OLG Dresden – Az.: 4 U 1243/19 – Beschluss vom 09.10.2019
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15.10.2019 wird aufgehoben
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Die zulässige Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf einen Teil der an ihn gezahlten Pflegegeldleistungen und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie ihren Bruder selbst gepflegt hat. Bei dem Anspruch auf Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen gemäß § 37 SGB XI handelt es sich allein um einen Anspruch des pflegebedürftigen Versicherten, nicht der Pflegeperson (LSG Bayern, FamRZ 2013, 582, juris Rn. 20; LSG Hamburg, Beschl. v. 08.09.2016, L 4 AS 565/15, juris Rn. 28; jurisPK-SGB XI/Wiegand, Stand: 15.04.2017, § 37 Rn. 20, 76). Dies beruht auf dem Willen des Gesetzgebers, mit dieser Geldleistung die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen zu stärken, der seine Pflegehilfen selbst soll gestalten können. Das Pflegegeld soll kein Entgelt für die von der Pflegeperson erbrachten Pflegeleistungen darstellen, sondern den Pflegebedürftigen in den Stand setzen, Angehörigen und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen zu lassen (BT-Drucks. 12/5262, S. 112). Mit Blick auf diese eindeutige gesetzliche Regelung lässt sich ein eigener Pflegegeldanspruch der Pflegeperson auch nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) stützen. Denn maßgebliche Gesichtspunkte der gesetzgeberischen Wertentscheidung sind die Würde des Pflegebedürftigen gemäß Art. 1 GG und dessen nach Art. 1 und 2 GG geschütztes Selbstbestimmungsrecht (vgl. LSG Bayern, FamRZ 2013, 582, juris Rn. 26). Es ist daher grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber davon ausging, dass die Entscheidung zur familiären Pflege nicht von der Zuerkennung einer bestimmten Vergütung abhängt, und zwar nicht zuletzt unter Berücksichtigung der gegenseitigen gesetzlichen Beistandspflicht (vgl. BVerfG, FamRZ 2014, 911, Rn. 21; vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2017 – 1 UF 127/17 -, Rn. 16 – 26, juris). Eine eigene Gestaltungsmöglichkeit des Pflegebedürftigen hinsichtlich der Verwendung seines Pflegegeldes setzt aber voraus, dass er selbst in der Lage ist, seine Vermögensverhältnisse zu überschauen und die Tragweite seiner diesbezüglichen Entscheidungen und seiner wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten einzuschätzen. Dies ist bei dem geistig behinderten Beklagten aber ganz offensichtlich nicht der Fall. Er weist einen Grad der Behinderung von 100 % und den Entwicklungszustand eines 7 – 8-jährigen auf, so dass seine Einwilligungsfähigkeit infolgedessen aufgehoben ist. Er steht daher seit 2009 unter Betreuung auch und gerade zur Regelung der Pflegesituation. Da diese Einschätzung auf dem im Betreuungsverfahren eingeholten psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 24.02.2009 (beigezogene Betreuungsakte AG Marienberg, Az 6 XVII 1/09, Bd. I, S. 13 Rs) beruht und sich hierauf auch die Betreuungsanordnungen stützen, ist eine Beweisaufnahme oder Anhörung des Beklagten entgegen der Ansicht der Berufung nicht geboten. Zur Begründung wird auch auf den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 25.06.2015, Az 3 T 268/15 (Betreuungsakte AG Marienberg, Az 6 XVII 1/09, Bd. V, Bl. 837), ergänzend Bezug genommen. Die jeweiligen Betreuer haben das dem Pflegebedürftigen zustehende Pflegegeld auch nicht zweckwidrig, sondern einerseits für die Pflege durch Pflegedienste und andererseits zur Gewährleistung des Unterhalts des Beklagten verwendet. Auch hinsichtlich der Verwendung für den allgemeinen Lebensbedarf liegt keine Zweckwidrigkeit vor, da einerseits keine Verpflichtung besteht, das gesamte Pflegegeld ausschließlich für pflegerische Zwecke zu verwenden, sofern die Versorgung des Betreuten hinreichend gesichert erscheint und andererseits das Pflegegeld angesichts der Lebensführung des Beklagten unter Aufrechterhaltung eines eigenen Haushaltes außerhalb einer betreuten Einrichtung ohnehin nicht ausreichend ist, sämtliche erbrachte Pflegeleistungen in ausreichendem Maße zu vergüten. Aus der gesetzgeberischen Wertung zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts folgt auch, dass grundsätzlich keine Verpflichtung des Pflegebedürftigen besteht, das Pflegegeld pflegenden Angehörigen entsprechend einem bestimmten und festgelegten Verteilungsschlüssel zukommen lassen zu müssen.
2. Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht aus §§ 611, 612 Abs. 2 BGB herleiten. Eine ausdrücklich oder konkludent abgeschlossene Pflegevereinbarung kann nicht festgestellt werden.
a) Unstreitig wurde zwischen der Klägerin einerseits und den jeweiligen Betreuern andererseits kein Pflegevertrag abgeschlossen. Seit Einrichtung der Berufsbetreuung gehörte zu den Aufgaben des bestellten Betreuers der Abschluss von Pflegeverträgen. Zugunsten der Klägerin wurde im Zeitraum von 2015 bis 2019 kein Vertrag geschlossen.
b) Auch eine mit den jeweiligen Betreuern konkludent abgeschlossene Pflegevereinbarung kann nicht festgestellt werden. Vielmehr sprechen die von der Klägerin angeführten Umstände und die Korrespondenz der Klägerin mit dem Betreuer dafür, dass ihre Pflegeleistungen nicht von einer Entgeltlichkeit im Sinne der Gewährung von Pflegegeld abhängig waren, sondern dass es sich vielmehr um Versorgungsleistungen handelt, die die Klägerin und ihre Schwestern als Familienangehörige für ihren Bruder, den Beklagten, nach dem Tod der Mutter im Jahr 2007 erbracht haben. Der Beklagte oder sein Betreuer mussten nicht davon ausgehen, dass mit der Entgegennahme der von der Klägerin seitdem erbrachten Leistungen nach objektivem Empfängerhorizont ein Dienstvertrag abgeschlossen wurde, der der Klägerin einen in Geld zu erfüllenden Anspruch gegen ihn verschaffen sollte. Vielmehr wurden die Betreuungsleistungen auch in einem wesentlichen Umfang aufrechterhalten, nachdem ein Pflegedienst mit der Übernahme eines Teils der Betreuung beauftragt wurde, was wiederum zu Abstimmungsschwierigkeiten und Konflikten führte.
