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Verkehrssicherungspflicht für Gemeindestraßen – winterliche Streu- und Räumpflicht

OLG München – Az.: 1 U 3782/12 – Beschluss vom 19.11.2012

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 27.08.2012, Az. 31 O 654/12, durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

II. Es ist beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 7.993,36 € festzusetzen.

III. Die Parteien erhalten Gelegenheit, zu diesem Hinweis binnen 3 Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Verkehrssicherungspflicht für Gemeindestraßen - winterliche Streu- und Räumpflicht
Symbolfoto: Von Studio Peace /Shutterstock.com

Die Voraussetzungen für die Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO sind gegeben, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

Das Landgericht hat zu Recht eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verneint. Die Klägerin vermag in der Berufungsbegründung weder in rechtlicher noch in sachlicher Hinsicht entscheidungserhebliche Fehler des Landgerichts aufzuzeigen.

Die Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte zur den Anforderungen an die Räum- und Streupflicht der Gemeinden ist seit Jahren gefestigt und durch eine Vielzahl von Entscheidungen grundsätzlich geklärt. Es existiert keine uneingeschränkte Räum- und Streupflicht bei winterlicher Glätte, ebenso wenig ist es möglich, mit zumutbarem Aufwand jede glättebedingte Unfallgefahr zu vermeiden. Vielmehr muss sich der Straßenverkehr im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Der Sicherungspflichtige hat nur im Rahmen und nach Maßgabe der nachfolgenden Grundsätze durch Schneeräumen und Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln den Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen, entgegen zu wirken (vgl. BGHZ 112, 74, 75 f mit umfangreichen Nachweisen).

1. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist zunächst das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen (vgl. BGH vom 12.06.2012, Az. VI ZR 138/11; BGH vom 21. Januar 1982 – III ZR 80/81, VersR 1982, 299, 300; vom 26. Februar 2009 – III ZR 225/08, NJW 2009, 3302 Rn. 4 mwN; OLG Jena NZV 2009, 599, 600 mwN; Carl, VersR 2012, 414, 415; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 14 Rn. 147; Staudinger/Hager, BGB [2009], § 823 Rn. E 128). Die Beweislast für eine allgemeine Glätte zum Unfallzeitpunkt  trägt der Anspruchsteller. Allein der Nachweis der Existenz einer Glättestelle am Unfallort genügt hierfür nicht.

Schon in diesem Punkt bestehen Zweifel an dem klägerischen Vorwurf einer Verletzung der Räum- und Streupflicht. Die Zeugin S. hat ausgesagt, es sei nicht durchgehend glatt gewesen, sondern es habe nur einzelne glatte Stellen gegeben. Der Ehemann der Klägerin hat nur an der Unfallstelle Glätte bestätigt, ob er ansonsten allgemeine Glätte festgestellt hat, ist nicht bekannt, allerdings hat er angegeben, die Gehsteige seien abgestreut gewesen. Der Zeuge B. hat ausgesagt, es sei am Morgen des 26.11.2011 nicht auf den kontrollierten Straßen und Wegen glatt gewesen, weswegen er keine Räum- und Streumaßnahmen vorgenommen habe.

2. Selbst wenn jedoch am fraglichen Morgen eine – vom Zeugen B. nicht zutreffend eingeschätzte – allgemeine Glätte geherrscht haben sollte, die Streumaßnahmen erfordert hätten, lässt die Beurteilung des Landgerichts, wonach die Beklagte nicht verpflichtet war, den Unfallort mit Splitt/Salz abzustreuen, Rechtsfehler nicht erkennen. Für die Verpflichtung zum Räumen und Streuen sind Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Innerorts müssen nach der gefestigten Rechtsprechung nur die verkehrswichtigen und gefährlichen Straßen bei Glätte abgestreut werden (BGHZ 31, 73, 75; 40, 379, 380; 112, 74, 76; BGH VersR 1985, 189; 1991, 665; 1995, 721, 722, 1998, 1373; OLG Hamm VersR 1993, 1109; OLG Brandenburg VersR 1995, 1439; OLG Saarbrücken MDR 2006, 1345; OLG München vom 05.10.1989, Az. 1 U 2344/89; vom 28.09.2006 und 30.10.2006, Az. 1 U 3852/06; vom 13.11.2007, Az. 1 U 3604/07; vom 26.05.2010, 1 U 2243/10; Senatsurteil vom 22.07.2010, Az. 1 U 1804/10). Dass in Städten und Gemeinden in der Praxis weitaus umfangreicher Räum- und Streudienst geleistet wird, ist aus rechtlicher Sicht überobligatorisch und eine Maßnahme der Vorsorge, die nichts an den rechtlichen Rahmenbedingungen der Verkehrssicherungspflichten zu ändern vermag.

