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Aktenversendungspauschale bei teilweise geschwärzter Akte?

AG Leipzig – Az.: 220 OWi 2822/20 – Beschluss vom 24.09.2021

In dem Bußgeldverfahren wegen § 107 OWiG Kostenfestsetzung für Aktenversendung ergeht am 24.09.2021 nachfolgende Entscheidung:

1. Die Auslagenfestsetzung der Zentralen Bußgeldstelle Stadt Leipzig vom 10.07.2020 ) wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens betreffend den Antrag auf gerichtliche Entscheidung sowie die in diesem Zusammenhang entstandenen notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe

I.

Aktenversendungspauschale bei teilweise geschwärzter Akte?
(Symbolfoto: Reddavebatcave /Shutterstock.com)

Gegen die Mandantin des Antragstellers wurde bei der Zentralen Bußgeldstelle der Stadt Leipzig ein Verfahren wegen unzulässigen Lärms geführt.

Mit Schriftsatz des Antragstellers vom 08.07.2020 wurde „Akteneinsicht in die vollständige Bußgeldakte“ beantragt. Am 10.07.2020 wurde durch die Zentrale Bußgeldstelle die Akte in teilweise geschwärzter Form (Personalien weiterer Betroffener) an den Antragsteller übersandt und „für die Versendung der Bußgeldakte … nach § 107 Abs. 5 OWiG eine Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,00 EUR erhoben.“

Mit Schriftsatz vom 27.07.2020 wurde durch den Antragsteller im Hinblick auf die Auslagen-festsetzung gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG beantragt, wobei dieser insbesondere monierte, dass aufgrund der Schwärzungen in der Akte keine ausreichende Akteneinsicht gewährt worden sei.

Die Zentrale Bußgeldstelle tritt dem entgegen und begründet dies hauptsächlich mit daten-schutzrechtlichen Gründen hinsichtlich der weiteren Betroffenen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des nachfolgenden wechselseitigen Vortrages wird auf die in der Akte befindlichen Schreiben BI. 47 ff. d.A. Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und begründet.

Der zulässigerweise durch den Verteidiger der Betroffenen gestellte (vgl. BGH, Urteil vom 06.04.2011 — IV ZR 232/08, zitiert nach juris, Rn. 16 ff.) Antrag nach § 62 Abs. 1 OWiG ist gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 OWiG zulässig. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Leipzig ergibt sich abweichend von § 68 Abs. 1 S. 1 OWiG – auch wenn zum Zeitpunkt des gegenständlichen Antrages noch kein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid vorlag – aus §§ 62 Abs. 2 S. 1, 68 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 OWG (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 17.10.2001 – 2 ARs 277/01 – 2 AR 161/01, zitiert nach juris, Rn. 3 ff.; BGH, Beschluss vom 17.10.2001 – 2 ARs 245/01 – 2 AR 141/01, zitiert nach juris, Rn. 4 ff.).

Der Antrag ist auch begründet, da es im Hinblick auf den durch die Bußgeldstelle an den Verteidiger übersandten Akte derzeit an einer Grundlage für die Auslagenfestsetzung fehlt.

Gemäß § 107 Abs. 5 S. 1 OWiG kann von demjenigen, der die Versendung von Akten beantragt, je durchgeführter Sendung einschließlich der Rücksendung pauschal 12,00 Euro als Auslage erhoben werden.

Das Akteneinsichtsrecht bezieht sich zwar grundsätzlich nur auf das gegen den jeweils Betroffenen geführte Verfahren. Aktenbestandteile anderer Verfahren unterliegen dem Akteneinsichtsrecht nach § 147 Abs. 1 StPO selbst dann nicht, wenn die Verfahren zeitweise gemeinsam geführt und später getrennt wurden. Deshalb hat es der BGH für zulässig erachtet, dem Verteidiger die Einsicht in die Verfahrensakten zu verweigern, die sich auf einen Mitbeschuldigten beziehen, gegen den das Verfahren vorher abgetrennt wurde. Jedenfalls wenn die Abtrennung nicht willkürlich erfolgt sei, dürfe die Einsicht nach § 147 Abs. 2 StPO verweigert werden, soweit durch eine Einsichtnahme der Untersuchungszweck gefährdet sei (BGHSt 50, 224 [228] = NJW 2005, 3507 = NStZ 2006, 237). Gleichwohl sind vorliegend die Personalien der anderen Betroffenen Bestandteil dieses Verfahrens, da dieses sowohl von der Polizei als auch von der Staatsanwaltschaft gemeinsam geführt wurde. Erst im Verwaltungsverfahrens erfolgte eine Abtrennung der Verfahren.

Auch liegt ein legitimierendes Interesse für die Benennung der anderen Betroffenen vor. Denn alle sind Betroffene derselben Ordnungswidrigkeit, da den Personen, gegen die sich die Verfahren richten, die Beteiligung an derselben Veranstaltung vorgeworfen wird. Es lässt sich auf Grund dieser Verfahrenssituation nicht von vornherein ausschließen, dass sich in den später abgetrennten Verfahren gegen andere Betroffene bzw. Schwärzung deren Personalien für das streitgegenständliche Verfahren relevante Gesichtspunkte ergeben könnten. Für die Verteidigung der Betroffenen können sich hieraus weitere Beweismöglichkeiten ergeben.

Im vorliegenden Fall besteht noch eine weitere Besonderheit, die eine Gewährung der vollständigen Akteneinsicht erforderlich macht. Den Verfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Zentrale Bußgeldstelle) liegen die Namen aller Betroffenen in ihrer Gesamtheit vor. Diese können damit weitergehende Informationen aus den Parallelverfahren auch im Verfahren gegen die Betroffene nutzen. Insoweit unterscheidet sich diese Verfahrenskonstellation von den Fällen, in denen Akten von anderen Behörden oder Gerichten noch beigezogen werden müssen und ihr Inhalt sämtlichen Beteiligten erst durch Einsicht in die beigezogenen Verfahrensakten vermittelt wird. Hier sind die Namen der anderen Betroffenen jederzeit zugänglich. Bei einer solchen Fallkonstellation gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 I EMRK), der Verteidigung dasselbe Maß an Kenntnis des Akteninhalts einzuräumen wie den übrigen Verfahrensbeteiligten. Ob Informationen für die Verteidigung von Bedeutung sein können, unterliegt allein ihrer Einschätzung. Um dies zu überprüfen, muss sie durch Einsichtnahme von dem vollen Inhalt der Akten nehmen können.

Dies rechtfertigt es, die datenschutzrechtlichen Belange der andern Betroffenen dahinter an-zustellen. Das leitende Interesse für die Akteneinsicht ist hier die Vorbereitung der Verteidigung in einem Bußgeldverfahren, nicht ein aus einer anderen Rechtsbeziehung folgendes Interesse.

Auch kann der Antragsteller als Rechtsanwalt nur so die von der Zentralen Bußgeldstelle an-geführte Verpflichtung lediglich einen Betroffenen im Bußgeldkomplex zu vertreten, um somit einen Interessenkonflikt zu vermeiden, hinreichend sicher überprüfen.

Im Ergebnis war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung daher begründet, weswegen die Auslagenfestsetzung aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

IV.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar, § 62 Abs. 3 S. 2 StVG.

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