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Verkehrsunfall – Geltung der 130%-Grenze bei Reparatur mit Gebrauchtteilen

LG Stuttgart – Az.: 5 S 230/11 – Urteil vom 18.07.2012

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.10.2011 – 42 C 5321/10 – wie folgt abgeändert und neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.881,02 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.07.2010 sowie 153,87 € außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.10.2010 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Beklagte zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert der Berufung wird auf 1.876,02 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger und Berufungskläger macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 28.05.2010 geltend, für dessen Folgen die alleinige Haftung der Beklagten – als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs – unstreitig ist.

Bei dem Unfall wurde der PKW Audi A 4 des Klägers erheblich beschädigt. Der Kläger hat daraufhin ein Sachverständigengutachten bezüglich des Schadens an seinem Fahrzeug durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. … eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten Reparaturkosten in Höhe von netto 3.383 €, brutto 4.025,77 € kalkuliert. Ferner hat er einen Wiederbeschaffungswert von 3.300 € brutto und einen Restwert von 300,- € angesetzt. Der Kläger ließ im Folgenden das Fahrzeug unter Verwendung von Gebrauchtteilen reparieren, wofür Kosten in Höhe von 4.276,02 € brutto entstanden sind.

Mit Schreiben vom 23.07.2010 forderte der Kläger die Beklagte zur Begleichung näher bezeichneter Schadensersatzpositionen bis zum 30.07.2010 auf. Die Beklagte hat daraufhin am 02.08.2010 vorgerichtlich auf Totalschadensbasis reguliert und hierbei einen Wiederbeschaffungswert von 3.300 € und einen Restwert von 900,- € angesetzt. Vollständig bezahlt wurden der außergerichtlich geltend gemachte Nutzungsausfallschaden (380,- €), sowie die Kosten für den vom Kläger beauftragten Sachverständigen (667,83 €). Erstattet wurde durch die Beklagte ferner eine Unkostenpauschale in Höhe von 20,- € und zudem außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 392,82 €.

Der Kläger und Berufungskläger ist der Auffassung, die Beklagte sei zum Ersatz der über dem Wiederbeschaffungswert, aber noch innerhalb der 130%-Grenze liegenden Reparaturkosten verpflichtet. Sie habe durch die fachgerechte Reparatur mit Gebrauchtteilen ihr Integritätsinteresse hinreichend bewiesen. Maßgeblich für die Bestimmung der 130%-Grenze sei das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. … .

Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger könne Ersatz der über den Wiederbeschaffungswert hinausgehenden höheren Reparaturaufwendungen nicht ersetzt verlangen. Der vom Kläger angegebene Wiederbeschaffungswert sei zu hoch und die vom Sachverständigen Dipl.-Ing. … angesetzten Reparaturkosten zu niedrig, da dieser unzulässig teilweise mit Gebrauchtteilen kalkuliert habe. Bei Kalkulation mit Neuteilen werde die 130%-Grenze, innerhalb derer ein Ersatz von Reparaturkosten in Betracht komme, überschritten. In dieser Situation sei auf Totalschadensbasis abzurechnen gewesen. Tatsächlich angefallene Kosten einer fachgerechten Reparatur könnten deshalb nur bis zum Wiederbeschaffungswert abgerechnet werden.