a) Zu den wichtigen Verkehrsflächen in dem genannten Sinne zählen die verkehrsreichen Durchgangsstraßen sowie die vielbefahrenen innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen (vgl. BGHZ 40, 379, 380). Das Landgericht hat die Frage der Verkehrswichtigkeit der Ulrichstraße mit dem Argument verneint, allein eine Ortserschließungsstraße von einiger Bedeutung sei noch keine innerörtlich vielbefahrene Hauptverkehrsstraße. Zu Recht hat das Landgericht darauf verwiesen, dass Busverkehr allein eine Straße nicht verkehrswichtig macht. Es genügt nicht, wie möglicherweise die Klägerin meint, dass eine Straße nicht unerhebliche Verkehrsbedeutung hat oder nicht bloß den Charakter einer reinen Anliegerstraße hat. Die Behauptung der Klägerin, die Straße sei „relativ stark“ bzw. „viel“ befahren, wird inhaltlich nicht näher ausgefüllt. Zu der durchschnittlichen Zahl von Fahrzeugen, insbesondere am Wochenende – der Unfall fand morgens um 8 Uhr an einem Samstag statt –, werden keine Angaben gemacht. Auf sämtlichen vorgelegten Fotos ist lediglich ruhender Verkehr zu sehen, was dafür spricht, dass es sich nicht um eine vielbefahrene innerörtliche Hauptverkehrsstraße handelt, sondern um eine Straße mit mäßigem Verkehr und allenfalls mittlerer Verkehrsbedeutung.

b) Als gefährlich im Sinne der genannten Rechtsprechung sind die Straßenstellen einzustufen, an denen Kraftfahrer erfahrungsgemäß bremsen, ausweichen oder sonst ihre Fahrtrichtung oder Geschwindigkeit ändern, weil gerade diese Umstände bei Schnee- und Eisglätte zum Schleudern oder Rutschen und damit zu Unfällen führen können (vgl. BGHZ 31, 37, 75; 40, 379, 380f. und vom 3. Mai 1984 – III ZR 34/83 = VersR 1984, 890, 891). Die Ulrichstraße verläuft im Bereich der Unfallstelle vollkommen gerade und kreuzungsfrei. Für Lenk- und Bremsmanöver hat ein Kraftfahrer an dieser Stelle keinerlei Veranlassung. Soweit die Klägerin vorträgt, es hätte von der Beklagten berücksichtigt werden müssen, dass Fahrradfahrer, wie die Klägerin, an der fraglichen Stelle in einen kombinierten Geh-/Radweg einbiegen, wenn sie in die Ortsmitte fahren wollen, verkennt sie, dass sich die Anforderungen an die Räum- und Streupflicht auf Fahrbahnen an der Nutzung durch Kraftfahrzeuge und nicht an der besonderen Sturzgefahr von Radfahrern orientiert. Radfahrer sind zwar vom Schutzbereich der Streupflicht erfasst, die Anforderungen an die Streupflicht misst sich jedoch auf Fahrbahnen an den Belangen des Kraftverkehrs, auf kombinierten Geh- und Radwegen an den Belangen des Fußgängers und nicht an den Bedürfnissen des Radfahrers (vgl. BGH vom 09.10.2003- III ZR 8/03). Würde man der Argumentation der Klägerin folgen, müssten alle Fahrbahnen gestreut werden, an denen Radler erfahrungsgemäß ein- oder abbiegen oder die Richtung mehr oder weniger stark wechseln, da jede Kurve bei winterlichen Verhältnissen für einen Fahrradfahrer ein deutlich erhöhtes Sturzrisiko mit sich bringt. Derart weitgehende Anforderungen an die Räum- und Streupflicht stellt die Rechtsprechung zweifelsfrei nicht.

Jedenfalls an diesem Merkmal scheitert die Klage somit, mag dies auch für die verletzte Klägerin nicht leicht zu akzeptieren sein. Sie hat letztlich einen Unfall erlitten, deren Folgen sie selbst tragen muss, ohne dass sie der Beklagten haftungsrechtlich ein Unrecht vorwerfen kann.

3. Für die Erholung eines Sachverständigengutachtens besteht vorliegend ebenso wenig Anlass wie für einen Augenschein. Es ist eine Rechtsfrage,  ob eine verkehrswichtige und gefährliche Straße vorliegt, die das Gericht anhand des tatsächlichen Vorbringens der Parteien zu beurteilen hat. Ausgehend von den vorgelegten Plänen und den Fotos sind die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort nicht weiter aufklärungsbedürftig.

II.

Die Annahme des Landgerichts, dass der Beklagten eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht anzulasten ist, ist damit nicht zu beanstanden. Da das Vorbringen der Klägerin nicht geeignet ist, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Frage zu stellen, rät der Senat, die gänzlich aussichtslose Berufung zur Vermeidung weiterer Verfahrenskosten zurückzunehmen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, zu diesem Hinweis binnen 3 Wochen Stellung zu nehmen.

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