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Verkehrsunfall auf Feldweg bei Linksabbieger mit überholendem Kraftfahrzeug

Der ungewöhnliche Verkehrsunfall: Verletzung von Sorgfaltspflichten und Schmerzensgeldansprüche

Bei diesem Verkehrsunfallfall auf einem befahrbaren Wirtschaftsweg handelt es sich um eine ungewöhnliche Situation, in der eine Abbiegeaktion und ein Überholmanöver auf einem Feldweg aufeinandertreffen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Frage, ob die höchste Sorgfaltspflicht des Linksabbiegers gemäß § 9 Abs. 5 StVO verletzt wurde und welche rechtlichen Folgen sich daraus ergeben.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 14 U 13/18 >>>

Sorgfaltspflichten und Verantwortung im Straßenverkehr

Laut dem Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts besteht eine besondere, höchste Sorgfaltspflicht für Abbieger. Wer diese Pflichten missachtet und durch eine verkehrswidrige Abbiegeaktion einen Unfall verursacht, haftet grundsätzlich allein für den entstandenen Schaden. Im konkreten Fall kollidierte einLinksabbieger mit einem überholenden Fahrzeug, was zu erheblichen Schäden und Verletzungen führte. Der BGH hat in einem Urteil vom 25. März 1969 entschieden, dass dem Überholenden in solchen Fällen keine Betriebsgefahr seines Fahrzeugs angerechnet wird.

Schmerzensgeldansprüche und deren Berechnung

Im vorliegenden Fall wurde den beiden Zeuginnen FF und GG Schmerzensgeld zugesprochen, und zwar in Höhe von 300,- EUR bzw. 200,- EUR. Die Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt verschiedene Faktoren wie Art und Dauer der Verletzungen sowie das Ausmaß der Lebensbeeinträchtigung. Bei der Berechnung der Höhe des Schmerzensgeldes spielten in diesem Fall die Beschwerden der Zeuginnen eine entscheidende Rolle.

Beweisschwierigkeiten bei Beschwerden ohne objektivierbare Befunde

Die Zeuginnen klagten über Beschwerden infolge einer HWS-Distorsion, einer Verletzung der Halswirbelsäule, für die es oft keine objektivierbaren Befunde gibt. Die Beklagten argumentierten, dass der Zeitablauf zwischen Unfall und Arztbesuch gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben spricht. Das Gericht hielt jedoch fest, dass die Zeuginnen erst einen Arzt aufsuchten, als die Beschwerden nicht nachließen, was plausibel erscheint.

Abschließende Bewertung des Gerichts

Abschließend urteilte das Gericht, dass das Verhalten der Zeuginnen, ihren Schmerzensgeldanspruch nicht vorprozessual geltend zu machen, ihrer Glaubwürdigkeit nicht entgegensteht. Sie verschafften sich dadurch keinen unbilligen Vorteil. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass auch ein Unfall mit geringer kollisionsbedingter Geschwindigkeitsänderung („Harmlosigkeitsgrenze“) ursächlich für eine HWS-Verletzung sein kann. Der Senat folgte damit der BGH-Rechtsprechung, dass es für die Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO auf die behaupteten Beschwerden ankommt.


Das vorliegende Urteil

OLG Oldenburg – Az.: 14 U 13/18 – Urteil vom 30.07.2020

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.01.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Oldenburg, Aktenzeichen: 1 O 1465/17, unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,

a) an den Kläger 3.880,- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.07.2016 sowie weitere 500,- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.07.2017 zu zahlen;

b) an die Rechtsanwälte EE, Ort3, vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 808,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.07.2017 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 15 % und die Beklagten 85 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Verkehrsunfall auf Feldweg bei Linksabbieger mit überholendem Kraftfahrzeug
Ungewöhnlicher Verkehrsunfall beleuchtet die Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr und die Berechnung von Schmerzensgeldansprüchen – ein sorgfältiger Blick auf rechtliche und medizinische Nuancen (Symbolfoto: Nickolya /Shutterstock.com)

Der Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus abgetretenem Recht wegen eines Verkehrsunfalls vom TT.MM.2015 in Ort4.

Die Ehefrau des Klägers, die Zeugin FF, befuhr mit einem Pkw1 die Straße1. Vor ihr fuhr der Beklagte zu 1) mit seinem Oldtimer, einem Pkw2, Baujahr 1956, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war. Der Pkw2 verfügt über keinen vom Brems- bzw. Rücklicht getrennten Blinker. Bei Betätigung der Fahrtrichtungsanzeige blinkt stattdessen das Bremslicht einseitig und an der B-Säule fährt seitlich ein Winker aus.

Der Beklagte zu 1) beabsichtigte, auf einen nach links abzweigenden Feldweg abzubiegen, der mit einer durchgezogenen Linie (Zeichen 295) von der Fahrbahn der Straße1 getrennt und kurz nach der Einmündung mit einem Gatter abgesperrt ist. Bei dem Versuch der Zeugin FF, den Beklagten zu 1) zu überholen, kam es zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge.

