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Medizinischer Notfall vor Flugbeginn als außergewöhnlicher Umstand

Enthaftung des Luftverkehrsunternehmens

AG Rüsselsheim, Az.: 3 C 2273/13 (33), Urteil vom 11.04.2015

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Kläger begehren von der Beklagten insbesondere die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen Flugverspätung, wogegen sich die Beklagte unter Berufung auf einen medizinischen Notfall an Bord des Vor-Flugs verteidigt.

Die Kläger buchten einen Flug von Las Vegas nach Frankfurt am Main mit der planmäßigen Abflugzeit am 01.03.2013 um 1.20 Uhr UTC (Ortszeit: 28.02.2013, 17.20 Uhr), der unter der Flugnummer … von der Beklagten durchgeführt werden sollte. Der Flug traf am Zielflughafen erst mit etwa 22 Stunden Verspätung ein. Die Flugentfernung betrug mehr als 3.500 km.

Medizinischer Notfall vor Flugbeginn als außergewöhnlicher Umstand
Symbolfoto: Von Gecko Studio /Shutterstock.com

Nach Zahlungsaufforderung durch die Kläger mit Schreiben vom 17.03.2013 mandatierten diese ihre Prozessbevollmächtigten, die die Beklagte ebenfalls erfolglos zur Zahlung aufforderten.

Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils EUR 600,- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.04.2013 sowie jeweils außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 83,54,- zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf eine Enthaftung nach Art. 5 Abs. 3 VO und behauptet in diesem Zusammenhang, die Verspätung sei auf einen medizinischen Notfall an Bord des Vor-Flugs von Frankfurt am Main nach Las Vegas zurückzuführen. Die Beklagte behauptet im Kern, der Vor-Flug … sei am Vortag des betroffenen Flugs (28.02.2013) um 11.43 Uhr UTC mit einer geringfügigen Verspätung von 28 Minuten in Frankfurt am Main gestartet. Während des Fluges sei ein medizinischer Notfall bei einem Passagier eingetreten. Daraufhin sei um 17.54 Uhr UTC eine Zwischenlandung erfolgt, um den Passagier in ein Krankenhaus zu bringen. Ein Weiterflug mit dem eingesetzten Fluggerät nach Las Vegas sei wegen Überschreitung der zulässigen Flugdienstzeiten der Besatzung nicht möglich gewesen. Selbst wenn eine Ersatzbesatzung unmittelbar vor Ort zur Verfügung gestanden hätte, hätte der betroffene Flug frühestens mit einer Verspätung von mehr als 3 Stunden um 4.39 Uhr UTC in Las Vegas starten können.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen …. Auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 12.09.2013 (Bl. 22 f. d.A.) und der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme vom 27.03.2014 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat zur Überzeugung des Gerichts dargetan und bewiesen, dass ein medizinischer Notfall auf dem Vor-Flug die rechtliche relevante Verspätung maßgeblich verursacht hat und damit die Voraussetzungen für eine Enthaftung gemäß Art. 5 Abs. 3 VO gegeben sind.

1. Die Beklagte kann sich mit Erfolg auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 der VO berufen. Nach dem Rechtsgedanken des Art. 5 Abs. 3 VO kann der Ausgleichsanspruch entfallen, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Nach den vom Europäischen Gerichtshof mit Urteil vom 22.12.2008 (Aktenzeichen C-549/07) dazu aufgestellten Grundsätzen kommt ein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs in Betracht, wenn die Verspätung auf tatsächlich unbeherrschbare und nicht als Teil der normalen Tätigkeit einzuordnende Vorkommnisse zurückzuführen ist.

Die Fluggesellschaft hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dabei nicht nur – nach Maßgabe des Wortlauts von Art. 5 Abs. 3 VO – die Unvermeidbarkeit des außergewöhnlichen Umstands darzutun, sondern darüber hinaus weiter – über den Wortlaut hinaus – die Unvermeidbarkeit der rechtlich relevanten Verspätung darzulegen (BGH, Urteil vom 24.09.2013 – X ZR 160/12). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die Beklagte dagegen nicht darzutun, dass sie jedwede über 3 Stunden hinausgehende Verspätung möglichst gering gehalten hat (BGH, Urteil vom 24.09.2013 – X ZR 160/12). Ein „Wiederaufleben“ der Haftung nach stattgehabter Enthaftung kommt in Bezug auf einen bestimmten Flug nach dieser Rechtsprechungslinie nicht in Betracht.

2. Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben hat die Beklagte zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass der medizinische Notfall an Bord des Vor-Flugs für das Eintreten der rechtlich relevanten Verspätung von 3 Stunden ursächlich war. Der Zeuge … hat überzeugend und detailreich bestätigt, dass der betroffene Flug mit dem für den Vor-Flug eingesetzten Flugzeug durchgeführt werden sollte. Bereits eine Stunde nach Abflug des Vor-Flugs habe es einen Hinweis auf gesundheitliche Probleme eines Passagiers gegeben, wobei dem Passagier durch einen Notarzt an Bord eine Weiterflugmöglichkeit bescheinigt worden sei. Gegen 15.30 Uhr UTC habe der Passagier das Bewusstsein verloren, und der Notarzt habe Herzkammerflimmern festgestellt. Der Notarzt habe eine sofortige Landung aufgrund großer Herzinfarktgefahr empfohlen. Das auf medizinische Notfälle in der Luftfahrt spezialisierte Unternehmen International-SOS habe empfohlen, in Keflavik zu landen. Allein die Umstände, dass der Zeuge Mitarbeiter der Beklagten ist und seine Informationen aus Berichten des Notarztes, des Kapitäns und der Purserette entnimmt, erschüttern die Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht. Ebenso wenig begründet der Umstand Zweifel, dass die Ausführungen der Beklagten sich nicht vollständig mit den Schilderungen des Zeugen decken. Denn der Zeuge hat den Vortrag in seinem entscheidungserheblichen Kern vollumfänglich bestätigt.

Das Gericht hält auf Grundlage der überzeugenden Schilderung des Zeugen … und der kurzen Zeitspanne zwischen dem Eintritt des medizinischen Notfalls um 15.30 Uhr UTC und dem geplanten Start des betroffenen Flugs um 1.20 UTC am Folgetag – selbst bei Anlegung äußerst strenger Maßstäbe – die Unvermeidbarkeit der rechtlich relevanten Verspätung für von der Beklagten dargetan und bewiesen. Der Zeuge … hat glaubhaft dargetan, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Kenntnis von dem medizinischen Notfall keine Möglichkeit gehabt hätte, den betroffenen Flug von Las Vegas nach Frankfurt am Main noch mit einer Verspätung von weniger als 3 Stunden durchzuführen. Das Fluggerät sei um 17.54 Uhr UTC in Keflavik gelandet, womit die maximal zulässigen Flugdienstzeiten der Besatzung bereits überschritten gewesen seien. Die eingesetzte Crew habe eine maximale Flugdienstzeit von 15 Stunden gehabt. Dies sei die absolute Grenze für Flugdienstzeiten, über die hinaus auch keine Verlängerungsmöglichkeit durch den Kapitän bestehe.

Eine Ersatzbesatzung hätte nach Verbringung nach Keflavik ebenfalls nicht rechtzeitig starten können, denn auch diese Besatzung hätte nicht sowohl die flugdienstzeitrelevante „Verbringung“ nach Keflavik als auch den Weiterflug nach Las Vegas innerhalb der zulässigen maximalen Flugdienstzeiten durchführen können. Schließlich sei auch der Einsatz eines Ersatzfluggeräts zur Vermeidung einer rechtlich relevanten Verspätung ungeeignet gewesen. Denn bei Einsatz eines Ersatzfluggeräts von Frankfurt am Main aus um 15.30 UTC (d.h. zum Zeitpunkt der Kenntnis vom medizinischen Notfall) hätte ein Start in Frankfurt am Main frühestens nach 3 Stunden erfolgen können, was zu einer Ankunft in Las Vegas am 01.03.2013 um 6.10 Uhr UTC geführt hätte. Unter Berücksichtigung einer üblichen Bodenzeit von 1.50 Stunden hätte das Flugzeug frühestens um 8.00 UTC in Las Vegas starten können. Im Luftraum „Amerika“ stünden keine Ersatzfluggeräte zur Verfügung.

3. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung. Kosten: § 91 ZPO. Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708Nr. 11, 709 ZPO.

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