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Verkehrssicherungspflicht für Baustellen bei Tagesanbruch

AG Bremen – Az.: 9 C 521/13 – Urteil vom 20.03.2014

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von sämtlichen Ansprüchen des Herrn K… gegen die Klägerin aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Bremen vom 05.04.2013, Az. 6 C 0076/12 freizustellen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 719,10 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte im Wege des Nachverfahrens in Anspruch.

Verkehrssicherungspflicht für Baustellen bei Tagesanbruch
Symbolfoto: Von Ivan Kruk /Shutterstock.com

Mit Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 05.04.2013, Az. 6 C 0076/12 (Bl. 210 ff. der beigezogenen Akte), ist die hiesige Klägerin verurteilt worden, an Herrn K… Schadensersatz in Höhe von 1.740,99 € zuzüglich Zinsen sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 446,13 € zuzüglich Zinsen zu zahlen; außerdem ist festgestellt worden, dass die hiesige Klägerin Herrn K… zukünftigen Schaden infolge der Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung zu 33 % zu ersetzen hat; außerdem ist die hiesige Klägerin zur Kostentragung verurteilt worden.

Der hiesigen Beklagten ist im Verfahren 6 C 0076/12 der Streit verkündet worden; anschließend ist sie dem Rechtsstreit auf Seiten der hiesigen Klägerin beigetreten.

Im Vorverfahren ist festgestellt worden, dass die Klägerin hinsichtlich des Verkehrsunfalls vom 29.06.2006, 06:40 Uhr, auf der Autobahn 1 Richtung Hamburg, die ihr übertragenen Verkehrssicherungspflichten nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen und hierdurch einen Schaden am BMW, amtliches Kennzeichen … des Geschädigten K… verursacht hat. Zwei Absperrbarken sind zum Unfallzeitpunkt unmittelbar vor dem in die Asphaltdecke gefrästen Loch nicht (mehr) vorhanden gewesen.

Mit Beschluss des Landgerichts Bremen vom 30.10.2013, Az. 4 S 120/13, ist die gegen das Urteil gerichtete Berufung zurück gewiesen worden.

Die Klägerin trägt vor, dass es die von ihr beauftragte Beklagte versäumt habe, die Unfallstelle rechtzeitig zu kontrollieren; die Beklagte habe ihre vertraglichen Pflichten im Innenverhältnis zur Klägerin schuldhaft nicht erfüllt.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von sämtlichen Ansprüchen des Herrn Gerhard K. A. Straße 11 in W. gegen die Klägerin aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Bremen vom 05.04.2013, Az. 6 C 0076/12 freizustellen.

2. die Beklagte zu verurteilten, an die Klägerin € 719,10 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass im Verfahren 6 C 0076/12 ein Verstoß der Beklagten gegen ihre interne Wartungsfahrtverpflichtung nicht festgestellt worden sei; insofern bestünde für das Nachverfahren keine Bindungswirkung. Am 29.06.2006 sei zum Unfallzeitpunkt ein Mitarbeiter der Beklagten bereits vor Ort gewesen, um die Barken neu auszurichten. Den maßgeblichen Verpflichtungen nach der ZTV-SA 97 sei die Beklagte nachgekommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Es besteht gemäß §§ 631, 280 I, 249 BGB ein Freihaltungsanspruch.

Das erkennende Gericht ist an die tatsächlichen Feststellungen im Verfahren 6 C 0076/12 gebunden; gemäß § 68 ZPO besteht auch hinsichtlich der gerichtlichen Bewertung des zentralen Sachverhalts – schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung der Klägerin – Bindungswirkung (Thomas/Putzo, 33. A., § 68, Rn. 5).

Das pflichtwidrige Handeln der hiesigen Beklagten wird also indiziert.

Das erkennende Gericht ist zudem der Ansicht, dass die Beklagte auch im Innenverhältnis zur Klägerin gegen ihre vertraglichen Pflichten schuldhaft verstieß:

