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Verkehrsunfall Bahnübergang – bevorrechtigtes Kraftfahrzeug und wartepflichtige Straßenbahn

LG Nürnberg-Fürth – Az.: 8 S 5015/21 – Beschluss vom 19.10.2021

Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 07.07.2021, Az. 19 C 6255/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Gründe

I. Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 01.02.2020 im Bereich der … ereignet hat, und bei dem der von der Zeugin … gesteuerte klägerische Pkw beim Überqueren von Straßenbahnschienen mit einer vom Beklagten zu 2 gesteuerten Straßenbahn der Beklagten zu 1 zusammengestoßen ist.

II. Die – zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte – Berufung des Klägers kann keinen Erfolg haben.

Die Berufung hat weder neue berücksichtigungsfähige Tatsachen vorgetragen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch konkrete Umstände aufgezeigt, welche Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen landgerichtlichen Feststellungen begründen könnten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist daher von dem in dem angefochtenen Urteil dargelegten Tatbestand auszugehen.

Die Berufung trägt auch keine Umstände dafür vor, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO). Das angefochtene Urteil stellt sich vielmehr – jedenfalls im Ergebnis – als zutreffend dar.

Auf die Ausführungen im angegriffenen Urteil wird zunächst verwiesen. Ergänzend ist auszuführen:

II. Tatsächlich dürfte das Amtsgericht in seinem ausgesprochen ausführlich und sorgfältig begründeten Urteil das Verhältnis der Vorrangregeln nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 StVO und § 37 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVO nicht vollständig zutreffend erfasst haben.

II) Für das Führen von Straßenbahnen gelten nicht primär und auch nicht zwingend die in der StVO statuierten Verhaltensanforderungen. Für den Betrieb von Straßenbahnen sind vielmehr zunächst die Vorschriften der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung (BOStrab) maßgeblich (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BOStrab, § 4 Abs. 1 PBefG). Für Begegnungen von Straßenbahnen und Kraftfahrzeugen kann die StVO daher nur insoweit Vorrangregelungen begründen, als die Regeln der StVO nach den Vorschriften der BOStrab Anwendungen finden sollen.

II) Insofern ordnet § 55 Abs. 1 Satz 1 BOStrab an, dass Züge, die auf einem straßenbündigen Bahnkörper fahren, am Straßenverkehr teilnehmen, wohingegen Züge, die auf besonderen und unabhängigen Bahnkörpern verkehren, nach § 55 Abs. 3 BOStrab gerade nicht am Straßenverkehr teilnehmen. § 55 Abs. 1 Satz 2 BOStrab ordnet daher eine Beachtlichkeit der Regeln der StVO nur für den Fall an, dass der Zug auf einem straßenbündigen Bahnkörper verkehrt.

II) Nach § 16 Abs. 4 Satz 2 BOStrab sind straßenbündige Bahnkörper mit ihren Gleisen in Fahrbahnen oder Gehwege eingebettet. Besondere Bahnkörper liegen nach § 16 Abs. 4 Satz 3, Satz 4 BOStrab im Verkehrsraum öffentlicher Straßen, sind jedoch vom übrigen Verkehrsraum mindestens durch Bordsteine oder Hecken oder Baumreihen oder andere ortsfeste körperliche Hindernisse getrennt. Unabhängige Bahnkörper befinden sich hingegen nach § 16 Abs. 4 Satz 5, Satz 6 BOStrab auf Grund ihrer Lage oder Bauart außerhalb des Verkehrsraums öffentlicher Straßen.

II) § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab ordnet an, dass Straßenbahnen an höhengleichen Kreuzungen von besonderen und unabhängigen Bahnkörpern mit Straßen, Wegen und Plätzen (Bahnübergängen) Vorrang haben, soweit die StVO dies bestimmt. Verkehrt die Straßenbahn hingegen auf einem straßenbündigen Bahnkörper, so liegen nach der Definition des § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab schon keine Bahnübergänge vor und es gelten für die Straßenbahn – entsprechend dem strafrechtlichen Schutz, vgl. § 315e StGB – vielmehr die allgemeinen Regeln des Straßenverkehrs einschließlich der für diesen geltenden Vorfahrtregelung (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Hühnermann, 26. Aufl., § 19 StVO Rn. 9).

