Motorradunfall und die Frage der Mitverantwortung: Wie Schuhwerk die Haftung beeinflusst
Ein Motorradunfall, der sich im November 2012 ereignete, wurde vor dem Landgericht Landshut verhandelt. Im Kern ging es um die Frage, inwiefern das Nichttragen von Motorradstiefeln durch den Motorradfahrer eine Mitverantwortung für die erlittenen Verletzungen begründet. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die komplexen Aspekte der Haftungsverteilung im Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, insbesondere wenn es um die angemessene Schutzausrüstung geht.
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Übersicht:
Die Unfallumstände und die Rolle der Schutzausrüstung
Der Motorradfahrer, der Beklagte zu 1, kollidierte mit einem Pkw, der unvermittelt in eine Straße einbog. Der Motorradfahrer trug zum Unfallzeitpunkt keine Motorradstiefel, was zu einer schweren Fußverletzung führte. Die Klägerseite argumentierte, dass die Verletzung weniger schwerwiegend ausgefallen wäre, hätte der Motorradfahrer entsprechendes Schuhwerk getragen. Die Beklagten hingegen sahen sich nicht in der Haftung, da der Pkw-Fahrer den Unfall verursacht habe.
Die gerichtliche Beweisaufnahme und Haftungsverteilung
Das Gericht führte eine Beweisaufnahme durch und kam zu dem Schluss, dass zwei gleich wahrscheinliche Unfallvarianten existieren. In einer dieser Varianten wäre die Klagepartei zu 100% haftbar. Das Gericht entschied jedoch, dass der Motorradfahrer eine Mitverantwortung von 10% trägt, da er keine Motorradstiefel trug. Dies führte zu einer Reduzierung des Schadensersatzanspruchs.
Schmerzensgeld und die Rolle der Verletzungsfolgen
Neben dem materiellen Schaden wurde auch das Thema Schmerzensgeld behandelt. Der Motorradfahrer erhielt eine monatliche Schmerzensgeldrente von mindestens 200 Euro, zahlbar vierteljährlich im Voraus. Das Gericht stellte fest, dass die körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten, insbesondere in Anbetracht seines jungen Alters, eine solche Rente rechtfertigen.
Zukünftige Ansprüche und Feststellungsinteresse
Das Gericht stellte zudem fest, dass der Motorradfahrer unter dauernden Beeinträchtigungen leidet und der weitere Verlauf der Verletzungen unklar ist. Daher wurde ein Feststellungsinteresse bejaht, allerdings unter Berücksichtigung der 10%igen Mithaftung.
Die Entscheidung zeigt, wie komplex die Haftungsfragen im Verkehrsrecht sein können, insbesondere wenn es um die angemessene Schutzausrüstung geht. Sie verdeutlicht auch, dass die Frage der Mitverantwortung nicht nur den materiellen Schaden, sondern auch immaterielle Ansprüche wie Schmerzensgeld beeinflussen kann.
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Das vorliegende Urteil
LG Landshut – Az.: 81 O 2823/13 – Endurteil vom 22.09.2016
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 585,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.12.2012 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.10.2013 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin/Widerbeklagte sowie die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 1/Widerkläger/Drittwiderkläger 31.112,08 € nebst Zinsen aus 30.343,08 € seit 28.11.2013 und aus 769,00 € seit 08.10.2015 zu bezahlen.
3. Die Klägerin/Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 1)/Widerkläger/Drittwiderkläger ab 01.01.2017 eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 180,00 €, zahlbar jeweils vierteljährlich im Voraus (in Höhe von 540,00 €) zum 01. Januar, 01. März, 01. Juni und 01. September des jeweiligen Jahres zu bezahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Klägerin/Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Beklagten zu 1/Widerkläger/Drittwiderkläger 90% sämtlicher weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfallereignis vom 06.11.2012 in der A-Straße in A. künftig entstehen sowie verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren immateriellen Schäden aus diesem Unfall zu ersetzen unter Berücksichtigung einer Mitverursachungs von 10%, mit Ausnahme der Ansprüche, die auf Dritte, vor allem Versicherungen oder Sozialversicherungsträger, übergegangen sind bzw. übergehen.
