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Verkehrsunfall mit aus Grundstücksausfahrt herausfahrenden und davor rangierenden Fahrzeug

LG Verden – Az.: 5 S 4/19 – Urteil vom 28.05.2019

I. Das Urteil des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck vom 08.01.2019 wird wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.970,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.06.2018 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger in Höhe von 157,80 € von den Gebührenansprüchen der Rechtsanwälte P., freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin 42% und die Beklagte 58%.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.393,50 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das amtsgerichtliche Urteil vom 08.01.2019 (Bl. 107 ff d. A.) verwiesen, § 540 Abs. 1 S 1 Nr. 1 ZPO.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Erstattung von weiteren 50% des erlittenen Schadens aus dem Verkehrsunfall vom 13.03.2018 zu. Der ursprünglich bestehende Anspruch der Klägerin aus den §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 115 VVG sei bereits durch Leistung der Beklagten gem. § 362 BGB erfüllt. Darüber hinausgehende Erstattungsansprüche bestünden nicht.

Das Amtsgericht geht unter Hinzuziehung des § 17 Abs. 1 StVG von einem jeweils hälftigen Verursachungsbeitrag der Unfallbeteiligten aus. Das Amtsgericht kommt zu diesem Schluss nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter Zugrundelegung der Aussage des Zeugen K., welcher angibt, er sei als Fahrer des roten Kastenwagens zunächst aus der Ausfahrt des Betriebshofes nach links parallel zum Fahrbahnsteifen entgegen der Fahrtrichtung gefahren, habe dort angehalten und habe anschließend durch mehrfaches Rangieren versucht, rückwärts auf das Firmengelände zu gelangen. Dabei habe er sich zum Teil auf dem Fußweg und zum Teil auf der Fahrbahn befunden, sei dann noch einmal vorgefahren und dann habe es geknallt. Erst dann habe der das unfallgegnerische Fahrzeug gesehen. Nach Auffassung des Amtsgerichts haben beide Unfallbeteiligten in gleichem Maße gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, da sie sich gegenseitig nicht gesehen haben. Richtigerweise habe die Beklagte bei der Berechnung des erstattungspflichtigen Betrages nur bei dem Wiederbeschaffungswert, nicht aber bei dem Restwert die Differenzbesteuerung angewendet, da die Umsatzsteuer nur insoweit Berücksichtigung fände, wie sie auch tatsächlich angefallen sei.

Die Klägerin verfolgt mit der Berufung ihre ursprünglichen Anträge weiter.

Sie ist der Ansicht, dass der bei der Beklagten versicherte Fahrer verpflichtet gewesen sei, dem fließenden Verkehr die Vorfahrt zu gewähren. Der Regelverstoß führe zu einer einseitigen Haftung der Beklagten.

Sie beantragt, unter Abänderung des Urteils der 1. Instanz

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3.393,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.06.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 236,70 € vorgerichtlicher Anwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.06.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass aufgrund eines Mitverschuldens der Klägerin kein über die bereits gezahlten Leistungen hinausgehender Anspruch bestehe.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat die Berufung nur teilweise Erfolg.

1. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG i. V. m. § 115 VVG ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von noch 1.970,15 € zu.

Verkehrsunfall mit aus Grundstücksausfahrt herausfahrenden und davor rangierenden Fahrzeug
(Symbolfoto: Von Rawpixel.com/Shutterstock.com)

Die Klägerin ist als Halterin und Eigentümerin des unfallbeteiligten Fahrzeuges berechtigt, die ihr aus dem Unfall entstandenen Schäden gem. § 115 VVG gegenüber der Versicherung des Herrn K. geltend zu machen, welcher das unfallgegnerische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt führte und als Fahrer nach § 18 StVG dem Grunde nach (mit)haftet.

