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Mietrechtsstreit – Verletzung des rechtlichen Gehörs

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

Az: Vf. 149-VI-09

Urteil vom 11.08.2010


1. Das Urteil des Landgerichts München I vom 5. August 2009 Az. 14 S 3591/09 verstößt gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV), soweit die Berufung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen wurde. Es wird insoweit und im Kostenausspruch aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München I zurückverwiesen.

2. Der Beschwerdeführerin sind die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren verursachten notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten.

Gründe

I.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist das Urteil des Landgerichts München I vom 5. August 2009 Az. 14 S 3591/09, soweit darin die Berufung der Beschwerdeführerin gegen ein amtsgerichtliches Urteil in einem Zivilrechtsstreit zurückgewiesen wurde. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich ferner gegen den die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss des Landgerichts München I vom 8. Oktober 2009 Az. 14 S 3591/09. Die Beschwerdeführerin begehrte im Ausgangsverfahren von den Beklagten die Räumung und Herausgabe eines Speicher- sowie eines Kellerabteils.

1. Am 30. Januar 1993 schlossen die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin und die Beklagten einen Mietvertrag über eine Wohnung in der St.-Straße in M. Gemäß § 1 des Vertrags wurde u. a. „1 Keller“ vermietet; der vorgedruckte Text „und 1 Speicherabteil“ ist gestrichen. Die Beklagten nutzen jedoch ein Speicher- sowie zwei Kellerabteile.

Am 24. April 2001 erwarb die Beschwerdeführerin einen ¾-Miteigentumsanteil an dem Anwesen.

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2003 forderte die G. Hausverwaltung die Mieter zur Räumung des Speicherabteils auf, da ihnen ein solches nicht vermietet worden sei. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2003 beriefen diese sich darauf, dass sie seit 1984 Mieter im Anwesen seien und ihnen bereits 1985 „durch die damaligen Vermieter … ein Speicherabteil ohne zusätzliche Mietkosten zur zeitlich unbeschränkten Nutzung angeboten“ worden sei.

Am 5. Mai 2004 wurde die Beschwerdeführerin Alleineigentümerin des Anwesens.

Mit Schreiben vom 31. Oktober 2007 forderte sie die Mieter zur Räumung des Speicher- und des zweiten Kellerabteils auf; eine Nachfrage bei ihrer Mutter, der ehemaligen Mehrheitseigentümerin, habe ergeben, dass eine Überlassung der Räume nicht erfolgt sei. Die Mieter wiesen dies mit Schreiben vom 13. November 2007 zurück; dem Mieter C. H. sei das zweite Kellerabteil für den Ausbau und die Entsorgung eines darin befindlichen Öltanks „zur zeitlich unbeschränkten Nutzung ohne zusätzliche Mietkosten“ zugewiesen worden.

2. Zur Begründung der am 19. März 2008 eingereichten Klage auf Räumung und Herausgabe des Speicher- sowie des Kellerabteils führte die Beschwerdeführerin u. a. aus, die Hausverwaltung habe erst im September 2003 erfahren, dass die Mieter ein Speicherabteil nutzten. Zum Inhalt des Schreibens vom 10. Oktober 2003 trug sie vor: „Diese Behauptung der Beklagten wird bestritten.“ Im Herbst 2007 sei bemerkt worden, dass die Mieter auch ein zweites Kellerabteil besetzt hätten. Hierzu wurde ausgeführt: „In ihrem … Antwortschreiben vom 13. November 2007 … machten die Beklagten geltend, dass ihnen dieses Kellerabteil angeblich, was bestritten wird, von dem früheren ¼-Miteigentümer A. B. … zur zeitlich unbeschränkten Nutzung ohne zusätzliche Mietkosten zugewiesen worden sei.“ Die Behauptungen der Beklagten seien auch rechtlich irrelevant, da die angeblich bereits 1985 erfolgte Überlassung eines Speicherabteils und die behauptete Zuweisung eines weiteren Kellerabteils – zu der der Miteigentümer A. B. auch gar nicht berechtigt gewesen wäre – gerade nicht zum Gegenstand des Mietvertrags vom 30. Januar 1993 gemacht worden seien. Für eine außerhalb des Mietverhältnisses geduldete oder auch gestattete Keller- und Speichernutzung komme lediglich ein Gefälligkeits- oder Leihverhältnis in Betracht, das von der Beschwerdeführerin nicht einmal widerrufen werden müsse, weil es mit dem Eigentumserwerb nicht auf sie übergegangen sei. Schon deshalb könne auch keine Verwirkung eingetreten sein. Der Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 7. August 2008 enthielt u. a. folgende Ausführungen: „Auf eine angeblich … im Rahmen des früheren Mietvertrages der Beklagten zu 2 eingeräumte Speichernutzung können sich die Beklagten mit der Beendigung dieses Mietverhältnisses nicht mehr berufen. Es spielt deshalb auch keine Rolle, weshalb ihnen angeblich die Speichernutzung und die Nutzung eines zweiten Kellerabteils gestattet wurde … .“