II) Aus dieser Regelungssystematik ergibt sich, dass sich eine Begegnung zwischen einem am Straßenverkehr teilnehmenden Kraftfahrzeug und einer Straßenbahn dann innerhalb des Straßenverkehrs ereignet, wenn die Straßenbahn hierbei auf einem straßenbündigen Bahnkörper verkehrt. Nur in diesem Fall gelten für die Begegnung die Vorrangregelungen der StVO in ihrer Gesamtheit. Verkehrt die Straßenbahn hingegen auf einem besonderen oder einem unabhängigen Bahnkörper (einschließlich der Bahnübergänge über einen solchen), so handelt es sich nicht um eine Begegnung innerhalb des Straßenverkehrs, sondern von zwei Verkehrsarten (Straßenverkehr und Schienenverkehr) und die Vorschriften der StVO gelten deshalb nur insofern, als festgestellt werden kann, dass sie in Ausfüllung des § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab speziell solche Begegnungen regeln sollen.

II) Die StVO enthält in § 19 StVO eine spezielle Regelung für Bahnübergänge, sowie z.B. in § 2, § 5, § 9, § 12, § 37 StVO besondere Regelungen im Zusammenhang mit Schienenfahrzeugen.

II) § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 3 StVO sieht dabei zunächst einen generellen Vorrang von Schienenfahrzeugen an mit einem Andreaskreuz (Zeichen 201 nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) gekennzeichneten Bahnübergängen vor. Dasselbe gilt nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO für Bahnübergänge über untergeordnete Wege.

An anderen Bahnübergängen ergibt sich nach § 19 Abs. 5 StVO ein Vorrang der Schienenfahrzeuge nur bei entsprechenden Signalen durch Bahnbedienstete, wobei § 19 Abs. 5 Satz 2 StVO zur Bedeutung von roten und gelben Lichtsignalen auf § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO verweist. Im Übrigen enthält die StVO für solche Bahnübergänge keine Vorrangregelung. Die Rechts-vor-links-Regel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO gilt nicht, weil das Bahngeleis keine öffentliche Straße darstellt (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Hühnermann aaO Rn. 22). Der Schienenverkehr soll in diesen Fällen vielmehr die sich aus § 10 StVO ergebenden Pflichten zu beachten haben (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 19 StVO Rn. 7 m.w.N.).

II) Nach § 2 Abs. 3 StVO müssen Fahrzeuge, die in der Längsrichtung einer Schienenbahn verkehren, diese, soweit möglich, durchfahren lassen. Wer nach links abbiegen will, darf sich nach § 9 Abs. 1 Satz 3 StVO auf längs verlegten Schienen nur einordnen, wenn kein Schienenfahrzeug behindert wird. Zudem muss er nach § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 StVO Schienenfahrzeuge durchlassen, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren. Nach § 5 Abs. 7 Satz 2 bis Satz 4 StVO sind Schienenbahnen grundsätzlich rechts zu überholen. Gemäß § 12 Abs. 4 Satz 4, Satz 5 StVO darf im Fahrraum von Schienenfahrzeugen nicht gehalten werden.

Nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 StVO kann der Verkehr, für den eine Wechsellichtzeichenanlage „Grün“ zeigt, an Kreuzungen nach den Regeln des § 9 StVO abbiegen, nach links jedoch nur, wenn er Schienenfahrzeuge dadurch nicht behindert. § 37 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Halbs. 1 StVO sieht vor, dass für Schienenbahnen besondere Zeichen, auch mit abweichenden Phasen gegeben werden können.

