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Verkehrsunfall zwischen Linksabbieger und Geradeausfahrer des Gegenverkehrs

Verkehrsunfall im Gegenverkehr – Linksabbieger und Geradeausfahrer prallen zusammen

Das Gericht hat die Klage im Fall eines Verkehrsunfalls zwischen einem Linksabbieger und einem Geradeausfahrer abgewiesen. Der Rotlichtverstoß des Geradeausfahrers wurde als entscheidender Faktor für den Unfall bestätigt. Das Urteil betont die Wichtigkeit der Beachtung von Ampelsignalen und die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile bei Verkehrsunfällen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 46 O 301/21   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Klageabweisung: Das Gericht hat die Klage gegen die Beklagten abgewiesen.
  2. Unfallbeteiligte: Der Unfall ereignete sich zwischen einem Linksabbieger und einem Geradeausfahrer.
  3. Entscheidender Faktor: Der Geradeausfahrer beging einen Rotlichtverstoß, der zum Unfall führte.
  4. Folgen des Unfalls: Zusätzlich zur Kollision mit dem Linksabbieger stieß das Fahrzeug des Geradeausfahrers gegen eine Radfahrerin.
  5. Schadensersatzforderungen: Die Klägerin forderte Schadensersatz, u.a. für Wiederbeschaffungskosten und Gutachterkosten.
  6. Beweisführung und Zeugenaussagen: Die Entscheidung basierte auf Zeugenaussagen und einem Unfallrekonstruktionsgutachten.
  7. Bedeutung der Ampelschaltung: Die korrekte Interpretation und Einhaltung der Ampelsignale war ein wesentlicher Aspekt des Urteils.
  8. Rechtliche Grundlagen: Das Urteil berücksichtigte die Paragraphen des StVG (Straßenverkehrsgesetz) und des BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).

Verkehrsrecht: Haftungsfragen bei Unfällen im Straßenverkehr

Im Bereich des Verkehrsrechts stehen oft komplexe Sachverhalte und Haftungsfragen im Fokus, besonders bei Unfällen zwischen unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern. Ein klassisches Beispiel hierfür ist der Zusammenstoß zwischen einem Linksabbieger und einem Geradeausfahrer, der nicht nur aufgrund seiner Häufigkeit, sondern auch wegen der damit verbundenen rechtlichen Herausforderungen von Bedeutung ist. Diese Konstellation wirft Fragen hinsichtlich der Einstandspflicht, Verursachungsanteile und Ampelschaltung auf, die für die Klärung von Schuld und Haftung entscheidend sind.

In solchen Fällen sind neben den Umständen des Unfalls selbst, wie etwa einem möglichen Rotlichtverstoß, auch Aspekte wie die Beweiswürdigung durch das Gericht und die Aussagen von Zeugen von großer Relevanz. Diese Punkte beeinflussen maßgeblich die Entscheidungen über Schadensersatzansprüche, Kosten und die Verteilung der Haftung. Der nun folgende Bericht befasst sich mit einem spezifischen Fall, der diese Themen aufgreift und verdeutlicht, wie Gerichte in solchen Situationen vorgehen. Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick in die Tiefen eines konkreten Urteils werfen, um zu verstehen, wie das Rechtssystem mit der Komplexität von Verkehrsunfällen umgeht und zu gerechten Entscheidungen gelangt.

Unfallhergang und rechtliche Folgen: Einblick in einen komplexen Verkehrsunfall

Am 21. Mai 2018 ereignete sich in Berlin ein Verkehrsunfall, der rechtliche Wellen schlug. Die Klägerin, Halterin eines VW, und die Beklagte, Fahrerin eines BMW, waren in einen Unfall verwickelt. Die Kollision fand an einer ampelgeregelten Kreuzung statt, an der der BMW beim Linksabbiegen mit dem entgegenkommenden VW kollidierte. Nach dem Unfall wurde der VW in eine Radfahrerin geschleudert, die dadurch schwer verletzt wurde. Die Klägerin behauptete, der Zeuge im VW sei bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren, und machte einen Vorfahrtsverstoß der Beklagten geltend. Die geforderten Schadensersatzansprüche umfassten unter anderem Wiederbeschaffungsaufwand, Nutzungsausfallentschädigung und Gutachterkosten.

