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Wiedereinsetzung in vorigen Stand – Fristversäumung aufgrund psychischer Ausnahmesituation

OLG Frankfurt – Az.: 13 U 258/18 – Beschluss vom 27.03.2019

Der Antrag des Beklagten vom 2.1.2019, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Berufung des Beklagten gegen das am 25.10.2018 verkündete Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt wird als unzulässig verworfen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Berufungsverfahrens vorbehalten.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten Schadenersatzansprüche aus Notarhaftung geltend.

Mit Urteil vom 25.10.2018 hat das Landgericht Darmstadt den Beklagten zur Zahlung von Schadenersatz und zur Freistellung der Klägerin von Ansprüchen Dritter unter teilweiser Klageabweisung im Übrigen verurteilt.

Gegen das dem sich im ersten Rechtszug selbst vertretenden Beklagten am 9.11.2018 (vgl. EB Bl. 248 d. A.) zugestellte Urteil, auf dessen Inhalt (Bl. 229 – 245 d. A.) Bezug genommen wird, hat der Beklagte durch seine Prozessbevollmächtigten zweiter Instanz mit Schriftsatz vom 2.1.2019 (Bl. 259 ff. d. A.) Berufung eingelegt. Der Schriftsatz ist am selben Tag beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main – Zivilsenate Darmstadt – eingegangen.

Gleichzeitig hat der Beklagte beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages lässt der Beklagte vortragen, er habe nach Zustellung des Urteils die Berufungsfrist „wegen § 222 Abs. 2 ZPO“ auf den 10.12.2018 notiert und mit Schreiben vom 13.11.2018 seinen Vermögenschadenhaftpflichtversicherer über das Urteil und die Berufungsfrist informiert. Gleichzeitig habe er angeraten, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Auf das Schreiben des Beklagten vom 13.11.2018 (Anlage BLD 1, Bl. 292/293 d. A.) wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 27.11.2018 (Anlage BLD 2, Bl. 294 d. A.) hat die x AG dem Beklagten mitgeteilt, dass sie mit der Durchführung des Berufungsverfahrens einverstanden sei. In dem genannten Schreiben heißt es u.a. wörtlich: „Bitte mandatieren Sie umgehend das Stadt1 Büro der Kanzlei A, B und C. Ansprechpartner vor Ort ist Herr Rechtsanwalt D; bitte stellen Sie diesem das Urteil und alle von dort benötigten Unterlagen zur Verfügung.“

Der Beklagte trägt weiter vor, er sei davon ausgegangen, dass die X den Prozessbevollmächtigten des Beklagten unmittelbar mit der Berufungseinlegung beauftragen würde. Die Weisung seines Versicherers, dass er selbst die Rechtsanwaltskanzlei beauftragen solle, habe er offensichtlich missverstanden. Erst auf Grund eines Telefonats mit seinem Prozessbevollmächtigten am 21.12.2018 habe er erfahren, dass eine Mandatierung bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt sei. Anlässlich dieses Telefonats sei ihm sein Irrtum aufgefallen.

Der Beklagte ist der Ansicht, ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist verhindert gewesen zu sein. Dies ergebe sich daraus, dass am XX.11.2018 seine Ehefrau verstorben sei, die er zuvor über Wochen wegen eines fortgeschrittenen Krebsleidens ohne Behandlungsmöglichkeit oder Heilungsaussichten zu Hause gepflegt habe. Dies habe ihn – altersbedingt nur noch als Einzelanwalt ohne Sozien- oder Kanzleipersonal tätigen Rechtsanwalt – psychisch aus der Bahn geworfen und bei ihm zu depressiven Zuständen mit Konzentrationsschwächen und herabgesetzter kognitiver Leistungsfähigkeit geführt.

Zur Glaubhaftmachung hat der Beklagte eine eidesstattliche Versicherung vom 2.1.2019 (Anlage BLD 3, Bl. 307 d. A.) und ein ärztliches Attest des Arztes E – Facharzt für Allgemeinmedizin – vom 16.1.2109 (Anlage BLD 5, Bl. 323 c d. A.) vorgelegt.

