Streit um historische Landbewirtschaftungsgrenzen führt zu Gerichtsverhandlung
In einem komplexen Fall von Landrechten sind die Parteien in eine juristische Auseinandersetzung geraten. Die Hauptproblematik liegt in der Interpretation und Bestimmung der Grundstücksgrenzen, insbesondere in Bezug auf ihre historischen Bewirtschaftungsgrenzen. Die Beklagten argumentieren, dass diese Grenzen seit Alters her bestehen und daher gültig sind. Diese Behauptung wurde jedoch nicht bewiesen und zudem vom Sachverständigengutachten und vom Vermessungsamt anders dargestellt. Hierbei entstanden erhebliche Ungenauigkeiten, die zu einer rechtlichen Kontroverse führten und letztendlich zur Einlegung einer Berufung durch die Beklagten geführt haben.
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Übersicht:
- Streit um historische Landbewirtschaftungsgrenzen führt zu Gerichtsverhandlung
- Ungenauigkeiten in historischen Landkarten führen zu rechtlichen Unklarheiten
- Prozessuale Herausforderungen bei der Festlegung von Grundstücksgrenzen
- Die Rolle von Fristen und formellen Anforderungen in der Rechtsprechung
- Das vorliegende Urteil
- Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant
Ungenauigkeiten in historischen Landkarten führen zu rechtlichen Unklarheiten
Ein zentraler Punkt in diesem Fall ist die Interpretation der historischen Flurkarten. Diese sind häufig die einzigen verfügbaren Katasternachweise für Grundstücke, die vor 1900 dokumentiert wurden, also vor Einführung der Abmarkungspflicht und des Grundbuchs. Die graphische Darstellung auf diesen Karten ist jedoch mit Ungenauigkeiten von 1-3 Metern behaftet. Dies führt zu Herausforderungen bei der Übertragung der Karten in die reale Örtlichkeit und hat in diesem Fall zu erheblichen Abweichungen geführt.
Prozessuale Herausforderungen bei der Festlegung von Grundstücksgrenzen
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt dieses Falles ist der prozessuale Umgang mit der Festlegung von Grundstücksgrenzen. Es scheint, dass das Landgericht die Möglichkeit einer genauen Bestimmung der Grenzen aufgrund der erwähnten Ungenauigkeiten in Frage gestellt hat. Dennoch wurden umfangreiche Messungen durchgeführt, um die Grenzen so genau wie möglich festzulegen. Dies führte jedoch zu weiteren Streitigkeiten, da die ermittelten Grenzen deutlich von den ursprünglichen Bewirtschaftungsgrenzen abwichen.
Die Rolle von Fristen und formellen Anforderungen in der Rechtsprechung
Ein bedeutender Aspekt dieses Falles betrifft die Einhaltung von Fristen und formellen Anforderungen. Die sogenannte Fristenstrenge ist ein wichtiger Grundsatz im deutschen Prozessrecht. Es gibt jedoch Situationen, in denen eine Abweichung von diesem Grundsatz im Interesse der materiellen Gerechtigkeit gerechtfertigt sein kann. In diesem Fall führte die Anwendung dieses Prinzips dazu, dass der ursprüngliche Antrag des Klägers in der Berufung wieder eingeführt wurde.
Im Endeffekt zeigt dieser Fall die Komplexität und möglichen Unklarheiten im Bereich des Landrechts, besonders wenn es um historische Landbewirtschaftungsgrenzen und deren rechtliche Interpretation geht. Die Gerichtsentscheidung hinterlässt wichtige Erkenntnisse und potenzielle Leitlinien für zukünftige ähnliche Fälle.
[…]
Das vorliegende Urteil
OLG Nürnberg – Az.: 6 U 1035/22 – Urteil vom 09.05.2023
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 09.03.2022, Az. 31 O 901/19, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
1.1. a) festgestellt wird, dass die Grenze zwischen den im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücken der Gemarkung ###, FlNr. ###, ### und ### und ### und dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück in der Gemarkung ###, FlNr. ### entlang der von der Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. ###, Gutachten-Nr. 1916-137 Ziff. 7.1 ermittelten Grenzpunkte verläuft, und
b) festgestellt wird, dass die Grenze zwischen den im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücken der Gemarkung ###, FlNr. ###, ### und ### und den im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücke der Gemarkung ###, FlNr. ### und ###/### entlang der von der Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. ###, Gutachten-Nr. 1916-137 Ziff. 7.2 ermittelten Grenzpunkte verläuft.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Regensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.144,50 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
I.
Die Parteien streiten um den Grenzverlauf zwischen Grundstücken.
Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke der Gemarkung ### mit den Flur-Nr. ###, ### und ### sowie ###, ### und ###. Die Beklagten sind in der Gemarkung Eigentümer der Grundstücke mit den Flur-Nr. ###, ### und ###. Die Grundstücke des Klägers Flur-Nr. ###, ###, ### und ### grenzen an das Grundstück der Beklagten Flur-Nr. ###. Die Grundstücke des Klägers Flur-Nr. ###, ### und ### grenzen an die Grundstücke der Beklagten Flur-Nr. ### und ### (Anlage K1).
Am 06.11.2018 führte das Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Regensburg (nachfolgend: Vermessungsamt) im Hinblick auf die Grenzverläufe anhand der Katasterkarten Vermessungen durch und erstellte die Abmarkungsprotokolle Nr. ### und ### (Anlagen K 2 und 3). Dabei wurde jeweils keine Abmarkung vorgefunden. Die ermittelte Grenze wurde bezüglich des Grundstücks mit der Flur-Nr. ### mit 8 Markierungsstäben gekennzeichnet. Bezüglich der Grenzen der Flurstücke mit der Nr. ### und ### waren bereits 13 Granitsteine vorhanden, die im Jahr 2004 gesetzt worden waren. Die Abmarkungsprotokolle wurden von den Beklagten jeweils nicht unterschrieben. Abmarkungsbescheide ergingen jeweils nicht.
Die aktuellen Bewirtschaftungsgrenzen stimmen mit den vom Vermessungsamt ermittelten Grenzpunkten nicht überein.
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die Beklagten bewirtschafteten mit Blick auf das Grundstück mit der Flur-Nr. ### und die angrenzenden Grundstücke der Klagepartei 88 qm sowie 783 qm fremden Grundes und bezüglich der Grundstücke 795 und 795/3 bewirtschafteten die Beklagten 1.727 qm fremden Grundes.
Der Kläger hat erstinstanzlich argumentiert, er habe deshalb ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des Verlaufs der jeweiligen Grundstücksgrenzen anhand des Ergebnisses der Vermessungen des Vermessungsamts gemäß den Abmarkungsprotokollen 387 und 389.
