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Verkehrsunfall – Harmlosigkeitsgrenze bei HWS-Verletzung

AG Rosenheim – Az.: 15 C 422/10 – Urteil vom 04.09.2012

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 28,16 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 26.11.2008 zu bezahlen sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,– Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 30.06.2010 sowie weitere 120,67 Euro an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Beklagten gesamtschuldnerisch 80 %, der Kläger 20%.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Hier streitgegenständlich sind Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche der Klägerin beruhend auf einer von ihr behaupteten HWS-Verletzung.

Am 28.10.2008 gegen 17.00 Uhr befuhr die Klägerin mit ihrem Pkw die B.strasse in K. und wollte nach links in das Anwesen B.strasse 30 einbiegen. Wegen des Gegenverkehrs musste die Klägerin mit eingeschaltetem linken Fahrtrichtungsanzeiger anhalten. Der Beklagte zu 1), der ebenfalls auf der B.strasse in selber Fahrtrichtung unterwegs war, übersah infolge Unachtsamkeit das stehende Fahrzeug der Klägerin und fuhr frontal hinten auf. Die alleinige Haftung der Beklagtenseite ist unstreitig. Reparaturkosten und Kostenpauschale wurde zu 100 % durch die Beklagte zu 2) erstattet, wobei ein Betrag von 241,94 Euro während des laufenden Verfahrens bezahlt wurde. Insoweit haben die Parteien übereinstimmend das Verfahren für erledigt erklärt.

Die Klägerin behauptet, sie sei aufgrund des Unfallereignisses verletzt worden, sie habe ein schweres Schleudertrauma der Halswirbelsäule erlitten. Sie sei bis 23.11.2009 erwerbsunfähig krank gewesen. Unfallbedingt habe sie unter starken Kopfschmerzen, einer schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit und Schwindelattacken mit Übelkeit gelitten. Der Schwindel habe ca. 6 Wochen angedauert, unter Bewegungseinschränkungen und Kopfschmerzen leide die Klägerin noch gegenwärtig. Bedingt durch ihre Verletzung habe sie Kosten für ein ärztliches Attest in Höhe von 10,– Euro und für die Selbstbeteiligung für physiotherapeutische Behandlung in Höhe von 18,16 Euro gehabt. Desweiteren stehe der Klägerin ein Schmerzensgeld zu, welches mit 2.500,– Euro als angemessen erachtet wird.

Verkehrsunfall - Harmlosigkeitsgrenze bei HWS-Verletzung
Symbolfoto: Von Andrey_Popov/Shutterstock.com

Die Klägerin beantragt daher zuletzt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 28,16 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.11.2008 zu bezahlen sowie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mind. 2.500,– Euro und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,67 Euro.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, es sei physikalisch, technisch-biomechanisch, unfallanalytisch und medizinisch ausgeschlossen, dass die Klägerin durch das konkrete Unfallereignis eine Verletzung, insbesondere in der von ihr behaupteten Art an der Halswirbelsäule erlitten habe. Bei dem vorliegenden Anstoß konnte es wegen einer nur sehr geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung im gestoßenen Fahrzeug, in dem die Klägerin saß, nicht zu einer solchen verletzungsauslösenden Einwirkung auf die Wirbelsäule der Klägerin kommen. Dies ergebe sich auch aus den geringfügigen Reparaturkosten von lediglich 700,– Euro sowie der Tatsache, dass die Klägerin sich im erheblich schwereren Fahrzeug, einem BMW, verglichen mit dem auffahrenden Fahrzeug, einem Peugeot 205, befand. Insbesondere sei zu berücksichtigten, dass die Klägerin bereits vor dem Unfall sich wegen HWS-Beschwerden in ärztlicher Behandlung befand. Eine Verschlimmerung, Verschlechterung oder sonstige negative Veränderung an der Wirbelsäule der Klägerin durch den streitgegenständlichen Unfall wird bestritten. Jedenfalls sei die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldes überzogen. Nachdem eine Verletzung der Klägerin durch den Unfall nicht verursacht worden sei, wären auch die durch Attest und physiotherapeutische Behandlung entstandenen Kosten nicht kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen.