Die Zeuginnen FF und GG, Schwiegermutter des Klägers und Beifahrerin im Klägerfahrzeug traten mit Erklärungen vom 10.08.2016 und vom 20.06.2017 ihre Ansprüche aus dem Unfall vom TT.MM.2015 an den Kläger ab. Die Beklagte zu 2) nahm eine Regulierung der geltend gemachten Schäden in Höhe von 2.675,50 EUR vor.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe sich langsam fahrend deutlich am rechten Fahrbahnrand orientiert. Die Zeugin FF habe daher gedacht, dass dieser nach rechts in die Straße2 habe abbiegen wollen. Sie habe daher den linken Blinker gesetzt und zum Überholvorgang angesetzt. Der Beklagte zu 1) sei sodann plötzlich, unangekündigt und ohne den Blinker nach links zu setzen nach links in Richtung des abgesperrten Feldwegs abgebogen.

Auf der Grundlage einer konkreten Schadensberechnung hat der Kläger den materiellen Schaden inklusive Nutzungsentschädigung, Sachverständigenkosten und Unkostenpauschale auf 9.359,52 EUR beziffert. Hiervon hat er im Wege der Teilklage – nach Abzug bereits gezahlter 2.675,50 EUR – weitere 3.880,- EUR (insgesamt 70 Prozent des behaupteten Gesamtschadens) geltend gemacht.

Weiter hat er Schmerzensgeld aus abgetretenem Recht begehrt und behauptet, die Zeugin FF habe infolge des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls u.a. eine Distorsion der Hals- bzw. Lendenwirbelsäule und die Zeugin GG eine Lendenwirbelsäulendistorsion erlitten. Er hat die Auffassung vertreten, für die Unfallfolgen bei der Zeugin FF sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.200 EUR und für die Unfallfolgen bei der Zeugin GG ein Schmerzensgeld von 500,- EUR angemessen. Hiervon hat er im Wege der Teilklage jeweils 70 Prozent, nämlich 840,- EUR und 350,- EUR, begehrt.

Die Beklagten haben behauptet, der Beklagte zu 1) habe bereits 150 m vor der Unfallstelle seine Geschwindigkeit deutlich reduziert, den Blinker nach links gesetzt und sich zur Straßenmitte hin eingeordnet, um sodann auf der Höhe Straße1/Straße2 links in den Feldweg einzubiegen. Er habe beim Setzen des Blinkers, beim Einordnen und vor dem Abbiegevorgang jeweils nach hinten geschaut. Die Kollision habe sich ereignet, als er sich bereits im Abbiegevorgang und auf der Gegenfahrbahn befunden habe. Die geltend gemachten Reparaturkosten würden den Zeitwert des Fahrzeugs von ca. 4.750,- EUR deutlich überschreiten. Es sei auch nicht nachvollziehbar, ob die geltend gemachten Reparaturen allein auf den Unfall zurückzuführen seien. Ein Nutzungsausfall von 31 Tagen sei nicht nachvollziehbar. Aufgrund des Fahrzeugalters (Erstzulassung: 12.10.2005, Laufleistung: 223.380 km) sei das Fahrzeug nicht in die Gruppe E der Schwacke-Liste, sondern allenfalls in die Gruppe C einzuordnen. Zu Nutzungswillen und Nutzungsmöglichkeit sei nicht hinreichend vorgetragen worden.

Die Beklagten haben behauptet, bei der gegebenen Aufprallgeschwindigkeit und dem Aufprallwinkel könne es zu den von dem Kläger behaupteten Verletzungen nicht gekommen sein.

Das Landgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen, der Anträge und der weiteren Entscheidungsgründe verwiesen wird, abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der Beklagte zu 1) alle nach § 9 StVO zu beachtenden Sorgfaltspflichten eingehalten, während die Zeugin FF das Beklagtenfahrzeug unter Verletzung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO in einer unklaren Verkehrslage überholt habe.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Das Landgericht habe verkannt, dass die Einmündung des Feldwegs, in den der Beklagte zu 1) habe abbiegen wollen, als Grundstück im Sinne des § 9 Abs. 5 StVO zu qualifizieren sei. Aus dieser Norm ergäben sich qualifizierte Sorgfaltspflichten und ein Anscheinsbeweis für ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 1). Der Entlastungsbeweis sei den Beklagten nicht gelungen, da die Aussagen der Zeuginnen HH und JJ nicht glaubhaft seien. Jedenfalls sei mithilfe der Zeugenaussagen die Rechtzeitigkeit des Blinkens des Beklagten zu 1) nicht bewiesen. Für die weiteren Berufungsgründe wird auf die Berufungsbegründung vom 21.02.2018 verwiesen.

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Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Beklagten – im Wege einer Teilklage – als Gesamtschuldner zu verurteilen,

1. an ihn einen Teilbetrag in Höhe von 3.880,- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 12.07.2016 zu zahlen;

2. ihm ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe im Ermessen des Gerichts liegt, den Betrag in Höhe von 840,- EUR jedoch nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. ihm ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe im Ermessen des Gerichts liegt, den Betrag in Höhe von 350,- EUR jedoch nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

4. an die Rechtsanwälte EE, Ort3, vorgerichtlich entstandene Anwaltskosten in Höhe von 958,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Urteils als richtig.