II) Aus dieser Systematik scheint sich zu ergeben, dass die Vorschriften zur Bestimmung des Vorrangs an Bahnübergängen i.S. des § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab – zumindest primär – in § 19 StVO zu finden sind. Die weiteren (unter bb) angeführten Regelungen scheinen hingegen – zumindest primär – den Fall vor Augen zu haben, dass die Straßenbahn auf einem straßenbündigen Bahnkörper verkehrt, damit nach § 55 Abs. 1 Satz 1 BOStrab am Straßenverkehr teilnimmt und deren Führer daher nach § 55 Abs. 1 Satz 2 BOStrab die Vorschriften der StVO zu beachten hat. Nicht ausgeschlossen – und daher durch eine Auslegung der Vorschriften im Einzelfall festzustellen – ist dabei jedoch, dass auch die Regelungen außerhalb des § 19 StVO eine Regelung des Schienenverkehrs zum Straßenverkehr i.S. des § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab beinhalten können.

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II) Insbesondere das Verhältnis zwischen den Vorrangregeln des § 19 StVO einerseits und § 37 StVO andererseits ist dabei in der StVO nicht ausdrücklich geregelt. Das Verständnis dieses Verhältnisses wird dabei noch dadurch erschwert, dass beide Vorschriften absolute Geltung und damit Vorrang vor der anderen zu beanspruchen scheinen (vgl. einerseits zu § 37 Abs. 1 Satz 1 StVO Hentschel/König/Dauer aaO § 37 StVO Rn. 5 und andererseits zu § 19 StVO Hentschel/ König/Dauer aaO § 19 StVO Rn. 10 f. m.w.N.).

Verkehrsunfall Bahnübergang - bevorrechtigtes Kraftfahrzeug und wartepflichtige Straßenbahn
(Symbolfoto: Flat vectors/Shutterstock.com)

Bei zutreffender Auslegung ergibt sich jedoch, dass jedenfalls dann, wenn Fahrsignale für die Straßenbahn in eine Gesamtlichtzeichenanlage nach § 37 StVO integriert sind, die sich die aus den Lichtzeichen ergebende Vorrangregelung der Regelung des § 19 StVO vorgeht.

II) § 19 Abs. 1 StVO räumt in Satz 1 genannten Schienenfahrzeugen Vorrang vor dem (gesamten) in Satz 2 genannten Straßenverkehr (nicht etwa den „anderen Verkehrsteilnehmern“) ein. Hieran wird deutlich, dass § 19 Abs. 1 StVO keinen Vorrang von verschiedenen Teilnehmers des Straßenverkehrs, sondern den Vorrang einer Verkehrsart vor der anderen statuiert.

II) Der Wortlaut des § 37 Abs. 1 Satz 1 StVO lässt hingegen keine Beschränkung dahingehend erkennen, dass die durch Lichtzeichenanlagen getroffenen Anordnungen nur auf die Geltung innerhalb des Straßenverkehrs beschränkt sein soll. Mit dem Hinweis auf die „besonderen Zeichen“ für Schienenbahnen in § 37 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 StVO werden zudem die Signalzeichen nach der Anlage 4 zu §§ 20, 21, 40, 51 BOStrab, insbesondere die Fahrsignale nach Ziffer 3 (F0 bis F5), in die Lichtzeichenregelung nach § 37 StVO mit einbezogen. Auch § 21 Abs. 4 Satz 1 BOStrab sieht eine solche Einbeziehung in eine Gesamtanlage vor.