Bezüglich des weiteren Sachvortrages der Parteien wird Bezug genommen auf den Akteninhalt, insbesondere die gewechselten Schriftsätze.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Anhörung der Klägerin, schriftliche Einvernahme des Zeugen Dr. M. und Einholung eines  biomechanischen sowie eines fachärztlichen orthopädischen Gutachtens. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der öffentlichen Sitzungen am 31.1.2011 und 4.9.2012 sowie die schriftliche Stellungnahme des Zeugen Dr. M. vom 21.1.2011 und die schriftlichen Sachverständigengutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G. und Doc.Mgr.A. vom 25.3.2011 sowie der Sachverständigen Dr. W. vom 10.09.2011.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

Der Klägerin stehen die streitgegenständlichen Ansprüche gem. §§ 7, 17, 18 StVG, 823, 249, 253 BGB, 3 Pflichtversicherungsgesetz dem Grunde nach zu.

Seitens der Klagepartei wurde der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und der HWS-Distorsion mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen.

Im Rahmen der haftungsbegründeten Kausalität waren die strengen Anforderungen des Vollbeweises gem. § 286 ZPO zugrunde zu legen. Danach hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (st.Rspr.; BGH Urteil vom 3.6.2008, NJW-RR 2008, 1380 u.v.m.).

Das Gericht stützt sich hierbei im Wesentlichen auf das ausführliche und überzeugende Gutachten der Fachärztin für Orthopädie Dr. W.s, welche ihr schriftlich niedergelegtes Gutachten vom 25.3.2011 in der mündlichen Verhandlung vom 4.9.2012 erläutert hat. Dieses Gutachten, das zu dem Ergebnis kommt, dass die Klägerin durch den Unfall vom 28.10.2008 ein HWS-Schleudertrauma erlitten hat, das unter Berücksichtigung der AWMF-Leitlinie „Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule“ Registernummer 030/ 095 als HWS-Schleudertrauma Grad II gemäß QTF-Klassifikation sowie nach Erdmann/Keidel einzuordnen ist. Dieses Gutachten der Sachverständigen Dr. W., auf das später noch genauer einzugehen sein wird, steht mit diesem Ergebnis auch nicht im Widerspruch zu den biomechanischen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G. und A., welche in ihrem schriftlichen Gutachten vom 25.03.2011, das sie in der öffentlichen Sitzung vom 24.09.2012 erläutert haben, zu dem Ergebnis gelangen, dass aus biomechanischer Sicht nicht nachgewiesen werden könne, dass die Klägerin bei dem streitgegenständlichen Unfall eine HWS-Distorsion erlitten habe, da der streitgegenständliche Verkehrsunfall für die Klägerin mit einer biomechanischen Belastung einher ging, welche für gesunde erwachsene Personen unkritisch sei.

Die Sachverständigen G./A. ermitteln in ihrem Gutachten eine für die Quantifizierung der biomechanischen Insassenbelastung maßgebliche kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung Delta V von 5 bis 9 Stundenkilometern, wobei darauf hingewiesen wird, dass diese nur grobe Eingrenzung wesentlich darauf beruht, dass nur Lichtbilder des von der Klägerin geführten Fahrzeugs, nicht jedoch des gegnerischen Fahrzeugs zur Begutachtung vorgelegt wurden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige A. erläutert, dass es sich hier um eine Schätzung aufgrund von Vergleichstests handelt, wobei auf eine Datenbank zurückgegriffen werde. Es handele sich bei dieser Angabe Delta V 5 bis 9 Stundenkilometer lediglich um einen Näherungswert, da ein Unfall stets mit Unsicherheitsfaktoren, wenn auch nur in geringem Umfang, verbunden ist. Daher könne auch eine Geschwindigkeitsänderung von Delta V 9,5 km/h sachverständigenseits bei dem streitgegenständlichen Unfall nicht ausgeschlossen werden. Die als Delta V definierte Bewegung des Fahrzeugs wirke sich auch auf den Insassen aus, so dass ein Rückschluss auch auf die Insassenbewegung zulässig und möglich sei. Durch eine Kollision werde eine Stoßkraft ausgelöst, die den Oberkörper in den Sitz bzw. den Sitz an den Körper drückt, so dass der Oberkörper sich nach vorne und der Kopf in Relation zum Rumpf sich  nach hinten bewegt. Diese S-förmige Bewegung sei als solche Auslöser für eine HWS-Distorsion aufgrund der Scherkräfte zwischen den einzelnen Wirbelkörpern, welche Mikrotraumen