Der Senat hat den Beklagten zu 1) persönlich angehört sowie Beweis erhoben durch erneute Vernehmung der erstinstanzlich vernommenen Zeugen, Inaugenscheinnahme des Beklagtenfahrzeugs, Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. Dr. KK sowie eines weiteren Gutachtens zur Schadenshöhe des Sachverständigen Dipl.-Ing. LL.

II.

A. Die zulässige Berufung hat in der Sache weitgehend Erfolg.

1. Der Kläger hat aus § 7 Abs. 1 S. 1, 17 StVG, 115 VVG i.V.m. § 398 BGB einen Anspruch auf Ersatz der Sachschäden in Höhe von jedenfalls 3.880,- EUR (§ 308 ZPO), sowie auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 500,- EUR.

a. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Hinsichtlich der Sachschäden kann dahinstehen, ob der Kläger sein Miteigentum an dem Pkw1 belegt hat. Seine Aktivlegitimation folgt jedenfalls aus abgetretenem Recht. Da die Zeugin FF zum Unfallzeitpunkt Fahrerin des Fahrzeugs war, greift zu ihren Gunsten die aus ihrem Besitz resultierende Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 BGB. Mit Erklärung vom 10.08.2016 (Anlage K 11) hat sie ihre Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall gegen die Beklagten gem. § 398 BGB an den Kläger abgetreten. Die Abtretung erfasst inhaltlich sowohl Schadensersatz- als auch Schmerzensgeldansprüche.

Hinsichtlich der Schmerzensgeldansprüche der Zeugin GG folgt die Aktivlegitimation des Klägers aus deren Abtretungserklärung vom 20.06.2017 (Anlage K 13).

Zweifel an der Wirksamkeit der Abtretungen wegen Verstoßes gegen § 242 BGB bestehen nicht; insbesondere hängt die Wirksamkeit einer Abtretung nicht von der Darlegung berechtigter Abtretungsmotive ab. Auf die Voraussetzung einer gewillkürten Prozessstandschaft kommt es nicht an, da der Kläger die Hauptforderungen als Zessionar und damit eigene Ansprüche in eigenem Namen geltend macht.

b. Da die Einzelheiten des streitigen Unfallgeschehens – wie noch darzulegen sein wird –  nicht zur sicheren Überzeugung des Senats festgestellt werden konnten, kann sich keine Partei auf eine Unabwendbarkeit des Unfalls i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG berufen. Damit hängt die Haftungsquote gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung sind nur solche Umstände zu berücksichtigen, die unstreitig oder erwiesen sind und die für den Schaden kausal waren.  Beweisbelastet für haftungserhöhende Umstände ist derjenige, zu dessen Gunsten sich diese Umstände auswirken. Im Einzelnen:

aa. Zulasten der Beklagten ist eine Verletzung der Sorgfaltspflichten des Beklagten zu 1) aus § 9 Abs. 1 und Abs. 5 StVO zu berücksichtigen.

(1) Nach § 9 Abs. 1 StVO muss derjenige, der abbiegen will, dies rechtzeitig und deutlich mithilfe der Fahrtrichtungsanzeiger ankündigen (S. 1). Linksabbieger haben sich rechtzeitig zur Mitte der Fahrbahn einzuordnen (S. 2 Hs. 2). Vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen muss der Abbiegende auf den nachfolgenden Verkehr achten, sog. doppelte Rückschaupflicht (S. 4). Wer in ein Grundstück abbiegen will, muss sich nach § 9 Abs. 5 StVO so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Die Einmündung des Feldwegs, in den der Beklagte zu 1) einbiegen wollte, ist als Grundstück i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO anzusehen. Denn der Begriff „Grundstück“ umfasst alle nicht für den öffentlichen Verkehr bestimmten Grundflächen (BHHJ/Burmann, 25. Aufl. 2018, StVO § 9 Rn. 53b); maßgebend ist, ob das Fahrzeug den fließenden Verkehr verlässt (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 45. Aufl., § 9 Rn. 45). Der streitgegenständliche Feldweg ist nicht dem öffentlichen Straßenverkehr gewidmet, weil er kurz nach der Einmündung durch ein Gatter abgesperrt ist. Mit dem Einbiegen in diesen Einmündungsbereich wollte der Beklagte zu 1) den fließenden Verkehr verlassen.

Nichts Anderes folgt aus dem von den Beklagten zitierten Urteil des OLG Nürnberg, DAR 2001, 170, wonach ein Feldweg kein Grundstück darstelle. Diesem Urteil lag nämlich – anders als dem vorliegenden Rechtsstreit – ein Abbiegevorgang in einen faktisch befahrbaren Feldweg zugrunde. Dasselbe gilt für die von den Beklagten zitierte Entscheidung des OLG Frankfurt, Urteil vom 19.03.2015, Az. 22 U 225/13. Dort ging es um einen (befahrbaren, nicht abgesperrten) Wirtschaftsweg.

