BUNDESGERICHTSHOF
Az.: III ZR 58/06
Urteil vom 16.11.2006
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Az.: 10 O 280/04, Entscheidung vom 10.12.2004
OLG Koblenz, Az.: 2 U 42/05, Entscheidung vom 09.02.2006
Leitsätze:
a) Die Parteien eines Telefondienstvertrags können in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbaren, dass der Teilnehmernetzbetreiber auch Vergütungen, die für die Nutzung von Mehrwertdienstangeboten Dritter über den Telefonanschluss geschuldet werden, als eigene Forderungen geltend machen kann.
b) Allerdings muss sich der Teilnehmernetzbetreiber die im Verhältnis des Kunden zu dem Drittanbieter bestehenden Einwendungen entgegenhalten lassen. Eine hiervon abweichende Regelung wäre insbesondere unter Berücksichtung der in § 15 Abs. 3 TKV enthaltenen Wertung gemäß § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
In dem Rechtsstreit hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2006 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Februar 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin betreibt ein Telekommunikationsnetz für die Öffentlichkeit und stellt ihren Kunden Telefonanschlüsse zur Verfügung. Der Beklagte war Inhaber eines solchen Anschlusses mit der Bezeichnung T-ISDN 300.
Unter dem 4. April 2001 stellte die Klägerin dem Beklagten für Verbindungen im Zeitraum vom 14. Februar bis 26. März 2001 sowie für die Bereitstellung des Anschlusses insgesamt 29.205,78 DM (= 14.932,68 €) in Rechnung.
Darin enthalten waren 28.613,33 DM (= 14.629,75 €) für Verbindungen zu mehreren Mehrwertdienstenummern, die nicht von der Klägerin unterhalten wurden.
Diesen Betrag beglich der Beklagte bis auf 197,30 DM (= 100,88 €) nicht. Er bestreitet, dass diese Nummern von seinem Telefonanschluss aus angewählt worden seien.
Die Klägerin verlangt die Zahlung des strittigen Betrags aus eigenem Recht. In erster Instanz war die Klage erfolgreich. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer von der Vorinstanz zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, da nicht die Klägerin die berechneten Mehrwertdienste erbracht habe, könne sie hieraus keine eigenen Ansprüche herleiten. Ein verständiger Erklärungsempfänger müsse die Offerte eines Telefonnetzbetreibers in Verbindung mit der Preisliste bei Anwahl einer Mehrwertdienstenummer nach Treu und Glauben nicht dahin verstehen, dass ein eigenständiger Anspruch des Netzbetreibers neben den des Mehrwertdiensteanbieters treten solle. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, dass die Ansprüche der Mehrwertdiensteanbieter an sie abgetreten seien oder sie über eine Einziehungsermächtigung verfüge, vielmehr – nach Hinweis des Gerichts auf Zweifel an der Aktivlegitimation – betont, eigene Ansprüche als Teilnehmernetzbetreiber geltend zu machen.
II.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Anschlussinhaber kann sich auch gegenüber dem Teilnehmernetzbetreiber verpflichten, an diesen das für die Inanspruchnahme fremder Mehrwertdienste anfallende Entgelt zu entrichten. Eine solche Verpflichtung ist in dem zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnis begründet worden.
1.
Nimmt der Nutzer eines Telefonanschlusses durch Anwahl einer bestimmten, meist mit den Ziffernfolgen 0190 (früher) oder 0900 (seit 1. Januar 2006 ausschließlich) beginnenden Nummer über den Telefonapparat oder einen Computer einen Mehrwertdienst in Anspruch, liegen regelmäßig zwei Rechtsverhältnisse vor.