auslösen, die dann Beschwerden verursachen. Allerdings, so gibt der Sachverständige A. an, sei die genaue Ursache, auf der die Beschwerden bei HWS-Distorsionen beruhen, bislang noch nicht erforscht. Jedoch sei die Wissenschaft damit befasst, sich an sinnvolle Belastbarkeitsgrenzen heran zu tasten. Es gäbe Grenzen, bei denen davon auszugehen sei, dass keine Schäden verursacht werden können. So sei bei einer Belastung von Delta V von 5 Stundenkilometern von einer üblichen Alltagsbelastung auszugehen. Auch eine Belastung mit 9 Stundenkilometern Delta V sei für einen gesunden Erwachsenen noch unkritisch.

Aus medizinischer Sicht gab Prof. Dr. G. an, dass im Ergebnis nicht auszuschließen sei, dass eine HWS-Dirstorsion bei der Klägerin vorläge, dies aber auf Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen auch nicht nachweisbar bzw. überwiegend wahrscheinlich sei. Insoweit hat der Sachverständige jedoch auf seinen begrenzten Erkenntnishorizont hingewiesen, nachdem ihm weder Röntgenbilder zur Verfügung standen, noch er eine eigene Untersuchung der Unfallbeteiligten durchgeführt habe. Das Sachverständige Prof. G. gibt an, dass aus biomechanischer Sicht das streitgegenständliche Unfallereignis „eigentlich“ keine Folgen für die Klägerin haben dürfte, wobei er jedoch die Einschränkung „eigentlich“ macht im Hinblick auf eine als vorgeschädigt beschriebene Wirbelsäule. Zwar gäbe es keinen Nachweis dafür, dass eine vorgeschädigte Wirbelsäule bei einem Unfall leichter geschädigt werde als eine „gesunde“, ausschließen könne man dies jedoch auch nicht, wobei dies insbesondere für die degenerative Vorschädigungen, wie bei der Klägerin behauptet, gelte. Der Sachverständige G. weist in medizinischer Hinsicht darauf hin, dass einerseits keine objektiven Hinweise auf eine Verletzung vorlägen, d.h. keine nachvollziehbaren dokumentierten Strukturänderungen im Organismus, andererseits die von der Unfallbeteiligten geschilderten Symptome typisch, wenn auch nicht spezifisch, für eine HWS-Distorsion seien.

Mit dieser Ausgangssituation setzt sich die Sachverständige Dr.W.s in ihrem Gutachten sowie ihrer mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens differenziert auseinander, wobei die Sachverständige eine eigene klinische Untersuchung der Unfallbeteiligten durchführte und die Unterlagen, die durch den orthopädischen Erstbehandler Dr. M. zur Verfügung gestellt wurden, auswertete. Mit umfassender Begründung ordnet die Sachverständige die von ihr festgestellten und aus den Unterlagen des Erstbehandlers Dr.M. sich ergebenden Beschwerden der Klägerin als eine HWS-Distrosion Grad II gemäß QTF-Qualifikation und nach Erdmann/Keidel ein, bzw. eine WAD Grad I (Mikrolession) gemäß Peitschenschlagbericht des EEVC (Europan  Enhanceg Vehicle-safety Committee) 2005.

Die Sachverständige Dr. W.   geht auch auf die von der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) aufgestellte Leitlinie Nr. 030/095 bezüglich Beschleunigungstraumata der Halswirbelsäule ein, worin die biomechanische begründete Annahme geäußert wird, dass die Geschwindigkeitsänderung um 10 Stundenkilometer oder weniger im Normalfall nicht ausreiche, um eine nennenswerte HWS-Verletzung zu erzeugen. Hierbei weist die Sachverständige Dr. W. in ihrem Gutachten, ähnlich wie dies der Sachverständige A. in der Erläuterung seines Gutachtens getan hat, daraufhin, dass eine sog. Harmlosigkeitsgrenze wissenschaftlich nicht nachgewiesen sei, so dass von der Harmlosigkeitsgrenze überhaupt nur mit der Einschränkung gesprochen werden könne, dass im „Normalfall“, d.h. bei einem gesunden erwachsenen Menschen, eine Verletzung der Halswirbelsäule durch eine derartige Belastung sehr unwahrscheinlich wäre. Auch dieser Ausgangspunkt unterscheidet sich nicht von den Angaben, die der Sachverständige Prof. Dr. G. in der mündlichen Verhandlung gemacht hat („eigentlich“).