Die Beklagten machten geltend, sie bewohnten die Wohnung seit 1984; bereits damals hätten sie „vom seinerzeitigen Vermieter“ zwei Kellerabteile und einen Teil des Speichers zu ihrer Wohnung hinzuerhalten; der Mietvertrag von 1993 sei unvollständig. Außerdem sei das Herausgabeverlangen aufgrund des Zeitablaufs und der Tatsache, dass sie nie zur Räumung aufgefordert worden seien, verwirkt. Zugleich erhoben sie Widerklage auf Durchführung von Mängelbeseitigungsmaßnahmen.

Mit Urteil vom 2. September 2008 wies das Amtsgericht die Herausgabeklage ab und gab der Widerklage teilweise statt. Etwaige Herausgabeansprüche seien verwirkt, weil jedenfalls zwischen 2003 und Oktober 2007 von der Vermieterseite nichts unternommen worden sei. Damit seien die beiden Nebenräume konkludent Vertragsinhalt geworden.

3. Mit der hiergegen eingelegten Berufung verfolgte die Beschwerdeführerin ihren Räumungsantrag weiter. Zur Begründung wiederholte und vertiefte sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. U. a. wies sie darauf hin, dass bestritten sei, wie und wann die Beklagten in den Besitz der zwei herausverlangten Räume gelangt seien. Die Voraussetzungen der Verwirkung lägen nicht vor. Im Jahr 2003 habe sie noch gar keine Herausgabe fordern können. Ihren Herausgabeanspruch habe sie nicht in einem Zeitraum von drei Jahren verloren; zum Vorliegen eines Umstands-moments mache das Amtsgericht keinerlei Ausführungen. Verwirkung könne jedenfalls nicht die Ansprüche hinsichtlich des Kellerabteils betreffen, weil dessen Nutzung erst im Herbst 2007 bemerkt worden sei.

Die Beklagten wandten sich mit der Anschlussberufung gegen die teilweise Abweisung ihrer Widerklage. Zur Berufung der Beschwerdeführerin führten sie aus, „die früheren Vermieter, die Familie B.“ hätten ihnen kurz nach dem Einzug im April oder Mai 1993 angetragen, den zusätzlichen streitgegenständlichen Keller leer zu räumen; dann könnten sie den weiteren Keller und Speicher im Rahmen des Mietvertrags vom 30. Januar 1993 als Gegenleistung bei nicht erhöhter Miete benutzen; diesen Vorschlag hätten sie angenommen.

Mit dem angegriffenen Urteil vom 5. August 2009 wies das Landgericht Berufung und Anschlussberufung zurück. Die Ansprüche auf Räumung und Herausgabe des Speicher- und des Kellerabteils seien verwirkt. Die Beschwerdeführerin habe zumindest seit 2001, als sie Mehrheitseigentümerin geworden sei, die Möglichkeit gehabt, einen Herausgabeanspruch geltend zu machen. Auf ihre Kenntnis vom Bestehen des Rechts komme es nicht an; es sei daher unerheblich, dass sie erst ab 2007 Kenntnis von der unberechtigten Nutzung gehabt haben wolle. Hinsichtlich der Räumung des Speicherabteils habe die Hausverwaltung die Zurückweisung des Anspruchs im Jahr 2003 widerspruchslos hingenommen; insoweit verkürze sich das Zeitmoment. Was das Umstandsmoment betreffe, sei unbestritten, dass die Beklagten im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit ihrer Nutzung zumindest in gutem Glauben gewesen seien. Im Übrigen seien die Absprachen mit Herrn R. und Herrn B. in erster Instanz zuletzt im Schriftsatz der Klägerseite vom 7. August 2008 unbestritten geblieben. Unabhängig davon, ob die Absprachen mit dem Ver-mieter erfolgt seien, die Gesprächspartner zu den Absprachen ermächtigt gewesen seien und die Absprachen für die Beschwerdeführerin verbindlich seien, sei für die Mieter das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit ihrer Nutzung entstanden.

