Verkehrsgeschehen und Haftungsfragen: Interpretation des Ausparkunfalls auf einem öffentlichen Parkplatz
In einer Situation, die auf öffentlichen Parkplätzen alltäglich ist, kam es zu einem Rechtsstreit. Das Landgericht Bremen (LG Bremen) musste einen Fall klären, in dem es um einen Verkehrsunfall beim Ausparken ging. Im Zentrum stand die Frage der Haftung: Wer ist schuld, wenn ein Fahrzeug ausparkt und es dabei zu einer Kollision kommt? Dabei spielten sowohl die Feststellungen eines Sachverständigen als auch die Frage, ob der Parkplatz als öffentlicher Verkehrsraum zu betrachten ist, eine entscheidende Rolle.
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Übersicht:
Die Rolle des Sachverständigen und die glaubwürdigen Aussagen
Gemäß dem Urteil des LG Bremen (Az.: O 1076/19) vom 31.07.2020 gab es keine Anhaltspunkte, dem Sachverständigen nicht zu folgen. Seine Feststellungen stimmten mit den Aussagen des Klägers überein, der glaubhaft bekundet hatte, dass die Beklagte plötzlich rückwärts aus ihrem Parkplatz ausgeparkt hatte. Die Zeugin K. konnte nicht zur Klärung beitragen, da sie während des Unfalls auf ihr Handy geschaut haben soll.
Die Einordnung des Parkplatzes als öffentlicher Verkehrsraum
Ein weiterer wichtiger Punkt in der Urteilsfindung war die Frage, ob der betroffene Parkplatz als öffentlicher Verkehrsraum zu betrachten ist. Laut BGH ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder zumindest für eine bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung freigegeben ist. Dies gilt auch für Parkplätze, die, wie in diesem Fall, für jedermann zugänglich sind.
Erstattung der Kosten für das Gutachten und weitere Kosten
Dem Kläger wurden die Kosten für das Gutachten (813,96 €) erstattet, da er als Unfallgeschädigter grundsätzlich die Kosten für die Erstellung des Privatgutachtens zur Feststellung des unfallbedingten Schadens an seinem Fahrzeug als Kosten der Rechtsverfolgung ersetzt verlangen kann. Darüber hinaus wurden die Kosten für einen Antrag, den die Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, den Beklagten auferlegt.
Der Aspekt der Kostenminimierung und Treu und Glauben
In diesem Fall spielte auch das Prinzip der Kostenminimierung und Treu und Glauben eine Rolle. Jede Prozesspartei ist verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie es mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbar ist. Diese Pflicht, die aus Treu und Glauben resultiert, musste auch der Kläger in diesem Fall beachten.
Mit diesem Urteil verdeutlicht das LG Bremen einmal mehr, wie wichtig eine genaue Betrachtung der Umstände bei Verkehrsunfällen ist. Ob Sachverständigengutachten, Aussagen von Zeugen oder die Beurteilung eines Parkplatzes als öffentlicher Verkehrsraum – all diese Aspekte können bei der Frage der Haftung entscheidend sein.
Das vorliegende Urteil
LG Bremen – Az.: O 1076/19 – Urteil vom 31.07.2020
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 3.689,47 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus dem streitgegenständlichen Mandat iHv 236,69 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 10% und die Beklagten zu 90%.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall.
Der Kläger war im Unfallzeitpunkt Eigentümer, Halter und Fahrer des Pkw der Marke Ford, Modell C-Max 1,5 Eco Boost, amtliches Kennzeichen: HB-V…. Die Beklagte zu 2) war im Unfallzeitpunkt Fahrerin des Pkw der Marke Hyundai, Modell i20, amtliches Kennzeichen: VER-M…, der bei der Beklagten zu 1) im Unfallzeitpunkt haftpflichtversichert war.