Die Sachverständige W geht davon aus, dass bei der Klägerin ein Sonderfall und kein Normalfall vorläge, da diese bereits im Jahr 2004 und erneut ca. 3 Monate vor dem streitgegenständlichen Unfallereignis unfallunabhängig einen Arzt, Dr. M., wegen akuter HWS-Schmerzen aufgesucht habe. Die Sachverständige W. geht daher von einer degenerativ vorgeschädigten Halswirbelsäule aus und weist ebenso, wie der Sachverständige Prof. G. daraufhin, dass nicht richtig nachgewiesen sei, dass eine degenerativ vorgeschädigte Wirbelsäule einem größeren Verletzungsrisiko unterliege bzw. hierfür eine geringere biomechanische Einwirkung erforderlich sei, sie weist jedoch darauf hin, dass eine Vorschädigung der HWS sich jedenfalls auf Intensität und Dauer der Beschwerden nach einer HWS-Distorsion auswirke. Im Hinblick auf einen Vergleich der von der Klägerin vor dem Unfall beschriebenen und durch Untersuchungen des damaligen Behandlers Dr.M. teilweise dokumentierten Beschwerden und den nach dem Unfall neu aufgetretenen Beschwerden ergibt sich nach den Ausführungen der Sachverständigen W. aufgrund einer differenzierten Darlegung das Ergebnis, dass davon auszugehen sei, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die neu aufgetretenen Beschwerden auf den Unfall vom 28.10.2008 zurück zu führen sind und nicht auf eine andere Ursache, wie z.B. die Vorschädigung der HWS. Die Sachverständige weist bei der mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens auch daraufhin, dass die subjektiven Befindlichkeitsangaben der Klägerin sich als glaubwürdig darstellen auch im Hinblick darauf, dass diese eine typische Beschwerdesymptomatik geschildert habe mit einem ebenfalls typischen symptomfreien Intervall ganz zu Beginn unmittelbar nach dem Unfall und sodann zeitnah die wiederum mit diesen Schilderungen korrespondierende Bewegungseinschränkung festgestellt worden sei, wobei letztere noch im Jahre 2011 bei der durch sie durchgeführten klinischen Untersuchung objektiv feststellbar gewesen wären. Auch insoweit die Klägerin einzelne Beschwerden als fortbestehend (Bewegungseinschränkung, Kopfschmerzen und Muskelhartspann) beschreibt, während andere Beschwerden (Missempfindung im rechten Arm, Schwindel) als nur vorübergehend geschildert wurden, führt dies zur Ansicht der Sachverständigen, dass die von der Klägerin geschilderten Beschwerden mit einer 90 %igen Sicherheit auf den Unfall zurück zu führen seien.

Die Ausführungen der Sachverständigen W. stellen sich als differenziert und schlüssig dar. Insbesondere setzt sie sich ausführlich mit der sog. Harmlosigkeitsgrenze auseinander und gelangt zu einem für das Gericht gut nachvollziehbaren und gut begründeten Ergebnis, dass letztendlich nach Ansicht des Gerichtes nicht im Widerspruch mit den Angaben der Sachverständigen A./Prof. G. steht, da auch diese nicht von einer absoluten Harmlosigkeitsgrenze ausgehen und auch insbesondere Prof. G. darauf hingewiesen hat, dass bei einer vorgeschädigten Wirbelsäule nicht die für den Normalfall anzunehmenden Rückschlüsse gezogen werden können.

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Das Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen Dr. W.s wird auch durch die glaubhaften Angaben der Klägerin gestützt, sowie die vom Erstbehandler Dr. M. geschilderten Untersuchungsergebnisse. Bedeutsam ist, dass beide die Klägerin untersuchenden Orthopäden, Dr. M. und Dr. W., keine Anzeichen für eine Agravierung oder mangelnde Glaubwürdigkeit der Klägerin beim Schildern ihrer Beschwerden festgestellt haben.