II) Aus dieser Regelungssystematik dürfte zu folgern sein, dass die aus Fahrsignalen nach der Anlage 4 zur BOStrab ergebende Vorrangregelung jedenfalls dann nach § 37 Abs. 1 Satz 1 StVO der Vorrangregelung nach § 19 Abs. 1 StVO vorgeht, wenn die Fahrsignale an einer Kreuzung in die Lichtzeichenregelung einer Gesamtanlage einbezogen sind. Die sich aus den Lichtzeichen ergebende Vorrangregelung dürfte ihren Regelungsgehalt dann nicht nur innerhalb des Straßenverkehrs, sondern darüber hinaus auch im Verhältnis der Verkehrsarten Schienenverkehr und Straßenverkehr zueinander entfalten und damit auch – nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab zulässig – den Vorrang an Bahnübergängen über besondere und unabhängige Bahnkörper regeln. Die Regelung durch Verkehrszeichen dürfte gegenüber dieser Regelung durch Lichtzeichen zurücktreten (vgl. Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 24. Januar 1967 – 7 U 125/66 – VersR 1967, 814; Hentschel/König/Dauer aaO § 37 StVO Rn. 34; Freymann/Wellner/Wern, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. [30.06.2020], § 37 StVO Rn. 51), was dann konsequenterweise auch die Vorrangregelung nach § 19 Abs. 1 StVO erfassen dürfte (vgl. Hentschel/ König/Dauer aaO § 37 StVO Rn. 5).

II) Die Vorschrift des § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 StVO dürfte dem nicht entgegenstehen. Vielmehr dürfte deren Bedeutung darin liegen, dass sie – anders als § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 StVO – keinen Vorrang der Schienenfahrzeuge gegenüber dem Abbiegenden statuiert, sondern diesem vielmehr zusätzliche Sorgfaltspflichten bei der Durchführung des Abbiegevorgangs aufgibt, weshalb dieser etwa insbesondere auf Straßenbahnschienen nicht warten darf (vgl. Freymann/Wellner/ Wern aaO § 37 StVO Rn. 31). Hingegen dürfte sie nicht für Schienenfahrzeuge im Querverkehr gelten, deren Fahrt durch ein Lichtzeichen nach § 37 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Halbs. 2 StVO gerade nicht freigegeben ist.

II) Aus den vom Amtsgericht auf Seite 13 des angegriffenen Urteils (Bl. 152 d.A.) zitierten Entscheidungen ergibt sich nichts anderes:

(II) Soweit das Oberlandesgericht Köln (Beschluss vom 29. April 1997 – Ss 184/97 (B) – NZV 1997, 365) einen Vorrang von § 19 StVO vor § 37 StVO angenommen hat, so bezog sich dies allein auf eine Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO an einem Bahnübergang, nicht auf eine den Vorrang an einer Kreuzung oder Einmündung regelnden Lichtzeichenanlage. Zum Verhältnis von § 19 StVO zu § 37 StVO im Falle von in Kreuzungen oder Einmündungen integrierte Bahnübergängen, die insgesamt durch eine Gesamtlichtzeichenanlage geregelt werden, lässt sich dem nichts entnehmen.

(II) Das Bayerische Oberste Landesgericht (Beschluss vom 26. März 2001 – 1 ObOWi 95/01 – DAR 2001, 370) hat hinsichtlich von Verstößen i.S. des Ordnungswidrigkeitenrechts lediglich ausgesprochen, dass § 19 StVO und § 37 StVO tateinheitlich verwirkbar sind, wenn das Rotlicht im Bereich eines Bahnübergangs sowohl den Schienenverkehr als auch den nach der Wechsellichtzeichenanlage noch vor dem Bahnübergang einbiegenden Straßenverkehr schützt. Auch hieraus ergibt sich kein Vorrang von § 19 StVO gegenüber § 37 StVO und auch keine Aussage dazu, ob sich aus § 19 StVO ein Vorrang des Schienenverkehrs auch in dem Fall ergeben soll, dass die Lichtzeichenanlage für den Straßenverkehr Grünlicht zeigt.

II. Im Streitfall dürfte die vom Beklagten zu 2 gesteuerte Straßenbahn zwar auf einem besonderen Bahnkörper verkehrt haben, da der Gleisbereich ausweislich der vorgelegten Lichtbilder zwischen den Richtungsfahrbahnen der … in einem begrünten, durch Bordsteine abgesetzten Bereich verläuft. Dementsprechend dürfte sich die Kollision auch auf einem Bahnübergang i.S. des § 19 Abs. 1 StVO und des § 20 Abs. 1 Satz 1 BOStrab ereignet haben. Unstreitig war dieser auch mit einem Andreaskreuz gekennzeichnet.

