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Verkehrsunfall durch Vorfahrtsverstoß an gleichrangiger Kreuzung

LG Münster – Az.: 16 O 86/18 – Urteil vom 27.03.2019

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden, die ihm durch den Unfall am 03.04.2015 in Münster, A-Straße / B-Straße entstanden sind und noch entstehen werden, in voller Höhe zu ersetzen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist bzgl. der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 1), 2) und 3) dem Grunde nach wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 30.04.2015 gegen 11:30 Uhr in Münster im Kreuzungsbereich A-Straße / B-Straße ereignete.

Der Kläger befuhr zum Unfallzeitpunkt mit seinem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen ST-## ### die A-Straße in Münster in südlicher Richtung. Dabei passierte er die Kreuzung A-Straße/B-Straße. Bei der genannten Kreuzung handelt es sich um eine solche ohne gesonderte Vorfahrtsregelung, so dass dort die Vorfahrtsregelung „rechts vor links“ gilt. In der Kreuzung kam es zum Zusammenstoß mit dem Beklagten zu 1), der aus Sicht des Klägers von links kommend die B-Straße mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen H-## #### befuhr. Halter dieses Fahrzeugs ist die Beklagte zu 2). Zum Zeitpunkt des Unfalls war das Fahrzeug bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Beklagte zu 1) die Vorfahrt des Klägers, der aus seiner Sicht von rechts kam, missachtete.

Aufgrund des Unfalls erlitt das klägerische Fahrzeug einen Totalschaden. Der Kläger wurde schwer verletzt. Die Beklagte zu 3) glich die unfallbedingten Schäden des Klägers zu einer Quote 75 % aus und zahlte ihm einen Betrag in Höhe von insgesamt 25.000 EUR aus. Weiter teilte sie ihm mit Schreiben vom 06.07.2018 mit, dass sie bereit sei, auch zukünftige unfallbedingte materielle und immaterielle Schäden zu 75 % zu erstatten, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Der Kläger beantragt festzustellen, dass die Beklagten zu 1), 2) und 3) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger in voller Höhe die materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger durch den Unfall am 03.04.2015 in Münster, A-Straße/B-Straße entstanden sind und noch entstehen werden.

Die Beklagten beantragen,  die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, eine Haftung bestünde nur zu 75 %, da den Kläger eine Mithaftung in Höhe von 25 % treffe. Es liege ein Fall der sogenannten „halben Vorfahrt“ vor, wonach die Verpflichtung, an einer Kreuzung zweier gleichberechtigter Straßen dem jeweils von rechts kommenden Fahrzeug das Vorrecht einzuräumen es gebiete, nur so langsam an den Kreuzungsbereich heranzufahren, dass ein von rechts Kommender jederzeit vorgelassen werden könnte. Gegen diese Verpflichtung, die auch den von links Kommenden schütze, habe der Kläger verstoßen. Für ihn sei der Blick nach rechts in die B-Straße nämlich nicht ohne Weiteres einsehbar gewesen, weil die Sicht durch Baum- und Buschbestand erschwert gewesen sei. Deswegen habe der Kläger die Pflicht gehabt, seine Fahrgeschwindigkeit zu verringern, um rechtzeitig auf Verkehr von rechts reagieren zu können. Aufgrund seiner tatsächlichen Geschwindigkeit aber sei der Kläger wegen der für ihn eingeschränkten Sicht nicht in der Lage gewesen, den ihm gegenüber bevorrechtigten Verkehr von rechts zu beachten.

Das Gericht hat den Parteien mitgeteilt, dass aufgrund eines privaten Besuches die Unfallstelle inzwischen gerichtsbekannt sei. Der Beklagtenvertreter hat die Unfallstelle ebenfalls selbst in Augenschein genommen. Auf die von ihm gefertigten Fotografien wird Bezug genommen (Bl 49. Ff. d.A.). Vor diesem Hintergrund sit auf die Durchführung eines Ortstermin verzichtet worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Verkehrsunfall durch Vorfahrtsverstoß an gleichrangiger Kreuzung
(Symbolfoto: Michael O’Keene/Shutterstock.com)

Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist wegen der Möglichkeit zukünftiger Schäden und des ernsthaften Bestreitens einer Haftung, die über die mit Schreiben vom 06.07.2018 bereits anerkannte Quote von 75 % hinausgeht, gegeben.