II.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist ist gemäß §§ 233, 234, 236, 237, 238 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht binnen der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs.1 ZPO gestellt, denn der Beklagte hat hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er erst am 21.12.2018 von der Versäumung der Berufungsfrist erfahren hat.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erweist sich jedoch in der Sache als unbegründet.

Die Voraussetzungen nach § 233 ZPO, wonach einer Partei auf Antrag Weidereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine der dort aufgeführten Fristen einzuhalten, zu denen auch die Berufungsfrist gemäß § 517 ZPO als Notfrist im Sinne des § 233 ZPO zählt, liegen nicht vor. Die Versäumung der Berufungsfrist beruht vielmehr auf einem Verschulden des Beklagten.

Ob ein Verschulden der Partei oder ihres Vertreters vorliegt, ist nach dem objektiv abstrakten Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB zu beurteilen. Maßgeblich ist hierbei grundsätzlich die Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei (Zöller/Greger, ZPO, 32. Auflage, § 233 Rz. 12 m. w. N.). Hinsichtlich des nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens ist in der Regel die übliche, also berufsbedingt strenge Sorgfalt vorauszusetzen, so dass insoweit regelmäßig eine Fristversäumung verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre (BGH, NJW 1985, 1710; BAG, AP § 233 ZPO Nr. 12). Dies gilt auch, wenn der Rechtsanwalt – wie vorliegend – selbst Partei ist (BGH vom 14.7.1998 – XI ZB 42/97).

Die selbstverständlich auch für den Senat nur allzu gut nachvollziehbare emotionale und psychische Ausnahmesituation, in der sich der Beklagte nach dem Inhalt seiner eidesstattlichen Versicherung durch den Tod seiner am XX.11.2018 verstorbenen Ehefrau befunden haben mag, rechtfertigt jedoch auch bei grundsätzlich bestehendem Verständnis des Senats für die im maßgeblichen Zeitraum schwierige Lebenssituation des Beklagten unter umfassender Bewertung der Gesamtumstände nicht die Annahme der unverschuldeten Versäumung der Berufungsfrist.

Zwar kann eine Krankheit der Partei bzw. deren Vertreters eine Wiedereinsetzung rechtfertigen, etwa dann wenn eine Rechtsmittelfrist oder die Absendung eines Schriftsatzes infolge einer schwerwiegenden seelischen Belastung oder Erregung, z.B. auf Grund familiärer Sorgen vergessen wird (vgl. BGH, VersR 85/47). Dies wird jedoch nach der einschlägigen Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in „Krankheitsfällen“ in erster Linie beim plötzlichen Eintritt unvorhersehbarer außergewöhnlicher Umstände zu gelten haben, die zu einem „Momentversagen“ führen und ein Verschulden an der Fristversäumung entfallen lassen können (vgl. BGH, Beschluss vom 8.11.1984, Az.: V ZB 14/84 recherchiert nach juris).

Von einer für die gesamte Dauer des Laufs der einmonatigen Berufungsfrist bestehende psychische Ausnahmesituation des Beklagten kann vorliegend indes nicht ausgegangen werden. Denn nicht einmal der Beklagte selbst gibt an, sich nach dem bedauernswerten Tod seiner Ehefrau permanent in einer psychischen Ausnahmesituation befunden zu haben. Vielmehr trägt er vor, der Tod seiner Ehefrau habe zu erheblichen psychischen Beeinträchtigungen bis hin zu „depressiven Phasen“ und „offenbar Einschränkungen seiner kognitiven Fähigkeiten“ geführt.

Entscheidend gegen eine seit dem Tod der Ehefrau durchgängig bestehende Hinderung, auf Grund der psychischen Belastungssituation die erforderlichen prozessualen Maßnahmen im vorliegenden Verfahren zu ergreifen, spricht insbesondere die Tatsache, dass der Beklagte nach seinem eigenen Vorbringen in der Lage war, nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils nicht nur die Berufungsfrist korrekt zu berechnen und zu notieren, sondern darüber hinaus auch das Schreiben an die X vom 13.11.2018 (Bl. 292/293 d. A.) zu verfassen. Der Inhalt des Schreibens, in dem er sich mit der seines Erachtens gegebenen Rechtsfehlerhaftigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung auseinandersetzt und unter korrekter Mitteilung der Berufungsfrist der Versicherung die Einlegung eines Rechtsmittels vorschlägt, spricht zusätzlich für die zum damaligen Zeitpunkt beim Beklagten vorhandene Fähigkeit die erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung von Rechtsnachteilen zu treffen.