Der Kläger hat erstinstanzlich zunächst beantragt, festzustellen, dass die Grenze zwischen den streitgegenständlichen Grundstücken entlang der vom Vermessungsamt ermittelten Grenzpunkte gemäß den Abmarkungsprotokollen 387 und 389 vom 06.11.2018 verlaufe.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Erholung eines schriftlichen Gutachtens durch die Sachverständige Dr. ###. Nach Vorliegen dieses Gutachtens hat der Kläger sodann mit Schriftsatz vom 23.03.2021 (Bl. 123) seine Klage geändert und beantragte,
1. Es wird festgestellt, dass die Grenze zwischen den im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücke der Gemarkung ###, Flur-Nr. ###, ###, ### und ###, und dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück der Gemarkung ### Flur-Nr. ### entlang der von der Sachverständigen Prof. Dr-Ing. ###, Gutachten-Nr. 1916-137 Ziff. 7.1 ermittelten Grenzpunkte verläuft
2. Es wird festgestellt, dass die Grenze zwischen den im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücken der Gemarkung ###, Flur-Nr. ###, ### und ###, und dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück der Gemarkung ### Flur-Nr. ### und ### entlang der von der Sachverständigen Prof. Dr-Ing. ###, Gutachten-Nr. 1916-137 Ziff. 7.2, ermittelten Grenzpunkte verläuft.
In der Sitzung vom 02.02.2022 hat das Landgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass nach dem bisherigen Vortrag in der Klageschrift ein Anspruch nach § 919 BGB begehrt werde, zu dem der erhobene Feststellungsantrag nicht passe. Ein Feststellungsinteresse sei wegen Vorrangs der Leistungsklage problematisch. Außerdem lasse sich auch aus dem vorliegenden Gutachten kein exakter Grenzverlauf feststellen. Sodann hat das Landgericht die Beklagten darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass Grenzscheidung gemäß § 920 Abs. 2 BGB nach Billigkeit beantragt werde, eine Festsetzung des Grenzverlaufs nach dem aktuellen Besitzstand aufgrund der bereits getroffenen Feststellungen nicht angezeigt erscheine.
Auf diesen Hinweis hat der Kläger in der Sitzung vom 02.02.2022 seine Anträge nochmals abgeändert und erstinstanzlich zuletzt beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass die im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücke der Gemarkung ###, Flur-Nr. ###, ###, ### und ### und das im Eigentum der Beklagten stehende Grundstück der Gemarkung ### ### entlang der im Gutachten der Sachverständigen ### vom 23.02.2021 auf Seite 35 des Gutachtens festgestellten Punkte geschieden werden.
2. Es wird festgestellt, dass die im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücke der Gemarkung ###, Flur-Nr. ###, ### und ### und die im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücke der Gemarkung ### ### und ### entlang der im Gutachten der Sachverständigen ### vom 23.02.2021 gemäß Seite 35 des Gutachtens festgestellten Messpunkte geschieden werden.
Die Beklagten haben erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben erstinstanzlich bestritten, fremdes Eigentum zu bewirtschaften. Sie haben vorgetragen, die streitgegenständlichen Grenzen seien nicht exakt bestimmbar. Sie hielten sich an die Bewirtschaftungsgrenzen, die schon seit jeher bestünden. Der Vater des Beklagten zu 2) habe die streitgegenständlichen Grundstücke im Jahr 1977 erworben. Die Bewirtschaftungsgrenzen, wie sie heute stünden, hätten bereits bei Erwerb bestanden und würden bis dato unverändert fortgeführt.
Die Beklagten haben sich erstinstanzlich gegen die Feststellungen der Sachverständigen, insbesondere die auf Seite 35 des Gutachtens dargestellten Grenzpunkte gewendet. Die Bewirtschaftungsgrenzen fänden ihre tatsächliche Entsprechung in natürlichen Grenzen, wie angedeuteten Gräben und Böschungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Klageanträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit Endurteil vom 09.03.2022 den zuletzt gestellten Anträgen des Klägers entsprochen und im Einzelnen tenoriert:
1. Es wird festgestellt, dass die im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücke der Gemarkung ###, Flur-Nr. ###, ###, ### und ### und das im Eigentum der Beklagten stehende Grundstück der Gemarkung ###, Flur-Nr. ###, entlang der im Sachverständigen-Gutachten Prof. Dr. ### vom 23.2.2021, Bl. 35, Abbildung 22, dargestellten Messpunkte geschieden werden. Auf Bl. 35 des Gutachtens wird als Anlage zu diesem Endurteil wird Bezug genommen.
2. Es wird festgestellt, dass die im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücke der Gemarkung ###, Flur-Nr. ###, ### und ### und die im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücke der Gemarkung ###, Flur-Nr. ### und ### entlang der im Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. ### vom 23.2.2021, Bl. 35, Abbildung 23, dargestellten Messpunkte geschieden werden. Auf Bl. 35 des Gutachtens wird als Anlage zu diesem Endurteil Bezug genommen.
Das Landgericht geht in seiner Begründung davon aus, dass zwischen den Parteien Grenzverwirrung i.S.d. § 920 Abs. 1 BGB vorliege. Eine Bestimmung des Grenzverlaufes unter Berücksichtigung der festgestellten Umstände nach Billigkeit sei geboten. Eine Grenzscheidung nach dem aktuellen Besitzstand komme aufgrund der im Verfahren getroffenen Feststellungen, insbesondere des Ergebnisses des erholten Sachverständigengutachtens, nicht in Betracht, da dessen Feststellungen dem aktuellen Besitzstand deutlich widerspreche Eine Grenzverwirrung liege vor, da die richtige Grenze objektiv nicht ermittelt werden könne, weil sie nicht anhand des Grundbuchs und dem Liegenschaftskataster, einer Grenzniederschrift bzw. eines anderen anerkannten Grenzzeichens feststellbar und von keiner Partei anderweitig nachgewiesen sei. Nach der Feststellung der Sachverständigen (gestützt durch die Feststellungen des Vermessungsamts in den Abmarkungsprotokollen Nr. 387 und 389) lägen die Katastergrenzen nicht mit der heute geforderten Genauigkeit für Grenzdefinition als exakter Zahlennachweis vor. Ebenso sei keine aussagekräftige Naturgrenze in der Örtlichkeit gegeben. Die Behauptung der Beklagten, die aktuellen Bewirtschaftungsgrenzen entsprächen natürlichen Grenzen, sei durch das Gutachten widerlegt.
Eine Abgrenzung gemäß § 920 Abs. 1 S.1 BGB nach dem Besitzstand zur Zeit der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung komme nicht in Betracht, da diese i.S.d. § 920 Abs. 2 BGB den ermittelten Umständen widerspreche, so dass vorliegend die Grenzscheidung unter Berücksichtigung dieser Umstände nach Billigkeit vorzunehmen sei. Das Landgericht hat die Feststellung des Grenzverlaufes gemäß den von der Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 23.2.2021 auf Bl. 35 festgestellten Grenzpunkte für der Billigkeit entsprechend gem. § 920 Abs. 2 BGB erachtet.
Unstreitig lägen die aktuellen Bewirtschaftungsgrenzen und somit der aktuelle Besitzstand weit außerhalb sowohl der von Seiten des Vermessungsamts und der seitens der Sachverständigen festgestellten Grenzverläufe. Deren Feststellungen wichen hinsichtlich des Grundstücks mit der Flur-Nr. ### mit 3,2 m, 1,5 m und 2,5 m und bezüglich des Grundstücks ###, ### mit 4,2 m bzw. 4,6 m entlang der Grundstücksgrenze von den Feststellungen des Vermessungsamts ab. Die im Sachverständigen-Gutachten auf Bl. 28 und 30 dargestellte jeweilige Bewirtschaftungsgrenze der beklagten Partei weiche von beiden Feststellungen erheblich zu Ungunsten des Klägers ab (Abbildungen 17 und 18 des Gutachtens).