(2) Kommt es wie hier in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen dem Abbiegenden und dem folgenden Verkehr zu einer Kollision, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Unfall auf einer Verletzung der für den Abbiegenden gemäß § 9 Abs. 5 StVO geltenden höchsten Sorgfaltsanforderungen beruht (stRspr., Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 12. März 2015 – 4 U 187/13 –, Rn. 36, juris;  OLG München, Urteil vom 23.1.2015 – 10 U 299/14 = NJW 2015, 1892 [1893]; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 28. Oktober 2016 – 7 U 152/16 –, Rn. 11, juris; KG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2010 – 12 U 177/09 –, Rn. 16, juris; KG Berlin, Beschluss vom 10. September 2009 – 12 U 216/08 –, Rn. 23, juris; KG Berlin, Beschluss vom 13. August 2009 – 12 U 223/08 –, Rn. 4, juris; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 26. Aufl. 2020, StVO § 9 Rn. 55a).

(3) Den Beklagten ist es nicht gelungen, den gegen den Beklagten zu 1) sprechenden Anschein zu erschüttern oder zu widerlegen.

Der Senat war wegen der im Hinweisschreiben des damaligen Berichterstatters vom 26. März 2018 unter Ziff. 2 genannten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der landgerichtlichen Tatsachenfeststellungen begründen, nicht gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellungen des Landgerichts gebunden.

Im Rahmen der erneuten Beweisaufnahme vermochte sich der Senat nicht mit der nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Gewissheit davon überzeugen, dass der Beklagte zu 1) rechtzeitig – also vor Einleitung des Überholvorgangs durch die Zeugin AA – den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hat oder dass er sich rechtzeitig mittig eingeordnet hat. Zwar haben die Zeuginnen JJ und HH bekundet, der Beklagte zu 1) habe links geblinkt. Nicht sicher zu klären war aber, ob der Beklagte zu 1) den Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig, nämlich vor Einleitung des Überholvorgangs durch die Zeugin AA betätigt hat. Die Zeugin JJ hat angegeben, das Beklagtenfahrzeug habe sich zum Zeitpunkt des Blinkens ca. 100 m vor der Unfallstelle befunden. Zugleich hat sie eingeräumt, sie könne hinsichtlich der Entfernung keine sicheren Angaben machen; sicher sei sie sich nur, dass der Beklagte zu 1) überhaupt den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt habe. Zur Position des klägerischen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Blinkens konnte sie nichts sagen, weil sie den Pkw1 nach eigenen Angaben vor der Kollision nicht gesehen hatte. Ob sie sich zur Sicht auf den Winker, den sie gesehen haben will, habe nach vorn beugen müssen, konnte sie nicht erinnern.

Auch die Zeugin HH konnte nicht sagen, welcher Zeitraum zwischen dem Blinken des Beklagtenfahrzeugs und dem Herannahen des klägerischen Fahrzeugs vergangen war. Sie hatte insbesondere keine sichere Erinnerung daran, wie viele Meter vor dem Unfallort der Beklagte zu blinken begonnen hat. Zwar hat sie zunächst angegeben, sie habe das Blinken ca. 70 bis 80 m vor der Abbiegung wahrgenommen, später hat sie diese Aussage allerdings wieder eingeschränkt und erklärt, sie wisse nicht mehr, wie viele Meter vor dem Unfallort das Beklagtenfahrzeug geblinkt habe. Weiter hat sie angegeben, sie habe zwar das Blinklicht, nicht aber den Winker des Pkw2 gesehen; der Polizistin (der Zeugin MM) gegenüber habe sie den Winker auch – ganz sicher – nicht erwähnt. Dies widerspricht der Aussage der Zeugin MM, wonach die Zeugin HH ihr gegenüber sogar noch Freude über das Herausfahren des Winkers geäußert habe.

Die Zeuginnen FF und GG haben die Frage, ob der Beklagte zu 1) geblinkt habe, verneint. Die Zeugin NN konnte sich an einen ausgefahrenen Winker links oder ein Blinken des Pkw2 nicht erinnern. Die Zeugin MM hat das Unfallgeschehen nicht beobachten können, da sie erst nach der Kollision an der Unfallstelle eintraf.

Selbst wenn man damit das Blinken selbst für bewiesen halten wollte, wäre die Frage der Rechtzeitigkeit des Blinkens mangels diesbezüglich belastbarer Erinnerungen der Zeugen offen.

Die Beklagten haben auch nicht bewiesen, dass sich der Beklagte zu 1) rechtzeitig mittig eingeordnet hat. Die Zeuginnen JJ und HH konnten hierzu keine Angaben machen. Die Zeuginnen FF, GG und auch die nicht am Unfall beteiligte Zeugin NN haben bekundet, der Pkw2 habe sich vor der Kollision (eher) am rechten Fahrbahnrand orientiert.