Das Amtsgericht hat Beweis erhoben zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes, des Restwertes und der voraussichtlichen Reparaturkosten durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Es hat die Klage bis auf 5,- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2010 abgewiesen. Der Geschädigte habe keinen Anspruch auf Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten. Eine Abrechnung auf sog. Totalschadensbasis sei angezeigt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass eine Kalkulation von Reparaturkosten auf Basis von Neuteilen zu erfolgen habe. Auch eine Reparatur habe nicht mit Gebrauchtteilen, sondern durch Einsatz von Neuteilen zu erfolgen. Dementsprechend könne die für den erstattungsfähigen Schaden zu berücksichtigende 130%-Grenze nicht auf der Grundlage des auf der teilweisen Verwendung von Gebrauchtteilen basierenden Gutachtens des Sachverständigen … bestimmt werden. Vielmehr habe der vom Gericht beauftragte Sachverständige Dipl.- Ing. … bei einer Reparatur mit Neuteilen Gesamtreparaturkosten von 4.452,20 € netto, bzw. 5.298,12 € brutto ermittelt. Ferner habe er einen Wiederbeschaffungswert von 3.300,- € bestätigt. Stelle man den Wiederbeschaffungswert den voraussichtlichen Reparaturkosten gegenüber, betrügen die Reparaturkosten 160 % des Wiederbeschaffungswertes. Dann aber sei nicht gerechtfertigt, dass der Schädiger dem Geschädigten mehr als den für die Beschaffung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges erforderlichen Betrag erstatten müsse. Lasse der Geschädigte in dieser Situation dennoch sein Fahrzeug reparieren, könnten die Reparaturkosten unabhängig von der Qualität der Reparatur nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen und einen vom Geschädigten zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgesparten werden. Ansonsten werde ein Anreiz zu wirtschaftlich unvernünftigen Reparaturen geschaffen, an deren Kosten sich der Schädiger zu beteiligen hätte. Der Kläger habe folglich nur einen Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand, der ausgehend von einem vom Sachverständigen … für zutreffend erachteten Restwert in Höhe von 900 € brutto, dem von der Beklagten bereits regulierten Betrag entspreche. Deshalb bestünde auch kein Anspruch auf Ersatz weiterer außergerichtlicher Anwaltskosten. Allein die Unfallpauschale sei gem. § 287 ZPO auf 25,- € zu schätzen, weshalb das Gericht einen diesbezüglich noch offenen Restbetrag von 5,- € zusprach.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung des Klägers. Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag und verweist darauf, dass der Kläger sein Fahrzeug habe fachgerecht – wenn auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen – repariert habe. Die angefallenen Reparaturkosten würden brutto 4.276,02 € betragen und lägen innerhalb der 130%-Grenze von 4.290 €. Schon die vom Sachverständigen … kalkulierten Reparaturkosten von 4.025,77 € seien unter dieser Grenze gelegen, so dass sich der Kläger auch für die Reparatur seines Fahrzeuges habe entscheiden dürfen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt, unter Abänderung des am 14.10.2011 verkündeten Urteils des Amtsgerichtes Stuttgart, Az.: 42 C 5321/10, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.876,02 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2010 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 153,87 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Reparaturkosten seien stets auf Basis von Neuteilen zu berechnen. Überstiegen hiernach zu veranschlagende Kosten die 130%-Grenze, dürften Reparaturkosten nur ersetzt verlangt werden, wenn sie den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Nicht wesentlich sei, ob das Fahrzeug mit Gebrauchtteilen fachgerecht repariert worden sei. Schließlich könne der Schädiger auch nicht den Geschädigten auf eine (gegebenenfalls kostengünstigere) Reparatur mit Gebrauchtteilen verweisen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob die durchgeführte Reparatur unter Verwendung von Gebrauchtteilen sach- und fachgerecht instandgesetzt worden und in einen Zustand zurückversetzt worden ist, der dem Zustand des Fahrzeugs vor dem Unfallereignis entspricht. Wegen der Angaben des Sachverständigen wird auf das schriftliche Gutachten vom 02.05.2012 (Bl. 324ff. d.A.) verwiesen.

Wegen der weiteren erstinstanzlichen Feststellungen und der Einzelheiten der vom Amtsgericht gegebenen Begründung wird auf das angegriffene Urteil vom 14.10.2011 (Bl. 258ff. d.A.) Bezug genommen.