4. Mit der gegen das Berufungsurteil erhobenen Anhörungsrüge beanstandete die Beschwerdeführerin, das Landgericht entstelle ihren Vortrag zur Überlassung des Keller- und des Speicherabteils. Sie habe stets vorgetragen, dass die Beklagten die Räume ohne Absprache in Besitz genommen hätten. Das Gericht hätte zu den bestrittenen Tatsachen Beweis erheben müssen.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 8. Oktober 2009 wies das Landgericht die Anhörungsrüge als unbegründet zurück. Im klägerischen Schriftsatz vom 7. Au-gust 2008 werde das vorherige Bestreiten nicht fortgeführt; vielmehr werde der Abrede keine Bedeutung mehr beigemessen. Es werde nur noch der Grund der eingeräumten Nutzung offengehalten, nicht aber die Absprache selbst bestritten.

II.

1. Mit ihrer am 30. November 2009 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin Verstöße gegen das Grundrecht auf Eigentum (Art. 103 Abs. 1 BV), den Anspruch auf ein faires Verfahren und das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV).

a) Das Landgericht habe es unterlassen, die Voraussetzungen der Verwirkung in verfassungskonformer Weise auszulegen. Danach könne ein Herausgabeanspruch aus § 985 BGB nicht binnen weniger Jahre verwirkt werden, wenn sich der Besitzer nicht auf einen eigentumsähnlichen Vertrauenstatbestand berufen könne.

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b) Die Eigentumsgarantie wirke auf das Verfahrensrecht ein und gebiete es, effektiven Rechtsschutz zu gewähren; das schließe den Anspruch auf ein faires Verfahren ein. Es handle sich um eine Überraschungsentscheidung. Die Beschwerdeführerin habe darauf vertrauen dürfen, dass das Landgericht den Beklagtenvortrag zur Gestattung einer Nutzung von Keller- und Speicherabteil als streitig behandeln werde, nachdem sie ihn in der Klageschrift und der Berufungsbegründungsschrift bestritten habe und der Vortrag im Tatbestand des Ersturteils als streitig aufgeführt worden sei.

c) Durch das Übergehen ihres Bestreitens sei auch der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Aus der vom Landgericht herangezogenen Stelle sei nicht zu schließen, dass die Beschwerdeführerin den Vortrag der Beklagten unstreitig gestellt habe, zumal er im Satz vorher nochmals ausdrücklich bestritten worden sei.

2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das Landgericht habe das Vorbringen der Beschwerdeführerin in Erwägung gezogen. Ob es daraus die richtigen Schlüsse gezogen habe, sei im Hinblick auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs unerheblich. Es könne deshalb offenbleiben, ob eine Verfassungsbeschwerde auf ein Recht auf faires Verfahren gestützt werden könne. Die Auslegung des Sachvortrags der Beschwerdeführerin sei auch nicht unvertretbar und willkürlich.

3. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

III.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.

1. Ob einzelne der von der Beschwerdeführerin erhobenen Rügen unzulässig sind, kann dahingestellt bleiben. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts vom 5. August 2009 hat mit der Rüge einer Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) Erfolg.

a) Der Verfassungsgerichtshof überprüft gerichtliche Entscheidungen nur in engen Grenzen. Er ist kein Rechtsmittelgericht. Es ist nicht seine Aufgabe, fachgerichtliche Entscheidungen dahingehend zu kontrollieren, ob die tatsächlichen Feststellungen zutreffen oder ob die Gesetze richtig ausgelegt und angewandt wurden. Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde beschränkt sich die Prüfung vielmehr auf die Frage, ob die Gerichte gegen Normen der Bayerischen Verfassung verstoßen haben, die ein subjektives Recht des Beschwerdeführers verbürgen. Sind die angefochtenen Entscheidungen – wie hier – unter Anwendung von materiellem Bundesrecht ergangen, das wegen seines höheren Rangs nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung überprüft werden kann, beschränkt sich die Prüfung darauf, ob das Gericht willkürlich gehandelt hat (Art. 118 Abs. 1 BV). In verfahrensrechtlicher Hinsicht überprüft der Verfassungsgerichtshof auch Entscheidungen, die auf Bundesrecht beruhen und in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren ergangen sind, daraufhin nach, ob ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verletzt worden ist, das – wie etwa das Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 91 Abs. 1 BV – mit gleichem Inhalt im Grundgesetz gewährleistet ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 30.1.2007 = VerfGH 60, 14/20 f.).

b) Die Annahme des Landgerichts, etwaige Ansprüche auf Räumung und Herausgabe des Speicher- und des Kellerabteils seien verwirkt, verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV).

aa) Das Grundrecht auf rechtliches Gehör untersagt den Gerichten zum einen, ihren Entscheidungen Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt es den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass das Gericht ein rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht, soweit es nach den Prozessvorschriften nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 21.3.1997 = VerfGH 50, 60/62). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht den von ihm entgegengenommenen Vortrag eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Gericht wird durch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht dazu verpflichtet, auf alle Ausführungen oder Anliegen eines Beteiligten einzugehen. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls klar und deutlich ergibt, dass das Gericht ein Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat, kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs angenommen werden (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 6.7.2001 = VerfGH 54, 59/60 f.; VerfGH vom 29.6.2004 = VerfGH 57, 62/66).

bb) Nach diesem Maßstab hat das Landgericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beschwerdeführerin übergangen.