Demgegenüber waren die für die Straßenbahn geltenden Signalgeber ausweislich der von der Sachverständigen … erstinstanzlich ermittelten Schaltungen und den örtlichen Gegebenheiten offenbar in die Gesamtlichtzeichenanlage i.S. der § 37 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Halbs. 2 StVO und des § 21 Abs. 4 Satz 1 BOStrab integriert. Nach den nach § 529 Abs. 1 ZPO verbindlichen – und auch von der Beklagten in der Berufungsinstanz nicht angegriffenen – Feststellungen des Amtsgerichts hatte nach der durch die Lichtzeichenanlage maßgeblich angeordneten Regelung die Zeugin … daher Vorrang vor der vom Beklagten zu 2 geführten Straßenbahn, ohne dass dem die Regelung durch das Andreaskreuz oder § 19 Abs. 1 StVO entgegenstand.

Es kann daher nicht zutreffen, mit dem Amtsgericht (aus Seite 12 f. des angefochtenen Urteils, Bl. 151 f. d.A.) gleichzeitig einen Vorrang der Straßenbahn nach § 19 Abs. 1 StVO sowie einen Vorrang der Zeugin …. nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVO anzunehmen. Vielmehr dürfte sich im Streitfall – wie dargestellt – ein eindeutiger Vorrang der Zeugin … gegenüber der vom Beklagten zu 2 gesteuerten Straßenbahn nach § 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2, Nr. 4 Satz 2 Halbs. 1 StVO ergeben.

II. Im Ergebnis ist jedoch gleichwohl vertretbar, dem Kläger einen Haftungsanteil von 20 % zuzumessen.

II) Bei einer Kollision auf einer Kreuzung, auf der der Vorrang durch eine Wechsellichtzeichenanlage geregelt ist, tritt zwar grundsätzlich die Betriebsgefahr des nach den Anordnungen der Lichtzeichenanlage Bevorrechtigten zurück und der hiernach Wartepflichtige trägt dementsprechend grundsätzlich die alleinige Haftung (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 16. Aufl., Vorbemerkung vor Rn. 1). Der bevorrechtigte Verkehrsteilnehmer kann sich grundsätzlich darauf verlassen, dass der Querverkehr seiner Wartepflicht nachkommen wird.

Bei Zusammenstößen zwischen Straßenbahnen und Kraftfahrzeugen ist zudem zu beachten, dass Straßenbahnen grundsätzliche eine höhere Betriebsgefahr zukommt (Grüneberg aaO Vorbemerkung vor Rn. 325), die sich etwa – wie im Streitfall – durch einen längeren Anhalteweg realisieren kann.

II) Jedoch auch ein Verkehrsteilnehmer, der nach dem Umschalten auf Grünlicht in eine Kreuzung oder Einmündung einfährt, muss einen drohenden Zusammenstoß durch eine geeignete Brems- oder Ausweichreaktion verhindern, wenn er erkennt oder zumindest erkennen muss, dass der Querverkehr seiner Wartepflicht nicht nachkommen wird. Durch diesen in § 1 Abs. 2 StVO statuierten Grundsatz der doppelten Sicherung soll erreicht werden, dass bei gefährlichen Verkehrsvorgängen, wie dem Fahren mit Kraftfahrzeugen, alle Beteiligten zur Verhütung von Schaden beitragen müssen, sodass der infolge des Fehlers des einen drohende Unfall noch verhütet wird, wenn der andere die ihm gebotene Vorsicht beachtet (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke/Heß aaO § 1 StVO Rn. 22). Daher war auch die Zeugin …. als Bevorrechtigte verpflichtet, auf das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer wie des Beklagten zu 2 zu achten und durch die Einhaltung der gebotenen Vorsicht sowie durch die gebotenen Reaktionen auf etwaiges Fehlverhalten anderer drohende Unfälle möglichst zu verhindern.