Ihren (bestrittenen) Vortrag, diese für die Beklagte günstigen Bewirtschaftungsgrenzen bestünden seit alters her, habe die Beklagte nicht unter Beweis gestellt. Darauf komme es letztlich aber auch nicht an, nachdem nunmehr sowohl das gerichtlich erholte Sachverständigengutachten als auch die Feststellungen des Vermessungsamts die Umstände abweichend von den geltend gemachten Bewirtschaftungsgrenzen darstellten.
Die Beklagten haben gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Sie argumentieren, das Landgericht habe die Grenze rechtsfehlerhaft nach § 920 Abs. 2 BGB gemäß dem im Sachverständigengutachten ermittelten Grenzverlauf geschieden, obwohl vorliegend auf den Besitzstand gem. § 920 Abs. 1 BGB abzustellen sei. Dies lehne das Landgericht aber aufgrund von „erheblich zu Ungunsten des Klägers ausfallenden“ Abweichungen des Besitzstandes von den Feststellungen des Vermessungsamts einerseits sowie den Feststellungen der Gerichtssachverständigen andererseits ab. Dies sei rechtsfehlerhaft, nachdem das Landgericht zuvor selbst feststelle, dass beide Grenzverläufe aufgrund relevanter Abweichungen nicht tauglich seien. Was die „ermittelten Umstände, insbesondere die feststehende Größe der Grundstücke“ nach § 920 Abs. 2 BGB hier vorliegend seien, lege das Landgericht nicht dar. Zur Größe der Grundstücke habe es keine Feststellungen getroffen.
Stattdessen verschiebe das Landgericht die Grenze noch weiter als von der Klagepartei beantragt in die Fläche der Beklagten und damit zu „Ungunsten“ der Beklagten.
Verfahrensfehlerhaft habe das Landgericht zudem keine tatsächlichen Feststellungen zu den Besitzverhältnissen, den örtlichen Verhältnissen und den tatsächlichen Größen der Grundstücke getroffen. Indem es dies unterlassen habe, habe es den Vortrag der Beklagtenpartei übergangen, dass die tatsächlichen Bewirtschaftungsgrenzen ihre Entsprechung in natürlichen Landschaftsmerkmalen fänden.
Die Beklagten wenden sich zudem gegen die zu ihren Lasten getroffene Kostenentscheidung. Die Klagepartei habe Klage erhoben, mit der Begründung, der Grenzverlauf stehe fest und sei eben nicht verworren, wohingegen die Beklagten von Anfang an die Auffassung einer Grenzverwirrung vertreten hätten.
Die Beklagten beantragen,
1. Das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 09.03.2022, Az. 31 O 901/19 wird abgeändert.
2. Die Grenzverläufe zwischen den Grundstücken der Parteien gemäß Ziff. 1 und 2 des erstinstanzlichen Urteils werden gem. § 920 Abs. 1 BGB entsprechend dem Besitzstand (Bewirtschaftungsgrenzen) festgestellt.
Der Kläger hat zunächst mit Schriftsatz vom 28.06.2022 lediglich das angefochtene Urteil verteidigt und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 28.09.2022 darauf hingewiesen, dass der Hinweis des Landgerichts in der Sitzung vom 02.02.2022, der Kläger „begehre einen Anspruch nach § 919 BGB, zu dem der erhobene Feststellungsantrag nicht passe“, nicht zielführend war, da der Kläger den Beweis des Grenzverlaufs durch das Sachverständigengutachten erbracht hat und mithin wieder auf eine Feststellungsklage umzustellen wäre.
Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 19.10.2022 die Klage geändert und beantragt nunmehr:
1. Es wird festgestellt, dass die Grenze zwischen den im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücken der Gemarkung ###, FlNr. ###, ### und ### und ### und dem im Eigentum der Beklagten stehendes Grundstück in der Gemarkung ### FlNr. ### entlang der von der Sachverständigen Prof. Dr. Ing. ###, Gutachten-Nr. 1916-137 Ziff. 7.1 ermittelten Grenzpunkte verläuft.
2. Es wird festgestellt, dass die Grenze zwischen den im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücken der Gemarkung ###, FlNr. ###, ### und ### und den im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücke der Gemarkung ### FlNr. ### und ### entlang der von der Sachverständigen Prof. Dr. Ing. ###, Gutachten Nr. 1916-137 Ziff. 7.2 ermittelten Grenzpunkte verläuft.
Mit Verfügung vom 08.12.2022 ergänzte der Senat, er verkenne nicht, dass die Rechtsprechung grundsätzlich davon ausgeht, dass der in erster Instanz obsiegende Kläger sich der Berufung der Gegenseite anschließen muss, wenn er z.B. eine Klageerweiterung vornehmen oder neue Ansprüche einführen und sich damit nicht nur auf die Abwehr der Berufung beschränken wolle. Das führe aber im vorliegenden Fall nicht dazu, dass der Kläger hier seine Anträge nicht mehr ändern könne. Die in der Rechtsprechung dazu entschiedenen Fälle beträfen jeweils Fälle, in denen der Streitgegenstand um ein bis dahin nicht in den Prozess eingebrachtes Element geändert worden sei, z.B. um einen neuen Anspruch. Anders verhalte es sich hier: genau der Antrag auf Grenzfeststellung war erstinstanzlich anfänglich anhängig gemacht worden.
Genau für die Konstellation, die hier vorliege, würde es nämlich eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG bedeuten, wenn er erstinstanzlich einen zunächst zulässigen und begründeten Klageantrag stelle, das Erstgericht dann rechtsfehlerhaft darauf hinweise, dass der Antrag so unzulässig oder unbegründet sei, er dementsprechend seinen Klageantrag umstelle, erstinstanzlich obsiege, sich gegen eine Berufung der Beklagten sodann zunächst nur wehre, anstatt Anschlussberufung fristgerecht einzulegen, weil er gemäß dem bisherigen Hinweis des Landgerichts davon ausgehen müsse, dass er auf den Bestand des erstinstanzlichen Urteils vertrauen könne und sodann erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung einer Anschlussberufung den Hinweis des Berufungsgerichts erhalte, dass sein zunächst gestellter Klageantrag doch zulässig und begründet und stattdessen der zuletzt gestellte Klageantrag unzulässig oder unbegründet gewesen sei.
Im Termin vom 14.03.2023, in welchem die mündliche Verhandlung auch geschlossen wurde, hat der Klägervertreter zunächst unwidersprochen vorgetragen, diesen Antrag auf ausdrücklichen Hinweis des Landgerichts (auch) nicht hilfsweise gestellt zu haben. Mit Schriftsatz vom 06.04.2023 bestreiten dies die Beklagten.
Die Beklagten sind der Auffassung, die Klageänderung in der Berufungsinstanz sei ohne eigenen Angriff gegen die erstinstanzliche Entscheidung grundsätzlich unzulässig. Ein Kläger könne seine Klage in der Berufungsinstanz nur ändern, wenn er Rechtsmittelführer sei.
II.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Entsprechend der mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 19.10.2022 erfolgten Antrags-/Klageänderung ist das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 09.03.2022, Az. 31 O 901/19, dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass die Grenze zwischen den streitgegenständlichen Grundstücken entlang der von der Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. ### in ihrem schriftlichen Gutachten vom 23.02.2021, Ziff. 7.1 und 7.2 ermittelten Grenzpunkte verläuft.