Für die Einzelheiten des Parteivortrages in zweiter Instanz wird auf die Berufungsbegründung vom 20.11.2011 (Bl. 277ff. d.A.), die Berufungserwiderung vom 04.01.2012 (Bl. 290ff. d.A.), die Stellungnahmen zur Hinweisverfügung der Kammer vom 09.01.2012 (Bl. 301 ff. d.A. und Bl. 308ff. d.A.) sowie die Stellungnahmen zum Gutachten des Sachverständigen … (Bl. 341f. d.A. und Bl. 343 ff. d.A.) Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 23.03.2011 hat der Kläger dem Sachverständigen Dipl.-Ing. … den Streit verkündet. Ein Beitritt fand nicht statt.

Mit dem Beschluss vom 21.06.2012 hat das Gericht das schriftliche Verfahren angeordnet.

II.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie Erfolg.

a) Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz ihres durch den Verkehrsunfall vom 28.05.2010 entstandenen und noch nicht regulierten materiellen Schadens in Höhe von 1.876,02 € aus § 115 Abs. 1 WG t. V. m. §§ 7, 17 StVG.

aa) Die Einstandspflicht der Beklagten für die unfallursächlichen Schäden am klägerischen Fahrzeug ist unstreitig.

bb) Gem. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB sind vom Schädiger nur die Aufwendungen zu ersetzen, die erforderlich sind, d.h. die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen.

Dem Geschädigten, der die Behebung des Schadens an seinem Kraftfahrzeug in eigener Regie vornimmt, stehen dafür regelmäßig zwei Wege zur Verfügung: er kann sein Fahrzeug reparieren lassen oder er kann sich ein (gleichwertiges) Ersatzfahrzeug anschaffen. Beide Wege sind Formen der Naturalrestitution (BGH, Urteil vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90 = NJW 1992, 302, 303). Unter mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten der Naturalrestitution hat der Geschädigte im Hinblick auf § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich diejenige zu wählen, die den geringsten Aufwand erfordert (sog. Wirtschaftlichkeitspostulat; vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2009 – VI ZR 312/08 = NJW 2009, 3713; Urteil vom 05.03.1985 – VI ZR 204/83 = NJW 1985, 2469). Bei der Frage welche Kosten erforderlich sind und welchen Aufwand der Geschädigte deshalb ersetzt verlangen kann, ist daher zunächst das Verhältnis der Reparaturkosten zum Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs zu ermitteln. Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Reparatur des Fahrzeugs das Integritätsinteresse des Geschädigten regelmäßig in stärkerem Maße zu befriedigen vermag als eine Ersatzbeschaffung. Deshalb steht es mit den Grundsätzen des Schadensrechts im Einklang, dass dem Geschädigten, der sich zu einer Reparatur entschließt und diese auch nachweislich durchführt, solche Kosten der Instandsetzung zuerkannt werden, die den Aufwand für eine Ersatzbeschaffung in gewissen Grenzen übersteigen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann der Geschädigte, der nach einem Unfall sein Kraftfahrzeug reparieren lässt und damit sein Interesse an dessen Erhalt bekundet, gemäß § 249 Satz 2 BGB vom Schädiger den zur Instandsetzung erforderlichen Geldbetrag verlangen, sofern sich die Reparaturkosten auf nicht mehr als 130% des Wiederbeschaffungswerts belaufen (BGH, NJW 1992, 302; BGH, NJW 1999, 500). Jedoch kann der Ersatz des Reparaturaufwands bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nur verlangt werden, wenn die Reparatur tatsächlich fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (BGH, Urteil vom 15.11.2011 – VI ZR 30/11 = NJW 2012, 52).

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aaa) Zwischen den Parteien ist vorliegend streitig, ob die Kalkulation des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen zur Grundlage der Abrechnung gemacht werden kann bzw. ob diese für die Vergleichsberechnung der Reparaturkosten im Verhältnis zum Wiederbeschaffungswert herangezogen werden kann. Das Amtsgericht hat die Auffassung vertreten, das vorgerichtliche Sachverständigengutachten sei dazu nicht geeignet, da dieser Kalkulation teilweise die Verwendung von Gebrauchtteilen zugrunde gelegen habe. Es seien die vom gerichtlich bestellten Sachverständigen unter Einbeziehung von Neuteilen errechneten Reparaturkosten von 4.452,20 netto / 5.298,12 brutto im Verhältnis zum Wiederbeschaffungswert von 3.300,- € zugrunde zu legen gewesen, was zu einer Quote von 160 % führe, weshalb der Kläger wegen Überschreitung der für die Zubilligung des Integritätszuschlags maßgeblichen Grenze von 130 % nicht zur Abrechnung der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten berechtigt sei und sich auf die Abrechnung auf Totalschadensbasis (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) verweisen lassen müsse.

