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Schweigepflichtentbindung durch Zeugenbenennung

LG Karlsruhe – Az.: 19 S 56/18 – Urteil vom 26.03.2019

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 27.04.2018, Az. 2 C 127/17, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht einen Schmerzensgeldanspruch aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend und begehrt ferner die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für Folgeschäden.

Der Kläger wurde am 1.12.2016 auf einem Betriebsgelände in der … in Pforzheim von dem Beklagten Ziff. 2 als Führer eines bei der Beklagten Ziff. 1 haftpflichtversicherten Pkw rückwärts angefahren. Die Einstandspflicht der Beklagten für die dem Kläger durch den Unfall entstandenen Schäden ist dem Grunde nach unstreitig.

Der Kläger hat behauptet, er wäre mit dem Kopf auf die Motorhaube des Pkw gefallen und hätte sich Prellungen am Unterschenkel/Schienbein zugezogen. Er hätte starke Schmerzen und ein Trauma erlitten. Das sich am Unterschenkel gebildete Hämatom sei so schwer und gefährlich gewesen, dass er deshalb am 14.12.2016 habe operiert werden müssen und schwerste Folgeschäden, bis hin zur Amputation des Beines drohten. Auch am 19.12.2016 und am 21.12.2016 habe er sich im Krankenhaus aufhalten müssen, um sich einer Hauttransplantation zu unterziehen. Durch den Aufprall auf die Kühlerhaube habe er schwere Kopfschmerzen gehabt, was den Schluss zulasse, dass er eine Gehirnerschütterung erlitten habe. Ihm drohten erhebliche Folgeschäden, insbesondere falls die Transplantation nicht erfolgreich bleiben würde. Auch eine Blutvergiftung sei nicht auszuschließen. Bis zum 1.2.2017 sei er aufgrund des Unfalls arbeitsunfähig gewesen. Er habe sich wiederholt zur Wundbehandlung in der Klinik einfinden müssen, die Hämatome hätten punktiert werden müssen und er habe Krankengymnastik in Anspruch nehmen müssen. Er benötige Hilfe im täglichen Leben. Ein Umzug oder zumindest Umbauarbeiten stünden im Raum. Der Kläger ist der Ansicht, dies rechtfertige einen Schmerzensgeldanspruch von mindestens 3.000 €.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2016 sowie weitere EUR 492,54 und nochmals weitere Eur 25,00 nebst jeweils Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche weiteren materiellen Schäden anlässlich des Verkehrsunfalls vom 1.12.2016, …, … Pforzheim, zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht auf sonstige Dritte übergegangen sind, ferner weitere immaterielle Schäden aus diesem Vorfall, soweit sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben bestritten, dass der Kläger über ein Hämatom hinaus weitere unfallbedingte Beeinträchtigungen erlitten habe. Das während des Prozesses geleistete Schmerzensgeld von EUR 500,00 sei daher ausreichend.

Wegen des sonstigen streitigen und unstreitigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat die über die bereits geleisteten EUR 500,00 hinausgehende Klage abgewiesen. Es hat weder die über das Hämatom hinausgehenden Beschwerden des Klägers noch die Ursächlichkeit des Unfallereignisses für die Beschwerden als bewiesen angesehen. Dabei stützte sich das Amtsgericht auf das eingeholte Sachverständigengutachten. Für eine weitere Aufklärung der von dem Kläger behaupteten aus dem Unfall resultierenden Beschwerden hätte der Sachverständige Einsicht in die Krankenunterlagen der den Kläger seinerzeit behandelnden Ärzte nehmen müssen. Eine Schweigepflichtentbindung habe der Kläger gegenüber dem Sachverständigen jedoch trotz Aufforderung nicht erklärt. Die sich hieraus ergebenden Nachteile habe der Kläger zu tragen. Wegen des sonstigen Inhalts des amtsgerichtlichen Urteils wird auf die amtsgerichtliche Akte verwiesen.

Der Kläger hält das amtsgerichtliche Urteil für fehlerhaft. Das Amtsgericht habe die angebotenen Zeugenbeweise übergangen. Zudem liege bereits in der Benennung der behandelnden Ärzte als Zeugen eine konkludente Entbindung von der Schweigepflicht. Bei Erhebung der Beweise hätte das Amtsgericht der Klage stattgeben müssen.

Der Kläger beantragt in der Berufungsinstanz,

1. unter Abänderung des am 17.05.2018 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Pforzheim, 2 C 127/17 werden die Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2016, weitere EUR 492,54 und nochmals weitere EUR 5,00 nebst jeweils fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.3.2017 zu bezahlen.

2. unter Abänderung des am 17.5.2018 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Pforzheim, 2 C 127/17 wird festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche weiteren materiellen Schäden anlässlich des Verkehrsunfalls vom 1.12.2016, …, … Pforzheim, zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht auf sonstige Dritte übergegangen sind, ferner weitere immaterielle Schäden aus diesem Vorfall, soweit sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind.

3. hilfsweise das in Ziff. 1) bezeichnete Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht Pforzheim zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten halten das amtsgerichtliche Urteil für rechtsfehlerfrei und die Erhebung des von dem Kläger angebotenen Zeugenbeweises für entbehrlich.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur (hilfsweise beantragten) Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht.

Gemäß § 538 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht zwar im Grundsatz die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. Eine Zurückverweisung unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges kann jedoch gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dann stattfinden, soweit die weitere Verhandlung der Sache erforderlich ist, das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

1.