II) Dies gilt nach Auffassung der Kammer umso mehr, wenn – wie im Streitfall – der Bevorrechtigte beim Durchfahren der Kreuzung abbiegen und dabei einen mit einem Andreaskreuz markierten Bahnübergang überfahren muss. Zwar kann die Straßenbahn die ihr sonst gebührende besondere Rücksichtnahme im Falle eines Rotlichtverstoßes nicht für sich in Anspruch nehmen (vgl. Hentschel/König/Dauer aaO § 37 StVO Rn. 62), jedoch begründet allein die erkennbaren Notwendigkeit des Überfahrens eines Bahnübergangs während des Abbiegevorgangs – gerade im Hinblick auf die erhöhte Betriebsgefahr von Schienenfahrzeugen – eine deutlich erhöhte abstrakte Gefährlichkeit und erforderte damit eine erhöhte Aufmerksamkeit des Bevorrechtigten.

II) Nach den überzeugenden und von keiner Seite angegriffenen erstinstanzlichen Feststellungen der Sachverständigen … (vgl. Niederschrift vom 03.02.2021, Seite 9, Bl. 66 d.A.) hätte die Zeugin… bei der gebotenen Aufmerksamkeit während des Einfahrvorgangs die sich annähernde Straßenbahn in einer Entfernung wahrnehmen können, die es der Zeugin erlaubt hätte, die Straßenbahn als Gefahrenquelle wahrzunehmen, zu erkennen, dass diese vor der Einfahrt in den Bereich des Bahnübergangs nicht mehr anhalten können wird, und einen Zusammenstoß durch ein Abbremsen ihres eigenen Fahrzeugs zu verhindern. Dementsprechend hat auch etwa der erstinstanzlich vernommene Zeuge … angegeben (vgl. Niederschrift vom 03.02.2021, Seite 4, Bl. 61 d.A.), dass die Zeugin … ihr Fahrzeug einfach hätte abbremsen können, um den Unfall zu vermeiden. Die von der Sachverständigen insofern angesprochene Kenntnis von einem verlängerten Anhalteweg von Schienenfahrzeugen gehört zur Allgemeinbildung und ist insbesondere bei jemandem, der im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge führt, zu fordern.

II) Die Zeugin … hat demgegenüber angegeben (vgl. Niederschrift vom 03.02.2021, Seite 7, Bl. 64 d.A.), beim Einfahren in die Einmündung nach rechts überhaupt nicht geachtet zu haben, weil ihr Blick auf den im weiteren Verlauf des Abbiegevorgangs zu überquerenden Fußgängerüberweg gerichtet gewesen sei.

II) Es ist daher festzustellen, dass die Zeugin … bei der gebotenen – tatsächlich nicht einmal im Ansatz ausgeübten – Aufmerksamkeit nach rechts vor der Überquerung des Bahnübergangs den Unfall durch eine gebotene Bremsreaktion hätte verhindern können und müssen. Eine ausschließliche Fixierung der Aufmerksamkeit auf den Fußgängerüberweg bereits in der Annäherung an den Bahnübergang war nach der aus den vorgelegten Lichtbildern erkennbaren örtlichen Verhältnissen weder erforderlich noch geboten.

II) Es ist daher jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht bei der nach § 13 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 HPflG, § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG bzw. § 254 BGB gebotenen Gesamtabwägung der Verursachungsbeiträge die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs nicht hat zurücktreten lassen und eine Haftungsquote der Klägerseite im Rahmen der einfachen Betriebsgefahr, mithin im Umfang von 20 % angenommen hat. Kann der Bevorrechtigte einen Unfall ohne weiteres dadurch verhindern, dass er den Verkehr auch in Richtung des Wartepflichtigen beobachtet, so kann dies eine Mithaftung auch im Falle einer klaren Vorrangregelung begründen (vgl. Grüneberg aaO Rn. 38, 47 f.).

II. Gegen die Erwägungen des Amtsgerichts zur Anspruchshöhe wendet sich der Kläger mit der Berufung nicht.

Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises. Die Kammer legt aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe, denn in diesem Fall ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 (KV 1220) auf 2,0 (KV 1222).

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