5. Im Übrigen werden die Widerklage und die Drittwiderklage abgewiesen.
6. Die Klägerin trägt von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1 83%. Die Drittwiderbeklagten haften samtverbindlich in Höhe von 74% mit.
Die Klägerin trägt von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 90%.
Die Klägerin trägt von den Gerichtskosten 83%, wobei die Drittwiderbeklagten samtverbindlich in Höhe von 74% mithaften.
Der Beklagte zu 1 trägt von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin 17%.
Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten trägt der Beklagte zu 1 18%. Von den Gerichtskosten trägt der Beklagte zu 1 17%.
Im Übrigen tragen alle Parteien ihre Auslagen selbst.
7. Das Urteil ist für die Klägerin und die beiden Drittwiderbeklagten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte zu 1 kann die Vollstreckung der Klägerin und der Drittwiderbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin bzw. die Drittwiderbeklagten jeweils vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Das Urteil ist für den Beklagten zu 1 vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages.
Für die Beklagte zu 2 ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten zu 2 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 2 vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird bis zur Erweiterung der Widerklage/Drittwiderklage auf 39.526,86 € (Klage 5.898,55 €, Widerklage/Drittwiderklage 33.628,31 €) und seither auf 58.695,86 € (Klage 5.898,55 €, Widerklage/Drittwiderklage 52.797,31 €) festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin und der Beklagte zu 1 machen Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend.
Am 06.11.2012 gegen 18.10 Uhr kam es auf der A-Straße in A. zum Zusammenstoß des vom Drittwiderbeklagten zu 2 gesteuerten Pkw, amtliches Kennzeichen -, mit dem vom Beklagten zu 1 gesteuerten Leichtkraftrad, amtliches Kennzeichen -. Halterin des bei der Drittwiderbeklagten zu 3 versicherten Pkw ist die Klägerin und Widerbeklagte.
Das Leichtkraftrad ist bei der Beklagten zu 2 versichert.
Zum Zusammenstoß kam es, als der Drittwiderbeklagte zu 2 mit dem Pkw aus einem Anwesen von der B-Straße kommend schiefwinklig in die bevorrechtigte A-Straße einfuhr. Der Beklagte zu 1 fuhr zur selben Zeit mit seinem Leichtkraftrad von der H-Straße kommend und kollidierte mit dem Pkw.
Bei dem Unfall wurde der Pkw beschädigt. Der Klägerin entstanden für die Begutachtung des Schadens Sachverständigenkosten in Höhe von 822,89 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 546,69 €. Mit Anwaltsschreiben vom 16.11.2012 wurden die Beklagten unter Fristsetzung bis zum 03.12.2012 zur Zahlung aufgefordert.
Der Beklagte zu 1 wurde bei dem Unfall schwer verletzt. Er erlitt eine komplexe offene Vorfußverletzung und musste sich insgesamt zwölf operativen Eingriffen unterziehen. Er befand sich vom 06.11.2012 bis 11.01.2013 und vom 03.03.2013 bis 11.03.2013 in stationärer Behandlung. Der Beklagte zu 1 trug zum Unfallzeitpunkt Turnschuhe.
Dem Beklagten zu 1 entstanden materielle Schäden in Form von allgemeinen Sachschäden, Fahrtkosten und Heilungskosten in Höhe von insgesamt 3.457,87 €. Wegen der Einzelheiten wird auf die Seiten 4 und 5 des Schriftsatzes des Beklagtenvertreters zu 1 vom 07.11.2013 und auf den Schriftsatz des Beklagtenvertreters zu 1 vom 27.07.2016 sowie den Schriftsatz der Klägervertreterin vom 08.08.2016 verwiesen.
Die Klägerin und die Drittwiderbeklagten behaupten, dass der Drittwiderbeklagte zu 2 bei dem Abbiegevorgang äußerst rechts und langsam gefahren sei und bereits ca. 20 m auf der A-Straße zurückgelegt habe, als der Beklagte zu 1 mit seinem Leichtkraftrad von der H-Straße kommend in die A-Straße einbog und mit überhöhter Geschwindigkeit nicht die eigene Fahrbahnseite einhielt und mit dem Pkw der Klägerin kollidierte. Der Unfall sei für den Drittwiderbeklagten zu 2 unvermeidbar gewesen.