Am 13.05.2019 fuhr der Kläger mit seinem Kfz auf den Schulparkplatz „Koblenzer Straße 15“ in Bremen und beabsichtigte rückwärts in eine Parktasche zwischen zwei Fahrzeugen einzuparken. Die Beklagte zu 2) ihrerseits beabsichtigte von einer gegenüberliegenden Parktasche rückwärts auszuparken. Die Fahrzeuge kollidierten, wobei die weiteren Einzelheiten zwischen den Parteien im Streit stehen.
Der Kläger holte ein Schadensgutachten des Kfz-Büros […] ein. Nach dem Schadensgutachten vom 15.05.2019 betragen die Reparaturkosten 3.872,45 € (netto) und der merkantile Minderwert wird mit 400,00 € zu beziffert (vgl. Bl. 5 ff. d.A.). Das Kfz-Büro […] stellte dem Kläger für die Erstellung des Schadensgutachtens am 15.05.2019 insgesamt 813,96 € in Rechnung.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.05.2019 forderte der Kläger die Beklagte zu 1) auf, seinen unfallbedingten Schaden zu erstatten (Bl. 25 d.A.).
Im vorliegenden Rechtsstreit bezifferte der Kläger seinen Anspruch zunächst fiktiv auf Gutachtenbasis wie folgt:
- Reparaturkosten (netto) nach dem Schadensgutachten vom 15.05.2019 3.872,45 €
- Merkantiler Minderwert nach dem Schadensgutachten vom 15.05.2019 400,00 €
- Gutachterkosten 813,96 €
- Kostenpauschale 25,00 €
- Gesamt: 5.111,41 €
- Vorg. RVG-Kosten 571,44 €
- Der Kläger ließ im laufenden Rechtsstreit seinen Ford instandsetzen und errechnete nach Instandsetzung seinen unfallbedingten Schaden sodann wie folgt:
- Reparaturkosten (brutto) nach der Rechnung Ford W. vom 28.10.2019 (Bl. 70) 4.928,14€
- Merkantiler Minderwert nach dem Schadensgutachten vom 15.05.2019 400,00 €
- Gutachterkosten 813,96 €
- Kostenpauschale 25,00 €
- Gesamt: 6.167,10 €
- Vorg. RVG-Kosten 571,44 €
Im laufenden Rechtsstreit haben die Beklagten erklärt, den unfallbedingten Schaden auf Basis einer Haftung zu 50% zu regulieren.
Die Beklagte zu 1) hat anschließend folgende Teilzahlungen an den Kläger erbracht:
- 1.919,12 € am 18.10.2019 (Hauptforderung),
- 334,75 € am 18.10.2019 (Nebenforderung),
- 558,51 € am 22.11.2019 (Hauptforderung).
Der Kläger trägt vor: Er, der Kläger, sei langsam rückwärts in die Parklücke eingefahren und habe bereits zwischen den geparkten Fahrzeugen rangiert. Die Beklagte zu 2) sei plötzlich rückwärts aus der gegenüberliegenden Parklücke gefahren, ohne auf den rückwärtigen Verkehr zu achten und sei mit seinem Ford zusammen gestoßen.
Der Kläger hat ursprünglich beantragt, 1. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 5.111,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2019 (Rechtshängigkeit) zu zahlen sowie 2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 571,44 € Nebenforderung (vorg. RVG-Kosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2019 (Rechtshängigkeit) (vgl. Bl. 2 d.A.). Im Lauf des Rechtsstreits hat der Kläger die Klage gegen die Beklagte zu 2) mit Schriftsatz vom 01.10.2019 erweitert und die Klage in Höhe von 212,50 € zurückgenommen (vgl. Bl. 51 d.A.). Mit Schriftsatz vom 07.11.2019 hat der Kläger die Klage erweitert (Bl. 68 ff. d.A.) und beantragt, 1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 6.167,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 5.111,41 € seit dem 31.07.2019 (Rechtshängigkeit) und auf weitere 1.055,69 € seit dem 21.11.2019 (Rechtshängigkeit) zu zahlen sowie 2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 571,44 € Nebenforderung (vorg. RVG-Kosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2019 (Rechtshängigkeit). In der mündlichen Verhandlung vom 01.07.2020 hat der Klägerin die Klage im Hinblick auf drei Teilzahlungen von 1.919,12 € (Hauptforderung), 334,75 € (Nebenforderung) und 558,51 € (Hauptforderung) für erledigt erklärt (Bl. 153 Rückseite d.A.). Die Beklagten haben sich der Teilerledigungserklärung angeschlossen. Die Parteien haben insoweit wechselseitig Kostenanträge gestellt.