(1) Die Verwirkung eines Anspruchs ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung und beruht auf § 242 BGB. Verwirkung setzt neben der Tatsache, dass ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht wurde (Zeitmoment), voraus, dass dem Gläubiger zurechenbare Umstände bei dem Schuldner das berechtigte Vertrauen begründen, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht (Umstandsmoment) (vgl. Roth in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2007, RdNr. 301 zu § 242; Grüneberg in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, RdNrn. 87, 93, 95 zu § 242). Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauche (BGH vom 27.6.1957 = BGHZ 25, 47/52; Grüneberg, a. a. O., RdNr. 95 zu § 242). Dabei kommt es nicht auf den Willen des Berechtigten an. Verwirkung kann auch gegen den Willen des Berechtigten eintreten, da die an Treu und Glauben ausgerichtete objektive Beurteilung, nicht aber der Willensentschluss des Berechtigten entscheidend ist. Ein Anspruch kann daher selbst dann verwirkt sein, wenn der Berechtigte keine Kenntnis von seiner Berechtigung hat. Notwendig für die Verwirkung ist jedoch immer, dass sich der Verpflichtete mit Rücksicht auf das Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dass dieser das ihm zustehende Recht nicht mehr geltend machen werde, dass es mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist, wenn der Berechtigte später doch mit dem ihm zustehenden Recht hervortritt und dass unter diesem Gesichtspunkt die Leistung für den Verpflichteten unzumutbar ist (BGH vom 16.3.2007 = NJW 2007, 2183 f.; BGHZ 25, 47/52).

Entscheidend sind dabei die Umstände des Einzelfalls, wobei der Art und der Bedeutung des Rechts, um dessen Verwirkung es geht, besondere Bedeutung zukommt. Soweit dem Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe der Einwand der Verwirkung entgegengehalten wird, ist bei der gebotenen Würdigung zu berücksichtigen, dass dieser Anspruch Kernbestandteil des Eigentums ist und seine Verwirkung deshalb nur in Ausnahmefällen angenommen werden kann (BGH NJW 2007, 2183/2184; Roth, a. a. O., RdNr. 300 zu § 242).

(2) Das Landgericht hat das Vorliegen sowohl des Zeit- als auch des Umstandsmoments geprüft. Es bejaht im Urteil vom 5. August 2009 und im Beschluss vom 8. Oktober 2009 zur Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin das Umstandsmoment mit der Begründung, die Beklagten seien im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit ihrer Nutzung zumindest in gutem Glauben gewesen. Im Übrigen habe die Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 7. August 2008 das Bestehen von Absprachen der Mieter mit Herrn R. und Herrn B. nicht mehr bestritten, sondern nur noch den Grund der Einräumung offengehalten; auch dadurch sei für die Mieter das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Nutzung entstanden.

