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Schiffsreise – Bordverweis medizinisch nicht indiziert

LG Rostock, Az.: 1 O 27/18, Urteil vom 11.10.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits – einschließlich der Kosten der Nebenintervenientin – zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht Ansprüche auf Schadensersatz und Minderung geltend mit der Behauptung, die Beklagte habe sie zu Unrecht des Schiffes verwiesen.

Die Klägerin buchte eine Skandinavienreise auf der … vom 25.06. bis 12.07.2017. Wegen der Einzelheiten des Reiseverlaufs wird auf die Reisebestätigung vom 23.02.2017 verwiesen.

Die Klägerin litt seit rund 20 Jahren an einer Darmerkrankung, die als colitus ulcerosa diagnostiziert wurde. Am 28.06.2017 begab sich die Klägerin wegen anhaltender Darmbeschwerden ins Bordhospital. Sie führte einen Arztbericht der Internistischen Gemeinschaftspraxis O. vom 22.06.2017 mit sich (vgl. Bl. 10 GA). Auf Bitte des Kapitäns der … stellte sich die Klägerin im Krankhaus in Akureyri/Island vor. Nach ihrer Untersuchung dort wurde ihr eine grundsätzliche Reisefähigkeit attestiert. Wegen des Inhalts des ihr mitgegebenen „Medical Reports“ wird auf Bl. 14 GA verwiesen. Trotz dieses Befundes stufte die Bordärztin die Klägerin als medizinisches Risiko ein, weshalb sie der Kapitän des Schiffes verwies.

Schiffsreise - Bordverweis medizinisch nicht indiziert
Symbolfoto: Von Igor_Koptilin /Shutterstock

Die Klägerin begründet ihre Klage damit, dass der Bordverweis medizinisch nicht indiziert gewesen sei und zu Unrecht erfolgt sei. Wegen der Höhe ihres geltend gemachten Anspruchs wird auf die Klageschrift verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.389,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen.

2.

Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 808,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, es habe keine vertragliche Beziehung zwischen der Klägerin und ihr bestanden. Im Übrigen berufen sich die Beklagte und die Nebenintervenientin darauf, dass der Bordverweis medizinisch gerechtfertigt gewesen sei.

Das Gericht hat nach Beiziehung der Krankenunterlagen betr. die Klägerin Beweis erhoben auf der Grundlage des Beweisbeschlusses vom 12.10.2018 (Bl. 117 ff. GA). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom 10.03.2019 und dessen mündliche Erläuterung im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 20.03.2019.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist unbegründet. Die geltend gemachten Ansprüche stehen der Klägerin nicht zu, selbst wenn man sie als Vertragspartnerin der Beklagten ansieht.

1. Anspruch auf Erstattung des anteiligen Reisepreises i.H.v. 3.634,15 €:

Die Klägerin hat keinen vertraglichen oder gesetzlichen Anspruch auf – teilweise – Erstattung des Reisepreises. Die Beklagte hat den Reisevertrag zu recht gekündigt (vgl. Ziffer 6.2 der Reisebedingungen), weshalb sie gem. § 326 Abs. 2 BGB (resp. § 649 S. 2 BGB a.F.) analog ihren vertraglichen Anspruch auf Zahlung des Reisepreises behalten hat.

a.

Die Kündigung durch die Beklagte liegt darin, dass der für sie handelnde Kapitän (§ 278 BGB) die Klägerin gegen ihren erklärten Willen des Schiffs verwiesen hat (sog. Schiffs- bzw. Bordverweis). Dagegen ist eine Kündigung der Klägerin nicht anzunehmen; die Klägerin hat die Reise fortsetzen wollen.

b.

Der Kündigungsgrund rechtfertigt sich aus Ziffer 6.2 und 6.4 der Reisebedingungen der Beklagten.

1)

Diese lauten wie folgt (vgl. Bl. 49 GA):

6.2

Lässt der geistige oder körperliche Zustand eines Kunden eine Reise bzw. eine Weiterreise nicht zu, weil dieser den Kunden reiseunfähig macht oder eine Gefahr für den Kunden selbst oder jemanden sonst an Bord darstellt, kann die Beförderung verweigert oder die Urlaubsreise des Kunden jederzeit abgebrochen werden. Für eventuell entstehende Mehrkosten steht … Cruise nicht ein.“

6.4

An Bord gilt eine Bordordnung, die vom Kunden uneingeschränkt zu beachten und einzuhalten ist. Der Kunde ist verpflichtet, alle die Schiffsordnung betreffenden Anweisungen des Kapitäns zu befolgen.

