LG Hamburg – Az.: 332 S 174/10 – Urteil vom 22.06.2012
1. Auf die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 21. Oktober 2010 wird das Urteil abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 4.666,60 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2010 sowie EUR 399,90 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Hinsichtlich des Tatbestandes wird zunächst auf die Feststellungen in dem amtsgerichtlichen Urteil Bezug genommen.
Es ist ergänzend Beweis erhoben worden durch uneidliche Vernehmung des Zeugen M. D.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 21. Oktober 2011 verwiesen. Es ist ferner Beweis erhoben worden durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Insoweit wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. L. vom 30. März 2012 Bezug genommen.
Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 544 Abs. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Stornokosten in zuerkannter Höhe aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Versicherungsvertrag.
Ein Ersatzanspruch scheitert nicht bereits an einer Obliegenheitsverletzung. Zwar sehen die Versicherungsbedingungen vor, dass die Obliegenheit besteht, im Fall psychischer Erkrankungen das Attest eines Facharztes für Psychiatrie einzuholen, was vorliegend nicht erfolgt ist. Weiter entspricht diese Regelung den Mustervertragsbedingungen und es bestehen auch keine grundsätzlichen Bedenken an der Wirksamkeit derselben, da die nachträgliche Aufklärung psychischer Erkrankungen sich oftmals als schwierig gestaltet. Dieser Sinn der Obliegenheit ist bei der Beurteilung der Verletzung derselben zu berücksichtigen. Es kann daher bereits ausreichen, wenn ein vergleichbar fachkompetenter Arzt die Untersuchung des Versicherten festgestellt hat oder die Feststellungen eines Hausarztes durch ein psychiatrisches Gutachten bestätigt werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nur eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung zu einem gänzlichen Leistungsausschluß führen könnte, wobei dies gerade bei psychischen Erkrankungen nur schwer nachweisbar sein wird. Nach diesen Grundsätzen ist eine den Anspruch ausschließende Obliegenheitsverletzung nicht anzunehmen. So hat die Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung zunächst schlüssig geschildert, dass sie wegen erheblicher Panikattacken und der bevorstehenden langen Flugreise trotz nicht bestehender Flugangst nicht in der Lage gewesen sei, die Flugreise anzutreten. Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass die Beklagte eine schwerwiegende psychische Erkrankung in Zweifel zieht, wenn zunächst eine telefonische Beratung durch den Zeugen D. ausreichte, bleibt es schlüssig, dass gerade dieses Gespräch und der Rat, die Reise nicht anzutreten, zu einer wesentlichen Beruhigung führen konnten. Weiter hat der Zeuge D. ausgesagt, dass die Klägerin überzeugend eines massive Überforderungs- und Erschöpfungssituation geschildert habe und er die Reise nicht habe anraten können. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass der Zeuge eine wesentliche psychiatrische Ausbildung hat. Er gab außer an einem besonderen Interesse an diesem Gebiet lediglich an, dass sich sämtliche Fortbildungen im Rahmen der üblichen psychosomatischen Grundversorgung einer Hausarztpraxis hielten. Er hat jedoch, der Klägerin nicht von sich aus zu einer weiteren psychiatrischen Behandlung geraten und zudem den Gesundheitszustand der Klägerin weitgehend zutreffend festgestellt, wie das eingeholte Sachverständigengutachten gezeigt hat.
Das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten hat den Nachweis der Reiseunfähigkeit erbracht, so dass es sich nicht auswirkt, dass nicht sogleich das Attest eines Facharztes für Psychiatrie eingeholt worden ist. Die Kammer folgt der Ansicht des Amtsgerichts nicht, dass ohne die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens durch ein fachlich auf medizinischem Gebiet nicht kompetentes Gericht eine Reiseunfähigkeit verneint werden konnte. Vielmehr hat der Sachverständige Dr. L. in seinem Gutachten vom 30. März 2012 überzeugend festgestellt, dass die Klägerin während der Zeitraums der geplanten Reise unter einer akuten Belastungsstörung gelitten habe, welche in eine Anpassungsstörung übergegangen sei und bis Mitte Januar 2010 angehalten habe. Aus ärztlich psychiatrischer Sicht bestünden daher keine Zweifel an der Reiseunfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der geplanten Reise. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der Sachverständige weitgehend auf die Angaben der Klägerin angewiesen war. Das ist jedoch gerade kennzeichnend für psychiatrische Gutachten und der Sachverständige hat insoweit aufgeführt, dass es für ihn biographisch nachvollziehbar sei, dass die Klägerin die Reise angetreten hätte, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre. Anzeichen für eine Simulation waren nicht feststellbar.
Die Klägerin hat folglich aus eigenem und abgetretenem Recht einen Anspruch auf Ersatz der Stornokosten. Darunter fallen jedoch nicht die Kosten für die streitgegenständliche Versicherung in Höhe von EUR 308,00. Insoweit ist kein Schaden der Klägerin anzunehmen.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Absatz 1 BGB. Die vorgerichtlich entstanden Rechtsanwaltskosten sind als Verzugsschaden ersatzfähig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.