Nach Nr. 7 Abs. 3 ZTV-SA 97 (Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Sicherungsarbeiten an Arbeitsstellen an Straßen, Ausgabe 1997), der auch nach Auffassung der Beklagten das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien regelt, hätte die Beklagte als Beauftragte die Baustelle mindestens zweimal täglich und erstmalig „bei Tagesanbruch“ inspizieren müssen. Mangels weitergehender Erläuterung ist dieses Passus dergestalt zu interpretieren, dass die Arbeitsstelle spätestens bei Sonnenaufgang hätte besichtigt werden müssen. „Tagesanbruch“ erfolgt mit Sonnenaufgang; ein späterer, eindeutig bestimmbarer, Anknüpfungspunkt ist nicht ersichtlich. Allenfalls ließe sich ein früherer (und unbestimmter) Zeitpunkt, nämlich die Morgendämmerung, als Anbrechen des Tages verstehen. Dass die ZTV-SA 97 insofern einen – auf das Jahr bezogenen – flexiblen Zeitpunkt für die Pflicht zur Erstbesichtigung der Arbeitsstelle vorsieht, entspricht der der korrespondierenden Inspektionspflicht „nach Eintritt der Dunkelheit“. Die Arbeitsstelle ist so früh als möglich zu besichtigen, weil – gerade bei Baustellen an und auf Autobahnen – der nächtliche Verkehr zum Umwehen oder Umstoßen der aufgestellten Warnbarken führen kann; da eine Inspektion zur Nachtzeit schon wegen der eingeschränkten Lichtverhältnisse nicht zumutbar und sachgerecht erscheint, ist auf den jeweiligen Tagesanbruch abzustellen. Erst bei Dämmerung unmittelbar vor Sonnenaufgang kann der Kontrolleur mit einem Blick die Arbeitsstelle erfassen und etwaige Unregelmäßigkeiten wahrnehmen.

Wie die Verfasser der ZTV SA 97 den Terminus „Tagesanbruch“ verstanden wissen wollten, ist grundsätzlich ohne Belang; maßgeblich ist der durch Auslegung zu ermittelnde Bedeutungsinhalt, der primär am Wortlaut anknüpft (§§ 133, 157 BGB). Insofern war den – ohnehin mit Schriftsatz vom 04.03.2014 erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung unterbreiteten – Beweisangeboten der Beklagten nicht nachzugehen. Dass der Begriff Tagesanbruch dem Zeitpunkt des Berufsverkehrs entsprechen soll, ist nicht ersichtlich; denn § 7 Abs. 3 ZTV-SA 97 stellt auf den Zeitpunkt des Berufsverkehrs gerade nicht ab. Im Übrigen wird bei Gleichsetzung des Begriffs Tagesanbruch mit Sonnenaufgang die Kontrollfahrt – bis auf wenige Winterwochen – zwangsläufig vor Einsetzen des Berufsverkehrs geschuldet. Das Argument, die Ressourcen der Verantwortlichen reichten bei einer bundesweiten Kontrollpflicht zum Sonnenaufgang nicht aus, verfängt nicht. Schließlich setzt auch der Berufsverkehr bundesweit praktisch zeitgleich ein; für die Verantwortlichen stellt sich somit dieselbe Ressourcenfrage. Nicht ausreichend ist jedoch die – zeitlich gestaffelte – Kontrolle der Baustellen entsprechend der eingeschränkten Mitarbeiterkapazität der Verpflichteten.

Zwar erscheint eine Wartungspflicht vor Einsetzen des Berufsverkehrs, bzw. bis spätestens 6.30 Uhr, ausreichend. Die Parteien müssten eine entsprechende Regelung jedoch vereinbaren; entweder ist die ZTV SA 97 in diesem Punkte zukünftig zu ändern oder bei Vertragsabschluss von den Beteiligten durch entsprechende Zusatzvereinbarung zu modifizieren. Freilich könnte eine interne Parteiabrede den Umfang der Verkehrssicherungspflicht gegenüber den Verkehrsteilnehmern nicht beeinflussen.

Der Sonnenaufgang erfolgte am 29.06.2006 in Bremen gegen 05.00 Uhr (vgl. http://www.sonnenuntergang.de/sonnenuntergang/Bremen/juni.html); es ist gerichtsbekannt, dass unmittelbar nach der Sonnenwende bereits vor 6:15 Uhr die Sonne aufgeht. Ausweislich des Wartungsberichts vom 29.06.2006 (Bl. 130 im Verfahren 6 C 76/12) trat der Mitarbeiter der Beklagten, Herr F…, seine Wartungsfahrt erst um 06:15 Uhr an und wird die Baustelle also noch später erreicht haben. Hätte er seine Fahrt bereits um 05:00 Uhr begonnen, wäre er lange vor 06.40 Uhr an der späteren Unfallstelle eingetroffen und hätte die 12 Barken rechtzeitig neu ausrichten und die eine Barke austauschen können (§ 278 BGB); an sich hätte sogar durch noch zeitigeren Fahrtantritt sichergestellt werden müssen, dass die Baustelle bereits um 05.00 Uhr inspiziert wird.

Die Beklagte trägt im Schriftsatz vom 24.02.2014 selbst vor, dass der Unfall dann wohl vermieden worden wäre.

Die Beklagte trug nicht vor, dass sie mit der Klägerin die Absprache getroffen habe, dass die Kontrollfahrten erst um 06:15 Uhr beginnen müssten. Im Zweifel wollten die Parteien ein Handeln entsprechend der ZTV-SA 97 vereinbaren; diese war Vertragsgrundlage.

Die Nebenforderung folgt aus §§ 631, 280 I, 249 BGB. Die vorgerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts war vorliegend zweckdienlich und erforderlich.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 709 ZPO.

 

 

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