Die Verhaltensweise des Beklagten zeigt, dass er trotz des nur wenige Tage zuvor eingetretenen Schicksalsschlages grundsätzlich durchaus in der Lage war, die zur Verhinderung des Eintritts der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils erforderlichen Maßnahmen zu treffen bzw. zu veranlassen.

Weshalb er ca. zwei Wochen später, nach Erhalt des Schreibens der X unverschuldet nicht in der Lage gewesen sein sollte, die eindeutige Aufforderung seines Vermögensschadenshaftpflichtversicherers, die von dieser genannte Rechtsanwaltskanzlei mit der Einlegung des Rechtsmittels zu beauftragen, zu befolgen, erschließt sich dem Senat aus den vorstehenden Gründen nicht.

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Den Einfluss seiner psychischen Situation auf die Handlungsfähigkeit vom Zeitpunkt des Erhalts des Schreibens der X und in dem Zeitraum danach bis zum Ablauf der Berufungsfrist hat der Beklagte nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht (vgl. auch BVerfG, NJW-RR 2007, 1717).

Insoweit hätte konkret dargelegt und glaubhaft gemacht werden müssen, weshalb der Beklagte einerseits ca. zwei Wochen nach dem Tod seiner Ehefrau zu ordnungs- und pflichtgemäßem Handeln offenbar in der Lage gewesen ist, dies jedoch wiederum zwei Wochen später nicht mehr der Fall gewesen sein soll.

Zu beachten ist vorliegend auch, dass ein Rechtsanwalt Vorkehrungen dafür treffen muss, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt (BGH, NJW 2008, 3571). In einem solchen Fall muss er seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen geben bzw. dann, wenn er – wie der Beklagte – als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig ist, für seine Vertretung sorgen (BGH, VersR 1990, 1026; 1994, 1207). Solche Vorkehrungen hat der Beklagte unstreitig nicht getroffen, obwohl er auf Grund des unmittelbar bevorstehenden Ablebens seiner Ehefrau mit entsprechenden Beeinträchtigungen rechnen musste.

Eine andere Betrachtungsweise ergibt sich auch nicht aus dem vorgelegten Attest des Arztes E vom 16.1.2019 (Bl. 323 c d. A.). Der Senat sieht den Inhalt des nicht aussagekräftigen Attests äußerst kritisch. Hierin ist weder angegeben, in welchem Zeitraum der Beklagte sich – wie oft – in der Behandlung des attestierenden Arztes befand, noch ergibt sich hieraus, ob dem Beklagten Medikamente, etwa Beruhigungsmittel, verschrieben worden sind, die ihn möglicherweise in seiner Denk- und Handlungsfähigkeit beeinträchtigt haben könnten.

Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel an der Aussagekraft und Verlässlichkeit der Diagnose „akute Belastungsreaktion und reaktive Depression“ durch einen Facharzt für Allgemeinmedizin verbunden mit der Schlussfolgerung der Patient sei „nicht in der Lage gewesen, fristgerecht zu handeln“. Der Senat hat insoweit Zweifel, ob eine seriöse und zuverlässige Diagnose der vorliegenden Art, welche ggf. auch Schlussfolgerungen zum Einfluss der Beeinträchtigung auf die Entschluss- und Handlungsfähigkeit einer Partei zulässt, nicht ohnehin durch einen Facharzt für Psychiatrie und nicht durch einen Allgemeinmediziner zu erfolgen hätte.

Die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages hat die Verwerfung der Berufung als unzulässig zur Folge (§ 522 Abs.1 ZPO).

Die Entscheidung über die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens und die Kosten des Berufungsverfahrens – soweit sie die Verwerfung der Berufung des Beklagten als unzulässig betreffen – war der Endentscheidung vorzubehalten, da im vorliegenden Berufungsverfahren über die sich gegen die erstinstanzliche Zug um Zug Verurteilung richtende Berufung der Klägerin noch zu entscheiden ist.

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