Rotlichtverstoß als Wendepunkt im Verfahren

Die Beklagten hingegen gaben an, der Zeuge im VW sei mit überhöhter Geschwindigkeit und bei Rotlicht gefahren. Diese Behauptung wurde durch Beweisaufnahmen, einschließlich der uneidlichen Vernehmung mehrerer Zeugen und eines schriftlichen Unfallrekonstruktionsgutachtens, gestützt. Besonders bedeutsam war die Aussage einer Zeugin, die als Radfahrerin an der Kreuzung wartete. Ihre Schilderungen unterstützten die These, dass der VW bei Rot in die Kreuzung eingefahren war. Andererseits waren die Aussagen weiterer Zeugen weniger überzeugend oder zu ungenau, um die Ampelschaltung zum Unfallzeitpunkt klar zu bestimmen.

Juristische Bewertung und Haftungsabwägung

Das Gericht wog sorgfältig die Verursachungs- und Verschuldensanteile ab, wobei die Betriebsgefahr beider Fahrzeuge und die Regeln des Anscheinsbeweises berücksichtigt wurden. Es stellte sich heraus, dass der Zeuge im VW einen Rotlichtverstoß begangen hatte, was eine zentrale Rolle bei der Entscheidungsfindung spielte. Der Zeuge hatte sich zudem durch überhöhte Geschwindigkeit außerstande gesetzt, unfallverhütend zu reagieren. Das Gutachten ergab, dass der Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vermeidbar gewesen wäre.

Urteil und seine Konsequenzen

Das Landgericht Berlin entschied am 3. August 2022, die Klage abzuweisen. Das Urteil stützte sich darauf, dass der Zeuge im VW für den Unfall hauptsächlich verantwortlich war, durch Rotlichtverstoß und überhöhte Geschwindigkeit. Folglich wurden alle Schadensersatzansprüche der Klägerin zurückgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits ihr auferlegt. Das Urteil hebt die Bedeutung der Einhaltung von Verkehrsregeln und der korrekten Bewertung von Zeugenaussagen hervor.

Das Landgericht Berlin hat mit diesem Urteil eine klare Botschaft gesendet: Verkehrsregeln sind strikt einzuhalten, und ihre Missachtung führt zu ernsten rechtlichen Konsequenzen. Das Urteil unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen und umfassenden Beweisaufnahme, um eine gerechte Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung dient als ein wichtiger Hinweis für alle Verkehrsteilnehmer und Rechtspraktiker, wie schwierig es sein kann, bei einem Verkehrsunfall Gerechtigkeit zu erlangen und wie entscheidend die Einhaltung von Verkehrsregeln ist.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Was sind die rechtlichen Grundlagen für die Haftung bei Verkehrsunfällen gemäß §§ 7 I, 18 I StVG und § 823 BGB?

Die rechtlichen Grundlagen für die Haftung bei Verkehrsunfällen gemäß §§ 7 I, 18 I StVG und § 823 BGB sind wie folgt:

§ 7 I StVG regelt die Haftung des Halters eines Kraftfahrzeugs. Diese Haftung ist eine Gefährdungshaftung, die unabhängig vom Verschulden besteht. Der Halter eines Kraftfahrzeugs haftet also für Schäden, die bei dem Betrieb des Fahrzeugs entstehen, auch wenn er kein Verschulden trifft. Geschützte Rechtsgüter sind Leben, Eigentum, Körper und Gesundheit.

§ 18 I StVG betrifft die Haftung des Fahrers. Hier handelt es sich um eine Haftung für vermutetes Verschulden. Das bedeutet, dass der Fahrer seine Nichtschuld beweisen muss, um der Haftung zu entgehen.

§.

Es ist zu beachten, dass die Normen des StVG stets vorrangig gegenüber den Normen des BGB nach §§ 823 ff. zu prüfen sind. Dies liegt darin begründet, dass es sich bei der Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG um eine Gefährdungshaftung handelt, die unabhängig vom Verschulden besteht, während § 823 BGB eine Verschuldenshaftung darstellt.

Wie wird die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge vorgenommen?

Die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile unter Berücksichtigung der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge erfolgt gemäß § 17 StVG. Bei dieser Abwägung sind nur unstreitige, zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen.

Die Betriebsgefahr bezieht sich auf die Gefahr, die von einem Fahrzeug im Betrieb ausgeht. Jeder Halter muss die Umstände beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Absatz 1 und 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will.

