommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Gerichtsakte mit den Schriftsätzen und mit dem Protokoll vom 6.11.2007 sowie die Verwaltungsakte der Beklagten genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 12.4.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.10.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs.2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen durchsetzbaren Anspruch auf Bewilligung einer stationären medizinischen Rehabilitationsleistung nach §§ 9, 10 und 11 SGB VI i.V.m. § 8 SGB IX, da die persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
Die Rentenversicherung erbringt Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ergänzende Leistungen, um 1. den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und 2. dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Die Leistungen zur Teilhabe haben Vorrang vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind. Nach Absatz 2 des § 9 SGB VI dieser Vorschrift können die Leistungen nach Absatz 1 erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Nach § 10 Abs.1 SGB VI haben Versicherte die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe erfüllt, 1. deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und 2. bei denen voraussichtlich a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann. Dem Rentenversicherungsträger ist bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe erst bei Vorliegen der persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ein Ermessen eingeräumt (vgl. Niesel, in KassKommSGB, § 9 Rn.9), wobei sich mögliche die Ermessensausübung auf das Wie, also Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung sowie Ort der Leistung beschränkt. Der Anspruch eines Versicherten beschränkt sich daher auch bei Vorliegen der persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Rentenversicherungsträgers.
Die medizinischen Ermittlungen haben zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass bei der Klägerin derzeit keine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Die Klägerin ist derzeit vollschichtig erwerbsfähig und wegefähig und der Eintritt einer entsprechenden Leistungsminderung für die Erwerbsfähigkeit ist auch nicht in absehbarer Zeit zu erwarten. Die Kammer schließt sich im Ergebnis den gutachtlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. S. an. Das Gutachten berücksichtigt die von der Klägerin geäußerten Beschwerden und die hierzu erhobenen Befunde, insbesondere auch das Lymphödem. An der medizinischen Fachkunde sowie der Unparteilichkeit des Gutachters bestanden für die Kammer keine Zweifel. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass eine Begutachtung des bekannten Lymphödems durch einen „Lymphologen“ durchgeführt wird, da das Vorhandensein durch die Befundunterlagen gesichert ist und die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit eine vordergründig sozialmedizinische Frage betreffen, zumal bereits Erfahrungen vorliegen, wie sich stationäre Behandlungsansätze auf die Erkrankung der Klägerin auswirken. Das Gutachten wurde in vollem Umfang, insbesondere hinsichtlich der Befunderhebung der würdigen Bewertung der Vorgeschichte und der erhobenen Befunde, sowie der vorgetragenen Beschwerden sorgfältig und sachkundig erstellt und somit für überzeugend befunden. Es wurde standardgemäß und objektiv unter Auswertung der medizinischen Diagnosen erhoben und weist keine Logik- oder Denkfehler auf. Auch der Vorgutachter Prof. Dr. med. B. hat eine „akute“ Gefährdung der Erwerbsfähigkeit verneint.
Das Gericht ist nach den Ausführungen des Sachverständigen auch davon überzeugt, dass sich innerhalb einer dreiwöchigen Rehabilitationsmaßnahme keine dauerhaften wesentlichen Verbesserungen des Gesundheitszustandes bei der Klägerin erreichen lassen. Eine solche Verbesserung setzt vielmehr eine lebensbegleitende kontinuierliche Behandlung und Ernährungssteuerung voraus, wobei es an letzterem gegenwärtig fehlt. Die Klägerin hat angegeben, seit der letzten stationären Behandlung im Jahr 2002 keine Ernährungsberatung und Kontrolle mehr wahrgenommen zu haben, so dass insoweit und ggf. auch für eine begleitende psychotherapeutische Behandlung Nachholebedarf besteht. Nur auf diese Weise erscheint eine durch die Progressionsneigung der Erkrankung möglicherweise zukünftig eintretende Gefährdung der Erwerbsfähigkeit beeinflussbar. Dabei ist eine Gewichtsreduktion entgegen den Ausführungen der Klägerin sehr wohl noch möglich, da das Krankheitsbild von einer massiven Adipositas mitbestimmt wird, die im Gegensatz zur dem Lipödem und dem Lymphödem sportlicher und ernährungstechnischer Einflussnahme zugänglich ist.
Ergänzend ist noch anzuführen, dass bis August 2006 ein Ausschlussgrund in Form der Vierjahresfrist nach § 12 Abs.2 Satz 1 SGB VI einer erneuten Leistungserbringung entgegen gestanden hat.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.