1. Dabei kann dahinstehen, ob – wie die Beklagten in ihrer Berufungsbegründung rügen – im Falle einer tatsächlich vorliegenden Grenzverwirrung gem. § 920 Abs. 1 S. 1 BGB vorrangig auf den Besitzstand abzustellen wäre und lediglich nachrangig gem. § 920 Abs. 2 BGB auf Billigkeitserwägungen.
Ferner kann dahinstehen, ob das Landgericht das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat, in dem es deren Vortrag, dass die tatsächlichen Bewirtschaftungsgrenzen ihre Entsprechung in natürlichen Landschaftsmerkmalen fänden und den dazu angebotenen Beweis durch Ortsaugenschein übergangen hat (wobei die betreffenden Landschaftsmerkmale für einen zulässigen Beweisantrag freilich zunächst konkret zu bezeichnen wären).
Auf die mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 19.10.2022 erfolgte Klageänderung, war das Endurteil des Landgerichts jedoch wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern.
Besteht Streit über einen Grenzverlauf, muss dieser zunächst geklärt werden, was in diesem Verfahren durch das erholte Sachverständigengutachten samt Ergänzung, verfasst durch die Sachverständige Prof. Dr. ###, auch erfolgte. Eine solche Klärung eines Grenzverlaufs geschieht folgerichtig prozessual dann durch eine auf Feststellung des Eigentums an den umstrittenen Grenzstreifen gerichtete Feststellungsklage im Rahmen des § 919 BGB. Die Grenzscheidungsklage nach § 920 BGB sei dagegen erst zulässig, wenn keine der streitenden den Nachweis über den richtigen Grenzverlauf führen könne (siehe Münchener Kommentar-Brückner, Bürgerliches Gesetzbuch, 9. Aufl. München 2023, § 919 BGB, Rdnr. 2).
Rechtsfehlerhaft ist das Landgericht davon ausgegangen (und hat den Kläger zu einer entsprechenden Umstellung seines Klageantrags veranlasst), dass vorliegend ein Fall der Grenzverwirrung gegeben sei, der den Anwendungsbereich des § 920 BGB eröffnen würde.
Die Anwendung des § 920 BGB setzt voraus, dass der wahre Grenzverlauf sich weder aus einem Grenzfeststellungsvertrag ergibt noch mit Hilfe von Grenzzeichen (vgl. § 919 BGB) oder der Vermutung des § 891 oder der Darstellungen im Kataster festzustellen ist (BeckOK BGB/Fritzsche BGB § 920 Rn. 5). Im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO kann das Gericht alle von den Parteien beigebrachten Beweismittel berücksichtigen, also Grenzzeichen, Kataster, Privaturkunden oder Sachverständige (BeckOK BGB/Fritzsche, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 920 Rn. 10).
Lediglich für den Fall, dass sich der wahre Grenzverlauf nicht in der vorgenannten Weise feststellen lässt, sieht das Gesetz die Entscheidung durch Gestaltungsurteil gem. § 920 BGB vor. Besteht Streit über den Grenzverlauf, muss dieser zunächst geklärt werden. Dies geschieht entweder durch eine auf Feststellung des Eigentums an dem umstrittenen Grenzstreifen gerichtete Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) oder durch Klage auf Herausgabe des genau bezeichneten Grundstücksteils aus § 985. Die Grenzscheidungsklage nach § 920 ist dagegen erst zulässig, wenn keiner der Streitenden den Nachweis über den richtigen Grenzverlauf führen kann (MüKoBGB/Brückner, 9. Aufl. 2023, BGB § 919 Rn. 2).
Diesen Beweis über den wahren Grenzverlauf hat der Kläger aber durch das Sachverständigengutachten erbracht, wenn auch nicht für den Grenzverlauf entlang der vom Vermessungsamt ermittelten Grenzpunkte gemäß den Abmarkungsprotokollen 387 und 389 vom 06.11.2018, der zunächst Gegenstand der am 23.05.2019 erhobenen Klage war. Durch das Sachverständigengutachten vom 23.02.2021 war der Beweis jedoch hinsichtlich des wahren Grenzverlaufs erbracht, dessen Feststellung der Kläger mit seiner mit Schriftsatz vom 23.03.2021 (Bl. 123) geänderten Klage beantragt hatte, die wiederum der mit Schriftsatz vom 19.10.2022 erneut geänderten Klage entspricht.
Zwar hat das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche Fehler liegen aber vor, wenn die Beweiswürdigung nachvollziehbarer Grundlagen entbehrt, wenn gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen wurde oder wenn Verfahrensfehler bei den Tatsachenfeststellungen unterlaufen sind (vgl. Kostuch in: Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl. 2020, § 529 ZPO Rn. 6).
Das ist vorliegend aber der Fall. Die durch das Landgericht im Hinblick auf die Frage des Vorliegens einer Grenzverwirrung vorzunehmende Beweiswürdigung entbehrt nachvollziehbarer Grundlagen.
Die Sachverständige hat zunächst die Vermessung vorliegend als Fall der Grenzermittlung und nicht der Grenzwiederherstellung eingestuft, d.h. dass die Katastergrenzen nicht mit der heute geforderten Genauigkeit für die Grenzdefinition als exakter Zahlennachweis vorliegen. Dies liege darin begründet, dass für Flurstücke die vor 1900 (also vor Einführung der Abmarkungspflicht und des Grundbuchs) dokumentiert wurden, als Katasternachweis lediglich die graphische Darstellung in der historischen Flurkarte vorliege. Solche Darstellung in historischen Flurkarten seien mitunter mit Ungenauigkeiten von 1-3 m behaftet.
Diese einleitenden Ausführungen hat das Landgericht offensichtlich dahingehend gedeutet, dass eine Feststellung der Grundstücksgrenzen nicht möglich sei.
Die Sachverständige hat sodann aber weiter ausgeführt, bei der Übertragung von graphischen Kartengrenzen aus historischen Flurkarten in die Örtlichkeit sei methodisch auf die Verifizierbarkeit von identischen Punkten in der Örtlichkeit und auf dem Flurkartenblatt abzustellen.
Das Auffinden von geeigneten identischen Punkten aus der Uraufnahme gestalte sich zwar über die Jahre immer schwieriger, da die Veränderungen in der Örtlichkeit stetig zunähmen. Beim Ortstermin habe sie ferner festgestellt, dass aussagekräftige Naturgrenzen in der Örtlichkeit nicht vorhanden gewesen seien. Auch der an die streitgegenständlichen Flurstücke grenzende Bachlauf unterliege natürlichen Veränderungen (mäandere) und könne daher für die Einpassung nicht herangezogen werden (Seite 24 des Gutachtens).