Der Kläger beantragt nunmehr sinngemäß,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 6.167,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 5.111,41 € seit dem 31.07.2019 (Rechtshängigkeit) und auf weitere 1.055,69 € seit dem 21.11.2019 (Rechtshängigkeit) zu zahlen; abzüglich am 18.10.2019 gezahlter 1.919,12 € sowie abzüglich am 22.11.2019 gezahlter 558,51 €.
2. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 571,44 € Nebenforderung (vorg. RVG-Kosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2019 (Rechtshängigkeit); abzüglich am 18.10.2019 gezahlter 334,75 €.
Die Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten tragen vor: Ein- und Ausparkvorgang von Kläger und Beklagter zu 2) seien simultan erfolgt. Beide unfallbeteiligten Fahrer hätten sich übersehen, so dass eine Schadensteilung angezeigt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin K. sowie durch Einholung eines mündlichen Unfallrekonstruktionsgutachten des Sachverständigen Dipl.-Phys. S.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 01.07.2020 und die schriftliche Kurzzusammenfassung des Sachverständigen vom 29.06.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung weiterer 3.689,47 € sowie Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 236,69 € aus §§ 17, 18 StVG, § 115 VVG, §§ 249 ff. BGB, § 421 BGB.
1.
Das Fahrzeug des Klägers ist bei dem streitgegenständlichen Unfall auf dem Schulparkplatz „Koblenzer Straße 15“ in Bremen durch den von der Beklagten zu 2) gefahrenen Hyundai i20 beschädigt worden. Die Beklagte zu 2) haftet als Fahrerin des Hyundai i20 (§ 18 StVG), die Beklagte zu 1) als Haftpflichtversicherer dieses Kfz (§ 115 VVG).
2.
Nach dem Parteivortrag, der Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 2) nach § 141 ZPO und der durchgeführten Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin K. sowie durch Einholung eines mündlichen Unfallrekonstruktionsgutachten stand der Unfallhergang weitgehend fest.
Nach den technischen Feststellungen des Sachverständigen S. war davon auszugehen, dass der von der Beklagten zu 2) gefahrene Hyundai im Kollisionszeitpunkt schneller war, als das klägerische Fahrzeug. Die Geschwindigkeit des Hyundai bei dem Zurücksetzen ist mit 10km/h und die des Ford mit 4-5 km/h zu veranschlagen. Vor bzw. bei Beginn des Anfahrvorganges des Hyundai wäre für die Beklagte zu 2) der Ford ohne Weiteres erkennbar gewesen, wenn zur Rückschau ein Schulterblick nach rechts oder der rechte Seitenspiegel benutzt worden wäre. Bei dem Rückwärtsfahren wäre für die Beklagte zu 2) bei Nutzung des Innenspiegels der Ford erkennbar gewesen. Für den Kläger war bei Beginn der Rückwärtsfahrt nicht zu erkennen, dass die Beklagte zu 2) ihrerseits beabsichtigte, rückwärts auszuparken. In dem Moment, in der Kläger das Ausparken hätte bemerken können, verblieb keine Zeit für eine sofortige und zielgerichtete Reaktion, den Unfall noch zu vermeiden.