bbb) Nach Auffassung der Kammer spricht tatsächlich Einiges dafür, dass aus Gründen der Einheitlichkeit und Rechtssicherheit, sowie zur Vermeidung von manipulativer Einberechnung von Gebrauchtteilen für ein ordnungsgemäßes Schadensgutachten in einem Haftpflichtfall eine Kalkulation auf der Basis von Neuteilen zu verlangen ist. Hiervon ist allerdings die Frage zu trennen, ob auch die konkrete Reparatur nur unter Verwendung von Neuteilen erfolgen darf, um anschließend den Integritätszuschlag geltend machen zu können.

ccc) Selbst wenn man vorliegend das vorgerichtliche Sachverständigengutachten als Berechnungsgrundlage für ungeeignet halten würde, stünde dies der Klagforderung nicht entgegen, da nach Auffassung der Kammer im Ergebnis die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten in Höhe von 4.276,02 € entscheidend sind, die ins Verhältnis zu dem durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen bestätigten Wiederbeschaffungswert von 3.300,- € gesetzt, unter der für die Zubilligung des Integritätszuschlags entscheidenden Grenze von 130 % liegen. Denn die 130%-Grenze wäre bei 4.290,- € erreicht. Maßgeblich auf den Gutachtenwert statt auf die tatsächlichen Reparaturkosten abzustellen würde der Bedeutung der gutachterlichen Schadensschätzung nicht gerecht. Die von einem Schadensgutachter lediglich geschätzten Reparaturkosten können, müssen aber nicht notwendigerweise dem erforderlichen Herstellungsaufwand i.S.v. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB entsprechen. Für die Bestimmung der 130 % – Grenze erachtet daher die Kammer nicht die Schätzung des Gutachters als maßgeblich, vielmehr kommt es darauf an, welchen Betrag der Geschädigte tatsächlich für eine fachgerechte Reparatur aufwenden musste. Dieser Vorrang ergibt sich schon daraus, dass typischerweise erst im Zuge der Durchführung einer Reparatur anschließend beurteilt werden kann, welche Maßnahmen für eine fachgerechte Instandsetzung des Fahrzeugs erforderlich sind (vgl. entsprechend OLG Frankfurt, BeckRS 2008, 15877; OLG Dresden NZV 2001, 346/347; OLG Düsseldorf NZV 2011, 475/475).

ddd) Entgegen der vom Amtsgericht in der angegriffenen Entscheidung vertretenen Auffassung steht der Geltendmachung des Integritätszuschlags vorliegend auch die Durchführung der Instandsetzung zum Teil mit Gebrauchtteilen nicht entgegen. Eine Durchführung der Fahrzeugreparatur ausschließlich mit Neuteilen erachtet die Kammer nicht als zwingend. Sofern die Instandsetzung im Ergebnis als sach- und fachgerecht zu beurteilen ist, können dazu auch Gebrauchtteile eingesetzt werden.