Weiter haben die Beklagten nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1) seiner doppelten Rückschaupflicht nachgekommen ist:

Die zweite Rückschau muss unmittelbar vor der Einleitung des Abbiegemanövers vorgenommen werden; eine zweite Rückschau erst während des Abbiegens ist regelmäßig verspätet (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, StVO § 9 Rn. 25). Dass der Beklagte dieser Pflicht rechtzeitig nachgekommen ist, hat die Zeugin JJ bereits in erster Instanz ausweislich des Vernehmungsprotokolls vom 14.11.2017 nicht bestätigt. Bei ihrer erneuten Vernehmung vor dem Senat hat sie insoweit lediglich angegeben, ihr Ehemann habe sich nach links umgeschaut; sie konnte sich jedoch nicht erinnern, wie oft und zu welchem Zeitpunkt die Rückschau erfolgte. Sowohl vor dem Landgericht als auch vor dem Senat hat sie erklärt, der Beklagte habe sich nach links umgesehen und gesagt: „Was macht die denn da?“. Dass es nach diesem Ausruf, der nach der erstinstanzlichen Angabe der Zeugin JJ bei seiner zweiten Rückschau erfolgt sein soll, zum Unfall kam, deutet darauf hin, dass der Beklagte zu 1) die zweite Rückschau zu spät vorgenommen hat, nämlich erst zu einem Zeitpunkt, als ein Unfall nicht mehr durch bloßes Zurückstellen des Abbiegens vermieden werden konnte.

Auch das Ergebnis des vom Senat eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dr. Dipl.-Ing. KK erschüttert den gegen die Beklagten sprechenden Anschein nicht. Für die Frage der Vermeidbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 1) hat der gerichtliche Sachverständige zwei Fallgestaltungen betrachtet, wobei er in Fall C 1 davon ausging, dass die Zeugin FF ihren Spurwechsel 40 m bzw. 3 sec vor Kollision beendet hatte und in Fall C 2, dass sie ihn ca. 40 m bzw. 3 sec vor der Kollision erst begonnen hatte. Nur im Fall C 2 sei der Überholvorgang für den Beklagten zu 1) nicht rechtzeitig zu erkennen gewesen. Dass die Zeugin den Überholvorgang erst 40 m bzw. 3 sec vor der Kollision begonnen hatte, ist aber nicht bewiesen. Ob diese zuletzt geschilderte Fahrweise schon deshalb unwahrscheinlich war, weil – so das Ergebnis des vom Kläger vorgelegten Privatgutachtens des Gutachters Dipl.-Phys. OO vom 15.04.2019 – der Überholvorgang dann einem (von niemandem geschilderten) abrupten Ausweichmanöver entsprochen hätte, kann dahinstehen.

Da nicht sicher aufzuklären war, ob der Beklagte zu 1) die Pflichten aus § 9 Abs. 1, Abs. 5 StVO beachtet hat, verbleibt es bei dem gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis.

bb. Ein Fehlverhalten der Zeugin FF, das zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen wäre, haben die Beklagten nicht bewiesen. Insbesondere haben sie keine Umstände bewiesen, die eine unklare Verkehrslage i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO begründet haben.

Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen nicht mit einem ungefährlichen Überholvorgang rechnen darf (BHHJ/Heß, 25. Aufl. 2018, StVO § 5 Rn. 26 m.w.N.), wenn also die Verkehrslage unübersichtlich bzw. ihre Entwicklung nach objektiven Umständen nicht zu beurteilen ist. Eine – hier unstreitige – Geschwindigkeitsreduktion des Vorausfahrenden allein genügt nach ständiger Rechtsprechung nicht, um eine unklare Verkehrslage zu begründen (KG Berlin, Urteil vom 04. Juni 1987 – 12 U 4540/86 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2010 – 12 U 177/09 –, Rn. 28, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 28. Oktober 2016 – 7 U 152/16 –, Rn. 16, juris; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 12.03.2015 – 4 U 187/13 = BeckRS 2015, 8438; OLG Naumburg, Urteil vom 12.12.2008 – 6 U 106/08 = NZV 2009, 227 [228]; KG, Urteil vom 09.09.2002 – 12 U 26/01 = NZV 2002, 567a).

Weitere, über die Geschwindigkeitsreduktion des Beklagtenfahrzeugs hinausgehende Umstände, aus denen die Zeugin FF auf ein linksseitiges Abbiegen des vorausfahrenden Pkw2 hätte schließen müssen, haben die insoweit beweisbelasteten Beklagten – wie bereits dargelegt – nicht bewiesen.

cc. Wegen der besonderen, höchsten Sorgfaltspflichten beim Abbiegen in ein Grundstück i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO haftet derjenige, der verkehrswidrig nach links abbiegt und dabei mit einem ihn ordnungsgemäß überholenden Kraftfahrzeug zusammenstößt, für den entstandenen Schaden grundsätzlich allein, ohne dass dem Überholenden die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs angerechnet wird (BGH, Urteil vom 25. März 1969 – VI ZR 263/67 –, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 12. März 2015 – 4 U 187/13 –, Rn. 51, juris; OLG München, Urteil vom 23. Januar 2015 – 10 U 299/14 –, Rn. 36, juris; OLG Nürnberg, Urteil vom 25. Oktober 2002 – 6 U 2114/02 –, Rn. 10, juris; KG Berlin, Urteil vom 07. Oktober 2002 – 12 U 41/01 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2010 – 12 U 177/09 –, Rn. 22, juris; Gutt, jurisPR-VerkR 13/2014 Anm. 2).