Die Sachverständige hat sodann aber durch Messungen mit einem Tachymeter die Einpassung in das Landeskoordinatensystem vorgenommen und dabei a) die (vor Ort angesichts der unterschiedlichen Weise der Bewirtschaftung gut erkennbare) Bewirtschaftungsgrenze und b) die vom Vermessungsamt ermittelten Grenzpunkte erfasst. Ferner hat sie unter Hinzuziehung der (auf Seite 24 des Gutachtens bezeichneten) kartenidentischen Punkte aus der historischen Flurkarte Punkte 1, 2681, 24 und 327, die aus der historischen Flurkarte bereits ermittelt wurden, unter Berücksichtigung der Methode der sogenannten Helmert-Transformation einen Bezug zum Landeskoordinatensystem hergestellt. Die kartenidentischen Punkte umschlössen die streitgegenständlichen Grenzen bestmöglich und seien hinreichend für eine Grenzermittlung. Die mittlere Standardabweichung der Passpunkte von 1,00 m entspreche voll den Erwartungen und sei für eine historische Flurkarte im Maßstab 1:5000 als gut zu bewerten. Die Entfernung von 1,00 m in der Natur entsprächen im Maßstab 1: 5000 auf der Karte einer Entfernung von 0,2 mm. Dieser Wert entspreche der erwarteten Kartiergenauigkeit.
In den Abbildungen 17 und 18 auf den Seiten 28 und 30 des Gutachtens hat die Sachverständige in verschiedenen Farben folgende Ergebnisse dargestellt:
- mit grüner Farbe die Bewirtschaftungsgrenze, so wie diese sich beim Ortstermin dargestellt habe und tachymetrisch aufgemessen worden sei,
- in blauer Farbe das Ergebnis der Transformation als Ergebnis der Begutachtung,
- in roter Farbe die vom Vermessungsamt ermittelte Grenze.
Die genauen Koordinaten dieses Grenzverlaufs, namentlich der einzelnen ermittelten Grenzpunkte, hat die Sachverständige auf Seite 35 ihres Gutachtens tabellarisch aufgelistet.
Eine zusätzliche Verifikation dieser Ergebnisse konnte durch die Sachverständige über das hochauflösende Digitale Geländemodell der Bayerischen Vermessungsverwaltung erfolgen. Abbildung 20 auf Seite 32 des Gutachtens stellt die Konturen der Erdoberfläche des Flurstücks Nr. 795 dar, dessen nordwestliche Grenze des in dem („sehr gut“ erkennbaren) Graben verläuft, was wiederum auch im Fortführungsriss 611 angemerkt gewesen sei.
Dass sich der wahre Grenzverlauf nicht feststellen lasse, geht mithin aus dem Sachverständigengutachten gerade nicht hervor.
Zu dem Ergebnis einer Grenzverwirrung i.S.d. § 920 BGB könnte man vorliegend lediglich kommen, wenn man jegliche Abweichung oder Kartierungsungenauigkeit im Rahmen der Einpassung für inakzeptabel bewertete. Das würde allerdings bei schlechterdings allen historischen Katasterkarten zur Anwendung des § 920 BGB führen, jeweils zunächst mit der Folge der Vorrangigkeit des Besitzstandes (dieser ist tatsächlich im Anwendungsbereich des § 920 BGB zunächst vorrangig, vgl. BeckOGK/Vollkommer, 1.2.2023, BGB § 920 Rn. 14). Das wiederum ist vom Gesetzgeber erkennbar nicht gewollt. Nach dem Gesetzeszweck verbietet etwa das Rücksichtnahmegebot im räumlichen Bereich einer Grenzverwirrung jedem der beteiligten Eigentümer, eine Teilfläche gegen den Willen der anderen betroffenen Eigentümer in Besitz zu nehmen, damit es nicht zu einem Wettlauf um den Vorteil aus § 920 Abs. 1 BGB kommt (BeckOK BGB/Fritzsche, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 920 Rn. 11). Zu eben jenem Wettlauf um den Vorteil des Besitzstands käme es de facto jedoch, wenn eine Feststellung der wahren Eigentumsgrenzen mittels der Transformation historischer Flurkarten verunmöglicht würde, wenn man jegliche Abweichung oder Kartierungsungenauigkeit im Rahmen der Einpassung für inakzeptabel bewertete.
Die von der Sachverständigen vorliegend im Rahmen der Transformation ermittelte mittlere Standardabweichung der Passpunkte von 1,00 m, die sie für eine historische Flurkarte im Maßstab 1:5000 als „gut“ einstuft und die auf der Karte einer Entfernung von 0,2 mm entspräche, erachtet der Senat als hinnehmbar im Rahmen der Eigentumsfeststellung. Sie führt nicht zur Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 920 BGB.
Darauf, ob die Beklagten, wie sie in ihrer Klageerwiderung ausgeführt haben, die streitgegenständlichen Flächen „seit alters her“, nämlich seit Erwerb durch den Vater des Beklagten zu 2) im Jahr 1977 bewirtschafteten, kommt es daher nicht an.
Vielmehr gelangt die Sachverständige Professor Dr. ### nachvollziehbar und einleuchtend sowie tiefgehend begründet zu dem Ergebnis, dass das wissenschaftlich von ihr gefundene Vermessungsergebnis den tatsächlichen Grenzen entspricht. Es ist die vermessungstechnisch bestmöglichste Umsetzung des historischen Kartenmaterials. Das Landgericht hätte infolgedessen gar nicht zu einer Prüfung und Rechtsanwendung von § 920 BGB gelangen dürfen, da die Entscheidung nach § 919 BGB hätte erfolgen müssen und muss.
Treffend formuliert Staudinger/Heller, Neubearbeitung 2020, § 920 BGB Rn. 2, die Norm (§ 920 BGB) habe keine große Bedeutung erlangt, da sich heute in den meisten Fällen die Grenze mit den Hilfsmitteln der modernen Vermessungstechnik feststellen lasse. So liegt der Fall auch hier.
2. Unzutreffend haben die Beklagten mit ihrer Berufung gerügt, das Landgericht habe mit der Grenzscheidung, die es zwar auf Billigkeitserwägungen gemäß § 920 Abs. 2 BGB gestützt hat, aber entlang der von der Sachverständigen Dr. ### ermittelten Grenzpunkte vorgenommen hat, die Grenze noch weiter als von der Klagepartei beantragt in die Fläche der Beklagten und damit zu „Ungunsten“ der Beklagten verschoben.
Denn das Landgericht hat insoweit lediglich so tenoriert, wie vom Kläger mit seiner zulässigen Klageänderung (auf Hinweis des Landgerichts) vom 02.02.2022 beantragt hatte.
3. Prozessual hatte der Senat nach erfolgter erneuter Klageänderung (konkret: lediglich wieder zurückgenommene Klageänderung) über den sodann wieder gestellten Antrag auf Feststellung der wahren Eigentumsgrenze gemäß der Klageänderung vom 19.10.2022 zu entscheiden. Dies folgt schon aus § 139 Abs. 1. Satz 2 ZPO, der auch in der Berufungsinstanz nach § 525 ZPO gilt (MüKo-Fritsche, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 139 ZPO Rn. 4). Einen entsprechenden Hinweis hat der Senat mit Beschluss vom 28.09.2022 und Verfügung vom 08.12.2022 erteilt und nochmals in der mündlichen Verhandlung erläutert.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass vorliegend die Frist zur Berufungserwiderung, bis zu deren Ablauf der Kläger Anschlussberufung hätte einlegen können, um eine Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, mit dem 28.07.2022 bereits abgelaufen war.
a) Eine Wiedereinsetzung gem. § 233 Abs. 1 ZPO in die Frist zur Berufungserwiderung, bis zu deren Ablauf nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Anschließung zulässig ist, kommt dabei nicht in Betracht.