Die Haftungsverteilung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. In bestimmten Fällen, in denen das Verschulden des Schädigers massiv überwiegt, insbesondere weil er sich grob verkehrswidrig verhält, kann die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Geschädigten vermindert oder sogar völlig zurücktreten.

Es ist zu erwähnen, dass die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile eine komplexe und nuancierte Beurteilung erfordert, die stark von den spezifischen Umständen des jeweiligen Verkehrsunfalls abhängt.


Das vorliegende Urteil

LG Berlin – Az.: 46 O 301/21 – Urteil vom 03.08.2022

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls auf Schadensersatz in Anspruch.

Am 21.05.2018 befuhr der Zeuge … mit dem im Eigentum der Klägerin stehenden und von ihr gehaltenen Pkw der Marke VW die …straße in Berlin aus Richtung …platz kommend. Die Beklagte zu 2 befuhr mit dem bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Pkw der Marke BMW die …straße in entgegengesetzter Richtung, um nach links in die …straße abzubiegen. An der ampelgeregelten Kreuzung, die für Linksabbieger aus der …straße in die …straße mit einem grünen Räumpfeil versehen ist, kam es zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge. Nach der Kollision stieß das Fahrzeug der Klägerin unter anderem gegen eine Radfahrerin, die gegen eine Hauswand geschleudert und dadurch erheblich verletzt wurde. Die näheren Umstände des Unfallgeschehens sind zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagten eine vollumfängliche Einstandspflicht treffe. Dazu behauptet sie, dass der Zeuge … bei Grünlicht abstrahlender Lichtzeichenanlage in die Kreuzung …straße/…straße eingefahren sei. Die Beklagte zu 2 habe einen Vorfahrtsverstoß begangen.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Erstattung eines Wiederbeschaffungsaufwands in Höhe von 12.150 €, Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 826 €, Erstattung von Gutachterkosten in Höhe von 1.426,81 €, die Zahlung einer An- und Abmeldepauschale in Höhe von 65 € sowie einer Unkostenpauschale in Höhe von 25 €.

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Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 14.492,81 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.11.2018 zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.041,35 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten insbesondere, dass der Zeuge … mit einer Geschwindigkeit von 110-120 km/h gefahren sei. Bereits aus diesem Grund stünden der Klägerin keine Schadensersatzansprüche zu. Zudem habe der Zeuge … einen Rotlichtverstoß begangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen … …, …, …, … gen. … sowie …. Ferner hat die Kammer aufgrund Beweisbeschlusses vom 18.08.2021 Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Unfallrekonstruktionsgutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 28.07.2021 sowie das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. Dr. … vom 27.01.2022 Bezug genommen.

Die Akte der Amtsanwaltschaft Berlin 3012 Js 7491/18 hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, ebenso der Lage- und Signalzeitenplan für die Kreuzung …straße/…straße.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Der Klägerin stehen wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls keine Ansprüche gegen die Beklagten gemäß §§ 7 I, 18 I StVG, § 823 BGB (gegenüber der Beklagten zu 1 i.V.m. § 115 I 1 Nr. 1 VVG) – den allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen – zu.

1. Ansprüche gemäß §§ 7 I, 18 I StVG (gegenüber der Beklagten zu 1 i.V.m. § 115 I 1 Nr. 1 VVG) bestehen nicht.

a) Grundsätzlich – und auch hier – kommt es für die Haftung nach §§ 7 I, 18 I StVG gemäß §§ 17 I, II, 18 III StVG auf eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr an. Hierbei sind nach der ständigen Rechtsprechung neben unstreitigen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Berücksichtigung finden (BGH, NZV 1996, 231; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 17 StVG Rn. 4 m.w.N.). Daraus folgt nach allgemeinen Beweisgrundsätzen, dass im Rahmen der nach § 17 I, II StVG vorzunehmenden Abwägung jeweils der eine die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen hat, die dem anderen zum Verschulden bzw. zum Nachteil gereichen (BGH, NZV 1996, 231).