2. a. Der zu ersetzende Fahrzeugschaden beläuft sich auf 7.147,94 EUR.

Nach den nachvollziehbaren und von den Parteien nicht angegriffenen Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. LL in seinem Gutachten vom 11.05.2020 beträgt der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs ca. 7.800,- EUR, sodass die Reparaturkosten diesen Restwert nicht übersteigen und der Kläger auf Reparaturkostenbasis abrechnen kann.

Von der Reparaturkostenrechnung der Kfz-Werkstatt PP in Höhe von 6.530,71 EUR netto sind nach den nachvollziehbaren und von den Parteien nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen Abzüge in Höhe von 240,- EUR netto für Lackierkosten und 200,- EUR netto für Lohnkosten zu machen. Damit beläuft sich der Sachschaden zunächst auf 6.090,71 netto = 7.247,94 brutto. Hiervon ist ein weiterer Abzug in Höhe von 100,- EUR für eine Wertverbesserung durch Mitbeseitigung alter Lack-/Vorschäden gerechtfertigt, sodass 7.147,94 EUR Sachschaden verbleiben.

Den weiteren vom Sachverständigen LL vorgeschlagenen Abzug in Höhe von netto 129,80 EUR und 13,80 EUR für den Radaustausch links nimmt der Senat aus Rechtsgründen nicht vor. Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, man sei in der Werkstatt vermutlich der Auffassung gewesen, der Austausch des rechten Reifens erfordere auch den Austausch des nicht beschädigten Reifens auf der stoßabgewandten Seite. Ob diese Einschätzung richtig ist (was angesichts der ansonsten unterschiedlichen Profiltiefe der Reifen für den Senat plausibel wäre), kann dahinstehen. Da die Werkstatt nicht Erfüllungsgehilfin des Klägers ist, wären etwaigen Fehler durch unsachgemäße Reparatur dem Kläger nicht gem. § 254 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 278 BGB zuzurechnen, sodass die Beklagten auch tatsächlich angefallene vermeidbare Kosten zu erstatten hätten (MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl., 2019 Rn. 395, BGB § 249 Rn. 395).

b. Ferner kann der Kläger eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 1.333,- EUR (= 31 Tage á 43, – EUR) verlangen. Der hypothetische Nutzungswille des privaten Halters bzw. Eigentümers eines Fahrzeuges ist für die Dauer der Reparatur grundsätzlich zu vermuten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2004 – 1 U 177/03 = BeckRS 2006, 1599). Ferner hat die Zeugin FF in erster Instanz nachvollziehbar bekundet, dass ihre sechsköpfige Familie täglich auf den Pkw1 angewiesen war.

Dass die Reparatur vorliegend einen vollen Monat in Anspruch genommen hat (vgl. Schreiben der Werkstatt PP vom 02.12.2015, Anlage K 4), fällt in den Risikobereich des Schädigers.

Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung hat der Kläger nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dipl-Ing. LL, denen der Senat folgt, korrekt mit 43,- EUR pro Tag berechnet (grds. Gruppe G der Schwacke-Liste, altersbedingt um zwei Stufen auf Gruppe E reduziert).

c. Die Kosten für das vorprozessuale Sachverständigengutachten des Sachverständigen KK in Höhe von 224,98 EUR (Anlage K 3) sind als Schadensfeststellungskosten ebenfalls gem. § 249 Abs. 1, 2 BGB ersatzfähig.

d. Die allgemeine Unkostenpauschale ist berechtigt, allerdings nur in Höhe von 25,- EUR.

e. Der materielle Schaden beträgt damit insgesamt 8.730,92 EUR. Abzüglich bereits durch die Beklagte zu 2) erbrachter Leistungen i.H.v.  2.675,50 EUR verbleiben 6.055,42 EUR. Eingeklagt hiervon sind 3.880,- EUR (§ 308 ZPO).

3. Ferner steht dem Kläger das Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) der Zeugin FF in Höhe von 300,- EUR und der Zeugin GG in Höhe von 200,- EUR aus abgetretenem Recht zu; hinsichtlich des weitergehenden Klageantrags hat die Berufung keinen Erfolg.

Die Schmerzensgeldhöhe muss unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblichen Umstände festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzungen stehen; dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2019, § 253 Rn. 15).

a. Für die unfallbedingten Verletzungen der Zeugin FF erscheint die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 300,- € als angemessen.

aa. Die Zeugin FF hat glaubhaft und plausibel geschildert, aufgrund des Unfalls eine Woche Kopfschmerzen erlitten zu haben, die sie mit Schmerzmitteln lindern musste, die aber im Verlauf der Woche abgenommen hätten. Zudem sei sie für eine Woche arbeitsunfähig gewesen. Ihre Schilderungen der Unfallfolgen stimmen mit dem ärztlichen Bericht des Krankenhauses QQ vom 14.07.2015 (Anlage K 9), der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 12.07.2015 (Anlage K 10) sowie dem vorgelegten Rezept für Schmerzmittel vom 12.07.2015 (Anlage K 10) überein.