Zur Abgrenzung zwischen Leistungen, die auf der Grundlage eines Dienstvertrages bzw. eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erbracht werden, gegenüber solchen, deren Grundlage allein familiäre Beziehungen sind und die damit ohne eine dahingehende rechtliche Verpflichtung erbracht werden, hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 20.04.1993 (2 RU 38/92) darauf abgestellt, ob die Beziehung „ihr gesamtes Gepräge“ von den familiären Bindungen zwischen Angehörigen erhält. Gerade die tatsächlichen Beziehungen zwischen der Klägerin, ihren beiden Schwestern und dem Beklagten sprechen hier für das Vorliegen einer engen Familiengemeinschaft, die den Rahmen der normalerweise zu erwartender Hilfeleistungen weit spannt. Eine der Schwestern, die neben der Klägerin auch erhebliche Leistungen zugunsten des Beklagten erbringt, wohnt in demselben Haus wie der Beklagte, bei dem es sich um das Elternhaus der Beteiligten handelt. Auch der Schriftwechsel zwischen den Betreuern und der Klägerin zeigt, dass es der Klägerin in erster Linie darum geht, dem Beklagten durch ihre Pflegeleistungen und ihren Einsatz den Verbleib in seiner gewohnten Umgebung und damit in der Wohnung abzusichern, die er zuvor zusammen mit der Mutter der Parteien bewohnt hat. Ihr Verhalten ist erkennbar von der auf der familiären Bindung geprägten Beziehung zu ihrem Bruder bestimmt, um dessen Wohlergehen sie sich kümmert. Zwar wäre dies grundsätzlich auch mit der Zuwendung zumindest eines Teils des gezahlten Pflegegeldes vereinbar, das auch dem Zweck dienen kann, eine materielle Anerkennung zu leisten und damit die Bereitschaft zur Pflege zu bestärken und aufrecht zu erhalten. Eine dahingehende ausdrückliche oder konkludente Einigung mit der früheren oder dem jetzigen Betreuer kann hier aber gerade nicht festgestellt werden. Vielmehr hat die frühere Betreuerin zeitweise einen Pflegevertrag mit einer der anderen Schwestern des Beklagten, nicht aber mit der Klägerin geschlossen (vgl. u.a. Bl. 289 der Betreuungsakte) und der jetzige Betreuer auf eine entsprechende Nachfrage der Klägerin zunächst nur mitgeteilt, dass er ihr Anliegen prüfen werde und im Ergebnis dann u.a. im Schreiben vom 11.03.2018, 05.04.2018 und 21.05.2018 (Bl. 1226,1229 der Betreuungsakte und Anlage K3) darauf hingewiesen, dass eine Vergütung wegen der finanziell angespannten Situation des Beklagten zumindest solange nicht erfolgen kann, wie der Beklagte in der Wohnung verbleibt.
c) Eine etwaige Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Beklagten selbst wäre schon wegen des der Klägerin bekannten Aufgabenkreises der durch das AG Marienberg als Betreuungsgericht wirksam bestellten Betreuer unwirksam. Denn die Betreuung umfasst neben der Vermögenssorge ausdrücklich auch den Abschluss und die Kontrolle eines Pflegevertrages zwischen dem Betroffenen und den Pflegepersonen. Soweit die Berufung rügt, bei dem Beklagten liege keine Geschäftsunfähigkeit vor und er könne mangels vom Betreuungsgericht ausdrücklich verfügten Einwilligungsvorbehalt gem. § 1903 Abs. 1 BGB selbst Pflegeverträge abschließen, bedarf es nach den obigen Ausführungen keiner ergänzenden Beweisaufnahme. Denn aus dem der Betreuungsbestellung zugrunde liegenden neurologisch-psychiatrischen Fachgutachten, auf das bereits Bezug genommen wurde, ergibt sich ohne weiteres, dass der geistig behinderte Beklagte nicht geschäftsfähig ist, da er sich auf dem Entwicklungszustand eines 7 – 8-jährigen befindet. Eine Teilnahme des Beklagten am Geschäftsverkehr scheidet demnach nach der Natur seiner Behinderung aus (vgl. Palandt-Götz, BGB 78. Aufl. § 1903, Rn. 5). Die Klägerin hat demgegenüber keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die die Feststellungen des vom Betreuungsgericht bestellten Gutachters in Frage stellen könnten. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellen würde, dass sie nach außen erkennbar Pflegeleistungen für ihren Bruder nur gegen Zahlung eines Entgelts übernehmen wollte, war der Beklagte gerade nicht in der Lage, dies zu erkennen. Bereits aus diesem Grund liegt in der bloßen Entgegennahme von Dienstleistungen keine konkludent erklärte Annahme eines Antrags auf Abschluss eines entgeltlichen Dienstverhältnisses.
Vor diesem Hintergrund kann nicht festgestellt werden, dass ab dem 01.01.2015 zwischen der Klägerin und dem Beklagten ein Dienstverhältnis im Sinne einer vertraglichen Beziehung mit wechselseitigen Pflichten aufgrund konkludenten Handelns zustande gekommen ist.