Die Klägerin behauptet, dass die Reparaturkosten für ihren beschädigten Pkw netto 4.899,66 € betragen und eine merkantile Wertminderung in Höhe von 150,00 € vorliege. Ferner verlangt sie die Erstattung einer Unkostenpauschale in Höhe von 26,00 €.
Die Klägerin beantragt, die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an die Klägerin 5.898,55 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.12.2012 sowie außergerichtliche Gebühren in Höhe von 546,69 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte zu 1 erhob mit Schriftsatz vom 07.11.2013 – erweitert mit Schriftsatz vom 28.09.2015 – Widerklage und Drittwiderklage und beantragt,
Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Widerkläger 4.397,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 3.628,31 € ab Rechtshängigkeit und aus 769,00 € ab Rechtshängigkeit der Klageerweiterung zu bezahlen nebst Rechtsanwaltskosten in Höhe von 691,33 € zu bezahlen.
Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Widerkläger ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 35.000,00 € für die Zeit vom 06.11.2012 bis 05.05.2014 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Widerkläger ab 01.06.2014 eine angemessene monatliche Schmerzensgeldrente von mindestens 200,00 €, zahlbar jeweils vierteljährlich im Voraus in Höhe von 600,00 € zum 01. Januar, 01. März, 01. Juni und 01. September des jeweiligen Jahres zu bezahlen.
Es wird festgestellt, dass die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Widerkläger sämtliche weitere materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfall vom 06.11.2012 in der A-Straße in A. künftig entstehen, mit Ausnahme der Ansprüche, die auf Dritte, vor allem Versicherungen oder Sozialversicherungsträger, übergehen.
Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1 sei kurz hinter dem an der Unfallörtlichkeit gelegenen Gasthaus gefahren, als für ihn unvorhersehbar der Pkw ohne anzuhalten und ohne Beobachtung des Verkehrs in die verhältnismäßig enge A-Straße eingebogen sei. Der Pkw sei dabei derartig weit auf die Fahrbahn des Beklagten zu 1 ausgeschert, dass der Beklagte zu 1 nicht mehr ausweichen konnte und dadurch die Kollision verursacht wurde. Der Unfall sei für den Beklagten zu 1 unvermeidbar gewesen.
Der Beklagte zu 1 behauptet, dass sein linker Fuß durch den Unfall derart irreparabel beschädigt sei, dass ein normaler Stand und Lauf nicht mehr möglich sei und er deshalb dauerhaft an Beeinträchtigungen und Schmerzen leide. Er meint, dass er daher Anspruch auf das begehrte Schmerzensgeld nebst Rente habe. Außerdem seien ihm vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten entstanden.
Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten beantragen, die Widerklage und die Drittwiderklage abzuweisen.
Sie meinen, dass keine Haftung dem Grunde nach bestehe. Ferner meinen sie, dass sich der Beklagte zu 1 wegen des Tragens ungeeigneten Schuhwerks ein erhebliches Mitverschulden zurechnen lassen müsse, weil es beim Tragen von Motorradstiefeln nicht zu der schweren Fußverletzung gekommen wäre. Im Übrigen sei die Schmerzensgeldforderung übersetzt und keine Rente geschuldet.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen M.D. und M.S.. Wegen des Inhalts ihrer Angaben wird auf das Protokoll vom 18.03.2014 Bezug genommen. Ferner wurden Gutachten des Sachverständigen H. zum Unfallhergang und zur Höhe der Kfz-Schäden erholt. Wegen des Inhalts seiner Ausführungen wird auf das Gutachten vom 21.10.2014 nebst Ergänzung vom 10.02.2015 sowie auf das Gutachten vom 29.04.2016 verwiesen.
Ferner wurde ein unfallchirurgisches Gutachten des Sachverständigen Dr. med. B. erholt. Wegen des Inhalts seiner Ausführungen wird auf das schriftliche Gutachten vom 15.03.2016 verwiesen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Gründe
Klage und Widerklage/Drittwiderklage erweisen sich als zulässig und jeweils teilweise begründet.
I.
Klage
1. Die Klägerin hat gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 VVG i.V.m. § 3 S. 1 PflVG Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 585,12 € nebst Verzugszinsen und Erstattung der entsprechenden außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hält das Gericht eine Regulierung der jeweiligen Schäden auf Basis einer Haftungsverteilung 90% auf Seiten der Klägerin und 10% auf Seiten des Beklagten zu 1 für sachgerecht.