b) Gemessen daran hat die Klägerin den ihr entstandenen Schaden allein zu tragen. Im Einzelnen:

aa) Bei einem Zusammenstoß zwischen einem Linksabbieger (hier: der Beklagten zu 2) und einem Geradeausfahrer des Gegenverkehrs (hier: des Zeugen …) trifft den Linksabbieger in der Regel die volle Haftung; in einem solchen Fall spricht nämlich grundsätzlich der Beweis des ersten Anscheins für eine unfallursächliche Verletzung der dem Linksabbieger obliegenden besonderen Sorgfaltspflichten aus § 9 III StVO (BGH, NZV 2007, 294 Tz. 8). Das ist jedoch dann anders, wenn es an einer ampelgeregelten und mit einem grünen Räumpfeil versehenen Kreuzung – wie es ausweislich des beigezogenen Lage- und Signalzeitenplans hier der Fall war – zu einem Unfall kommt (BGH, NZV 1996, 231). Der Anscheinsbeweis kommt nämlich nur in Betracht, wenn ein Sachverhalt feststeht, der typischerweise auf eine bestimmte Ursache oder ein Verschulden hinweist. Es muss also ein typischer Geschehensablauf feststehen, der nach der Erfahrung des Lebens den Schluss auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten rechtfertigt. Diese Voraussetzung liegt beim Zusammenstoß eines Linksabbiegers mit einem entgegenkommenden Kfz an einer ampelgeregelten und mit einem Grünpfeil versehenen Kreuzung nicht vor. Insbesondere spricht in einer solchen Situation nach der Erfahrung des Lebens nichts dafür, dass der Abbiegende zu einer Zeit die Fahrbahn des entgegenkommenden Verkehrsteilnehmers gekreuzt hat, als der grüne Pfeil für ihn noch nicht aufleuchtete. Ebenso wenig gibt es einen Erfahrungssatz dahin, dass der Unfallgegner seinerseits in erlaubter Weise bei Grün oder Gelb, also zu einer Zeit, in der bei intakter Ampelanlage der grüne Pfeil für den entgegenkommenden Linksabbieger noch nicht aufgeleuchtet haben kann, in die Kreuzung eingefahren ist (BGH a.a.O.).

bb) Der Geradeausfahrer hat zu beweisen, dass der grüne Räumpfeil (§ 37 I, II Nr. 1 Satz 12 StVO) für den Linksabbieger bei Abbiegebeginn noch nicht aufgeleuchtet hatte und daher ein Verstoß des Linksabbiegers gegen § 9 III 1 StVO vorliegt, während der Linksabbieger den Rotlichtverstoß des Geradeausfahrers (§ 37 I, II Nr. 1 Satz 7 StVO) zu beweisen hat (Kuhnke, NZV 2018, 447, 452 m.w.N.).

cc) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Zeuge … einen Rotlichtverstoß begangen hat, während sich nicht feststellen lässt, dass die Beklagte zu 2 nach links abzubiegen begonnen hatte, bevor der grüne Räumpfeil aufgeleuchtet hatte.

(1) Gemäß § 286 I 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Eine absolute Gewissheit ist nicht erforderlich, um von der Wahrheit einer Behauptung auszugehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der etwaigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (siehe etwa BGH, NJW 2013, 790 Rn. 17; std. Rspr.). Bei der Beweiswürdigung ist das Gericht lediglich an die Denk- und Naturgesetze, an Erfahrungssätze sowie ausnahmsweise an gesetzliche Beweisregeln gebunden. Ansonsten darf es aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten (KG, NZV 2004, 355 m.w.N.).

(2) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ist die Kammer davon überzeugt, dass der Zeuge … einen Rotlichtverstoß begangen hat, also bei Rot über die Haltelinie in die Kreuzung eingefahren ist. Demgegenüber lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte zu 2 vor dem Aufleuchten des grünen Räumpfeils mit dem Linksabbiegen begonnen hatte:

(aa) Die Zeugin … hat sowohl in ihrer schriftlichen Zeugenaussage gegenüber dem Polizeipräsidenten in Berlin vom 15.06.2018 als auch im Rahmen ihrer Vernehmung vor der Kammer u.a. bekundet, dass sie mit ihrem Fahrrad an der Kreuzung …straße/…straße an der für sie als Radfahrerin zunächst rotes Licht zeigenden Ampel gestanden habe. Nach dem Umschalten der Fahrradampel auf Grün habe sie gerade wieder anfahren wollen, als sie einen Knall vernommen und das vom Zeugen … geführte Fahrzeug auf der Kreuzung vor sich gesehen habe.