3. Gleiches gilt für Ansprüche aus entgeltlicher Geschäftsbesorgung gem. § 675 Abs. 1 BGB, die ebenfalls einen ausdrücklichen oder konkludent erklärten Dienstvertragsschluss voraussetzen.
4. Der Geltendmachung von Pflegegeldansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §. 7, juris). Dies folgt aus dem in § 670 BGB vorausgesetzten Merkmal der Unentgeltlichkeit. Die Ersatzfähigkeit des Verdienstausfalls würde der Unentgeltlichkeit des Auftrags widersprechen, selbst wenn man in Betracht zieht, dass eine nach § 675 Abs. 1 vereinbarte Vergütung auch höher hätte sein können als der etwaige Verdienstausfall (Staudinger/Martinek/Omlor (2017) BGB § 670, Rn. 10).
5. Schließlich ergibt sich ein Anspruch der Klägerin auf Pflegegeldzahlung auch nicht aus Bereicherungsrecht gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Nach den obigen Darlegungen ist zum einen davon auszugehen, dass der Beklagte bzw. seine jeweiligen Betreuer von der Unentgeltlichkeit der geleisteten Dienste ausgegangen sind. Die Klägerin hat auch trotz der Hinweise des jetzigen Betreuers, dass eine Vergütung der Leistungen nicht erfolgen kann, ohne die finanzielle Situation des Beklagten zu gefährden nicht davon abgesehen, weitere Leistungen zu erbringen. Hinzu kommt, dass eine Leistungskondiktion dann gem. § 814 BGB ausscheidet, wenn der Leistende – wie hier die Klägerin – von nur in der Absicht geleistet hat, eine sittliche oder eine Anstandspflicht aber keine Rechtspflicht zu erfüllen. Hiervon ist auszugehen, da der Klägerin stets bewusst war, dass keine rechtsverbindliche entgeltliche Dienstvereinbarung bestand.
6. Ohne dass es nach den obigen Ausführungen darauf ankommt, steht dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von Pflegeleistungen zudem grundsätzlich entgegen, dass sie trotz entsprechender Hinweise des Beklagten und des Landgerichts bislang an keiner Stelle substantiiert dargelegt hat, wann sie selbst in dem fraglichen Zeitraum von Januar 2015 an und in welchem zeitlichen Umfang konkret benannte Dienstleistungen ausgeführt hat. Ein insoweit erforderlicher Vortrag ergibt sich auch nicht aus der als Anlage K 7 vorgelegten Zusammenfassung der Betreuungsleistungen „der Angehörigen“ des Beklagten, da sie keine Darstellung enthält, welche Leistungen wann und mit welchem Zeitanteil konkret durch die Klägerin erfolgt sind. Eine Abgrenzung wäre schon deshalb zwingend erforderlich gewesen, weil die Klägerin mit der vorliegenden Klage ausdrücklich eine Vergütung nur für von ihr selbst erbrachte Leistungen begehrt. Einer solchen Darlegung hätte es zudem auch deshalb bedurft, weil sich aus der Betreuungsakte ohne weiteres ergibt, dass ein großer Anteil der aufgeführten Leistungen allein durch die im gleichen Haus wohnende Schwester des Beklagten erbracht wurde und wird. Es liegt überdies auf der Hand, dass nicht sämtliche Leistungen im gesamten Zeitraum erbracht worden sind und ein nicht näher bestimmter Teil der Leistungen zeitweise durch verschiedene Pflegedienste abgedeckt wurde. Ferner bezieht sich die – auch nur beispielhafte – Darstellung ausschließlich auf den Zeitraum im Mai 2018, während eine Vergütung für den Zeitraum ab dem 01.01.2015 beansprucht wird.
Der Senat rät daher zur Berufungsrücknahme, die zwei Gerichtsgebühren spart.