Dieses Beweisergebnis entspricht auch der ständigen Rechtssprechung des BGH, der ausdrücklich in der Entscheidung vom 28.1.2003,( NJW 2003, 1116) darauf hinweist, dass bei der Prüfung, ob ein Unfall eine Halswirbelsäulenverletzung verursacht hat, stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind und der sich gegen eine schematische Annahme einer „Harmlosigkeitsgrenze“ ausspricht, da die Beantwortung der Kausalitätsfrage nicht allein von der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung, sondern daneben von einer Reihe anderer Faktoren abhänge.  Erneut in seiner Entscheidung vom 8.7.2008 (NZV 2008, 501) hat der erkennende Senat eine Harmlosigkeitsgrenze in Form einer geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung für ungeeignet erachtet, um eine Verletzung der Halswirbelsäule trotz entgegenstehender konkreter Hinweise auf eine entsprechende Verletzung generell auszuschließen. Hierbei weist der BGH ebenso wie alle im vorliegenden Verfahren gehörten Sachverständigen daraufhin, dass es an gesicherten medizinischen Erkenntnissen fehle, nach denen HWS-Verletzungen bei Unfällen mit niedriger Anstoßgeschwindigkeit und einer bestimmten Anordnung der beteiligten Fahrzeuge zueinander sehr unwahrscheinlich oder gar gänzlich unmöglich seien. Im zuletzt genannten Urteil weist der BGH auch ausdrücklich darauf hin, dass die Sachverständigen für Unfallanalyse und Biomechanik regelmäßig nicht über die erforderliche medizinische Fachkompetenz verfügten, auf die es  letztendlich für die Frage der Ursächlichkeit des Unfalls für die beklagten Beschwerden ankomme. Die individuelle Verletzungsmöglichkeit sowie die Art und Schwere der Verletzung und deren Verlauf betreffen Fragen, zu deren fachlich kompetenter Beurteilung medizinische Kenntnisse erforderlich sind; deren Beantwortung müsse grundsätzlich den fachmedizinischen Sachverständigen vorbehalten werden. Insoweit weist das Gericht daraufhin, dass im vorliegenden Fall der begutachtende Prof. G. zwar ein medizinischer Sachverständiger ist, zum einen jedoch im Hinblick auf den begrenzten Gutachtensauftrag nicht mit sämtlichen medizinischen Untersuchungsergebnisse ausgestattet wurde und er zum anderen die Klägerin auch nicht klinisch untersucht hat. Des Weiteren ist das Gericht der Ansicht, dass es insbesondere bei einer HWS-Distorsion nicht nur eines Mediziners, sondern eines Facharztes für Orthopädie mit entsprechender klinischer Erfahrung bedarf.

Soweit die Beklagtenpartei sich auf das Urteil des BGH vom 3.6.2008 (NJW-RR 2008, 1380) bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass auch in diesem Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es unter biomechanischen Gesichtspunkten keine starre Grenze hinsichtlich einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung für die Verursachung einer Verletzung an der Halswirbelsäule gäbe, da die Kausalitätsfrage nicht allein von der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung, sondern daneben von einer Reihe anderer Faktoren abhänge. Der BGH gibt auch in dieser Entscheidung der fachmedizinischen Begutachtung den Vorrang vor der biomechanischen, wobei hier der BGH darauf hinweist, dass die Aussagekraft des biomechanischen Gutachtens in dem vom BGH entschiedenen Fall, ebenso wie im streitgegenständlichen Verfahren, insbesondere darunter leide, dass diese notgedrungen ohne eine eigene medizinische Untersuchung der Klägerin erfolgt sei, so dass sich Aussagen zur Konstitution der Klägerin als problematisch erweisen. Soweit der BGH in der genannten Entscheidung darauf hinweist, dass es für den Ursachenzusammenhang allein auf die Beurteilung durch Sachverständige und nicht auf die Aussagen von Zeugen (hier des Zeugen Dr. M.) ankomme, wurde dem im vorliegenden Urteil Rechnung getragen. Als entscheidend ist hier das Gutachten der Sachverständigen W. anzunehmen, die sich unter anderem als eines von mehreren Indizien für den Zustand der Geschädigten nach dem Unfall auch auf die medizinisch fundierten Feststellungen der Zeugen Dr. M. stützte.