Die Beklagte haftetet für den aus dem Unfallgeschehen vom 13.03.2018 resultierenden Schaden der Klägerin jedoch nur in einer Höhe von 80 %. Die sich aus § 18 Abs. 3 StVG i. V. m. § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG gebietende Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensanteile beider Unfallbeteiligter lässt eine Quote von 80/20 zu Lasten der Beklagten als angemessen erscheinen. Beide Unfallparteien trifft zunächst nach § 1 Abs. 2 StVO die Pflicht zur allgemeinen Rücksichtnahme im Straßenverkehr. Daneben trifft den bei der Beklagten versicherten Fahrer die Pflicht nach § 10 StVO, beim Einfahren auf die Fahrbahn sowie beim Anfahren vom Fahrbahnrand die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Gegen diese Verpflichtung hat er verstoßen, indem er vom Straßenbahnrand aus vorwärtsfahrend in den Fahrbahnbereich eingefahren ist, ohne dabei die Gefährdung der Klägerin auszuschließen. Die besondere Rücksichtnahmepflicht nach § 10 StVO ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Unfallgegner bereits längere Zeit mit dem Rangiervorgang beschäftigt war und sich dazu seit geraumer Zeit auf der Fahrbahn befand. Die Schutzrichtung des § 10 StVO besteht so lange fort, wie ein Fahrzeug sich von außerhalb des fließenden Verkehrs in diesen hineinbegibt und noch nicht in diesen übergeht. Durch das andauernde Manöver bestand die besondere Rücksichtnahmepflicht nach § 10 StVO zum Zeitpunkt des Unfalls daher fort. Diesem Verstoß durch den bei der Beklagten versicherten Fahrer steht die Missachtung der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht der Klägerin gegenüber. Diese hätte als aufmerksame Fahrerin den großen roten Kastenwagen bereits vor dem Unfall bemerken und durch Abbremsen oder Anhalten die Gefahr eines Zusammenstoßes vermeiden müssen, zumal dieser bereits im Vorfeld auf der Fahrbahn rangiert hat. Unter Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ist der des bei der Beklagten versicherten Fahrers als deutlich größer anzusehen, als der Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht durch die Klägerin.

Der Klägerin ist durch den Unfall insgesamt ein Schaden in Höhe von 5.567,17 € entstanden, von dem außergerichtlich bereits 50% (3.283,59 €) reguliert wurden, sodass unter Berücksichtigung der 20prozentigen Haftungsquote der Klägerin eine Restforderung von 1.970,15 € verbleibt. Bei der Berechnung der Restschadenssumme sind insbesondere auch die Gutachterkosten anteilig nach den Haftungsquoten zu bemessen und nicht etwa dem Hauptverursacher des Unfalls vollständig aufzuerlegen (BGH, Urteil vom 07.02.2017, Az. VI ZR 133/11).

2. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

3. Weitergehender Schadensersatzanspruch in Höhe der von der Klägerin in seine Forderungsberechnung einbezogenen 109,91 € Differenzbesteuerung hinsichtlich des Wiederbeschaffungswertes bestehen nicht. Die Mehrwertsteuer ist von dem zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB nur insoweit umfasst, soweit sie tatsächlich angefallen ist. Der Restwert des Fahrzeuges ist mit Mehrwertsteuer der Schadensberechnung zugrunde zu legen, da dieser bei der Veräußerung durch einen Gewerbetreibenden in jedem Falle entstehen würde.

4. Da der Kläger auf das Bestreiten der Beklagten nicht dargelegt hat, die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bereits bezahlt zu haben, hat er diesbezüglich lediglich einen entsprechenden Freistellungsanspruch (vgl. OLG Düsseldorf (4. ZIVILSENAT), Urteil vom 23.09.2014 – I-4 U 41/13, Rn. 59). Dieser beziffert sich nach dem tatsächlichen Gegenstandswert, welcher aufgrund der Mithaftung der Klägerin nicht bei den klägerseits angenommenen 6.567,17 € liegt, sondern entsprechend um 20% Mithaftung zu kürzen war, sodass als Gegenstandswert nach § 2 Abs. 1 RVG ein Wert von 5253.74 € vorliegt. Daraus ergibt sich bei einer 1,3-Gebühr + 20 € Auslagenpauschale sowie entsprechender Mehrwertsteuer ein Freistellunganspruch in Höhe von 571,44 €, welchem die bereits gezahlten 413,64 € zum Abzug zu bringen sind. Daraus ergibt sich ein verbleibender Anspruch in Höhe von 157,80 €.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

III. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.

IV. Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 48 Abs. 1 GKG iVm §§ 3, 4, 5 ZPO.

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