Oberlandesgericht Hamm
Az: III-3 RBs 248/11
Beschluss vom 12.09.2011
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden dem Betroffenen auferlegt.
G r ü n d e
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 1.400 € und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot von zwei Monaten. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Beschwerderechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO).
Besonderer Erörterung bedarf nur Folgendes:
Zu Recht hat das Amtsgericht ausgeführt, dass ein Verfahrenshindernis aufgrund der anderweitigen Verfolgung und Ahndung des unmittelbar nach dem hier abgeurteilten Geschwindigkeitsverstoß begangenen weiteren Geschwindigkeitsverstoßes nicht besteht. Bei der Tat, die Gegenstand des angefochtenen Urteils ist, und dem Geschehen, das durch den zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits rechtskräftigen Bußgeldbescheid des Landrates des Kreises Minden-Lübbecke vom 21. April 2010 – 009702391 – geahndet worden ist, handelt es sich nicht um dieselbe prozessuale Tat im Sinne des § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 264 Abs. 1 StPO.
1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen folgender Sachverhalt:
Der Betroffene befuhr am 18. März 2010 um 15.21 Uhr in Minden den Petershäger Weg in Höhe der Hausnummer 12 als Führer eines Kraftrades in Fahrtrichtung Lübbecker Straße mit einer Geschwindigkeit von 132 km/h. Der Tatort befindet sich innerhalb einer geschlossenen Ortschaft, dort gilt die grundsätzlich innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Die Messstelle befindet sich mehr als 200 m vom Ortsausgangsschild entfernt. Im Bereich der Messstelle befinden sich eine rechts- wie linksseitige Bebauung, einmündende Straßen, Bushaltestellen für Schüler sowie ein kreuzender Schulweg. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene unmittelbar nach der Messung um 15.21 Uhr seine Fahrt unterbrochen hat.
2. Zwei Minuten später – am 18. März 2010 um 15.23 Uhr – ereignete sich der Vorfall, der Gegenstand des Bußgeldbescheides des Landrates des Kreises Minden-Lübbecke vom 21. April 2010 ist: der Betroffene befuhr mit seinem Kraftrad in Minden den Dützener Weg in Fahrtrichtung Lübbecker Straße mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h. An der außerhalb geschlossener Ortschaften liegenden Messstelle ist die zulässige Geschwindigkeit durch das Verkehrszeichen 274 auf 50 km/h begrenzt.
Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen handelt es sich bei dem Dützener Weg um die Fortsetzung des Petershäger Weges in Fahrtrichtung Lübbecker Straße. In Fortführung des Petershäger Weges in Fahrtrichtung Lübbecker Straße folgt direkt nach dem Ortsausgangsschild eine Geschwindigkeitsbegrenzung durch das Verkehrszeichen 274 auf 70 km/h. Nach dieser ersten Geschwindigkeitsbegrenzung folgen in Abständen von 400 m, 600 m, 1,1 km sowie 1,3 km nach dem Ortsausgangsschild weitere Verkehrszeichen 274, die die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h wiederholen. Schließlich wird 1,6 km nach dem Ortsausgangsschild – und damit mehr als 1,8 km nach der ersten Messstelle (15.21 Uhr) – die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der nunmehr bereits Dützener Weg heißenden Straße durch Zeichen 274 auf 50 km/h herabgesetzt. Unmittelbar nach diesem Verkehrszeichen fand am Tattage eine (weitere) polizeiliche Geschwindigkeitsüberwachungsmaßnahme statt. Im Rahmen dieser Maßnahme wurde die Geschwindigkeit des Betroffenen um 15.23 Uhr gemessen, wobei das Kraftrad von hinten gemessen wurde und sich der Betroffene zum Messzeitpunkt bereits 172 m weiter in Fahrtrichtung Lübbecker Straße vom Standort der Geschwindigkeitsmessanlage entfernt befand, also ca. 2 km von der allerersten Messstelle entfernt.
3. Bei mehreren Geschwindigkeitsübertretungen auch im Verlaufe einer nicht unterbrochenen Fahrt – von einer nicht unterbrochenen Fahrt ist in der vorliegenden Sache zu Gunsten des Betroffenen auszugehen – handelt es sich regelmäßig um mehrere Taten sowohl im materiellen als auch im prozessualen Sinne (Senat, Beschluss vom 30. August 2007 – 3 Ss OWi 458/07 –, Rdnr. 13 m.w.N. ). Der Umstand, dass die Verstöße während derselben Fahrt begangen wurden, ändert nichts daran, dass das Fahren als solches keine rechtliche Klammer zu den einzelnen Verhaltensweisen im Straßenverkehr bildet (Senat, a.a.O.). Eine einzige Tat – materiell und prozessual – im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit ist dagegen lediglich dann anzunehmen, wenn strafrechtlich oder ordnungswidrigkeitenrechtlich erhebliche Verhaltensweisen durch einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang gekennzeichnet sind, dass sich der gesamte Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen unbeteiligten Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt (Senat, a.a.O. m.w.N.).
Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier – wie in dem vom Senat a.a.O. entschiedenen Fall – trotz des gegebenen örtlichen und zeitlichen Zusammenhanges der beiden Geschwindigkeitsverstöße und des Umstandes, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit an beiden Messstellen gleichermaßen 50 km/h betrug, nicht vor. Denn zwischen den beiden Messstellen lag ein Straßenbereich, in dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit 70 km/h betrug. Das Amtsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Durchfahrt durch verschiedene Geschwindigkeitsbeschränkungszonen eine Zäsur darstellt. Der Betroffene hat auf die Veränderungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, namentlich auf deren Reduzierung unmittelbar vor der zweiten Messstelle, auch reagiert, indem er nach dem ersten – mit einer Überschreitung um 82 km/h erheblichen – Geschwindigkeitsverstoß seine Geschwindigkeit reduzierte und an der zweiten Messstelle „nur noch“ 40 km/h zu schnell fuhr. Das Gewicht dieser beiden Verstöße unterscheidet sich deutlich. Überdies unterscheiden sich die Gegebenheiten innerhalb einer geschlossenen Ortschaft schon allein im Hinblick auf die Verkehrssituation und die abstrakte Gefährlichkeit eines Geschwindigkeitsverstoßes erheblich von den Gegebenheiten auf einer Landstraße außerhalb geschlossener Ortschaften.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.