In seinem Urteil vom 8.7.2008 weist der BGH auch weiterhin darauf hin, dass die medizinische Erstuntersuchung jedenfalls als eines von mehreren Indizien für den Zustand des Geschädigten nach dem Unfall Berücksichtigung finden könne und daneben der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Auftreten der Beschwerden durch das Gericht durchaus als entscheidend gewürdigt werden könne. Der Zeitablauf war ebenfalls eines der Indizien, welche die Sachverständige Dr. W. in der Begründungslinie ihres Gutachtens eingebaut hat, insbesondere zur Abgrenzung der durch den Unfall kausal verursachten Schädigungen zu den unfallunabhängig bestehenden Vorschädigungen.

Als Ergebnis der Beweisaufnahme hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität ist damit festzuhalten, dass es kausal durch den streitgegenständlichen Unfall zu einer HWS-Distorsion und damit einer Körperverletzung der Klägerin gekommen ist.

Ob über diese Primärverletzung hinaus der Unfall für sämtliche von der Klägerin beklagten Beschwerden ursächlich ist, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die sich gem. § 287 ZPO beurteilt. Hier genügt je nach Lage des Einzelfalls eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung (BGH Urteil vom 28.01.2003). Auch insoweit stützt sich das Gericht auf die Ausführungen der Sachverständigen Dr. W., welche im Einzelnen angegeben hat, welche Beschwerden die Klägerin glaubhaft vortrug und über welchen Zeitraum. Auch soweit diese Beeinträchtigungen, insbesondere der Schwindel mit Übelkeit, nicht messbar sind, wurden sie von der Sachverständigen nicht in Zweifel gezogen und im übrigen als typisch dargestellt. Im Hinblick auf den engen zeitlichen Zusammenhang und den von der Klägerin geschilderten dem typischen Ablauf entsprechenden Beschwerdeverlauf geht das Gericht im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes davon aus, dass die Klägerin für den Zeitraum von ca. 4 Wochen, in denen sie krankgeschrieben war, tatsächlich zu 100 % arbeitsunfähig war. Nach ihren eigenen Angaben hat sie eine weitere Woche unter dem Schwindel gelitten. Die als fortdauernd beschriebene Bewegungseinschränkung ebenso wie die als fortdauernd beschriebenen Kopfschmerzen waren, da glaubhaft geschildert, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes so zu berücksichtigen. Allerdings berücksichtigt das Gericht auch, dass durch die Sachverständige Dr. W. ein Bandscheibenvorfall beschrieben wird, der zeitlich nicht eindeutig zuordenbar vor oder nach dem Unfall sich ereignet hat. Insoweit ist einerseits die Tatsache dieser zusätzlichen Verletzung zu sehen, zum anderen jedoch die Tatsache, dass sich gerade im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall die körperlichen Beschwerden der Klägerin kontinuierlich verschlechtert haben. Andererseits kann nicht außer Betracht gelassen werden, dass nicht allein der Verkehrsunfall, sondern der zeitlich nicht näher zuordenbare Bandscheibenvorfall mitursächlich für die beklagten Beschwerden sind. Im Hinblick darauf hielt das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,– Euro im konkreten Fall für erforderlich, aber auch ausreichend. Das Gericht verweist insoweit auf Entscheidungen, wie sie in der Schmerzensgeldtabelle Hacks/Wellner/Häcker für das Jahr 2012 niedergelegt sind auf die Ziffern 614 und 615, wobei hier eine nachhaltige Arbeitsunfähigkeit dokumentiert ist sowie auf die Ziffern 367 und 369 sowie auf Ziffern 481, 470 und als dem vorliegenden Fall als am nächsten kommend, Ziffer 461.

Die geltend gemachten Kosten für das ärztliche Attest und die Zuzahlung für die physiotherapeutische Behandlung wurden als solche der Höhe nicht bestritten und sind daher, nachdem die haftungsbegründende Kausalität bejaht worden ist, vollumfänglich zuzusprechen.

Die Entscheidung hinsichtlich der Verzugskosten ergibt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Entscheidung hinsichtlich der Verzugszinsen aus §§ 286 Abs. 2 Satz 1, 288 Abs. 1 , 247 BGB.

Die Kostenentscheidung und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.

 

 

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