Der Sachverständige H. führte aus, dass die Endstellung des Pkw, wie vom Zeugen M.D. angegeben, ausscheide im Hinblick auf die zweifelsfrei vorhandenen Kratzspuren des Motorrades und auch nach Kollisionsposition. Aus sachverständiger Sicht lässt sich der Unfallhergang nicht zweifelsfrei feststellen. Wenn man die Aussage des Zeugen D. ausblende, so stünden sich zwei Unfallversionen, die grundsätzlich aus unfallanalytischer Sicht gleich plausibel oder wahrscheinlich sind, gegenüber. Bei der Unfallversion zu Gunsten der Beklagtenpartei wäre der Pkw deutlich über die Mittellinie gekommen und ein Vorbeifahren rechts wäre für den Motorradfahrer eher nicht mehr möglich gewesen. Bei der Unfallversion zu Gunsten der Klagepartei wäre der Pkw nur leicht über die Mittellinie gekommen. Bei dieser Version wäre der klägerische Pkw nur ca. 0,4 m über die Mittellinie gefahren und es wäre ein Raum zwischen Pkw und rechten Straßenrand aus Sicht des Motorradfahrers von 2,2 m verblieben. Ein bewusstes eng rechts Vorbeifahren wäre bei dieser Variante möglich gewesen. Da dort ein Hauseck ist, führe dies natürlich dazu, dass man als Fahrer nicht zwingend äußerst rechts fahre.
Aus Sicht des Sachverständigen wäre der Unfall für den Motorradfahrer bei der für ihn günstigen Version unvermeidbar, zumindest jedoch nicht ohne große Gefährdung ein Vorbeifahren möglich gewesen. Zu den Geschwindigkeiten habe er keine Feststellungen treffen können, sodass er hierzu keine weiteren Angaben machen könne.
Das Gericht folgt den sehr gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, dessen Sachkunde dem Gericht seit Jahren bekannt ist.
Nachdem nach den Ausführungen des Sachverständigen die Angaben des Zeugen D. zum Teil wiederlegt sind, ist dessen Aussage für die Aufklärung des Unfallhergangs zur Überzeugung des Gerichts insgesamt untauglich. Letztlich kann die Haftungsverteilung nur auf Basis der Feststellungen des Sachverständigen getroffen werden, da weitere gesicherte Erkenntnisse zur Überzeugung des Gerichts nicht vorliegen.
Das Gericht geht daher von folgenden Erwägungen aus: Es gibt grundsätzlich zwei gleich wahrscheinliche Unfallvarianten. Eine für den Beklagten günstige und eine für die Klagepartei günstige Version, wie sie auch von dem Privatsachverständigen der Klägerin letztlich in Übereinstimmung mit dem Gerichtssachverständigen geschildert wurde. Bei der für den Beklagten günstigen Version ist von einer 100%igen Haftung der Klagepartei auszugehen. Da jedoch auch die Version in Betracht zu ziehen ist, wonach der vorfahrtsberechtigte Beklagte zu 1 noch ausweichen und knapp hätte vorbeifahren können und unklar ist, ob er ggf. mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr, hält das Gericht eine Mithaftung der Beklagtenpartei in Höhe von 10% für angemessen.
2. Schadenshöhe
Die Klägerin konnte nachweisen, dass ihr Reparaturkosten in Höhe von netto 4.853,31 € sowie eine Wertminderung in Höhe von 150,00 € entstanden sind.
Der Sachverständige H. machte entsprechende Ausführungen in seinem schriftlichen Gutachten vom 29.04.2016, gegen das die Parteien keine Einwendungen erhoben. Das Gericht folgt auch hier den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen.
Eine Kostenpauschale kann gem. ständiger Rechtsprechung im hiesigen Bezirk in der Regel in Höhe von 25,00 € verlangt werden. Umstände, die eine Abweichung hiervon rechtfertigen, sind weder dargetan noch ersichtlich.