Die Ausführungen des Sachverständigen waren anhand der vorgelegten Anknüpfungstatsachen, insbesondere den Schadensbildern, für die Kammer nachzuvollziehen. Der Sachverständige hat die berücksichtigten Anknüpfungstatsachen offengelegt und plausibel dargestellt, welche Schlüsse aus technischer Sicht zu ziehen waren. Hierbei hat er nachvollziehbar dargelegt, inwieweit das dokumentierte Beschädigungsbild technisch zu bewerten war. Nachfragen in der Sitzung hat der Sachverständige aufgegriffen und vermochte diese nachvollziehbar beantworten. Anhaltspunkte, warum dem Sachverständigen nicht zu folgen wäre, liegen aus Sicht der Kammer nicht vor
Die Feststellungen des Sachverständigen decken sich mit den Angaben des persönlich angehörten Klägers, der seinerseits glaubhaft bekundet hat, dass die Beklagte zu 2) unvermittelt rückwärts ausgeparkt hat. Die Angaben der Zeugin K. unergiebig, weil sie während der Fahrt auf ihr Handy geschaut haben will und erst auf das Geschehen aufmerksam geworden sei, als die Fahrzeuge zusammengestoßen seien. Den Angaben der Beklagten zu 2) war zu entnehmen, dass sie lediglich vor Starten des Motors in den Innenspiegel geschaut hat und nach Starten des Motors nicht mehr den rückwärtigen Bereich ihres Fahrzeuges im Auge hatte, da sie sich auf den vorderen Bereich ihres Hyundai konzentriert hat, um beim Ausparken die seitlich danebenstehenden Fahrzeuge nicht zu beschädigen.
3.
Auf dem streitgegenständlichen – frei zugänglichen – Parkplatz sind nach Auffassung der Kammer die Vorschriften der StVO anzuwenden waren. Gegenstand der gesetzlichen Regelung der StVO ist gemäß § 1 Abs. 1 StVO die Teilnahme am Straßenverkehr. Dies meint alle Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum (Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 1 StVO Rn. 13 m.w.N.). Ob ein Verkehrsraum öffentlich ist oder nicht, bemisst sich nicht nach den Eigentumsverhältnissen an den jeweiligen Grundstücksflächen, sondern danach, ob der in Rede stehende Verkehrsraum ausdrücklich oder stillschweigend durch den jeweils Berechtigten für den öffentlichen Verkehr freigegeben ist (Hentschel, aaO., § 1 StVO Rn. 14 m.w.N.). Danach ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (BGH, NJW 2004, 1965). Auf Parkplätzen, die – wie hier – Jedermann zugänglich sind, findet die StVO regelmäßig – auch ohne eine entsprechende Beschilderung – Anwendung (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009, Az.: 14 U 45/09).
§ 9 Abs. 5 StVO ist auf dem Parkplatz grundsätzlich entsprechend anwendbar (Hentschel, aaO, § 9 Rn. 51; KG, VRR 2011, 42; OLG Hamburg, OLGR Hamburg 2003, 311; KG, VRS 106, 343). Nach § 9 Abs. 5 StVO hat der Rückwärtsfahrende die Gefährdung des anderen Verkehrs auszuschließen. Nur ein überblickter, also mit Gewissheit freier Raum darf rückwärts befahren werden (vgl. OLG Oldenburg, NZV 2001, 377). Ereignet sich in einem örtlichen, zeitlichen Zusammenhang ein Unfall während des Zurücksetzen, besteht ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des zurücksetzenden Fahrers (Hentschel, § 9 StVO Rn. 55 a.E.; KG, NZV 2009, 393; KG, VRS 106, 343; OLG Oldenburg, NZV 2001, 377).
4.
