Sächsisches Landesarbeitsgericht – Az.: 2 Sa 910/01 – Urteil vom 31.07.2002
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 24. August 2001 – 5 Ca 5253/01 – a b g e ä n d e r t :
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme derjenigen des Berufungsverfahrens, welche die Beklagte zu tragen hat.
Revisionszulassung: keine.
Tatbestand
Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren weiter darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte für den Zeitraum von Februar bis Juni 2001 einen Lohnanspruch (nebst einem Zinsanspruch) in dem vom Arbeitsgericht Bautzen in seinem Urteil vom 24.08.2001 ausgeurteilten Umfang hat.
Zur Abwehr dieses Anspruchs hat sich die Beklagte bereits im Ersten Rechtszug auf eine Durchführung von Kurzarbeit bezogen sowie auf Anträge auf Bewilligung von Kurzarbeitergeld, auf einen Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes vom 15.03.2001 und eine Zustimmungserklärung des für ihren Betrieb errichteten Betriebsrates vom 06.02.2001 verwiesen. In einem Schreiben der Beklagten im Ersten Rechtszug (vom 26.07.2001) ist für die Monate Februar bis April 2001 eine Auflistung von Arbeitnehmern, darunter der Kläger, enthalten, die Kurzarbeitergeld bezögen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 13.09.2001 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts, das die Klage bereits teilweise abweist, am 12.10.2001 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Frist für die Begründung der Berufung bis 12.12.2001 am 10.12.2001 ausgeführt.
Erstmals im Berufungsverfahren legt die Beklagte eine die Einführung von Kurzarbeit betreffende Betriebsvereinbarung vom 08.02.2001 (Bl. 54 bis 97 d. A.) vor. Gleichzeitig rügt sie, daß das Arbeitsgericht das Beweisangebot, Frau … als Zeugin zum Beweis der Tatsache des Vorliegens einer die Einführung von Kurzarbeit betreffenden Betriebsvereinbarung zu vernehmen, übergangen hat.
Die Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bautzen vom 24.08.2001 – 5 Ca 5253/01 – insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Zurückweisung der Berufung.
Nach der Auffassung des Klägers konnte mit der Betriebsvereinbarung vom 08.02.2001 zu seinen Lasten nicht wirksam Kurzarbeit eingeführt werden. Diese sei im Lichte einer Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts nicht bestimmt genug. Auch hätte sie durch das Arbeitsamt genehmigt werden müssen.
Wegen des Vorbringens beider Parteien im übrigen und der von ihnen geäußerten Rechtsansichten wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Berufung ist begründet. Die – ihrerseits allerdings zulässige – Klage ist auch in dem Umfang unbegründet, in dem ihr das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil noch entsprochen hat.
1.
Eine Änderung der Arbeitsverträge hinsichtlich der Arbeitszeit und der Lohnzahlungspflicht für die Dauer einer Kurzarbeitsperiode ohne Rücksicht auf den Willen der Arbeitnehmer kann durch eine förmliche Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 2 BetrVG herbeigeführt werden. Sie wirkt gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse ein (vgl. BAG vom 14.02.1991 – 2 AZR 415/90 -, AP Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit).
2.
Eine derartige Betriebsvereinbarung liegt hier in Form der Abmachung zwischen dem Geschäftsführer der Beklagten und dem Betriebsrats-vorsitzenden … vom 08.02.2001 vor. Sie ist auch wirksam:
a) Die Betriebsvereinbarung ist nicht deshalb unwirksam, weil sie vom Arbeitsamt (der Bundesanstalt für Arbeit) hätte genehmigt werden müssen. Derartiges ist nirgendwo vorgesehen. Vorgesehen ist nur, daß die Zahlung von Kurzarbeitergeld zu beantragen ist und von der Bundesanstalt für Arbeit bewilligt werden muß. Fehlen Antrag oder Bewilligung und ist dies dem Arbeitgeber zuzurechnen, muß dieser für eine Periode vereinbarter Kurzarbeit das dann nicht fließende Kurzarbeitergeld möglicherweise im Wege des Schadensersatzes selbst aufbringen. Seine mit dem Betriebsrat getroffene Abmachung bleibt hierdurch jedoch unberührt. Auf den dadurch verursachten erheblichen Arbeitsausfall mit Entgeltausfall kommt es nur insoweit an, als es sich dabei um eine anzuzeigende Bewilligungsvoraussetzung als Regelvoraussetzung für das Kurzarbeitergeld handelt (vgl. § 169 Nrn. 1 und 4 SGB III).
b) Zu Recht hat sich der Kläger allerdings auf ein Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (vom 14.03.1997 – 17/13 Sa 162/96 -) bezogen. Danach müßten in einer Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeitergeld, soll sie normative Wirkung für die betroffenen Arbeitsverhältnisse entfalten, Beginn und Dauer der Kurzarbeit, die Lage und Verteilung der Arbeitszeit, die Auswahl der von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer oder Abteilungen sowie auch die Zeiträume, in denen die Arbeit ganz ausfallen soll, festgelegt werden. Diesem Urteil wird zwar in der Praxis der Landesarbeitsgerichte weithin nicht gefolgt (vgl. Thüringer Landesarbeitsgericht vom 07.10.1999 – 2 Sa 404/98 -). Diese geht vielmehr dahin, daß eine entsprechende Betriebsvereinbarung auch so ausgestaltet werden kann, daß sie abstrakt die Einführung der Kurzarbeit aus einem bestimmten Anlaß regelt und die personelle Festlegung des betroffenen Personenkreises einer formlosen Absprache der Betriebsparteien überläßt (vgl. beispielsweise LAG Brandenburg vom 10.08.1994 – 5 Sa 286/94 -). Das Bundesarbeitsgericht hatte bislang keine Gelegenheit zur Stellungnahme. Zwar hatte das Thüringer Landesarbeitsgericht (a. a. O.) die Revision gegen sein Urteil zugelassen, die beim Bundesarbeitsgericht auch zum dortigen Az. 1 AZR 178/00 eingelegt worden ist. Allerdings wurde das Verfahren dort am 05.05.2000 durch außergerichtlichen Vergleich beendet (Vermerk der Geschäftsstelle der 2. Kammer des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 02.04.2002 auf diesbezügliche Anfrage an das Bundesarbeitsgericht mit Schreiben vom 26.03.2002).