Nach dem Grundsatz der Naturalrestitution ist dem Geschädigten der Zustand herzustellen, der vor dem Unfall vorhanden war. Bei einem gebrauchten Fahrzeug bedeutet das, dass der Geschädigte im Ergebnis einen Anspruch auf Wiederherstellung des vor dem Unfallgeschehen bestehenden (gebrauchten) Zustandes hat. Solange somit der Geschädigte die Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Fahrzeugzustandes unter Verwendung von Gebrauchtteilen, die den geschädigten Fahrzeugteilen gleichzusetzen sind, erreicht und das Reparaturergebnis als sach- und fachgerecht zu beurteilen ist, hat der Geschädigte anders als etwa bei einer Teilreparatur sein schützenwertes Integritätsinteresse ausreichend dargetan und kann entsprechend den Integritätszuschlag berechnen (vgl. auch OLG Frankfurt, BeckRS 2008, 15877). Der für den Kläger gewohnte und von ihm gewünschte Zustand des Kraftfahrzeugs wird auch bei sach- und fachgerechter Reparatur unter teilweiser Verwendung von Gebrauchtteilen wiederhergestellt. Er kann das ihm bekannte und ihm vertraute Fahrzeug in einer der Situation vor dem Unfall entsprechenden Weise weiternutzen und beweist anders als bei einer lediglich die Fahrbereitschaft wiederherstellenden Reparatur nicht nur sein Mobilitäts-, sondern auch sein Integritätsinteresse, welchem die 130%-Rechtsprechung gerade Rechnung tragen soll (vgl. BGH, Urteil vom 15.2.2005 – VI ZR 70/04 = NJW 2005, 1108, 1109). Dass es, wie die Beklagte argumentiert, bei alten Fahrzeugen mit hoher Laufleistung unter Umständen keiner großen technischen Aufwendungen bedarf, um das Fahrzeug wieder in einen dem Zustand vor dem Unfall vergleichbaren Zustand zu versetzen, ändert hieran nichts. Denn in den beschriebenen Fällen wird regelmäßig auch der Wiederbeschaffungswert deutlich geringer sein, so dass nicht jedes Verhältnis aufgegeben wird. Einen entsprechenden Einsatz von Gebrauchtteilen für zulässig zu erachten steht schließlich auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (vgl. zuletzt Urteil vom 14.12.2010, VI ZR 231/09).

eee) Soweit das Amtsgericht ausgeführt hat, die vorstehende Entscheidung des BGH treffe den vorliegenden Fall nicht, da die Abrechnung auf Grundlage der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten bei vom Sachverständigen zuvor veranschlagter Überschreitung der 130%-Grenze nur für den Fall für zulässig angesehen worden sei, dass die angefallenen Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, vermag die Kammer der BGH-Entscheidung eine solche grundsätzliche Einschränkung nicht zu entnehmen. Es trifft zwar zu, dass der Entscheidung ein entsprechender Fall zugrunde lag. Insoweit hat der BGH ausgeführt „… im Streitfall übersteigen die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten … den vom vorgerichtlichen Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswert nicht. Jedenfalls unter solchen Umständen, bei denen zwar die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über der 130% Grenze liegen, es dem Geschädigten aber – auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen – gelungen ist, eine …. fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, kann ihm aus dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden….. „. Die Kammer ist hier der Auffassung – auch angesichts des Umstandes, dass der BGH im Übrigen bei fachgerechter Reparatur stets ein Integritätsinteresse von bis zu 130% vom Wiederbeschaffungswert zubilligt und er diese grundsätzliche 130%-Grenze auch in seiner Entscheidung vom 14.10.2010 bestätigt hat-, dass kein Grund für eine Einschränkung dieser Grenze in der vorliegenden Konstellation besteht. In Konstellationen, in denen die gutachterliche Schätzung zu einer Überschreitung des Wiederbeschaffungswertes von mehr als 130 % gelangt, es dem Geschädigten aber gelingt eine Reparatur – auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen – mit einem Kostenaufwand, der zwischen 100 % und 130 % des Wiederbeschaffungswertes liegt, durchzuführen, ist folglich der Integritätszuschlag geschuldet (vgl. auch OLG Dresden NZV 2001, 346/347; OLG Düsseldorf NZV 2001, 475; OLG Oldenburg NZV 2000, 469; LG Dresden, NJOZ 2006, 4200; LG Duisburg, Urteil vom 11.01.2008 – 7 S 291/06).