In der vorliegenden Unfallsituation führt die vorzunehmende Haftungsabwägung dazu, dass der Unfall allein von der Beklagten zu 2) verursacht worden ist. Die Beklagte zu 2) hatte sich vor Beginn des Anfahrvorganges nicht ausreichend vergewissert, ob sie gefahrlos rückwärts hatte ausparken können. Hätte sie dies getan und wäre sie ihrer Pflicht zur Rückschau auch nach Beginn des rückwärtigen Anfahrens gerecht geworden hätte sie den Unfall vermeiden können. Auch während der Rückwärtsfahrt hätte sie den rückwärtigen Bereich im Auge haben müssen. Stattdessen ist die Beklagte zu 2) quasi blindlings rückwärtsgefahren. Hätte sie nach Beginn der Rückwärtsfahrt den rückwärtigen Bereich im Auge gehabt, hätte die Beklagte zu 2) nach den Feststellungen des Sachverständigen den Unfall ebenfalls ohne Weiteres vermeiden können. Unvermeidbar war der Unfall hingegen für den Kläger. Dies folgt aus den technischen Feststellungen des Sachverständigen S. Mit einer plötzlich ausparkenden Beklagten zu 2) brauchte der Kläger nicht zu rechnen. Vielmehr durfte er darauf vertrauen, dass sich die übrigen Verkehrsteilnehmer verkehrsgerecht verhalten würden (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2011, Az.: VI ZR 282/10, Rz.: 11 zit. n. juris). Das Verschulden der Beklagten zu 2) überwiegt im vorliegenden Fall derart, dass die von dem klägerischen Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr dahinter vollständig zurücktritt.
5.
Der Höhe nach kann der Kläger von den Beklagten noch die Zahlung weiterer 3.689,47 € verlangen.
a.
Die Höhe des Fahrzeugschadens (4.928,14€) nach Vorlage der Reparaturkostenrechnung und der merkantile Minderwert (400,00 €) nach dem Schadensgutachten vom 15.05.2019 standen nicht im Streit.
b.
Die von dem Kläger verauslagten Kosten (813,96 €) für das Gutachten […], sind zu ersetzen. Der Unfallgeschädigte kann grundsätzlich als Schaden die Kosten für die Erstellung des Privatgutachtens zur Feststellung des unfallbedingten Schadens an seinem Fahrzeug als Kosten der Rechtsverfolgung ersetzt verlangen (Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 249 Rn. 58 m.w.N.; Geigel/Rixecker, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 4. Kapitel Rn. 97 m.w.N.). Die Höhe der Kosten für die Erstellung des Schadensgutachtens stand zwischen den Parteien nicht im Streit.
c.
Die im Verkehrsunfallrecht als Schaden zu ersetzende Kostenpauschale ist nach Auffassung der Kammer mit 25,00 € zu bemessen. Infolge der allgemeinen Kostensteigerungen ist die ehemals auf 40,00 DM bemessene Pauschale mittlerweile mit 25,00 € anzusetzen (so auch bei OLG Celle, Urteil vom 09.09.2004, Az.: 14 U 34/04, Rz. 13, zit. n. juris, abgedruckt in NJW-RR 2004, 1673; OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006, Az.: 9 U 164/04, Rz. 11, zit. n. juris; OLG Oldenburg vom 21.03.2012, Az.: 3 U 69/11, Rz. 68, zit. n. juris).
d.
Die erfolgten beiden Teilzahlungen (1.919,12 € und 558,51 €) auf den Schaden standen ebenfalls nicht im Streit.
e.
Es verbleibt ein ersatzfähiger Restschaden iHv 3.689,47 € nach folgender Rechnung:
- Reparaturkosten (brutto) nach der Rechnung Ford W. vom 28.10.2019 (Bl. 70) 4.928,14€
- Merkantiler Minderwert nach dem Schadensgutachten vom 15.05.2019 400,00 €
- Gutachterkosten 813,96 €
- Kostenpauschale 25,00 €
- Gesamt: 6.167,10 €
- Teilzahlung – 1.919,12 €
- Teilzahlung – 558,51 €
- Restschaden 3.689,47 €
5.
Der Kläger kann von den Beklagten die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 236,69 € verlangen.