a) Zum einen besteht der als Dauerschuldverhältnis zu qualifizierende Telefondienstvertrag, durch den sich der Teilnehmernetzbetreiber – hier die Klägerin – verpflichtet, dem Kunden den Zugang zum öffentlichen Telekommunikationsnetz zu eröffnen und zu ermöglichen, unter Aufbau abgehender und Entgegennahme ankommender Telefonverbindungen mit anderen Teilnehmern eines Telefonfest- oder Mobilfunknetzes Sprache oder sonstige Daten auszutauschen (vgl. Senatsurteil BGHZ 158, 201, 203; Senatsurteile vom 22. November 2001 – III ZR 5/01 – NJW 2002, 361, 362, vom 28. Juli 2005 – III ZR 3/05 – NJW 2005, 3636, 3637 und vom 16. März 2006 – III 152/05 – NJW 2006, 1971, Rn. 10 mit Besprechung von Zagouras NJW 2006, 2368).
b) Hinzu tritt ein zusätzliches Rechtsverhältnis mit dem Anbieter der weiteren Leistung (Senat in BGHZ aaO, S. 204; Urteile vom 22. November 2001, 28. Juli 2005 und 16. März 2006 jew. aaO), vorliegend mit dem jeweiligen Erbringer des Mehrwertdienstes. Dieses Rechtsverhältnis betrifft die inhaltliche Seite der Dienstleistung (Senat in BGHZ aaO sowie Urteil vom 22. November 2001 aaO).
2.
Hieraus folgt aber nicht, dass der Teilnehmernetzbetreiber einen eigenen Anspruch auf den für die Nutzung des fremden Mehrwertdienstes angefallenen Entgeltanteil nicht begründen kann.
a) Vielmehr kann sich eine solche Verpflichtung des Anschlussinhabers aus dem Telefondienstvertrag ergeben. Hiervon gehen auch die Senatsentscheidungen vom 22. November 2001 (aaO) und vom 4. März 2004 (BGHZ aaO) aus (diese Möglichkeit der Vertragsgestaltung ziehen ebenfalls grundsätzlich in Betracht: Hoeren/Welp JuS 2006, 389, 390; Jochen Hoffmann ZIP 2002, 1704, 1706, 1712 f; Klees CR 2003, 331, 335 f; Härting/Schirmbacher CR 2004, 334, 338).
Die Parteien des Telefondienstvertrags können vereinbaren, dass der Teilnehmernetzbetreiber auch die Vergütungen, die für die Nutzung von Mehrwertdiensteangeboten Dritter über den Telefonanschluss geschuldet werden, als eigene Forderungen geltend machen kann. Treffen der Teilnehmernetzbetreiber und der Anschlussinhaber eine entsprechende Vereinbarung, werden der Anbieter der Dienstleistung und der Teilnehmernetzbetreiber Gesamtgläubiger der Entgeltforderung gemäß § 428 BGB (so auch Hoeren/Welp aaO, S. 391; Jochen Hoffmann aaO, S. 1706).
b)
aa) Eine solche Regelung, durch die der Teilnehmernetzbetreiber einen eigenen Vergütungsanspruch für Fremdleistungen erwirbt, kann auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffen werden (vgl. Senat aaO). Zwar wären entsprechende Klauseln im allgemeinen Geschäftsverkehr sicherlich ungewöhnlich und damit überraschend, so dass sie nicht Vertragsbestandteil würden (§ 305c Abs. 1 BGB n.F, § 3 AGBG). Überdies wären sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen – der Relativität von Schuldverhältnissen (vgl. Jochen Hoffmann aaO, S. 1713) – unvereinbar, mit der Folge, dass sie jedenfalls unwirksam wären (§ 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB n.F., § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AGBG).
Die Besonderheiten des Telekommunikationsrechts lassen jedoch eine hiervon abweichende Beurteilung zu. § 15 Abs. 1 Satz 1 TKV zeichnet bereits vor, dass, sofern keine andere Vereinbarung getroffen ist, dem Kunden in Rechnungsangelegenheiten allein der Teilnehmernetzbetreiber gegenüber tritt, auch wenn Vergütung für Leistungen eines anderen Anbieters geschuldet wird.
Das Recht und die Verpflichtung des Teilnehmernetzbetreibers, Forderungen Dritter zu fakturieren, setzen sich darin fort, dass der Kunde an ihn nach § 15 Abs. 1 Satz 4 TKV mit befreiender Wirkung zahlen kann. In der Praxis ist es die Regel, dass die Anschlussinhaber hiervon Gebrauch machen und ihre Telefonrechnungen insgesamt gegenüber dem Teilnehmernetzbetreiber begleichen.