Diese Argumente sind jedoch mit dem Vortrag der Beschwerdeführerin offensichtlich nicht vereinbar. Die Beschwerdeführerin hat im erstinstanzlichen Verfahren in der Klageschrift die in den Schreiben der Mieter vom 10. Oktober 2003 und vom 13. November 2007 behaupteten Absprachen mit den früheren Vermietern ausdrücklich bestritten. In ihrer Stellungnahme vom 29. Mai 2008 zur Klageerwiderung hat sie von „angeblichen“ Erweiterungen des Mietvertrags gesprochen und dargelegt, dass die Feststellungen zur Speichernutzung durch die Mieter im Tatbestand eines amtsgerichtlichen Urteils in einem weiteren Rechtsstreit wegen Mieterhöhung unzutreffend seien, weil sie dies bestritten habe. Dass der Mietvertrag vom 30. Januar 1993 nicht vollständig sei, wird als „freie Erfindung“ der Beklagten zurückgewiesen. Auch im folgenden Schriftsatz vom 7. August 2008 – auf den das Landgericht seine Begründung zum Vorliegen des Umstandsmoments stützt – wird ausgeführt, dass die Beklagten sich „auf eine angeblich ihnen im Rahmen des früheren Mietvertrages der Beklagten zu 2 eingeräumte Speichernutzung“ nach Beendigung dieses Mietverhältnisses nicht mehr berufen könnten und es deshalb keine Rolle spiele, weshalb ihnen „angeblich“ die Speichernutzung und die Nutzung des zweiten Kellerabteils gestattet worden sei. In der vom Landgericht in seinem Beschluss vom 8. Oktober 2009 zitierten Textpassage werden damit die von den Beklagten behaupteten Absprachen zweimal als „angeblich“ bezeichnet. Auch in den weiteren Ausführungen des Schriftsatzes vom 7. August 2008 ist von „angeblichen, rein schuldrechtlichen Abreden“ und einer „angeblich“ den Mietern zustehenden Speichernutzung die Rede. Es lag daher fern, dass die Beschwerdeführerin ihr bisheriges Bestreiten aufgeben wollte, wenn sie darauf hinwies, dass es auf die vorgetragenen Absprachen gar nicht ankomme, weil diese in den Mietvertrag vom 30. Januar 1993 nicht aufgenommen worden seien und sie nur in den Mietvertrag eingetreten sei, nicht aber in sonstige Vereinbarungen. Auch das Amtsgericht hat den Vortrag nicht so verstanden, sondern ihn im Tatbestand als streitig dargestellt. Es handelte sich offensichtlich um ein ergänzendes, bereits im vorangegangenen Schriftsatz vom 29. Mai 2008 vorgebrachtes Argument.

Das Landgericht hat sich auch nicht damit auseinandergesetzt, dass seiner Auslegung der Darlegungen im Schriftsatz vom 7. August 2008 das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Berufungsinstanz entgegenstand. In der Berufungsbegründung und im Schriftsatz vom 29. April 2009 hat die Beschwerdeführerin die von den Beklagten behaupteten Abreden jeweils ausdrücklich bestritten. Es lag damit nahe, dass sie mit dem Schriftsatz vom 7. August 2008 nicht von ihrem sowohl zuvor als auch danach erklärten Bestreiten abrücken wollte. Nicht nachvollziehbar ist schließlich, weshalb das Landgericht auch hinsichtlich des zweiten Kellerabteils Verwirkung angenommen hat, obwohl dieses gar nicht Gegenstand des Herausgabeverlangens vom 1. Oktober 2003 war.

Das Landgericht hat damit wesentliches, für die Entscheidung erhebliches Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis genommen. War der Vortrag der Beklagten zu den behaupteten Absprachen bestritten, so konnte die Annahme einer Verwirkung des Herausgabeanspruchs nicht darauf gestützt werden, dass die Beklagten aufgrund von Vereinbarungen in gutem Glauben waren, die beiden Räume rechtmäßig zu nutzen. Lässt die Begründung der angefochtenen Entscheidung – wie hier – nur den Schluss zu, dass die Entscheidung des Gerichts auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, nicht aber den Sinn des Parteivortrags erfassenden Wahrnehmung beruht, liegt darin ein Verstoß gegen den Anspruch der betroffenen Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BGH vom 9.2.2009 = NJW 2009, 2137).

c) Das angegriffene Berufungsurteil beruht auf dem Verfassungsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht die Voraussetzungen einer Verwirkung verneint hätte und damit – gegebenenfalls nach Durchführung einer Beweisaufnahme zu den behaupteten Absprachen über die Nutzung eines zweiten Keller- und eines Speicherabteils – zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es den Sachvortrag der Beschwerdeführerin umfassend berücksichtigt hätte.

2. Das Urteil des Landgerichts vom 5. August 2009 ist daher aufzuheben, soweit die Berufung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen wurde; die Entscheidung über die Anschlussberufung wird von dem Verfassungsverstoß nicht berührt. Die teilweise Aufhebung hat zur Folge, dass auch über die Kosten des Berufungsverfahrens neu zu entscheiden ist. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München I zurückzuverweisen (Art. 54 Satz 2 VfGHG). Eine Zurückverweisung an eine andere als die im Ausgangsverfahren mit der Sache befasste Kammer erscheint nicht veranlasst.

Durch die teilweise Aufhebung des Berufungsurteils wird der Beschluss des Landgerichts vom 8. Oktober 2009 gegenstandslos; eine gesonderte Aufhebung ist nicht geboten (vgl. VerfGH vom 21.1.2010; VerfGH vom 12.5.2010).

IV.

Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Der Beschwerdeführerin sind die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren verursachten notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten (Art. 27 Abs. 4 Satz 1 VfGHG).

 

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