Zwar kommt grundsätzlich in Betracht, den Schriftsatz des Klägervertreters vom 19.10.2022 als konkludent eingelegte Anschlussberufung verbunden mit dem Antrag auf Widereinsetzung in den vorigen Stand auszulegen. Wie jede Prozesshandlung ist nämlich jedoch auch die im Laufe des Berufungsverfahrens erfolgende schriftsätzliche Klageänderung einer Auslegung fähig. Zur Wahrung der Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) muss Leitlinie der Auslegung sein, dem Rechtsschutzbegehren der Partei nach Möglichkeit Rechnung zu tragen. Im Zweifel ist dasjenige als gewollt anzusehen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse des Rechtsuchenden entspricht.
Eine direkte Anwendung der Vorschriften zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff. ZPO) auf die versäumte Frist zur Einlegung der Anschlussberufung scheidet aber aus (BGH, NJW 2015, 2812). Gemäß § 233 Satz 1 ZPO findet die Wiedereinsetzung (nur) im Falle der unverschuldeten Versäumung einer Notfrist oder der Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag statt. Die dem Berufungsbeklagten gemäß § 521 Abs. 2 ZPO gesetzte Frist zur Berufungserwiderung, bis zu deren Ablauf nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Anschließung zulässig ist, ist keine Notfrist im Sinne des § 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO und wird auch nicht bei den sonstigen Fristen in § 233 ZPO aufgeführt.
Ob dem Berufungsbeklagten, der die Einlegungsfrist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO versäumt hat, dennoch analog § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn er ohne eigenes oder ihm zurechenbares Verschulden an der Einhaltung der Anschlussberufungsfrist gehindert war, ist umstritten.
Nach einer bislang überwiegenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur stand nicht entgegen, dass die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO in den §§ 233, 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht aufgeführt ist (OLG Zweibrücken NJW-RR 2003, 1299; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.10.2004, Az. 7 U 169/03; OLG Düsseldorf, BeckRS 2005, 9166; OLG Stuttgart, Urteil vom 4. Mai 2007, Az. 14 U 7/06, für den Fall einer Klageänderung, die erst auf einen durch das Berufungsgericht erteilten Hinweis erfolgt; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 233 Rn. 22; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 524 Rn. 32; a.A. OLG Hamm NJW-RR 2003, 1720 für die hier nicht vorliegende Konstellation, dass der Berufungsbeklagte aus Nachlässigkeit die Erforderlichkeit einer Klageänderung nicht binnen der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO erkannt hatte; Gerken, NJW 2002, 1095).
Die wiedereinsetzungsfähigen Fristen seien nach dieser Auffassung zwar in § 233 ZPO grundsätzlich abschließend erfasst. Eine analoge Anwendung komme jedoch in Betracht, da die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) dienten. Ihnen liege der Gedanke zugrunde, dass ein Prozessbeteiligter die schweren prozessuale Nachteile einer Fristversäumung nicht hinzunehmen brauche, wenn er schuldlos an der Fristeinhaltung gehindert war. Eine über den Gesetzeswortlaut hinausgehende entsprechende Anwendung der Wiedereinsetzungsvorschriften sei daher immer dann zulässig und geboten, wenn die Durchsetzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dies erfordere (mit Verweis u.a. auf BVerfGE 22, 83, 88 f.). Dies gelte uneingeschränkt jedenfalls bei Fristen für Rechtsbehelfe, die einem Rechtsmittel ähnlich seien und deren Versäumung für den Betroffenen vergleichbare Nachteile zur Folge hat, namentlich eben auch die Anschlussberufung, weil diese ebenso wie jene kein eigenes Rechtsmittel, sondern ein auch angriffsweise wirkender Antrag innerhalb eines fremden Rechtsmittels sei. Letztlich erfordere auch das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) eine Gleichstellung des Berufungsbeklagten mit dem Berufungskläger, dem hinsichtlich seines Rechtsmittels bei schuldloser Fristversäumnis Wiedereinsetzung gewährt werden könne, die Wiedereinsetzung in die versäumte Anschließungsfrist (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2005, 9166).
In seinem Beschluss, Az. VIII ZR 359/20, vom 25.01.2022 hat der BGH (BeckRS 2022, 4375) hingegen klargestellt, dass es insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt.
Der Gesetzgeber habe die wiedereinsetzungsfähigen Fristen der Zivilprozessordnung im Hinblick auf den mit der Wiedereinsetzung verfolgten Regelungszweck und im Interesse der Rechtssicherheit in der Vorschrift des § 233 Satz 1 ZPO grundsätzlich abschließend festgelegt.
Die Regeln über die Wiedereinsetzung seien das Ergebnis einer gesetzgeberischen Abwägung der Erfordernisse der Rechtssicherheit gegen die Forderung der materiellen Gerechtigkeit, die eine Korrekturmöglichkeit für bestimmte Fallgestaltungen gebieten könne, in denen die Durchsetzung des Prinzips der Fristenstrenge als nicht erträglich empfunden würde.
Der Gesetzgeber sei aber von Anfang an bestrebt gewesen, die mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbundene Gefährdung der Rechtssicherheit möglichst gering zu halten.
Der Gesetzgeber habe im Zuge der Neueinführung der Nichtzulassungs- und der Rechtsbeschwerde durch das ZPO-Reformgesetz, den Fristenkatalog des § 233 ZPO um die – anders als die jeweiligen Einlegungsfristen (§ 544 Abs. 3 Satz 1, § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) nicht als Notfristen ausgestalteten – Fristen zur Begründung dieser beiden Rechtsmittel ergänzt (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 79).
Es bestünden keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass er hierbei die von ihm gleichfalls neu eingeführte Befristung der Anschlussberufung übersehen haben könnte. Auch auf Kritik in Rechtsprechung und Literatur an der Befristung der Anschlussberufung habe sich der Gesetzgeber lediglich veranlasst gesehen, mit dem 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) die Ausgestaltung der Anschließungsfrist des § 524 Abs. 2 ZPO zu ändern und in Satz 2 an die Stelle der starren, nicht verlängerbaren Monatsfrist, die mit der Zustellung der Berufungsbegründung begann, eine Anknüpfung an die dem Berufungsbeklagten gesetzte, verlängerbare Berufungserwiderungsfrist zu setzen und in Satz 3 für den Fall der wiederkehrenden Leistung eine Sonderregelung einzuführen (vgl. BT-Drucks. 15/3482, S. 17 f.; hierzu auch BGH, Urteile vom 7. Dezember 2007 – V ZR 210/06, NJW 2008, 1953 Rn. 20 f.; vom 7. Mai 2015 – VII ZR 145/12, NJW 2015, 2812 Rn. 32).
b) Dass der Senat nach erfolgter erneuter Klageänderung bzw. wieder zurückgenommener Klageänderung über den sodann wieder gestellten Antrag auf Feststellung der wahren Eigentumsgrenze gemäß der Klageänderung vom 19.10.2022 zu entscheiden hatte, folgt aber direkt aus § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der auch in der Berufungsinstanz nach § 525 ZPO gilt (MüKo/Fritzsche, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 139 ZPO Rn. 4). Einen entsprechenden Hinweis hat der Senat mit Verfügung vom 28.09.2022 und 08.12.2022 den Parteien erteilt und nochmals in der mündlichen Verhandlung erläutert. Grundsätzlich stelle es zwar keinen Verfahrensfehler dar, wenn aus einer fehlerhaften materiellrechtlichen Sicht des Erstrichters kein Anlass für einen Hinweis nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO bestanden habe. Das Urteil sei dann jedoch wegen dieses Rechtsfehlers aufzuheben, eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sei nicht möglich (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 139 ZPO Rn. 20).