Somit errechnet sich der materielle Schaden der Klägerin wie folgt:
„Reparaturkosten netto 4.853,31 €
Wertminderung 150,00 €
Sachverständigenkosten (unstreitig) 822,89 €
Unkostenpauschale 25,00 €
Gesamtsumme 5.851,20 €.“
Mithin errechnet sich unter Berücksichtigung einer Mithaftung von 90% ein Schadensersatzanspruch der Klägerin in Höhe von 585,12 €.
Ferner entstanden der Klägerin unstreitig Auslagen für die vorgerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts. Die erstattungsfähigen Kosten errechnen sich wie folgt:
„Geschäftsgebühr 1,3 aus 585,12 € 104,00 €
Auslagenpauschale 20,00 €
Summe netto 124,00 €
Summe brutto inkl. 19% USt. 147,56 €
Gemäß §§ 286, 288, 291 BGB kann die Klägerin zusätzlich Verzugszinsen bzw. Prozesszinsen beanspruchen.“
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
II.
Widerklage/Drittwiderklage
Der Beklagte zu 1 kann von der Klägerin und den Drittwiderbeklagten gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 VVG i.V.m. § 3 S. 1 PflVG Schadensersatz verlangen unter Beachtung einer Mithaftung von 10%.
1. Materieller Schaden
Unstreitig entstanden dem Beklagten zu 1 bisher materielle Schäden in Höhe von insgesamt 3.457,87 €.
Gemäß obiger Ausführungen kann der Beklagte zu 1 hiervon 90% mithin 3.112,08 € erstattet verlangen.
2. Schmerzensgeld
Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440, OLG München in st. Rspr. u.a. Urteil vom 29.10.2010 Az.: 10 U 3249/10).
Unstreitig erlitt der Beklagte zu 1 bei dem Unfall eine schwere Verletzung am Fuß. Im Einzelnen handelt es sich um eine drittgradig offene komplexe Vorfußverletzung links mit Lisfranc-Luxation Quenú B Metatarsale III bis Metatarsale V Mehrfragment-Fraktur und großem Hautdefekt am Fußrücken. Der Beklagte zu 1 wurde zwölf Mal operiert und befand sich insgesamt ca. 2,5 Monate in stationärer Behandlung.
Der Sachverständige Dr. B. führt in seinem schriftlichen Gutachten folgendes aus:
Als Unfallfolgen ergeben sich zwanglos aus den beigelegten Foto- und Röntgendokumenten folgende Einschränkungen:
- Belastungsminderung des linken Beines
- Muskelminderung am linken Ober- und Unterschenkel
- geringgradige Einschränkung der Beweglichkeit des linken oberen Sprunggelenks
- mittelgradige Einschränkung der Gesamtbeweglichkeit der unteren Sprunggelenke links
- mittelgradige Einschränkung der Zehenbeweglichkeit links
- Fehlbelastung des linken Fußes bei unfallbedingtem Absinken des Fußquergewölbes mit schmerzhafter Spreizfußschwiele
- Hautgefühlsverlust am Fußrücken und an der Vorderseite des Sprunggelenks nach Lappenplastik
- Plausibler Brennschmerz der Fußsohle durch Verletzungen von Hautnerven
- Geringgradige Einschränkung der Geh- und Stehfähigkeit
- Das Narbenbild am linken Fuß, am linken Brustkorb und am linken Oberschenkel.
Insbesondere erstrecke sich von der linken Achselfalte nach abwärts über eine Länge von 30 cm und einer Breite bis 2 cm eine Operationsnarbe nach Hebung des Muskelhautlappens an der linken hinteren Brustkorbseite.
Die vom Beklagten zu 1 geschilderten Schmerzen seien auf Grund der unfallbedingt eingetretenen Deformierung der äußeren Fußsäule plausibel. Darüber hinaus bestehe bei Herrn F. ein Brennschmerz an der Fußsohle. Es handle sich hierbei um eine neuropathische Schmerzkomponente auf Grund einer Läsion von Hautnerven, die bei der ausgeprägten Weichteilverletzung eingetreten seien. Die schmerzhafte Abrollstörung und das Unvermögen vollständig in die Hocke zu gehen seien durch die unfallbedingt eingetretene ausgeprägte Spreizfußschwiele unterhalb des Köpfchens der zweiten Zehe erklärbar. Die Schmerzintensität sei geringgradig, wenn man die Schmerzintensität in drei Schweregrade (geringgradig, mittelgradig, stark) einteile. Eine Einschränkung der Fähigkeit einen Haushalt zu führen liege derzeit nicht vor.
