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Verkehrsunfall in unmittelbarem Zusammenhang mit Fahrstreifenwechsel

LG Essen – Az.: 4 O 78/16 – Urteil vom 27.10.2017

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Mit der Klage macht der Kläger Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom … in … auf Höhe der … Hausnummer … geltend. Der Kläger fuhr in einem Pkw VW Transporter mit dem amtlichen Kennzeichen … und der Beklagte zu 1. mit einem Pkw KIA mit dem amtlichen Kennzeichen …, welches bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, zunächst auf der … in Richtung Florastraße. Beide bogen nebeneinander von der Luitpoldstraße auf die Florastraße ab, wobei der Beklagte zu 1. hierbei auf der linken der beiden Linksabbiegespuren fuhr. Die Florastraße hat sodann in der von den Parteien benutzten Fahrtrichtung folgende Fahrspuren: Links zwei Fahrspuren Richtung geradeaus und sodann rechts zwei Fahrspuren für Rechtsabbieger. Die erste Rechtsabbiegespur beginnt erst nach der Kreuzung, auf der die Parteien abbogen. Die zweite Rechtsabbiegespur (ganz rechte Spur) spaltet sich von der linken Rechtsabbiegespur wiederum erst einige Meter weiter ab. Hinsichtlich des Straßenverlaufs wird auf „Abbildung 1 ‒ Straßenverlauf”, Bl. 2 d. A. verwiesen. Auf der Florastraße kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge, wobei der Unfallhergang zwischen den Parteien streitig ist.

Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1. sei auf der Florastraße von der ganz linken auf die rechte Geradeausspur gewechselt, wo er sich mit seinem Fahrzeug befunden habe, und habe so den Unfall verursacht. Er sei von dem Beklagten zu 1. nach rechts abgedrängt worden, auf die beginnende Rechtsabbiegespur.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von der Forderung des Sachverständigen … in Höhe von 780,64 € für die Erstellung des Gutachtens … freizustellen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 5.310,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 337,07 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für außergerichtlich entstandenes und im Kostenfestsetzungsverfahren nicht anrechenbares Rechtsanwaltshonorar zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1. habe sich nach dem Abbiegen ordnungsgemäß auf der rechten Geradeausspur eingeordnet. Der Kläger habe einen unachtsamen Fahrstreifenwechsel von der beginnenden linken Rechtsabbiegespur auf die rechte Geradeausspur vorgenommen und daher mit dem Beklagtenfahrzeug kollidiert. Die Beklagten sind weiterhin der Ansicht, dass nicht alle vom Kläger geltend gemachten Positionen ersatzfähig seien.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen … in der mündlichen Verhandlung vom 30.05.2016 und Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Beweisbeschluss vom 20.06.2016.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner keine Schadensersatzansprüche aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, 249 ff. BGB i. V. m. § 115 VVG wegen des Verkehrsunfalls vom … in Höhe von 5.310,99 €.

Der Unfall ist bei dem Betrieb der beiden beteiligten Fahrzeuge im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG entstanden. Keiner der Beteiligten kann für sich in Anspruch nehmen, dass der Unfall durch höhere Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG verursacht worden ist oder ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. „Idealfahrers” (König in: Hentschel/König/Dauer, 41. Aufl., § 17 StVG Rn. 22). Dass der streitgegenständliche Unfall auch für einen „Idealfahrer” unvermeidbar war, ist nicht bewiesen. Der Sachverständige H. kommt in seinem Gutachten vom 30.11.2016 zu der nachvollziehbaren Schlussfolgerung, dass hinsichtlich des Beklagten zu 1. nicht genügend Anknüpfungstatsachen vorliegen, die eine Vermeidbarkeit beweisen. Jede Partei ist aber für die eigene Unabwendbarkeit darlegungs- und beweisbelastet. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass ein Idealfahrer in der Situation des Beklagten zu 1. den Unfall nicht hätte durch Beschleunigung des Fahrzeugs, Ausweichen oder durch eine andere Möglichkeit hätte vermeiden können. Das Gericht konnte sich die hierfür notwendige Überzeugung anhand der unstreitigen und bewiesenen Tatsachen nicht bilden. Das der Beweis nicht geführt werden konnte (non liquet), geht daher insoweit zu Lasten der Beklagten.