Die neuerliche Klageänderung ist daher gemäß § 533 ZPO zulässig. § 533 ZPO erlaubt eine Klageänderung auch im Berufungsverfahren. Ihre Zulassung erfordert gem. Nr. 1 das Vorliegen einer gegnerischen Einwilligung oder Sachdienlichkeit und gem. Nr. 2, dass die Angriffe auf vom Berufungsgericht ohnehin zu berücksichtigende Tatsachen gestützt werden.
Die Klageänderung ist sachdienlich, da der Prozessstoff weiterverwendet werden kann und sie einen anderenfalls zu gewärtigenden weiteren Prozess vermeidet.
Die durch den Kläger vorgenommene Prozesshandlung, vorliegend der Klageänderungsschriftsatz vom 19.10.2022 ist im Sinne des von ihm damit erkennbar verfolgten Rechtsschutzbegehrens auszulegen.
In der Rechtsprechung ist zwar grundsätzlich anerkannt, dass der in erster Instanz obsiegende Kläger sich der Berufung der Gegenseite anschließen muss, wenn er eine Klageerweiterung vornehmen oder neue Ansprüche einführen und sich damit nicht nur auf die Abwehr der Berufung beschränken will. Danach ist z.B. auch im Fall der Klageerweiterung gem. § 264 Nr. 2 ZPO die Einlegung einer Anschlussberufung erforderlich (BGH, NJW 2015, 2812 Rn. 28; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 533 Rn. 9).
Auch wenn die Frist zur Berufungserwiderung, bis zu deren Ablauf eine Anschlussberufung eingelegt werden kann, mit dem 28.07.2022 bereits abgelaufen war, steht vorliegend aber der erwähnte Verstoß der Prozessleitungspflicht nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO inmitten, und der Kläger begehrt materiell weiterhin nichts anderes als das vom Landgericht ausgeurteilte Ergebnis. Der Tenor ändert sich lediglich in seinem Wortlaut nicht aber in den Auswirkungen.
In einer Prozesssituation wie der vorliegenden, in der der Klägervertreter den Antrag, der vom Berufungsgericht als zielführend angesehen wird, auf ausdrückliches Anraten des Landgerichts abänderte und nach seiner Auffassung auf ein entsprechendes Anraten des Erstrichters auch nicht als Hilfsantrag gestellt hatte, aber nunmehr auf Hinweis des Senats nach §§ 525, 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO nunmehr wieder umgestellt hat, hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abzuändern (Zöller/Greger, ZPO, § 139, Rn. 20). Es bedarf keiner Zurückverweisung (Zöller/Greger, ZPO, a.a.O.).
c) Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man nach diesem Maßstab den Klageänderungsschriftsatz des Klägers vom 19.10.2022 als konkludent eingelegte Anschlussberufung versteht, die aus Gründen des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 103 Abs. 1 GG) auch ohne Wiedereinsetzung zuzulassen ist. Der Kläger wendet sich, nach dem entsprechenden Hinweis des Senats vom 28.09.2022 gegen den mit Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 09.03.2022 getroffenen Ausspruch der Grenzscheidung gem. § 920 BGB und beantragt stattdessen die Feststellung des Grenzverlaufs entsprechend den im Antrag vom 19.10.2022 zitierten Ausführungen der Sachverständigen.
Die in der Rechtsprechung zur unzulässigen Klageänderung durch den erstinstanzlich obsiegenden Kläger im Berufungsverfahren entschiedenen Fälle betrafen jeweils Fälle, in denen der Streitgegenstand um ein bis dahin nicht in den Prozess eingebrachtes Element geändert wurde, z.B. um einen neuen Anspruch. Anders verhält es sich hier: genau der Antrag, der hier gestellt wird, nämlich Grenzfeststellung entlang der Punkte, die die Sachverständige festgestellt hat, war erstinstanzlich zunächst gestellt worden.
Der BGH hatte in einer Entscheidung vom 07.12.2007 offengelassen, ob die Zulassung einer verspäteten Anschlussberufung zur Wahrung des Verfahrensgrundrechts nach Art. 103 Abs. 1 GG dann geboten sein könnte, wenn nach dem Prozessverlauf bis zum Ablauf der Frist für die Berufungserwiderung auch ein kundiger und gewissenhafter Berufungsbeklagter nicht damit rechnen konnte, dass das ihm günstige erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben wird und er den Verlust des Rechtsstreits nur durch eine Anschlussberufung vermeiden kann (vgl. BVerfGE 86, 133, 144). Ein solcher Sachverhalt liegt dort nicht vor. Die Nachteile der Fristversäumung wären in dem dortigen Fall bei einer sorgfältigen Prozessführung vermeidbar gewesen (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2007 – V ZR 210/06 -). Vorliegend liegt der Fall aber anders. Dem Kläger ist nicht etwa vorzuwerfen, dass er nicht entgegen dem Hinweis des Landgerichts vom 02.02.2022 hilfsweise an seinem Antrag auf Feststellung des Grenzverlaufs festgehalten hat. Dem kundigen (anwaltlich vertretenen) und gewissenhaften Rechtssuchenden kann nicht abverlangt werden, das Recht besser zu kennen als das Gericht. Hinzu kommt, dass er bei der entgegen gerichtlichem Hinweis erfolgenden Stellung eines Hilfsantrags mitunter eine für ihn teilweise nachteilige Kostenentscheidung zu vergegenwärtigen hätte, wenn etwa sein Hauptantrag sich sodann als unbegründet herausstellt, aber der Hilfsantrag durchdringt.
Dies gilt umso mehr, wenn zutreffen sollte, dass – wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 14.03.2023 berichtet hat – durch das Landgericht „explizit gebeten worden [sei], keine Hilfsanträge zu stellen“.
Genau für die Konstellation, die hier vorliegt, würde es nämlich eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör bedeuten, wenn er erstinstanzlich einen zunächst zulässigen und begründeten Klageantrag stellt, das Erstgericht dann rechtsfehlerhaft darauf hinweist, dass der Antrag so unzulässig oder unbegründet sei, er dementsprechend seinen Klageantrag umstellt, erstinstanzlich obsiegt, sich gegen eine Berufung der Beklagten sodann zunächst nur wehrt, anstatt Anschlussberufung fristgerecht einzulegen, weil er gemäß dem bisherigen Hinweis des Landgerichts davon ausgehen muss, dass er auf den Bestand des erstinstanzlichen Urteils vertrauen könne und sodann erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung einer Anschlussberufung den Hinweis des Berufungsgerichts erhält, dass sein zunächst gestellter Klageantrag doch zulässig und begründet und stattdessen der zuletzt gestellte Klageantrag unzulässig oder unbegründet war.