Die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in dem Beruf eines Feinwerkmechaniker-Azubi und Feinwerkmechanikergesellen gibt der Sachverständige abgestuft wie folgt an:
- 100% von 06.11.2012 bis 11.01.2013 (stationärer Aufenthalt)
- 80% vom 12.01.2013 bis 02.03.2013 (Belastungsunfähigkeit des Fußes)
- 100% vom 03.03.2013 bis 11.03.2013 (stationärer Aufenthalt)
- 70% vom 12.03.2013 bis 30.04.2013
- 40% vom 01.05.2013 bis 31.07.2013
- 30% vom 01.08.2013 bis zur Gutachtenserstattung
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werde fast genauso eingeschätzt wie in dem Beruf eines Feinwerkmechanikergesellen. Berücksichtigung finde hierbei, dass der Verletzte einen ausschließlich gehenden und stehenden und Fuß-Bein-belastenden Beruf ausübe.
Die Einschränkungen im Privatleben, die der Verletzte geschildert habe (Eishockeyspielen eingestellt, traut sich wegen Entstellung nicht ins Schwimmbad), seien auf Grund der beschriebenen Unfallfolgen plausibel.
Der Sachverständige führt weiter aus, dass die medizinische Rehabilitation noch nicht beendet sei. Herr F. benötige orthopädische Arbeitssicherheitsschuhe und maßgefertigte Einlagen für das Konfektionsschuhwerk. Aufgrund der Schwellneigung benötige er einen maßgefertigen Unterschenkelkompressionsstrumpf. Durch Maßnahmen der Krankengymnastik und der physikalischen Therapie sei eine weitere wesentliche Verbesserung der Funktion nicht zu erreichen. Zur Prognose könne allenfalls die Feststellung getroffen werden, dass der jetzt bestehende Zustand auf Dauer verbleiben werde. Zu möglichen funktionellen Verschlechterungen könne keine verbindliche Aussage getroffen werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten verwiesen.
Das Gericht folgt den Ausführungen des Sachverständigen, die im Übrigen von keiner der Parteien beanstandet wurden.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist neben den verletzungsbedingten Unfallfolgen und dem jugendlichen Alter des Geschädigten auch ein Mitverursachungsbeitrag in Höhe von 10%, wie oben geschildert, zu berücksichtigen. Außerdem musste der Geschädigte sein 2. Lehrjahr ab September 2013 – also fast vollständig – wiederholen, was auch ein psychische Belastung darstellte.
Die durch das Nichttragen von Motorradstiefeln ggf. begründete objektive Mitverursachung hinsichtlich des Ausmaßes der vom Beklagten zu 1 erlittenen Verletzungen führt entgegen der Auffassung der Klagepartei jedoch nicht zu einer Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB, so dass eine Beweisaufnahme hierzu nicht veranlasst war.
Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zu Grunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat. Da die Rechtsordnung jedoch eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht verbietet, geht es im Rahmen von § 254 BGB nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderem oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, also um die Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit. Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Anspruchsminderung des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss, weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert. Ein Mitverschulden des Verletzten im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB ist bereits dann anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Danach würde es für eine Mithaftung des Beklagten zu 1 ausreichen, wenn für Fahrer von Leichtkrafträdern innerorts das Tragen von Motorradstiefeln zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war (vgl. BGH, Urteil vom 17.06.2014, Az.: VI ZR 281/13, dort zum Tragen von Fahrradhelmen).
Zur Überzeugung des Gerichts ist es bei Fahrern von Leichtkrafträdern insbesondere innerorts bis heute eher wenig verbreitet mit stabilen Motorradstiefeln zu fahren. Vielmehr wird überwiegend, mit leichtem Schuhwerk, wie z.B. Turnschuhen, zu fahren.
Eine Kürzung der Ansprüche des Beklagten zu 1 wegen des Tragens von Turnschuhen kommt daher nicht in Betracht.
Unter Berücksichtigung aller Umstände und der schweren Beeinträchtigungen des Beklagten zu 1 hält das Gericht ein Schmerzengeld in Höhe von insgesamt 28.000,00 € für angemessen.