Die vorgerichtlichen Anwaltskosten sind grundsätzlich als Schaden iSd §§ 249 ff. BGB (sog. Rechtsverfolgungskosten) nach einem Verkehrsunfall zu erstatten (Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 249 Rn. 57).
Die Höhe und die erfolgte Teilzahlung (334,75 €) standen nicht im Streit,
Mangels Vortrag und Nachweis über den Ausgleich der vorgerichtlichen RVG-Kosten kann der Kläger „nur“ Freistellung verlangen. Die Voraussetzungen, unter denen sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hätte (vgl. hierzu bei (BGH, Urteil vom 13.01.2004, Az.: XI ZR 355/02, Rz.: 16, zit. n. juris, abgedruckt in NJW 2004, 1868 m.w.N.), hat die Klägerin nicht vorgetragen. Der Freistellungsanspruch war als minus im Leistungsantrag enthalten (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., § 308 Rn. 4 m.w.N.).
6.
Für die Ansprüche des Klägers haften die Beklagten als Gesamtschuldner, § 421 BGB.
II.
Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
Die geltend gemachten Verzugszinsen auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten waren nicht zuzuerkennen, da es sich bei einem Freistellungsanspruch nicht um Geldschulden iSd § 288 BGB handelt (OLG Stuttgart, Urteil vom 04.10.2010, Az.: 5 U 60/10, Rz.: 92, zit. n. juris, abgedruckt in NJW-RR 2011, 239; Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 288 Rn. 6). Dies zeigt sich auch in der Wertung im Vollstreckungsrecht, nach der Freistellungsansprüche von Geldforderungen nicht als nach § 803 ff. ZPO zu vollstreckende Geldschulden zu behandeln sind, sondern vielmehr als nach §§ 887 ff. ZPO zu vollstreckende Handlungen (Handkommentar-ZV/Kindl, 3. Aufl., § 803 Rn. 5; Zöller/Stöber, ZPO, 32. Aufl., Vor § 803 Rn. 5). Nur wenn der Anspruchsgegenstand Geld ist, entgeht dem Gläubiger mit dem Verzug die dem Geld eigentümliche Möglichkeit der verzinslichen Anlage; dies sei bei anderen Verpflichtungen, die nur mittelbar die Verschaffung von Geld zum Gegenstand haben, nicht der Fall (Münchener Kommentar zum BGB/Ernst, 6. Aufl., § 288 Rn. 12a).
III.
Soweit die Nebenforderung (Zinsen auf vorg. RVG-Kosten) teilweise abgewiesen worden ist, war ein vorheriger Hinweis auf die Unbegründetheit dieser Position nach § 139 ZPO entbehrlich (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.2011, Az.: I ZR 20/10, Rn. 22 zit. n. juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 21.06.2011, Az.: 5 U 103/10, Rz. 51, zit. n. juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 21.06.2010, Az.: 5 U 51/10, Rz. 48, zit. n. juris; OLG Brandenburg, Urteil vom 22.04.2009, Az.: 3 U 78/04, Rz. 26, zit. n. juris; OLG Schleswig, Urteil vom 12.08.2004, Az.: 7 U 10/04, Rz. 21, zit. n. juris; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 139 Rn. 8; Musielak/Stadler, ZPO, 11. Aufl., § 139 Rn. 20; Beck’scher Online Kommentar zur ZPO/Vorwerk/Wolf, Edition 12, § 139 Rn. 37).
IV.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 91 a, 709 ZPO.