Die Kammer erachtet die Zeugin für glaubwürdig und ihre Aussage für glaubhaft. Es handelt sich um eine neutrale Zeugin, die das Unfallgeschehen sowohl gegenüber der Polizei als auch gegenüber der Kammer nachvollziehbar und sehr detailliert – ihre Angaben sind oben zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nur sehr knapp wiedergegeben worden – geschildert hat. Als an der Kreuzung wartende Radfahrerin hatte sie auch hinreichenden Anlass, auf die Schaltung der für sie geltenden Ampel zu achten. Dass sie nach dem Umschalten der Ampel gerade dabei war, wieder anzufahren, was sie während ihrer Vernehmung auch anschaulich andeutete, ist plausibel.

(bb) Demgegenüber vermag die Kammer der ebenfalls neutralen Zeugin … gen. … keinen Glauben zu schenken. Zur Schaltung der Ampel, die für sie ebenso wie für den Zeugen … galt, bekundete sie gegenüber der Kammer, dass sich hierzu nichts Verlässliches mehr sagen könne. Ihre Erinnerungslücke erklärte sie – durchaus nachvollziehbar – mit dem langen Zeitraum, der seit dem Unfall verstrichen sei. Soweit sie darauf hinwies, sie gehe davon aus, dass ihre Aussage gegenüber der Polizei zutreffend sei, führt das nicht weiter. Dort heißt es zwar u.a.: „Ich kam mit meinem Auto schwarzer VW Golf 6 aus Richtung …platz an der Kreuzung U …straße war grün.“ [sic] Es mag sein, dass sie damit zum Ausdruck bringen wollte, dass die für sie und den Zeugen … geltende Ampel grün war. Allerdings ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass diese Aussage zutrifft. Dabei ist klarzustellen, dass die Kammer keine Anhaltspunkte dafür hat, dass die Zeugin bewusst die Unwahrheit gesagt hat. Zu berücksichtigen ist aber, dass sie in ihrer Aussage gegenüber der Polizei angegeben hat, aufgrund des Unfallgeschehens „sehr geschockt“ gewesen zu sein. Das ist auch nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang ist aber von Bedeutung, dass nach den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie Ereignisse, die in den letzten ca. 20 Minuten vor einem Schock eintreten, mehr oder weniger der Vergessenheit anheimfallen, weil sie noch nicht endgültig im Langzeitgedächtnis verankert waren. Gerade hinsichtlich der letzten Ereignisse vor einem Unfall existieren daher in einem solchen Fall keine (verlässlichen) Erinnerungen (OLG Hamm, Urteil vom 21.02.2002 – 27 U 178/01 – juris Rn. 27 m.w.N.).

(cc) Die Kammer vermag auch dem Zeugen … nicht zu glauben. Gleiches gilt für den in der mündlichen Verhandlung am 28.07.2021 erstmals benannten Zeugen …. Beide Zeugen gaben an, dass die Ampel auf Grün umgeschaltet habe, als das vom Zeugen … geführte Fahrzeug ungefähr 15-20 Meter (Zeuge …) bzw. ungefähr 15 Meter (Zeuge …) vor der Ampel gewesen sei. Das würde bedeuten, dass der Zeuge … mit hoher Geschwindigkeit auf die zunächst noch nicht Grün zeigende Ampel zugefahren sei müsste, zumal der Sachverständige … nachvollziehbar ausgeführt hat, dass die Kollisionsgeschwindigkeit jedenfalls 70 km/h betragen haben muss (Seite 19 des Gutachtens). Ein solches Verhalten würde aber u.a. eine nicht plausible erhebliche Selbstgefährdung des Zeugen … implizieren, weil nicht ersichtlich ist, woraus er Vertrauen schöpfen konnte, dass die Ampel alsbald auf Grün umschalten werde. Schon deshalb sieht sich die Kammer nicht imstande, den beiden Zeugen zu glauben. Hinsichtlich des Zeugen … ist zudem bemerkenswert, dass er sich ausweislich des Tätigkeitsberichts auf Blatt 38R der beigezogenen Akte der Amtsanwaltschaft Berlin erst nach einer Viertelstunde gegenüber der Polizei als Unfallbeteiligter zu erkennen gab und hierzu erklärte, er habe die Polizeibeamten nicht gefunden, dies obwohl der Einsatzwagen offen mit Blaulicht auf der Kreuzung stand. Dies weckt (weitere) Zweifel an seiner Redlichkeit. Von Bedeutung ist auch, dass der Zeuge Salman am Unfallort keine Angaben zum Sachverhalt machen wollte. Auch das ergibt sich aus der beigezogenen Akte (Blatt 5). Wäre der Zeuge … tatsächlich bei Grün gefahren, hätte nichts näher gelegen, als den Polizeibeamten dieses rechtskonforme Verhalten mitzuteilen. Geschehen ist es nicht.