Zudem erteilen Mehrwertdiensteanbieter und Verbindungsnetzbetreiber dem Teilnehmernetzbetreiber vielfach Inkassovollmachten oder Einzugsermächtigungen, oder sie treten ihre Forderungen zum Zwecke der Einziehung ab (vgl. z.B. Schmitz/Eckhardt CR 2006, 323, 329 f). Im Telekommunikatonsrechtsverkehr ist es daher üblich, dass sich die Fakturierung und die Zahlungsabwicklung allein in der Hand des Teilnehmernetzbetreibers befinden, auch wenn Forderungen dritter Anbieter geltend gemacht werden. Die Begründung eines eigenen Forderungsrechts des Teilnehmernetzbetreibers stellt deshalb – im Unterschied zur Situation bei einem Verbindungsnetzbetreiber, dessen Mitwirkung am Zustandekommen der Verbindung nach außen nicht deutlich wird (vgl. Senatsurteile vom 28. Juli 2005 – III ZR 3/05 – NJW 2005, 3636, 3637 f und vom 20. Oktober 2005 – III ZR 37/05 – NJW 2006, 286, 287) – trotz des möglichen Hinzutretens des Teilnehmernetzbetreibers als zusätzlichen Gläubigers nur eine geringfügige Verschlechterung der Rechtsposition des Anschlussnehmers dar.
Diese wird nach Maßgabe der folgenden Ausführungen zu den Einwendungen des Anschlussinhabers durch anzuerkennende Belange des Teilnehmernetzbetreibers gerechtfertigt (a.A.: Jochen Hoffmann aaO, S. 1707). Die Zahlungsabwicklung im Telekommunikationsverkehr ist ein Massengeschäft, für das ein berechtigtes Interesse an möglichst einfachen und standardisierten Verfahren besteht. Entschließt sich der Teilnehmernetzbetreiber, Ansprüche dritter Diensteanbieter nicht nur in Rechnung zu stellen, sondern auch durchzusetzen, wird er durch die Begründung eines eigenen Forderungsrechts der Notwendigkeit enthoben, in jedem Einzelfall zunächst zu überprüfen, ob er über entsprechende Einziehungsermächtigungen, Vollmachten oder Abtretungserklärungen verfügt, und diese gegebenenfalls einzuholen. Beim Mehrwertdienst kommt als wesentlicher Gesichtspunkt, der ein anzuerkennendes Interesse an der Begründung eines eigenen Forderungsrechts des Teilnehmernetzbetreibers beinhaltet, hinzu, dass er seine – unter Umständen vertraulichen – Vereinbarungen mit dem Mehrwertdienstebetreiber über die Aufteilung des Gesamtentgelts nicht offen zu legen braucht, wenn er nicht gezwungen wird, die Vergütung für die Inanspruchnahme des Mehrwertdienstes nach dem Entgelt für die Herstellung der Verbindung und für den Dienst selbst aufzuschlüsseln. Dies vereinfacht überdies dem Kunden die Übersicht.
bb) Allerdings muss sich der Teilnehmernetzbetreiber die im Verhältnis des Kunden zu dem Drittanbieter bestehenden Einwendungen entgegenhalten lassen. Eine hiervon abweichende Regelung wäre gemäß § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB (= § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AGBG) unwirksam, da sie zu einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners des Teilnehmernetzbetreibers führen würde.
Spätestens seit Anfügung des Absatzes 3 an § 15 TKV (Zweite Verordnung zur Änderung der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung vom 20. August 2002, BGBl. I S. 3365) widerspräche eine solche Klausel wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung. Nach § 15 Abs. 3 TKV hat der die Telefonrechnung erstellende Netzbetreiber den Kunden darauf hinzuweisen, dass er begründete Einwendungen gegen einzelne in Rechnung gestellte Forderungen erheben kann. Mit dieser Regelung sollten die Rechte des Verbrauchers gegenüber dem die Rechnung erstellenden Telekommunikationsunternehmen gerade mit Blick auf die Nutzung von Mehrwertdiensten in dem Sinne gestärkt werden, dass sich der Rechnungsersteller über begründete Einwendungen des Rechnungsempfängers nicht hinwegsetzen darf (vgl. BR-Drucks. 505/02, Begründung zum Verordnungsentwurf der Bundesregierung S. 3, 5; Senat in BGHZ 158, 201, 204 f).