Der strengeren Sicht des Hessischen Landesarbeitsgerichts ist der Vorzug zu geben. Betriebsvereinbarungen gelten nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend. Diese Geltung steht derjenigen einer Rechtsnorm gleich. Rechtsnormen müssen jedoch hinreichend bestimmt sein, um vom Adressaten überhaupt befolgt werden zu können. Dies gilt erst recht dann, wenn sie keine Rechte gewähren, sondern Pflichten auferlegen oder – wie hier bei der Einführung von Kurzarbeit – sogar Rechte beschränken. Mithin müssen sich Inhalt, Zweck und Ausmaß des Regelungssubstrates, wie es auch bei Gesetzen ja nicht anders ist (vgl. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG), aus der Betriebsvereinbarung selbst bestimmen lassen.
Diesen Anforderungen wird die Betriebsvereinbarung vom 08.02.2001 allerdings gerecht. Aus ihr ergeben sich Beginn und Ende der Kurzarbeit (01.02.2001 bis spätestens 31.07.2001). Aus dem Hinweis in der Betriebsvereinbarung selbst, wonach die Baustelle mit einer Minimalvariante von max. Mitarbeitern weiterbetrieben werden solle, ergibt sich, daß Regelungen zur Lage und der Verteilung der Arbeitszeit nicht erforderlich waren. Denn der Sache nach ist Kurzarbeit „Null“ eingeführt worden, soweit es nicht um den erwähnten Minimalbetrieb geht. Aus der Anlage zur Betriebsvereinbarung ist auch ersichtlich, daß für Februar bis Juni 2001 von der Kurzarbeit u. a. der Kläger betroffen sein sollte. Er ist dort stets monatsweise namentlich aufgeführt. Klar ist auch, daß der betroffene Ort der Kurzarbeit die Baustelle in Freising sein sollte.
An der Bestimmtheit der Betriebsvereinbarung ändert sich nichts durch die dort angebrachten Vorbehalte des Inhalts etwas, daß in der Minimalvariante acht Mitarbeiter weiterarbeiten bzw. von den in der Anlage aufgeführten Arbeitnehmern möglichst wenige Arbeitnehmer betroffen werden sollten. Denn durch die Aufnahme des Klägers ergab sich jedenfalls für diesen, daß er von der Einführung der Kurzarbeit betroffen sein sollte. Es mußten – mit anderen Worten – nicht positiv auch diejenigen Arbeitnehmer namentlich aufgeführt werden, die weiterarbeiten sollten. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß es sich bei ihnen um Personen handelte, die auf der Anlage zur Betriebsvereinbarung aufgelistet sind. Auch die Bekundung des Willens, die Kurzarbeit personell möglichst gering zu halten, läßt sie im vorstehenden Sinne nicht als unbestimmt erscheinen. Anderenfalls hätten es Arbeitgeber und Betriebsrat nicht in der Hand, im Falle des Wegfalls der die Einführung von Kurzarbeit begründenden Umstände in Abweichung von der Betriebsvereinbarung über die Vereinbarung von Kurzarbeit wieder zum Normalbetrieb zurückzukehren oder jedenfalls Anstrengungen in dieser Richtung zu unternehmen.
II.
Der Kläger hat zwar in Abweichung von der diesbezüglichen Entscheidung in dem angefochtenen Urteil (unter Ziffer 6) die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 91 Abs. 1 ZPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens jedoch sind ausnahmsweise der Beklagten aufzuerlegen. Nach § 97 Abs. 2 ZPO sind die Kosten des Rechtsmittelverfahrens der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie aufgrund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Aus dem Vorbringen im Ersten Rechtszug und den diesbezüglichen Beweisantritten der Beklagten konnte nicht annähernd auf das Vorliegen einer Betriebsvereinbarung in der Gestalt geschlossen werden, wie sie dann im Zweiten Rechtszug vorgelegt worden ist. Das gilt sowohl für den im Ersten Rechtszug dargelegten Verkehr mit dem Arbeitsamt als auch den auf die Existenz der Betriebsvereinbarung bezogenen Beweisantritt. Wie sich aus den vorstehenden Entscheidungsgründen ergibt, kam es nicht nur auf die Existenz einer Betriebsvereinbarung an, sondern auch ganz maßgebend auf deren Inhalt. Dies rechtfertigt die Anwendung der Regelung des § 97 Abs. 2 ZPO.
Gegen dieses Urteil findet kein Rechtsmittel statt. Die Revision ist nicht zuzulassen. Zwar folgt die Kammer der Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts in Abweichung von der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Brandenburg und derjenigen des Thüringer Landesarbeitsgerichts. Auf dieser Abweichung beruht die klagabweisende Entscheidung jedoch nicht, sondern darauf, daß die von dem Hessischen Landesarbeitsgericht aufgestellten Voraussetzungen hier nicht vorliegen. Es wird allerdings darauf hingewiesen, daß die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht ihrerseits durch Beschwerde (sog. Nichtzulassungsbeschwerde) angefochten werden kann. Möglich ist dies jedoch nur unter den in § 72 a ArbGG genannten Voraussetzungen.