OLG München
Az.: 31 Wx 434/12
Beschluss vom 19.12.2012
I. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Augsburg – Nachlassgericht – vom 26. September 2012 aufgehoben.
II. Das Amtsgericht Augsburg – Nachlassgericht – wird angewiesen, den vom Beteiligten zu 1 beantragten Erbschein zu erteilen, der als Miterben die Beteiligte zu 3 zu 1/2 und die Beteiligten zu 1 und 2 zu je 1/4 ausweist.
III. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 18.750 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Erblasser ist im Mai 2011 im Alter von fast 89 Jahren verstorben. Die Beteiligte zu 3 ist seine Ehefrau, die Beteiligte zu 2 die einzige gemeinsame Tochter. Der Beteiligte zu 1 (geboren 1946) ist der nichteheliche Sohn des Erblassers. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus Bankguthaben in Höhe von rund 150.000 €.
Es liegt ein vom Erblasser geschriebenes und unterschriebenes, von der Beteiligten zu 3 unterschriebenes Schriftstück vor, das wie folgt lautet:
„Vollmacht!
Sollte bei einem Unfall meiner Frau und mir mit Todesfolge ausgehen, so kann meine Tochter A. W. (verh. S.) frei über unseren Hausrat wie Bargeld – Ciro Kondo – SparKassenbuch Bundesschatzbrief und unser Auto Tord 15M verfügen.
Augsburg, d. 4. Sep. 73
(Unterschriften)“
Der Beteiligte zu 1 hat am 24.7.2012 die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge beantragt, der ihn und die Beteiligte zu 2 zu je 1/4 und die Beteiligte zu 3 zu 1/2 als Miterben ausweist. Die Beteiligte zu 2 ist dem Antrag entgegengetreten. Das Schriftstück vom 4.9.1973 stelle eine letztwillige Verfügung dar, wonach die gemeinsame Tochter über alle Vermögenswerte der Eheleute verfügen solle. Dem Verstorbenen sei bekannt gewesen, dass der Beteiligte zu 1 sein Sohn sei. Dennoch habe er diesen bewusst von der Erbfolge ausgeschlossen. In der Verfügung komme deutlich zum Ausdruck, dass der Sohn nicht Erbe werden solle.
Das Nachlassgericht hat nach persönlicher Anhörung der Beteiligten zu 2 und 3 mit Beschluss vom 26.9.2012 den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, die Auslegung des als Testament anzusehenden Schriftstücks vom 4.9.1973 ergebe, dass der Erblasser den Beteiligten zu 1 von der Erbfolge habe ausschließen wollen. Eine solche Enterbung sei auch stillschweigend möglich, wenn der Ausschließungswille unzweideutig zum Ausdruck komme. Das ergebe sich aufgrund ergänzender Testamentsauslegung. Es sei eine unbewusste, planwidrige Lücke gegeben. Zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung seien die vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder von der Erbfolge nach dem Vater ausgeschlossen gewesen. Durch das Zweite Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder vom 12.4.2011 sei diese Regelung mit Wirkung zum 29.5.2009 aufgehoben worden. Nach der Lebenserfahrung sei anzunehmen, dass der Erblasser und seine Ehefrau im Zeitpunkt der Testamentserrichtung gewollt hätten, dass der Beteiligte zu 1 von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sein solle. Auch sei aus der Sicht des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments 1973 eine ausdrückliche Enterbung gerade nicht erforderlich gewesen. Darüber hinaus stelle die Einsetzung der Tochter als Alleinerbin ein gewichtiges Indiz dar, dass der Beteiligte zu 1 enterbt werden sollte. Dem stehe nicht entgegen, dass die Alleinerbeinsetzung nur für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Ehegatten angeordnet sei. Es sei keinerlei Hinweis enthalten, wer im Falle des Vorversterbens eines Ehegatten erben solle, weshalb von gesetzlicher Erbfolge ausgegangen werde. Jedenfalls werde durch die letztwillige Verfügung zum