OLG Dresden – Az.: 4 U 1797/19 – Beschluss vom 04.11.2019
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19.11.2019 wird aufgehoben.
4. Der Senat beabsichtigt, den Gegenstandswert auf 5.474,61 € festzusetzen.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte im tenorierten Umfang unter Berücksichtigung einer hälftigen Schadensteilung zum Schadensersatz gem. §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG verurteilt. Ein weitergehender Anspruch steht dem Kläger nicht zu.
Der Senat ist gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Landgericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Ein unabwendbares Ereignis für den Kläger oder die Beklagte zu 1. nach § 17 Abs. 3 StVG lässt sich nicht feststellen. Die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang hängen daher nach § 17 Abs. 1 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.03.2017 – 13 U 158/18 – juris; Senat, Urt. v. 09.07.2019 – 4 U 333/19 – juris). Die Abwägung ist aufgrund von festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umständen des Einzelfalles vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben (so OLG Karlsruhe, a.a.O.). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er die nach der Abwägung günstigen Rechtsfolgen herleiten will (so Senat, Urt. v. 09.07.2019).
Im vorliegenden Fall hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass dem Kläger der Beweis für einen Verkehrsverstoß der Beklagten zu 1. ebenso wenig gelungen ist, wie den Beklagten der Nachweis eines Verkehrsverstoßes des Klägers und daher von einer hälftigen Schadensteilung auszugehen ist (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2016 – 12 U 312 – juris).
Zu Recht hat das Landgericht einen Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers verneint. Der Beweis des ersten Anscheins spricht nur dann für einen Vorfahrtsverstoß des in einen Kreisverkehr Einfahrenden, wenn er im Einmündungsbereich mit einem auf der Kreisfahrbahn fahrenden Verkehrsteilnehmer kollidiert, dessen Vorfahrtsberechtigung feststeht, weil er zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist (vgl. Landgericht Saarbrücken, Urt. v. 28.03.2014 – 13 F 196/13 – juris).
Die Vorfahrtsberechtigung des Klägers steht aber nicht fest, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden kann, ob er zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist. Das Landgericht konnte sich nach Anhörung der Parteien und Einvernahme der Zeugen nicht davon überzeugen, wer zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist. Der Kläger, seine Ehefrau und die Beklagte zu 1. haben dazu einander widersprechende Angaben gemacht, die jeweils für sich genommen jedoch glaubhaft waren. Die Aussage der Zeugin J… ist insoweit unergiebig. Sie gab an, dass sie nicht sagen könne, ob der Kläger vor der vor ihr fahrenden Beklagten zu 1. in den Kreisverkehr gefahren ist. Der Sachverständige Dipl.-Ing. T… konnte ebenfalls nicht feststellen, wer als erster in den Kreisverkehr eingefahren ist. Sowohl die Einfahrt der Beklagten zu 1. eine Sekunde vor der Einfahrt des Klägers in den Kreisverkehr als auch die Einfahrt des Klägers eine Sekunde vor der Einfahrt der Beklagten zu 1. sei mit den Fahrzeugschäden und der Endstellung beider Fahrzeuge vereinbar. Welches der beiden Fahrzeuge zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist, sei davon abhängig, zu wessen Gunsten die räumlichen und zeitlichen Parameter zugrunde gelegt wurden. Ohne Erfolg beanstandet der Kläger in diesem Zusammenhang, dass der Sachverständige den wechselseitigen Vortrag der Parteien nicht beachtet habe. Der Sachverständige hat sowohl die Weg-Zeit-Zusammenhänge zugunsten des Klägers als auch zugunsten der Beklagten untersucht und zwei plausible, mit den Beschädigungen und der Endposition der Fahrzeuge vereinbare Geschehensabläufe dargestellt. Er konnte allerdings nicht feststellen, welcher dieser Sachverhaltsvarianten zutraf.
Zutreffend hat das Landgericht weiter angenommen, dass sich der Unfall nicht im Einmündungsbereich des Kreisverkehrs ereignet hat. Ausweislich der vorliegenden Lichtbilder zum Endstand der Fahrzeuge und der Verkehrsunfallsimulation des Sachverständigen (Anlage 6 seines Gutachtens) war die Beklagte zu 1. zum Zeitpunkt der Kollision vielmehr bereits vollständig in den Kreisverkehr eingefahren.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Anwendung des Anscheinsbeweises auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Unfall in unmittelbarer zeitlicher und örtlicher Nähe zur Einfahrt der Beklagten zu 1. in den Kreisverkehr stattgefunden habe. Der Kollisionsort liegt zwar näher an der Einmündung, aus der die Beklagte zu 1. eingefahren ist, und der Kläger mag eine längere Wegstrecke im Kreisverkehr gefahren sein. Dies liegt jedoch im Wesentlichen an den unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Fahrzeuge. Der Sachverständige hat die Anstoßgeschwindigkeit des klägerischen Fahrzeuges mit 25 bis 30 km/h und die des Fahrzeuges der Beklagten zu 1. mit 0 bis 5 km/h festgestellt. Mit der Unfallsimulation hat der Sachverständige (Anlagen 9.1 und 9.2) belegt, dass der Kläger zu einem Zeitpunkt in den Kreisverkehr eingefahren sein kann, als sich die Beklagte zu 1. diesem erst näherte, es aber auch so gewesen sein kann, dass die Beklagte zu 1. bereits in den Kreisverkehr eingefahren war, als der Kläger sich noch im Einmündungsbereich befand. Entgegen der Auffassung des Klägers bietet auch die erhebliche Geschwindigkeitsdifferenz der kollidierenden Fahrzeuge keine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Anscheinsbeweises zugunsten des schnelleren Fahrzeuges. Anknüpfungspunkt ist vielmehr – wie bereits ausgeführt – eine Kollision zwischen wartepflichtigem und vorfahrtsberechtigtem Verkehr im Einmündungsbereich. Vorliegend steht aber nicht fest, wer wartepflichtig und wer vorfahrtsberechtigt war.
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf die Entscheidung des Landgerichts Hamburg vom 01.10.2014 (331 O 76/14 – juris). Das Landgericht Hamburg hat angenommen, dass der Anscheinsbeweis nicht erschüttert wird, wenn ein auf eine Vorfahrtsstraße einbiegender Kraftfahrzeugführer zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes auf der Vorfahrtsstraße noch nicht die an dieser Stelle geltende Grundgeschwindigkeit erreicht habe und hiervon auszugehen sei, wenn er bisher keine 31 m auf dieser Vorfahrtsstraße zurückgelegt habe. Der dort entschiedene Sachverhalt ist mit dem vorliegenden aber nicht vergleichbar, weil es sich nicht um einen Unfall im Kreisverkehr, sondern um einen Kreuzungsfall gehandelt hat.
Der Senat rät nach alledem zu einer Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.