Ob das Eingangsgericht einen Verfahrensfehler begangen hat, ist grundsätzlich vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Erstgerichts aus zu beurteilen (BGH NJW 2013, 2601 Rn. 7). Das Amtsgericht hat sowohl das Bestehen der von dem Kläger behaupteten – über das Hämatom und der damit einhergehende Schmerzen hinausgehenden – Beschwerden als auch deren ursächliche Rückführbarkeit auf das Unfallereignis vom 1.12.2016 als nicht nach dem Beweismaß des § 286 ZPO bewiesen erachtet. Das Amtsgericht hat insofern, ohne die Beweislastverteilung zu verkennen, relevante Beweisangebote der Klägerin unzulässigerweise übergangen.

Zum Bestehen der Beschwerden sowie zum – indiziell nicht ausschließbar relevanten – Zeitpunkt ihres erstmaligen Auftretens hatte der Kläger das Zeugnis seiner behandelnden Ärzte angeboten. Um den Vollbeweis des § 286 ZPO hinsichtlich des Bestehens der Beschwerden nicht als geführt erachteten zu können, hätte das Amtsgericht diesen Beweis erheben müssen. Nicht auszuschließen ist, dass bei Erhebung des angebotenen Zeugenbeweises das Amtsgericht zu der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit vom Vorliegen der klägerseits behaupteten Beschwerden gelangt.

Ebenso lässt sich nicht ausschließen, dass die Angaben der behandelnden Ärzte für Beurteilung der Ursächlichkeitsbeziehung zwischen dem Unfallereignis und den von dem Kläger behaupteten Beeinträchtigungen auf das Ergebnis der Begutachtung Einfluss haben und dass das Amtsgericht auf dieser Grundlage zu der Überzeugung gelangt wäre, weitere der vom Kläger behaupteten Beschwerden des Klägers beruhten auf dem Verkehrsunfallereignis.

Auch die von den Beklagten vertretene Rechtsauffassung, dass die Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen vorliegend zugunsten der Beiziehung der Behandlungsunterlagen entbehrlich gewesen sei, führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.

Das Amtsgericht hat nämlich zu Unrecht angenommen, die unvollständige Stellungnahme der Sachverständigen gehe zu Lasten des Klägers, weil er die ihn behandelnden Ärzte nicht in ausreichender Weise von der Schweigepflicht entbunden habe.

Die Entbindung von der Schweigepflicht kann dem Zeugen, der Gegenpartei oder dem Gericht gegenüber erklärt werden. Da es sich bei den Daten, die der Schweigepflicht unterliegen, um geheimzuhaltende Angelegenheiten höchstpersönlicher Art handelt, muss in jedem Fall sichergestellt sein, dass die Entbindung von dem Rechtsträger selbst stammt. Das schließt nicht aus, dass die Erklärung nach außen durch einen Prozessbevollmächtigten erfolgen oder schon in der Benennung einer der in § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bezeichneten Personen als Zeuge zu sehen sein kann. In Zweifelsfällen hat das Gericht zu klären, ob die Erklärung von der Partei selbst getragen wird oder ohne entsprechendes Einverständnis abgegeben worden ist (BAG, Urt. v. 8.5.2014 – 2 AZR 75/13, NJW 2015, 365, m.w.N., beck-online). Dies hat das Amtsgericht vorliegend nicht getan.

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Auch mit der Weiterleitung des Schreibens der Sachverständigen vom 14.12.2017 (As. I, 165) an die Parteivertreter, mit dem um die Vorlage von Schweigepflichtentbindungen gebeten wird, genügt das Gericht den Anforderungen an eine zu führende Aufklärung nicht. Durch die Nennung der behandelnden Ärzte als Zeugen war vorliegend nicht klar, ob daraus bereits eine Schweigepflichtentbindung abzuleiten war. Dies hätte das Gericht durch Nachfragen bei der Klägerseite klar stellen müssen. Zumal es Aufgabe des Gerichts – und nicht der Sachverständigen – ist, Behandlungsunterlagen für die Erstattung des Sachverständigengutachtens anzufordern und an den Sachverständigen zuzuleiten, § 273 Abs. 2 ZPO.

2.

Aufgrund der Mängel des Verfahrens und des Urteils ist eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Das Amtsgericht hätte die genannten Beweise – nämlich jedenfalls eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen aufgrund der beizuziehenden Behandlungsunterlagen der behandelnden Ärzte des Klägers einholen müssen bzw. die Zeugen zu den behaupteten Beschwerden und deren Unfallursächlichkeit – hören müssen. Angesichts der Anzahl der zu erhebenden Beweise ist die anstehende Beweisaufnahme umfangreich i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Das Berufungsgericht übt sein Ermessen dahin aus, dass das Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen ist. Für eine Zurückverweisung unter Urteilsaufhebung spricht, dass bedeutende Teile des streitigen Tatsachenstoffs noch unaufgeklärt sind, sowie ferner der Wohn- und Geschäftsort der von dem Kläger benannten Zeugen, der sich näher am Sitz des Amtsgerichts als am Sitz des Berufungsgerichts befindet.

III.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Das Berufungsgericht hat die Niederschlagung der Gerichtskosten der Berufungsinstanz gemäß § 21 GKG geprüft, im Ergebnis aber das Vorliegen der Voraussetzungen verneint. Danach werden Kosten nicht erhoben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Als solche kamen hier die Kosten des Berufungsverfahrens in Betracht. Nach allgemeiner Auffassung kann eine unrichtige Sachbehandlung nur bei Entscheidungen angenommen werden, die den breiten richterlichen Handlungs-, Bewertungs- und Entscheidungsspielraum überschreiten (vgl. OLG München, Urteil vom 11.07.2013, 23 U 695/13, Rn. 22, zit. n. juris). Einen solchen Fall erachtet das Berufungsgericht vorliegend mit Blick auf die bereits erhobenen Beweise des Amtsgerichts als nicht gegeben.

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