Ausdruck gebracht, dass der Beteiligte zu 1 nichts bekommen solle. Außerdem habe der Erblasser nach Angaben der Beteiligten zu 2 immer zu ihr gesagt, dass sie einmal alles und der Beteiligte zu 1 nichts bekommen solle. In der Nichtberücksichtigung des Beteiligten zu 1 sei eine ausreichende Andeutung zu sehen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1. Das Schriftstück vom 4.9.1973 sei schon kein Testament. Überdies betreffe es nicht den vorliegenden Erbfall, da es auf das gemeinsame Versterben der Eheleute abstelle. Die Beteiligte zu 2 hält die Entscheidung des Nachlassgerichts für richtig. Der Wille des Verstorbenen, dass sein Sohn nicht Erbe werden solle, habe durch die alleinige Einsetzung der Tochter Ausdruck gefunden. Der Erblasser habe von Anfang an gewußt, dass der Beteiligte zu 1 sein nichtehelicher Sohn sei und habe ihn ab ca. 1957 auch als solchen vorgestellt. Dennoch habe er ihn in der letztwilligen Verfügung nicht berücksichtigt. Es habe auch nie ein gutes Verhältnis zwischen beiden bestanden. Hingegen sei die Beteiligte zu 2 immer für ihre Eltern da gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Nachlassgericht hat zu Unrecht den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Der Erblasser wird aufgrund Gesetzes beerbt, wovon auch das Nachlassgericht ausgeht. Von der gesetzlichen Erbfolge ist der Beteiligte zu 1 nicht ausgeschlossen. Der von ihm beantragte Erbschein entspricht deshalb der Erbrechtslage (§ 1924 Abs. 1 und 4, § 1931 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 i.V.m. § 1371 Abs. 1 BGB).
1. Der Senat ist mit dem Nachlassgericht der Auffassung, dass das Schriftstück vom 4.9.1973 eine letztwillige Verfügung darstellt. Die Verfügung von Todes wegen ist ein Rechtsgeschäft, in welchem der Erblasser über das Schicksal seines Vermögens nach seinem Tode Anordnungen trifft. Um als wirksame letztwillige Verfügung gelten zu können, muss die Erklärung auf einem ernstlichen Testierwillen beruhen. Der Erblasser muss sich bewusst gewesen sein, das Schriftstück könne als sein Testament angesehen werden. Die Bezeichnung als Testament ist nicht erforderlich (vgl. BayObLGZ 1982, 59/64 m.w.N.). Die Urkunde vom 4.9.1973 ist zwar mit „Vollmacht“ überschrieben, regelt aber ausdrücklich den Fall eines Unfalles „mit Todesfolge“ und räumt der Tochter die Befugnis ein, frei zu „verfügen“. Das spricht dafür, dass die Ehegatten mit der insgesamt unbeholfen und fehlerhaft abgefassten Urkunde ihrer gemeinsamen Tochter die einem Erben zukommende Stellung einräumen wollten.
2. Mit der Verfügung vom 4.9.1973 haben die Ehegatten jedoch nur den Fall geregelt, dass beide Ehegatten verstorben sind; erst dann soll die Tochter über das gemeinsame Vermögen verfügen. Der gesamte Inhalt der Urkunde bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass bereits nach dem Tod eines der beiden Ehegatten die gemeinsame Tochter Alleinerbin sein sollte. Vielmehr ergibt sich aus den Formulierungen „meiner Frau Käthe und mir mit Todesfolge“ und „unseren Hausrat“, dass die Testierenden erst nach dem Ableben beider die gemeinsame Tochter als Rechtsnachfolgerin in das gemeinsame Vermögen einsetzen wollten. Es bedarf deshalb hier keiner Entscheidung, ob nach dem Willen der Ehegatten nur der Fall erfasst sein sollte, dass beide Ehegatten (nahezu) gleichzeitig oder kurz hintereinander versterben (dafür spricht „bei einem Unfall“), oder allgemein die Situation nach dem Ableben beider geregelt werden sollte. Eine Regelung für die Erbfolge beim Tod des zuerst versterbenden Ehegatten enthält die letztwillige Verfügung jedenfalls nicht; er wird folglich nach der gesetzlichen Erbfolge beerbt.