Die Beklagten zu 1), 2) und 3) haften für alle unfallbedingten materiellen und immateriellen Schäden in voller Höhe aus §§ 7 Abs. 1 und 18 Abs. 1 StVG, sowie aus § 115 Abs. 1 VVG. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist ihre Haftung nicht wegen eines Mitverursachungsbeitrags des Klägers gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG um 25 % zu kürzen. Ein schuldhafter Verursachungsbeitrag des Klägers lässt sich nicht erkennen. Der Kläger hatte nicht die Pflicht, seine Geschwindigkeit erheblich zu verringern, als er in die Kreuzung einfuhr. Denn auch bei einer nach rechts unübersichtlichen Kreuzung muss sich der Vorfahrtsberechtigte nur dann langsam in den Kreuzungsbereich hineintasten, wenn er die kreuzende Straße nach rechts nicht weit genug einsehen kann (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 15.03.1999 – 13 U 208/98). Aufgrund der erlangten Kenntnis des Gerichts von der Unfallstelle steht für das Gericht fest, dass der Kläger trotz des seitlichen Baum- und Buschbewuchses ausreichende Sicht auf den von rechts kommenden Verkehr hatte. Zwar mag die Sicht aus einer Entfernung von etwa 50 Metern vor der Kreuzung durch die Sträucher teilweise etwas eingeschränkt gewesen sein. Nach Überzeugung des Gerichts ist es dennoch möglich, frühzeitig von rechts herannahenden Verkehr durch die Sträucher hinweg zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Insoweit war z.B. ein von rechts herannahender PKW bereits frühzeitig aus einer Entfernung des Vorsitzenden von ca. 50 Metern vor der Kreuzung unproblematisch zu erkennen.  Ab einer Entfernung von 10 bis 15 Metern zum Kreuzungsbereich ist die Sicht im Übrigen völlig uneingeschränkt. Ein Hineintasten in die Kreuzung durch den Kläger ist schon aus diesem Grunde nicht erforderlich. Selbst wenn der Kläger mit zunächst herabgesetzter Geschwindigkeit an die Kreuzung herangefahren wäre, hätte er auf den letzten 15 Metern jedenfalls wieder sta rk beschleunigen können und dürfen, da ab dann insoweit die Sicht für ihn nach rechts völlig frei war. Daher konnte sich der Beklagte zu 1) nicht darauf verlassen, dass aus seiner Sicht von rechts nur ein langsam fahrendes Fahrzeug die Kreuzung passieren könnte. Mithin haften die Beklagten aufgrund der Vorfahrtverletzung für das Unfallgeschehen allein (vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 15.03.1999 in 13 U 208/98, www.juris.de).

Anhaltspunkte, die für eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit seitens des Klägers sprechen und die deshalb eine andere Bewertung des Sachverhalts zulassen würden, sind schon nicht hinreichend dargetan.

Angesichts der Unfallbilder in der beigezogenen Ermittlungsakte zeigt sich u.a., dass das Beklagtenfahrzeug den Kläger voll mittig mit der Fahrzeugschnauze getroffen hat. Dies und die Tatsache, dass der Beklagte zu 1) bereits im Ermittlungsverfahren eingeräumt hat, viel zu schnell gefahren zu sein, sprechen vielmehr eindeutig dafür, dass der Energieimpuls, der zum Umstürzen des Klägerfahrzeuges geführt hat, eindeutig darauf zurückzuführen ist. Aus diesem Grund ist auch die Einholung eines verkehrsanalytischen Gutachtens zur Frage der gefahrenen Fahrzeuggeschwindigkeiten nicht erforderlich.

Letztlich hat sich auch nicht feststellen lassen, dass die Alkoholisierung des Klägers zum Unfallgeschehen beigetragen hat. Angesichts der Tatsache, dass der Beklagte zu 1) erst im letzten Moment für ihn zu erkennen war und auch der Beklagte zu 1) nicht gebremst hat, ist nämlich nicht davon auszugehen, dass eine alkoholbedingt verspätete Reaktion unfallursächlich geworden ist. Es ist nämlich mangels dem Beklagten zu 1) zuzuordnender Bremsspuren auch nicht feststellbar, dass der Beklagte zu 1) vor dem Unfall gebremst hat (siehe beigezogene Ermittlungsakte).

Damit war die 100 %- Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen festzustellen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 Satz 1, 2 ZPO.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 45.162,04 EUR entsprechend den Angaben des Klägers.

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