(dd) Die Aussage der Zeugin …, die die Beifahrerin der Beklagten zu 2 war, vermag zur Aufklärung des Sachverhalts nichts beizutragen. Aus ihrer Position konnte sie die Schaltung der für den Zeugen … geltenden Ampel nicht sehen. Sie gab an, dass es nach ihrer Erinnerung keinen grünen Räumpfeil – gemeint war eine entsprechende Signalanlage – gegeben habe. Ausweislich des beigezogenen Lage- und Signalzeitenplans ist das unrichtig. Offenbar war die Zeugin insoweit nicht ausreichend aufmerksam. Belastbare Rückschlüsse auf das Geschehen lässt ihre Aussage (daher) nicht zu.

(ee) Nach allem ist die Kammer davon überzeugt, dass sich der Unfall so zugetragen hat, wie es die Zeugin … geschildert hat. In Zusammenschau mit dem Lage- und Signalzeitenplan sowie der als Anlage zum Protokoll vom 28.07.2021 genommenen Luftbildaufnahme und unter Berücksichtigung einer Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs von jedenfalls 70 km/h kann auf dieser Grundlage zwanglos der Schluss gezogen werden, dass der Zeuge … die Haltelinie bei rotem Licht passiert hat. Dem Signalzeitenplan lässt sich entnehmen, dass die für den Zeugen … geltende Signalgruppe (K1 bis 3) 10 Sekunden vor dem Umschalten der für die Zeugin … geltenden Ampel (R2) auf Grün ihrerseits auf Rot umschaltet. Nach allem muss der Zeuge … bei Rot über die Haltelinie gefahren sein. Demgegenüber lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte zu 2 nach links abgebogen ist, bevor der grüne Räumpfeil (Signalgruppe KL1) aufleuchtete. Ausweislich des Signalzeitplans leuchtet der Räumpfeil vier Sekunden vor dem Umschalten der für die Zeugin … geltenden Ampel auf Grün auf und leuchtet nach ihrem Umschalten noch eine weitere Sekunde weiter. Es ist daher möglich, dass die Beklagte zu 2 nach links abbog, als der grüne Räumpfeil leuchtete. Darauf, ob die Beklagte zu 2 diesen Umstand wahrgenommen hat oder nicht, kommt es nicht an.

dd) Aufgrund des Rotlichtverstoßes des Zeugen … tritt die von dem Beklagtenfahrzeug ausgehende einfache Betriebsgefahr bei der Haftungsabwägung vollständig zurück. Auch wenn es darauf nicht ankommt, sei noch darauf hingewiesen, dass der Zeuge … nicht nur einen Rotlichtverstoß begangen hat, sondern auch mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist und sich dadurch außerstande gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren. Der Sachverständige … kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Ausgangsgeschwindigkeit des vom Zeugen … geführten Fahrzeugs jedenfalls 70 km/h betragen haben muss. Er ist daher jedenfalls 20 km/h zu schnell gefahren. Eine überhöhte Geschwindigkeit ergibt sich zudem auch aus den Aussagen des Zeugen … und des Zeugen …. Beide haben angegeben, dass die Geschwindigkeit höher gewesen sei als die zulässigen 50 km/h. Der Sachverständige hat weiter festgestellt, dass der Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ohne Weiteres vermeidbar gewesen wäre. Festzuhalten ist nach allem, dass der Zeuge … in hohem Maße rücksichtslos gefahren ist und den Unfall allein verschuldet hat.

2. Ansprüche aus § 823 BGB (gegenüber der Beklagten zu 1 i.V.m. § 115 I 1 Nr. 1 VVG) bestehen bereits deshalb nicht, weil sich das insoweit erforderliche Verschulden der Beklagten zu 2 nicht feststellen lässt.

3. Da die Hauptforderung nicht besteht, hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen.

II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I 1, 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

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