3. Der Beteiligte zu 1 ist von der gesetzlichen Erbfolge nach dem Erblasser nicht ausgeschlossen. Das lässt sich entgegen der Auffassung des Amtsgerichts der letztwilligen Verfügung vom 4.9.1973 auch im Wege ergänzender Auslegung nicht entnehmen.
a) Die ergänzende Auslegung dient dazu, planwidrige Lücken im Testament durch Anpassung der letztwilligen Verfügung zu schließen, nicht aber dazu, eine unterlassene letztwillige Verfügung zu ersetzen (OLG München FamRZ 2010, 1941/1943; Palandt/Weidlich BGB 72. Aufl. 2013 § 2084 Rn. 8; Staudinger/Otte BGB <2003> Vorbem. zu §§ 2064 ff. Rn. 43). Im Wege der ergänzenden Auslegung können insbesondere Lücken geschlossen werden, die nachträglich durch Veränderungen zwischen Testamentserrichtung und Erbfall eingetreten sind. Auch Änderungen der Rechtslage können eine ergänzende Testamentsauslegung erforderlich machen (Staudinger/Otte aaO Rn. 98).
b) Hier hat die Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Berücksichtigung nichtehelicher Kinder bei der Erbfolge jedoch nicht zu einer vom Erblasser nicht vorhergesehenen Lücke im Testament geführt. Die Ehegatten hatten die Erbfolge nach dem zuerst versterbenden Ehegatten in ihrer Verfügung vom 4.9.1973 von vornherein überhaupt nicht geregelt. Sie haben von einer Gestaltung der Erbfolge nach dem zuerst Versterbenden durch letztwillige Verfügung abgesehen mit der Folge, dass sich die Erbfolge nach dem Erstversterbenden nach den gesetzlichen Vorschriften richtet. Die vollständig fehlende testamentarische Regelung des ersten Sterbefalls kann nicht durch eine „ergänzende Auslegung“ erst geschaffen werden. Das gilt nicht nur für eine positive Ergänzung dahingehend, wer Erbe sein soll, sondern auch für eine „negative“ Ergänzung dahingehend, wer von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sein soll.
c) Ohne Erfolg verweist die Beteiligte zu 2 darauf, dass der Wille des Erblassers dahin ging, seinen 1946 nichtehelich geborenen Sohn bei der Erbfolge nicht zu berücksichtigen. Dieser Wille hat im Testament vom 4.9.1973 auch nicht andeutungsweise einen Niederschlag gefunden. Er ist deshalb mangels einer formgerechten Erklärung unbeachtlich. Aufgrund der für letztwillige Verfügungen geltenden Formvorschriften kann ein tatsächlich vorhandener, aber nicht formgerecht niedergelegter Wille nicht berücksichtigt werden (vgl. BGHZ 80, 242/246).
Der Ausschluss eines Verwandten von der gesetzlichen Erbfolge (§ 1938 BGB) muss zwar nicht ausdrücklich erfolgen, sofern der Ausschließungswille unzweideutig in der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck kommt (vgl. BGH NJW-RR 2006, 948; BayObLGZ 1965, 166/174, BayObLG NJW-RR 1992, 840/841). Die Urkunde vom 4.9.1973 enthält für den Tod des Erstversterbenden aber gar keine Verfügungen. Eine Andeutung für den Willen der Testierenden hinsichtlich der Erbfolge beim ersten Sterbefall lassen sich ihr deshalb nicht entnehmen. Aus der Tatsache, dass der Beteiligten zu 1 nicht erwähnt ist, kann deshalb auch kein hinreichender Anhaltspunkt dafür gesehen werden, dass er von der gesetzlichen Erbfolge nach dem Erstversterbenden ausgeschlossen werden sollte.
d) Der Senat verkennt nicht, dass bis zum 29.5.2009 für den Erblasser keine Notwendigkeit bestand, seinen nichtehelichen Sohnes durch letztwillige Verfügung von der gesetzlichen Erbfolge auszuschließen, weil diesem nach der damaligen Rechtslage ohnehin kein gesetzliches Erbrecht zustand. Mit Wirkung zum 29.5.2009 wurden jedoch auch die vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder den ehelichen Kindern gleichgestellt. Aufgrund dieser Entscheidung des Gesetzgebers ist der Beteiligte zu 1 als gesetzlicher Erbe berufen; eine abweichende testamentarische Regelung hat der zum Stichtag bereits hoch betagte Erblasser nicht mehr getroffen.
4. Nachdem gegen die Entscheidung des Senats kein Rechtsmittel gegeben ist, ist die Erteilung des beantragten Erbscheins anzuordnen (Keidel/Sternal FamFG 17. Aufl 2011 § 352 Rn. 157).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtskosten für die erfolgreiche Beschwerde fallen nicht an. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten erscheint es angemessen, dass diese jeder selbst trägt (§ 81 FamFG). Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 4, § 30 Abs. 1 KostO).