Hinsichtlich einer Teilforderung lag eine übereinstimmende Teilerledigung des Rechtsstreits iSd § 91a ZPO vor. Soweit die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, war dieser Anteil der Kosten des Antrages dem Grunde nach den Beklagten aufzuerlegen. Es entspricht regelmäßig der Billigkeit, die Kosten der Partei aufzuerlegen, die sie ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses nach den allgemeinen kostenrechtlichen Bestimmungen der Zivilprozessordnung voraussichtlich zu tragen gehabt hätte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des bisherigen Sach- und Streitstandes ist der Moment der Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien (vgl. Musielak/Voit/Flockenhaus, 17. Aufl. 2020, ZPO § 91a, Rn. 22 f.). Da die Beklagten vollumfänglich für die unfallbedingten Schäden des Klägers haften, bestand dem Grunde nach insoweit auch ein Anspruch auf Ersatz der Schäden. Da die Teilzahlungen vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung erfolgt sind, hätte der Kläger durch eine zeitige Teilerledigungserklärung vor dem Termin den für die Terminsgebühr maßgeblichen Streitwert reduzieren können. Dass der Kläger dies nicht getan hat, war im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 91a ZPO ebenfalls zu berücksichtigen. Aus Treu und Glauben die Verpflichtung für jede Prozesspartei, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (BGH, Beschluss vom 31. August 2010 – X ZB 3/09 –, Rn. 10, juris). Als Streitwert für die Terminsgebühr wäre „nur“ noch die offene Hauptforderung maßgeblich gewesen (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2020 – II ZR 395/18 –, Rn. 2, juris). Da der Kläger die Möglichkeit der Kostenreduktion nicht genutzt hat, entspricht es der Billigkeit iSd § 91a ZPO ihn, wie erfolgt, anteilig an den Kosten des Rechtsstreits zu beteiligen.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant
- Verkehrsrecht und die Straßenverkehrsordnung (StVO)
Die Hauptquelle der rechtlichen Streitigkeiten in diesem Fall stammt aus dem Verkehrsrecht, insbesondere im Zusammenhang mit der Anwendung der Straßenverkehrsordnung (StVO). Dieser Fall beschäftigt sich mit einem Verkehrsunfall, der beim Ausparken auf einem Parkplatz auftrat. Es ist besonders wichtig, das Verhalten der beiden Fahrer im Rahmen der StVO zu beurteilen. Besonders relevant ist hier § 1 StVO, der allgemeine Verhaltensregeln für Teilnehmer im Straßenverkehr festlegt, insbesondere das Gebot der Rücksichtnahme. Hierbei geht es um die Frage, ob die beteiligten Fahrer beim Ein- und Ausparken die gebotene Sorgfalt beachtet haben.
- Zivilrecht und Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Der Zivilrechtliche Aspekt des Falles bezieht sich auf die Forderungen des Klägers, die sich aus dem durch den Unfall verursachten Schaden ergeben. Gemäß § 823 BGB hat eine Person, die vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Die geforderten Beträge und die Zinsen beziehen sich wahrscheinlich auf den durch den Unfall verursachten Schaden (§ 249 BGB).
- Versicherungsrecht
Das Versicherungsrecht kommt ins Spiel, da es im Falle eines Verkehrsunfalls üblich ist, dass die Kfz-Haftpflichtversicherung des Verursachers für den Schaden aufkommt. Die Bedeutung dieses Rechtsgebiets ergibt sich aus der Tatsache, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt wurden, den Kläger gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen. Das hängt wahrscheinlich mit der Versicherungspflicht im Kfz-Bereich zusammen und der Pflicht des Versicherers, den Schaden zu regulieren und dabei auch die Kosten für die Rechtsverfolgung des Geschädigten zu übernehmen.
- Prozessrecht und Zivilprozessordnung (ZPO)
Im Urteil wird mehrfach auf die Zivilprozessordnung (ZPO) verwiesen. Insbesondere geht es um die Frage der Kostenverteilung im Prozess. § 91a ZPO erlaubt dem Gericht, bei einer teilweisen Erledigung der Hauptsache eine Entscheidung über die Kosten nach billigem Ermessen zu treffen. Darüber hinaus wird in Bezug auf die verzögerte Teilerledigungserklärung des Klägers eine Pflicht zur Kostenminimierung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Verbindung mit dem Prozessrecht hergeleitet.