Erörterungen des Gutachters mit der beklagten Partei
LG Itzehoe – Az.: 4 O 71/19 – Beschluss vom 23.06.2020
Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Sachverständigen H. K. wird für begründet erklärt.
Gründe
Gemäß § 42 ZPO kann ein Richter wegen Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Entscheidend ist dafür, ob genügend objektive Gründe vorliegen, die aus der Sicht einer ruhigen, besonnenen und vernünftig denkenden Partei geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Diese Vorschriften gelten für die Ablehnung eines Sachverständigen entsprechend, § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Derartige Gründe muss die Kammer beim Sachverständigen K. in der Summer der objektiven Anhaltspunkte feststellen.
Dazu gehört zwar zunächst nicht der Umstand, dass der Sachverständige in Abwesenheit der klägerischen Partei im Büro der Beklagten Einsicht in die streitrelevanten Buchführungs- und Jahresabschlussunterlagen genommen hat. Denn dieser ist seit seiner Mitteilung mit Schreiben vom 01.10.2019 (Bl. 233 d.A.) allen Verfahrensbeteiligten bekannt, ohne dass die Parteien daraus Misstrauen geschöpft bzw. sie dieses „unverzüglich“ (zur Unverzüglichkeit als Voraussetzung: Greger, in Zöller/ZPO, § 406 Rn. 11 m.w.N.) gerügt hätten. Erst auf den Gutachteneingang hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30.01.2020 (Bl. 242 f., 261 d.A.) den Sachverständigen zum ersten Mal abgelehnt. Zu diesem ist anzumerken, dass die darin aufgeführten Gründe allein erkennbar nicht genügen, die Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Die klägerische Partei stützt ihren Antrag lediglich auf „die schweren methodischen Mängel“ und die vermeintliche Abweichung vom, nämlich das Unterschreiten des Gutachtenauftrags, wobei letzteres scheinbar im „Ignorieren“ von BGH-Rechtsprechung liegen soll.
Beides erschöpft sich in einer scharfen Kritik an der Qualität des Gutachtens. Und mangelnde Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit mögen das Gutachten zwar entwerten, rechtfertigen für sich allein aber nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit (BGH, Beschluss vom 05.11.2002, Az.: X ZR 178/01).
Tatsächliche und mit der Konsequenz der Befangenheit durchgreifende Gründe liegen indes in den – mit seiner auf den ersten Ablehnungsantrag abgegebenen Stellungnahme (Bl. 269 f. d.A.) – offenbarten Umständen der „Einsichtnahme“, die den Kläger sodann zur erneuten – schließlich erfolgreichen – Ablehnung motivierten.
Wenngleich die klägerische Partei in ihrem Schriftsatz vom 11.05.2020 (Bl. 273 f. d.A.) aus mehreren Passagen persönlichen Kontakt mit der Beklagten ableitet, die das Gericht für nicht zwingend erachtet, ist ihr aber jedenfalls zuzustimmen, dass der Sachverständige auf S. 3 seines Schreibens vom 29.04.2020 (Bl. 271 d.A.) und in seiner weiteren Stellungnahme vom 02.06.2020 (Bl. 279 f. d.A.) einräumt, dass er sich einzelne Jahresabschlusspositionen vom „Steuerberater O.“ (richtig: O.) hat erläutern lassen, wobei es sich bei Herrn O. nicht nur um einen Angestellten der Beklagten, sondern um einen von vier Gesellschaftern der Beklagten handelt.
Gemeinhin wird angenommen, dass schon die Vornahme eines Ortstermins in Abwesenheit einer Partei, ohne der anderen Gelegenheit zur Teilnahme zu geben, zur Befangenheit führen kann (vgl. BGH, Beschluss v. 15.04.1975, X ZR 52/75, NJW 1975, 1363). Ferner vermag auch das Einlassen auf Gespräche mit einer Partei in Gestalt einer sachlichen Erörterung die Befangenheit zu rechtfertigen; zumindest dann, wenn die Gegenseite hierüber nicht informiert wird (vgl. Scheuch, in BeckOK/ZPO, § 406 Rn. 24.1 mit zahlreichen Rspr.-Nachweisen). Anders mag dies sein, wenn im Gutachten vollständige Transparenz über etwaige Auskünfte hergestellt wird (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.01.1986, 2 W 122/85, NJW-RR 1986, 740) oder nur vorab Gutachteninhalte hinausgegeben werden (BayVGH, Beschluss vom 04.08.2003, 1 C 03/950, NJW 2004, 90).
Vor diesem Hintergrund liegt nahe, dass vorliegend ein hinreichender Ablehnungsgrund gegeben ist. Denn der Sachverständige hat in Abwesenheit des Klägers bei der Beklagten im Gespräch Informationen abgefragt und sich diese – für seine Begutachtung relevanten – Informationen zum Teil von einem Gesellschafter der Beklagten erläutern lassen. Der Sachverständige hat sich damit in Erörterungen mit der beklagten Partei höchst selbst begeben und hat dies in seinem Gutachten gerade nicht offengelegt. Erst in seiner ersten Stellungnahme zum Befangenheitsantrag hat er den Kontakt eingeräumt, die genauen Umstände – insbesondere die Auskunftsperson – gar erst in seiner zweiten Stellungnahme bekanntgegeben.
Damit setzt sich das vorliegende Geschehen entscheidend von demjenigen ab, welches der Entscheidung des OLG Düsseldorf (a.a.O.) zu Grunde lag. Dort hatte der Sachverständige „von sich aus […] einleitend in seinem Gutachten auf die Heranziehung von Auskunftspersonen […] hingewiesen und diese namentlich benannt“. Er hatte „darüber hinaus in seinem Gutachten kenntlich gemacht, wo er sich auf möglicherweise über reine Erläuterungen schriftlicher Unterlagen hinausgehende Auskünfte dieser Auskunftspersonen gestützt hat“.
Beides ist vorliegend nicht geschehen. Daher hat sich der Sachverständigen in der Gesamtschau so weit vom pflichtgemäßen Vorgehen entfernt, dass auch einer ruhigen, besonnenen und vernünftig denkenden Partei der Eindruck zugestanden werden muss, dass die weitere Begutachtung durch den Sachverständigen nicht von uneingeschränkter Neutralität getragen ist.
Das Ablehnungsgesuch des Klägers war nach alledem für begründet zu erklären.