Deshalb ist nach § 17 Abs. 1 StVG eine Haftungsverteilung vorzunehmen ist, die nach dem jeweiligen Maß der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu erfolgen hat. Im Rahmen dieser Abwägung sind neben feststehenden, bzw. unstreitigen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Dazu gehören auch die Regeln über den Beweis des ersten Anscheins. Nach diesen Grundsätzen muss die gebotene Abwägung hier aber dazu führen, dass der Kläger den Unfallschaden selbst zu tragen hat.

Als Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger den Unfall allein durch einen unachtsamen Fahrspurwechsel verschuldet hat, was zu einer Alleinhaftung des Klägers führt. Gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Danach hat der Tatrichter ohne Bindung an Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann (BGH, Urt. v. 11.12.2012, Az. VI ZR 314/10). Für diese Überzeugung genügt, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (grundlegend BGHZ 53, 245, 256 und seitdem einhellige Rspr.).

Dem Kläger fällt ein Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO zur Last. Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen ist. Er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat (vgl. nur OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2014 ‒ 9 U 60/14). Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttert. Bei den in § 7 Abs. 5 StVO geregelten Pflichten handelt es sich um sog. Kardinalpflichten. Bei der Durchführung eines Spurwechsels handelt es sich um ein besonders gefahrenträchtiges Fahrmanöver, das regelmäßig zu einer erheblichen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer führen kann. Der Einhaltung der gebotenen Sorgfaltspflichten kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Ein Verstoß gegen diese Pflichten wiegt besonders schwer, was zu einer Alleinhaftung des Klägers führt.

Das Gericht stützt seine Überzeugung insbesondere auf die nachvollziehbaren und in sich stimmigen Ausführungen des Sachverständigen H. in seinem Gutachten vom 30.11.2016. Der Sachverständige führt darin nachvollziehbar aus, dass sich das Beklagtenfahrzeug parallel auf der rechten Geradeausspur befand. Das auch der Beklagte zu 1. vorher einen Fahrspurwechsel vollzogen hat, wurde nicht unfallkausal. Der Beklagte zu 1. hat während des Abbiegevorgangs die Fahrspur gewechselt, der Vorgang war im Zeitpunkt der Kollision bereits vollständig abgeschlossen. Wie der Sachverständige widerspruchsfrei feststellte, hat der Beklagte zu 1. das Fahrzeug im Zeitpunkt der Kollision nicht nach rechts gelenkt, er fuhr vielmehr parallel zur Fahrspur. Der Sachverständige stellte vielmehr detailliert und anschaulich dar, dass das Klägerfahrzeug mit höherer Geschwindigkeit ‒ im Vergleich zum Beklagtenfahrzeug ‒ das Beklagtenfahrzeug von hinten erfasste, wobei das Klägerfahrzeug vorher zumindest teilweise auf der beginnenden Rechtsabbiegespur war und die Kollision beim Fahrspurwechsel entstand. Unfallkausal wurde daher erst, dass der Kläger zumindest mit einem Teil seines Fahrzeugs auf die beginnende linke Rechtsabbiegespur wechselte und sodann wieder zurück auf die rechte Geradeausspur, wobei es hierbei zur Kollision kam.

Demgegenüber war die Aussage des Zeugen …, der angab, der Beklagte zu 1. sei einfach nach rechts rüber gezogen, nicht beweiskräftig. Der Zeuge machte zum eigentlichen Unfallhergang keine detaillierten Angaben, seine Äußerungen waren vielmehr pauschal. Sie konnten daher nicht überzeugen.

Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Beweisaufnahme schließt sich das Gericht den widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Schilderungen des Sachverständigen H. nach eigener Prüfung an. Die Feststellungen des Sachverständigen werden von unmittelbar am Unfallort gefertigten Lichtbildern (Anlage B 2; Bl. 46 f. d. A.) gestützt. Hierauf ist ersichtlich, dass das Beklagtenfahrzeug vollständig auf der rechten Geradeausspur ist, während das Klägerfahrzeug halb auf der linken Rechtsabbiegespur und halb auf der rechten Geradeausspur steht. Hinzu kommt, dass nur das Klägerfahrzeug einen Fahrwinkel aufweist, der auf einen Fahrspurwechsel hindeutet (Bl. 48 d. A.), das Beklagtenfahrzeug dagegen nicht.

II.

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auch keine weiteren Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom … .

Voraussetzung der Ansprüche auf Freistellung von vorgerichtlichen Sachverständigenkosten und Ansprüche auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist das Bestehen einer Hauptforderung. Das ist nach dem oben bereits ausgeführten hier nicht der Fall.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 6.091,63 € festgesetzt.

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