Der Umstand, dass für die HWS-Distorsion keine objektivierbaren Befunde vorliegen, ist für die behaupteten Beschwerden – senatsbekannt – typisch und widerspricht daher nicht dem geschilderten Beschwerdebild. Der von den Beklagten hervorgehobene Zeitablauf zwischen Unfall und dem Gang zum Arzt spricht ebenfalls nicht gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben; insbesondere ist für den Senat plausibel, dass die Zeugin erst einen Arzt aufgesucht hat, als die Beschwerden nicht nachließen.

Der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage steht auch nicht entgegen, dass sie ihren Schmerzensgeldanspruch vorprozessual nicht geltend gemacht hat. Ein Zurückstellen dieser oft streitigen Position kann zur Förderung einer vergleichsweisen außergerichtlichen Einigung sinnvoll sein und diente, wie die Zeugin FF nachvollziehbar ausgeführt hat, auch dazu, den Streitwert gering zu halten.

Der von den Beklagten betonte Umstand, dass die Zeugin FF erst durch Abtretung ihrer Schmerzensgeldansprüche an den Kläger ihre Zeugeneigenschaft erhalten hat, wurde vom Senat berücksichtigt, steht der Überzeugungsbildung aber ebenfalls nicht entgegen. Sie hat sich durch dieses rechtlich zulässige Verhalten keinen unbilligen Vorteil verschafft, da sie im Falle einer eigenen Klage als Partei gem. § 141 ZPO angehört worden wäre und auf diesem Wege bei identischem Aussageverhalten ebenfalls ihre Verletzungen hätte beweisen können.

Auch das sonstige vorprozessuale und prozessuale Verhalten der Zeugin FF gibt keinen Anlass, an dem Wahrheitsgehalt ihrer Angaben zu zweifeln, oder mehr noch die Rechtsausübung – zumal durch den Kläger –  insgesamt als Rechtsmissbrauch zu bewerten:

Das Erscheinen eines der Zeugin FF bekannten Polizisten am Unfallort hat die Zeugin plausibel damit erklärt, dass sie nach dem Unfall von dem Beklagten zu 1) angeschrien worden sei, weshalb sie eine Bekannte, die zufällig am Unfallort erschienen sei, gebeten habe ihren Ehemann zu rufen, der Polizist gewesen sei.

Die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben wird auch nicht in Frage gestellt durch die Angaben der Zeugin HH, die Zeugin habe sie am Unfallort aufgefordert, (entgegen ihrer Wahrnehmung) auszusagen, der Beklagte zu 1) habe nicht geblinkt. Die Zeugin HH hat diese vermeintliche Aufforderung weder im Rahmen der polizeilichen Unfallaufnahme, noch in erster Instanz geschildert. Sie konnte sich auf Nachfrage auch nicht sicher erinnern, von wem sie diese Aufforderung erhalten habe wollte. Sie wandte sich bei ihrer Vernehmung der Zeugin FF zu, fragte diese, ob die Aufforderung von ihr gekommen sei und erklärte auf deren Verneinen, dann müsse es wohl deren Mutter gewesen sein. Sichere Feststellungen zur versuchten Anstiftung zur Falschaussage, die die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin FF insgesamt erschüttern würden, können hierauf nicht gestützt werden.

Bei der von den Beklagten als „Manipulation“ des Klägers gerügten Einflussnahme der Zeugin FF auf die Beweisaufnahme im Termin vom 12.12.2019 handelte es sich lediglich um ein kurzes Gespräch mit dem Kläger zur Abklärung der an die Zeugin HH zu stellenden Fragen, das – bei unaufgeregter Betrachtung – nicht außergewöhnlich erscheint und daher ebenfalls keinen Einfluss auf die Würdigung ihrer Zeugenaussage hat.

bb. Das von den Beklagten beantragte unfalltechnische Sachverständigengutachten für die Behauptung, bei der gegebenen Anstoßgeschwindigkeit und dem -winkel könne es zu den Verletzungen der Zeuginnen nicht gekommen sein, war nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht einzuholen, weil ein Sachverständiger für Unfallanalyse regelmäßig nicht über die erforderliche medizinische Fachkompetenz verfügt, auf die es für die Frage der Ursächlichkeit des Unfalls für die behaupteten Beschwerden ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 08.07.2008 – VI ZR 274/07 = NZV 2008, 501 [502]). Ferner schließt allein der Umstand, dass sich ein Unfall mit einer geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung („Harmlosigkeitsgrenze“) ereignet hat, die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO von seiner Ursächlichkeit für eine HWS-Verletzung nicht aus (BGH, Urteil vom 28.01.2003 – VI ZR 139/02 = NJW 2003, 1116 [1117]).

cc. Angesichts der für einen Verkehrsunfall eher als milde zu bezeichnenden Verletzungsfolgen der Zeugin, die nur einmalig ambulant behandelt worden ist, und der nur ca. einwöchigen Arbeitsunfähigkeit erscheint dem Senat das beanspruchte Schmerzensgeld von 840,- EUR deutlich übersetzt. Der Senat hat sich bei der Bemessung des ausgeurteilten Betrags an aktuellen Entscheidungen in vergleichbaren Fällen orientiert (Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 38. Aufl. 2020, Lfd. Nr. 26.114; 38.1686; 38.1688; 38.1692).

b. Für die unfallbedingten Verletzungen der Zeugin GG war dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 200,- EUR zuzusprechen. Die Schilderungen ihrer Unfallfolgen waren ebenfalls glaubhaft und entsprechen dem Arztbericht vom 13.07.2015 (Anlage K 12); die Folgen sind jedoch insgesamt etwas milder zu bewerten. Die Höhe des ausgeurteilten Schmerzensgeldes berücksichtigt den Umstand, dass die Zeugin etwa sechs Tage Schmerztabletten einnehmen und einen Orthopäden aufsuchen musste.