Dass ein Einwendungsausschluss zu einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners des Teilnehmernetzbetreibers führen würde, gilt als grundsätzliche Wertung aber auch für die Zeit vor dem In-Kraft-Treten des § 15 Abs. 3 TKV, so dass der Senat insoweit seine im Urteil vom 22. November 2001 (III ZR 5/01 – NJW 2002, 361, 362 – sog. Telefonsexentscheidung) vertretene Auffassung hinsichtlich der Begründung – nicht aber wegen des Ergebnisses – revidiert.
3.
Den dem Telefondienstleistungsvertrag mit dem Beklagten zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin ist gerade noch mit der gebotenen Klarheit (§ 5 AGBG i.V.m. Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB, jetzt § 305c Abs. 2 BGB) zu entnehmen, dass sie für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter einen eigenen Anspruch auf das hierfür angefallene Entgelt erlangen sollte.
Gemäß Nummer 5.1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin für einen T-ISDN 300-Anschluss nach dem für den vorliegenden Sachverhalt maßgebenden Stand vom 20. Dezember 2000 (Amtsblatt der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post – Abl. RegTP – 2000, S. 4326 f) werden die Verbindungen, die der Kunde von der Klägerin bezieht, grundsätzlich von dieser in Rechnung gestellt. Nach Nummer 3a hat der Kunde die vereinbarten Verbindungspreise fristgerecht nach Erbringung der Leistung (vgl. Nr. 5.3) zu zahlen. Welches die vereinbarten Preise sind, erläutert weiter Nummer 2 Abs. 2 der Leistungsbeschreibung für einen T-ISDN 300-Anschluss (ABl. RegTP 2000, 2035 ff), auf die Nummer 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen verweist.
Danach werden Verbindungen unter anderem mit den hier maßgeblichen Zugangskennzahlen 01901 bis 01909 ausschließlich von der Klägerin hergestellt und entsprechend der „Preisliste Telefondienst (Inlandsverbindungen)“ (ABl. RegTP 2000, 3847 ff) abgerechnet. Diese Preisliste enthält in Nummer 9 (aaO S. 3858), in der die Verbindungen zu den Mehrwertdiensten unter der Bezeichnung „Premium Rate-Dienste“ aufgeführt sind, den Einleitungssatz „Der Preis enthält sowohl die Vergütung für den Informationsanbieter als auch den Preis für die T-Net Verbindung“.
Aus diesen Regelungen wird bei einer unbefangenen Betrachtung mit der hinreichenden Klarheit deutlich, dass das gesamte nach der Preisliste zu entrichtende Entgelt für die Nutzung eines so genannten Premium Rate-Dienstes eine eigene Forderung der Klägerin sein soll. Hierfür spricht, dass die Liste die von dem Kunden an die Klägerin gemäß Nummer 3a der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu entrichtenden „vereinbarten Preise“ wiedergibt und die Vergütung für den Informationsanbieter sowie der Preis für die von der Klägerin hergestellte Verbindung einheitlich ausgewiesen sind (siehe dazu aber Jochen Hoffmann ZIP 2002, 1705, 1706). Die Einleitung von Nummer 9 der Preisliste verdeutlicht weiter, dass das von der Klägerin beanspruchte Entgelt auch den auf den Diensteanbieter entfallenden Vergütungsteil erfasst.
4.
Da sich die Vorinstanz – von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – mit den vom Beklagten gegen den Vergütungsanspruch erhobenen Einwendungen, auf die einzugehen in der Revisionsinstanz keine Notwendigkeit besteht, nicht befasst hat, ist die Sache zur Endentscheidung noch nicht reif, so dass sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 563 Abs. 1 ZPO).