Die Auslegung des klageändernden Schriftsatzes vom 19.10.2022 als konkludent eingelegte Anschlussberufung wird dabei auch den Interessen beider Parteien und ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gerecht. Im Zweifel ist dasjenige als gewollt anzusehen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse des Rechtsuchenden entspricht. Bleiben Zweifel, ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die den Belangen der Gegenpartei gerecht wird, da sie begründetermaßen wissen will, was Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. Dabei ist zwar eine Auslegung gegen den Wortlaut – gestützt bloß auf die Interessenlage – in der Regel nicht gerechtfertigt. Entscheidend ist aber, welchen Erklärungsinhalt einer Prozesshandlung bei einer objektiven Gesamtbetrachtung aller dem Berufungsgericht vorliegenden Erkenntnisquellen die Auslegung für Rechtsmittelgericht und -gegner ergibt (vgl. zur Auslegung der Berufungsschrift MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § X519 Rn. 18).
Eine Auslegung als konkludent eingelegte Anschlussberufung wird sowohl dem recht verstandenen Interesse des Klägers als auch den (berechtigten) Belangen der Beklagten gerecht, da Letztere keinen Anspruch auf eine mit einem Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör einhergehenden Aufrechterhaltung des Ersturteils haben.
Auch ist damit keine Auslegung des Schriftsatzes vom 19.10.2022 gegen dessen ausdrücklichen Wortlaut verbunden. Vielmehr entspricht die Abänderung des Ersturteils im Berufungsverfahren sogar ausdrücklich dem Wortlaut der nunmehr aktuell gestellten Anträge.
4. Die Abänderung des Ersturteils dahingehend, dass der Grenzverlauf entsprechend der von der Sachverständigen ermittelten Grenzpunkte festgestellt – statt geschieden – wird, verstößt auch nicht gegen den in § 528 ZPO verankerten Grundsatz des Verbots der reformatio in peius. Die Abänderung des Ersturteils im Sinne des Berufungsbeklagten entspricht gerade dem Zweck der zulässig erfolgten Klageänderung – zumal die Feststellung der Grenze an exakt den Grenzpunkten, an denen entlang das Landgericht auf Grenzscheidung gem. § 920 BGB entschieden hatte, die Beklagten bzw. Berufungskläger im Ergebnis nicht schlechter stellt.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
Im Hinblick auf die Kostenfolge ist darauf abzustellen, dass der Kläger mit seinem zuletzt gestellten Klageantrag vollständig obsiegt, die Beklagten mit ihrer Berufung hingegen vollständig unterliegen.
Auch wenn der Kläger seine Klage zunächst mit einem anderen Antrag, nämlich demjenigen auf Feststellung der Grenze entlang der vom Vermessungsamt ermittelten Grenzpunkte erhoben hat, folgt die Kostenentscheidung dem Obsiegen hinsichtlich des letztlich beschiedenen Antrags (Zöller/Herget, ZPO, § 708, Rn. 13_50).
6. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Feststellungsurteile sind (nur) hinsichtlich des Kostenausspruchs vorläufig vollstreckbar (Zöller/Herget, a.a.O., Rn. 13).
7. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen aufwirft, die sich über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, oder wenn andere (tatsächliche oder wirtschaftliche) Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit deren Interessen in besonderem Maße berühren (BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 543 Rn. 19). Das ist vorliegend der Fall im Hinblick auf die Vorgehensweise bei fehlerhaften erstinstanzlichen Hinweisen, die dazu führen können, dass eine in erster Instanz obsiegende Partei im Vertrauen auf den Hinweis (zunächst) keine Anschlussberufung einlegt.
8. Der Streitwert für die Feststellungsklage war gem. § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen.
Abzustellen war dabei auf den Wert des Gegenstandes des Rechts oder Rechtsverhältnisses, dessen Bestehen oder Nichtbestehen festgestellt werden soll (Zöller/Herget, § 3, Rn. 16_76).
Der Senat geht dabei von der der Klage zugrunde gelegten Schätzung hinsichtlich des Wertes der streitbefangenen Fläche aus. Im Wege der Schätzung ist mangels konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die sich nach der Klageänderung aufgrund Verschiebung der von der Sachverständigen ermittelten Grenzpunkte im Verhältnis zu den vom Vermessungsamt ermittelten Grenzpunkten, die der Klage zunächst zugrunde gelegt wurden, ergebende Verschiebung der streitbefangenen Streifen sich nicht wesentlich auf den Wert auswirkt.
Anders als bei positiver Feststellungsklage hinsichtlich eines Anspruchs, bei welcher wegen der weniger weittragenden Wirkung im Allgemeinen ein Abschlag von 20% gegenüber dem Wert einer entsprechenden Leistungsklage zu machen ist (Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen, Rn. 16_76), kommt ein derartiger Abschlag für die Feststellung einer Eigentumsgrenze nicht in Betracht.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant
- Zivilprozessrecht (ZPO): Die Zivilprozessordnung (ZPO) ist das grundlegende Regelwerk für die Durchführung zivilrechtlicher Streitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten in Deutschland. Sie regelt die Prozessführung, Rechtsmittel und Verfahrensgrundsätze wie die Fristen und formellen Anforderungen für die Einlegung von Rechtsmitteln. Im Text werden u.a. folgende Normen genannt:
- § 525 ZPO: Dieser Paragraph betrifft das Verfahren im zweiten Rechtszug, insbesondere die Einreichung von Anschlussberufungen.
- § 139 Abs. 1 ZPO: Diese Vorschrift enthält die Pflicht des Gerichts, die Parteien auf rechtliche Gesichtspunkte hinzuweisen, die sie erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten haben.
- § 708 ZPO: Diese Norm regelt die Kostenentscheidung, also wer die Kosten des Verfahrens tragen muss.
In diesem Fall waren Fristen und formelle Anforderungen für die Einlegung einer Anschlussberufung ein wichtiger Aspekt. Zudem wurde die Hinweispflicht des Gerichts thematisiert.
- Sachenrecht (BGB): Das Sachenrecht beschäftigt sich mit den Rechtsverhältnissen an körperlichen Gegenständen. Im vorliegenden Fall geht es um Immobilienrecht und konkret um Grenzverläufe von Grundstücken. Der Text bezieht sich hier auf:
- § 920 BGB: Diese Vorschrift regelt die sogenannte „Grenzverwirrung“, also die Unklarheit über den Grenzverlauf eines Grundstücks.
Das Rücksichtnahmegebot im räumlichen Bereich einer Grenzverwirrung war hier relevant, da es jedem der beteiligten Eigentümer verbietet, eine Teilfläche gegen den Willen der anderen beteiligten Eigentümer in Besitz zu nehmen.
- Grundbuchrecht: Das Grundbuchrecht befasst sich mit der Eintragung von Eigentumsverhältnissen und Rechten an Grundstücken in das Grundbuch. In diesem Fall ist die historische Entwicklung von Bedeutung, insbesondere die Einführung der Abmarkungspflicht und des Grundbuchs vor 1900.
- Verfassungsrecht (GG): Das Grundgesetz (GG) ist die Verfassung Deutschlands und enthält grundlegende rechtliche Prinzipien. In diesem Fall wurden folgende Artikel genannt:
- Art. 103 Abs. 1 GG: Dieser Artikel sichert das rechtliche Gehör, d.h., jede Partei hat das Recht, sich vor Erlass einer Entscheidung zu äußern.
- Art. 3 GG: Dieser Artikel enthält das allgemeine Gleichbehandlungsgebot.
In diesem Fall wurde argumentiert, dass auch das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot eine Berücksichtigung des ursprünglichen Antrags des Klägers in der Berufung erfordert.