4. Weiter kann der Kläger nach Abtretung des Anspruchs auf Freihaltung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten an seine Prozessbevollmächtigten im Wege der zulässigen gewillkürten Prozessstandschaft Zahlung der vorgerichtlichen Kosten an diese begehren (vgl. Althammer in Zöller, 33. Aufl., vor § 50 Rn. 46). Die von den Beklagten in Abrede genommene vorgerichtliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten für den Kläger ist durch Vorlage des Schriftsatzes vom 16.08.2016 nachgewiesen (Anlage K 6). Da vorprozessual noch kein Schmerzensgeldbetrag geltend gemacht wurde, beträgt der zutreffende Gegenstandswert bis zu 9.000,- EUR. Die auf dieser Grundlage berechneten Rechtsanwaltsgebühren (§ 2 RVG i.V.m. Nrn. 2300, 7002, 7008 VV RVG) betragen 808,13 EUR.

5. Der Zinsanspruch folgt hinsichtlich des Klageantrags zu 1) aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB; die Prozesszinsen folgen aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

C. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht vorliegen. Die laut Schriftsatz der Beklagten vom 09.04.2018 klärungsbedürftige Frage, welche Anforderungen von einem Abbiegenden (noch) verlangt werden, wird von § 9 Abs. 1, Abs. 5 StVO beantwortet und ist in der Rechtsprechung geklärt. Die mit Schriftsatz vom 20.12.2019 zitierten Urteile des OLG Nürnberg, DAR 2001, 170 und OLG Frankfurt, Urteil vom 19.03.2015, Az. 22 U 225/13 (zur Qualifikation von Feld- bzw. Wirtschaftswegen als Grundstück i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO) stehen, wie bereits dargelegt, nicht in Widerspruch zur vorliegenden Entscheidung. Dasselbe gilt für die von den Beklagten zitierte Entscheidung des OLG Frankfurt, Urteil vom 11. Januar 2017 – 16 U 116/16 –, juris, zur Alleinhaftung des Linksüberholers, da in dem vom OLG Frankfurt zu entscheidenden Rechtsstreit – anders als vorliegend – ein grob verkehrswidriges Überholen einer Fahrzeugkolonne durch den Linksüberholer festgestellt worden ist.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  1. Verkehrsrecht und insbesondere § 9 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung (StVO): Dieses Rechtsgebiet und speziell diese Norm sind hier von größter Bedeutung, da sie sich mit den Verhaltensregeln für Verkehrsteilnehmer*innen befassen. § 9 Abs. 5 StVO legt besondere Sorgfaltsanforderungen für den abbiegenden Verkehr fest. Im Text wird argumentiert, dass die Kollision aufgrund einer Verletzung dieser Anforderungen durch den abbiegenden Verkehrsteilnehmer stattgefunden hat. Dies zeigt sich in der Rechtsprechung und wird durch mehrere Gerichtsurteile gestützt, die im Text zitiert werden.
  2. Schadensrecht, insbesondere § 253 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Der Text erwähnt einen Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB. Diese Vorschrift des deutschen Zivilrechts besagt, dass bei einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung dem Verletzten für das dadurch verursachte körperliche und seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zusteht. Im Text wird festgestellt, dass den Zeuginnen FF und GG Schmerzensgeld in Höhe von 300,- bzw. 200,- EUR zusteht.
  3. Beweisrecht: Auch das Beweisrecht spielt eine Rolle, da der Text sowohl den Grundsatz des „Anscheinsbeweises“ (die Vermutung, dass eine bestimmte Sache aufgrund des gewöhnlichen Laufs der Dinge oder der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Weise geschehen ist) als auch den konkreten Nachweis (durch Zeugenaussagen, Gutachten etc.) diskutiert. Die Beweislast und deren Umkehr sind hier wichtige Themen.
  4. Zivilprozessrecht: Das Zivilprozessrecht ist ebenfalls relevant, insbesondere im Hinblick auf das Beweisverfahren und die Rolle von Sachverständigengutachten. Im Text wird argumentiert, dass das von den Beklagten beantragte unfalltechnische Sachverständigengutachten nicht einzuholen war, da ein Sachverständiger für Unfallanalyse regelmäßig nicht über die erforderliche medizinische Fachkompetenz verfügt. Hier geht es also um Fragen der Beweiserhebung und -würdigung im Zivilprozess.

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