Ob eine Weiterreise des Reisenden angesichts seines Gesundheitszustands eine Gefahr für ihn bedeutet, unterliegt der Entscheidung des Kapitäns beraten durch den Bordarzt. Hierbei hat er einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum. Dieser wird überschritten, wenn die Gefahr außer Verhältnis zum Bordverweis steht. Auch müssen die Befundtatsachen abgeklärt sein, soweit dies zumutbar ist und angesichts der Reiseverhältnisse vertretbar. Geht es darum, einer Lebensgefahr für den Reisenden Rechnung zu tragen, muss es dem Kapitän auch bei einer geringen Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Gefahr realisiert, erlaubt sein, den Bordverweis als ultima ratio auszusprechen. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Bordverweis wegen einer Lebensgefahr gerechtfertigt ist, ist auf die Sicht ex ante abzustellen. Zu bedenken ist auch, dass ihm im Allgemeinen nur eine beschränkte Tatsachengrundlage und Diagnostik zur Verfügung steht.

2)

Die Kammer hat keine Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Reisebedingungen. Ziffer 6.2 der Reisebedingungen ist Ausfluss dessen, dass die Beklagte für die Gesundheit der Reisenden und den störungsfreien Verlauf der Reise verantwortlich ist. Ziffer 6.4 der Reisebedingungen rechtfertigen sich aus der Schiffsgewalt des Kapitäns. Nach allgemeiner Ansicht ist seinen Anweisungen, welche die Schiffsordnung betreffen, Folge zu leisten. Der Kapitän hat zudem das sog. Hausrecht, aber auch die „Hausverantwortung“. Aus der Mitwirkungs- und Treuepflicht des Reisenden ergibt sich seine Pflicht, die Schiffsordnung und das Hausrecht des Kapitäns zu beachten.

3)

Vorliegend ist der Bordverweis gerechtfertigt gewesen, weil die Weiterreise eine Gefahr im Sinne der vorgenannten Reisebedingungen bedeutet hätte. Die Kammer ist sachverständig beraten der Überzeugung, dass im Zeitpunkt des Bordverweises die Annahme einer Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Klägerin im Falle ihrer Weiterreise gerechtfertigt gewesen ist.

Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. S. hat die Klägerin schon bei Reiseantritt an einer nicht unerheblichen chronischen Darmerkrankung gelitten. Diese sei – wie sich aus dem Arztbrief vom 22.06.2017 ergibt – keinesfalls harmlos gewesen. Dort heißt es, die Klägerin habe „seit ca. 2 Wochen zunehmende auch blutige Diarrhoen mit abdominalen Schmerzen“. Diese Beschwerden hätten an Bord jedenfalls angehalten. Anderenfalls hätte sich die Klägerin nicht zweimal im Bordhospital vorgestellt; man habe es für erforderlich erachtet, ihr – immerhin – 2 Liter Flüssigkeit zuzuführen und ihr Kortison zu verabreichen. Wenn man das Beschwerdebild als eine colitis ulcerosa diagnostiziere, wofür aus der Sicht der Bordärztin angesichts des von der Klägerin mitgeführten Arztbriefs und des beschriebenen Krankheitsverlaufs alles gesprochen habe, habe auch die Gefahr eines toxischen Megakolons bestanden. Dieses trete zwar selten auf und sei eher unwahrscheinlich. Jedoch habe man eine solche Komplikation nicht ausschließen können. Wenn es nach einer Weiterreise hierzu gekommen wäre, wäre eine zeitnahe intensivmedizinische Behandlung zwingend erforderlich geworden, um schwere Schäden wenn nicht gar den Tod für die Klägerin zu vermeiden. Diese Behandlung wäre weder an Bord noch in dem nach 2 Tagen anzulaufenden Hafen auf Spitzbergen gesichert gewesen. Angesichts dessen sei der Bordverweis jedenfalls vertretbar gewesen, um das zwar geringe Risiko, im Falle seiner Verwirklichung aber äußerst erhebliche Risiko zu vermeiden. Beachtlich für die Risikoprognose habe aus Sicht der Bordärztin auch das hohe Alter der Klägerin bei Reiseantritt von über 83 Jahren sein müssen und die Dauer der Beschwerden der Klägerin. Diese Einschätzung werde durch den „Medical Report“ des Krankenhauses in Akureyi/Island nicht relativiert oder gar in Zweifel gezogen. Es habe sich um eine medizinische Einschätzung gehandelt, die bei Berücksichtigung des gesamten vorherigen Krankheitsverlaufs und des Beschwerdebilds der Klägerin nicht zwingend gewesen sei.

c.

Die Frage, ob der Klägerin ein Anspruch in Höhe ersparter Aufwendungen auf Seiten der Beklagten zusteht, kann dahinstehen. Einen solchen Anspruch hat die Klägerin weder geltend gemacht noch beziffert.

2. Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude in Höhe von 3.634,15 € und wegen zusätzlicher Reisekosten (Flug-, Hotel-, Verpflegungs- und Taxikosten) in Höhe von 1.121,09 €

Die Voraussetzungen der maßgeblichen Anspruchsgrundlage (§ 280 BGB bzw. § 651f Abs. 1 BGB a.F. und § 651f Abs. 2 BGB a.F.) sind nicht erfüllt. Nach den obigen Feststellungen ist der Beklagten kein vorwerfbares Fehlverhalten anzulasten und es liegt auch kein Reisemangel vor.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91Abs. 1, 101 Abs. 1,709 S. 2 ZPO.

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