fff) Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es dem insoweit beweisbelasteten Geschädigten gelingt, nachzuweisen, dass die durchgeführte Reparatur – auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen – sach- und fachgerecht erfolgt ist (vgl. LG Duisburg, Urteil vom 11.01.2008 – 7 S 291/06), was voraussetzt, dass das Fahrzeug in allen wesentlichen Punkten instand gesetzt worden ist und es keine nennenswerten Beanstandungen hinsichtlich des Reparaturergebnisses gibt. Das Fahrzeug muss in seinen Hauptfunktionen sowie hinsichtlich Betriebs- und Verkehrssicherheit dem Zustand vor dem Unfallereignis entsprechen (OLG Düsseldorf, NZV 2001, 475; OLG Oldenburg, NZV 2000, 469; OLG München, NJW 2010, 1462).

ggg) Dies ist bei der vorliegenden Reparatur der Fall. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Reparatur des klägerischen Fahrzeugs sach- und fachgerecht sowie in einem Umfang ausgeführt wurde, den der Sachverständige … zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Der Sachverständige … hat nach eingehender Besichtigung des Fahrzeugs überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass das klägerische Fahrzeug durch die Reparatur in einen Zustand versetzt wurde, welcher mindestens dem vor dem Unfall zu erwartenden Zustand entspricht. Wie der Sachverständige weiter ausgeführt hat, erfolgte die Reparatur des klägerischen Fahrzeugs unter der Verwendung von Neu- und Gebrauchtteilen. Die Gebrauchtteile sind unbeschädigt und weisen einen guten Erhaltungszustand auf. Die Reparaturteile weisen im Hinblick auf Alter und Laufleistung des Fahrzeugs sogar durchweg einen besseren Erhaltungszustand auf, als dies bei vorliegendem Fahrzeugalter von 14 Jahren und zurückgelegter Laufleistung von 205.185 km erwartet werden kann. Es sind am klägerischen Fahrzeug keine Unfallrestspuren oder Spuren einer unsachgemäßen Reparatur verblieben. Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) … bestehen nicht. Die Ausführungen des Sachverständigen oder dessen Sachkunde wurden von der Beklagten auch nicht angegriffen.

dd) Folglich kann der Kläger im vorliegenden Fall Erstattung der über den Wiederbeschaffungswert hinausgehenden, tatsächlich angefallenen Reparaturkosten von 4.276,02 € brutto verlangen. Da die Beklagte außergerichtlich lediglich 2.400 € auf den Fahrzeugschaden bezahlt hat – somit insoweit noch eine Restforderung von 1.876.02 € besteht -, war das angefochtene Urteil diesbezüglich antragsgemäß abzuändern.

b) Bei den im Rahmen der Unfallschadensregulierung angefallenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von 5.348,85 € (insgesamt 546,69 €) handelt es sich um einen adäquaten Unfallschaden, den der Kläger für erforderlich halten durfte. Auf die insoweit bestehende Forderung des Klägers wurden seitens der Beklagten bereits 392,82 € geleistet. Es verbleibt somit eine noch offene Restforderung in Höhe von 153,87 €, weshalb das Urteil des Amtsgerichts auch diesbezüglich antragsgemäß abzuändern war.

c) Die Entscheidung über die Zinsen folgt im Hinblick auf noch zu erstattenden Reparaturkosten aus §§ 286, 288 BGB, da die Beklagte sich aufgrund des Schreibens des Klägervertreters vom 23.07.2010 seit 31.07.2010 mit der Zahlung in Verzug befand. Ein weitergehender Zinsanspruch (ab 31.03.2010) wurde nicht schlüssig dargelegt.

Hinsichtlich der noch zu zahlenden außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt die Zinsentscheidung aus § 291 BGB.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Reparaturkosten, die zwar den Wiederbeschaffungswert übersteigen, aber nicht die 130%-Grenze, weil eine Reparatur nicht wie vom Gutachten kalkuliert mit Neuteilen, sondern unter Verwendung von Gebrauchtteilen erfolgt ist, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten (vgl. etwa LG Koblenz, Urteil vom 04.07.2007 – 12 S 65/07).

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