3. Schmerzensgeldrente
Neben der Einmalzahlung kann der Kläger auch eine Schmerzensgeldrente für die Zukunft in Höhe von 180,00 € monatlich ab 01.01.2017 verlangen.
Der Zweck des Schmerzensgeldes, dem Geschädigten zu ermöglichen, sich Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen zum Ausgleich der Lebensfreude und Entfaltungsmöglichkeiten, die ihm durch die Verletzung genommen worden sind, gebietet es im vorliegenden Fall neben einem festen Betrag eine Rente festzusetzen.
Die Vorschrift des § 253 BGB trifft keine Bestimmung darüber, in welcher Form – Kapital oder Rente – die Geldentschädigung wegen nicht vermögensrechtlichen Schadens zu gewähren ist. Das Schmerzensgeld kann auch so festgesetzt werden, dass für einen Zeitabschnitt Kapital und für einen weiteren eine Rente zugesprochen wird. Dies hält das Gericht im vorliegenden Fall für geboten.
Der Beklagte zu 1 wurde zwölf Mal operiert und musste die mit jeder Operation verbundenen zusätzlichen Schmerzen ertragen. Sein linker Fuß ist schwer und dauerhaft entstellt. Ferner leidet der Beklagte zu 1 dauerhaft beim Gehen unter Schmerzen. Er muss ständig auf seine körperlichen Gebrechen Rücksicht nehmen, insbesondere auch besonderes Schuhwerk und einen Unterschenkelkompressionsstrumpf tragen, was besonders in der warmen Jahreszeit unangenehm ist. Der Beklagte zu 1 war zum Unfallzeitpunkt erst 16 Jahre alt. Es ist nachvollziehbar und plausibel, dass ihm durch seine Entstellung und Beeinträchtigungen zahlreiche bei jungen Leuten seines Alters beliebte Freizeitbeschäftigungen verwehrt sind und es auch im sozialen Kontakt zu außergewöhnlichen Hemmungen und Schwierigkeiten kommen kann. Insbesondere die dauernden Schmerzen und die dauernde erhebliche Entstellung sind für alle Zukunft fortwirkende erhebliche Verminderungen seiner Leistungsfähigkeit und Lebensfreude. All dies rechtfertigt – unter Berücksichtigung einer 10%igen Mithaftung – die zusätzliche Festsetzung einer Schmerzensgeldrente in der ausgeurteilten Höhe (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 21.02.1991, Az.: 12 U 42/90).
4. Feststellungsantrag
Der Beklagte zu 1 hat nachgewiesen, dass er unter dauernden Beeinträchtigungen leidet und der weitere Verlauf noch nicht endgültig abgesehen werden kann, sodass das notwendige Feststellungsinteresse zu bejahen ist, allerdings mit der durch die Mithaftung bedingten Einschränkung.
5. Nebenforderungen
Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten kann der Beklagte zu 1 nicht erstattet verlangen.
Die Klagepartei hat bestritten, dass dem Beklagten zu 1 derartige Kosten tatsächlich entstanden sind und von diesem bezahlt wurden. Da der Beklagte zu 1 insofern keinen Beweis anbot, ist er beweisfällig geblieben. (Im Übrigen führte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1 mit Schriftsatz vom 22.12.2015 aus, dass es zu Verzögerungen der Sachbearbeitung seitens der Rechtsschutzversicherung des Beklagten zu 1 kam, was den Schluss nahelegt, dass die Rechtsanwaltskosten von der Rechtsschutzversicherung und nicht vom Beklagten zu 1 bezahlt wurden.) Gemäß § 291 BGB hat der Beklagte zu 1 Anspruch auf die geltend gemachten Prozesszinsen.
Im Übrigen war die Widerklage/Drittwiderklage abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 100 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging gemäß §§ 708, 709, 711 ZPO.
Der Streitwert war jeweils in Höhe der geltend gemachten Hauptforderung gemäß § 3 ZPO bzgl. der Zahlungsansprüche festzusetzen. Die geltend gemachte Rente war gemäß § 9 S. 1 ZPO in Höhe des 3,5-fachen Jahresbetrages zu berücksichtigen. Das Feststellungsinteresse wurde mit 5.000,- € bewertet.