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Anzeigepflicht der Arbeitsunfähigkeit – bei Nichtanzeige fristlose Kündigung?

LANDESARBEITSGERICHT RHEINLAND-PFALZ

Aktenzeichen: 10 Sa 1581/00

Verkündet am: 11.04.2001

Vorinstanz: ArbG Kaiserlautern – Az.: 6 Ca 704/00 PS


In dem Rechtsstreit hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz auf die mündliche Verhandlung vom 11.04.2001 für Recht erkannt:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 09.11.2000, AZ: 6 Ca 704/00, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Die Klägerin war seit dem 20.04.1998 bei der Beklagten, die eine Buchhandlung betreibt, als Verkäuferin beschäftigt.

Am 16.02.2000 rief die Klägerin zwischen 10:00 Uhr und 11:00 Uhr bei der Beklagten an und teilte mit, dass sie sich nicht wohl fühle und daher nicht, wie für diesen Tag vorgesehen, um 14:30 Uhr ihre Arbeit aufnehmen könne.

Mit Schreiben vom 27.06.2000 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2000. Am 28.06.2000 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Hiervon wurde die Beklagte an dem betreffenden Tag um ca. 09:00 Uhr von einer Arbeitskollegin der Klägerin in deren Auftrag informiert. Die Beklagte erteilt der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 29.06.2000 (Bl. 5 d. A.) eine Abmahnung.

Am 03.07.2000 war die Klägerin von 07:30 Uhr bis 10:40 Uhr beim Arzt. Unmittelbar danach ging sie zur Beklagten und übergab die ihr kurz zuvor ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die Beklagte kündigte daraufhin mit Schreiben vom 03.07.2000, welches der Klägerin noch am selben Tag zuging, das Arbeitsverhältnis fristlos.

Gegen diese Kündigung richtet sich die von der Klägerin am 14.07.2000 beim Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose schriftliche Kündigung der Beklagten vom 03.07.2000 nicht seine Ende gefunden hat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 09.11.2000 (Bl. 40 bis 42 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 8 des Urteils vom 09.11.2000 (= Bl. 42 bis 45 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 27.11.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.12.2000 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland – Pfalz eingelegt und diese innerhalb der ihr mit Beschluss vom 22.01.2001 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 19.02.2001 begründet.

Die Beklagte trägt im wesentlichen vor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts könne im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht zu Gunsten der Klägerin berücksichtigt werden, dass das Arbeitsverhältnis ohnehin zum 31.07.2000 geendet hätte. Die Konsequenz dieser vom Arbeitsgericht vertretenen Ansicht wäre nämlich, dass ein Arbeitnehmer, der kurz vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehe, sich mehr leisten könne als ein Arbeitnehmer, bei dem ein Ende des Arbeitsverhältnisses überhaupt noch nicht abzusehen sei. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr – der Beklagten – im Hinblick auf die mehrfachen Verstöße der Klägerin gegen die ihr obliegende Pflicht, eine Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen, nicht zumutbar gewesen. Bereits wegen des Vorfalls vom 16.02.2000 sei die Klägerin abgemahnt worden. Insbesondere sei auch zu berücksichtigen, dass sie gerade Anfang Juli 2000 wegen des Schulbuchgeschäftes jede Arbeitskraft benötigt habe. Hätte die Klägerin rechtzeitig ihre Arbeitsunfähigkeit angezeigt, so hätte am 03.07.2000 noch eine Ersatzkraft für die Klägerin eingesetzt werden können.

Zur Darstellung des Berufungsvorbringens der Beklagten im Weiteren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 15.02.2001 (Bl. 80 bis 82 d. A.) sowie auf den ergänzenden Schriftsatz vom 10.04.2001 (Bl. 93 u. 94 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Die Klägerin verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil und trägt im Wesentlichen vor, die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung sei nicht zu beanstanden.

Zur Darstellung der Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 16.03.2001 (B1. 87 bis 90 d. A.) Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitbefangene fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die Berufungskammer folgt – zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen – den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und stellt dies hiermit ausdrücklich gem. § 543 Abs. 1 ZPO fest. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beklagten erscheinen lediglich folgende ergänzende Klarstellungen angezeigt:

Die streitbefangene außerordentliche Kündigung erweist sich in Ermangelung eines wichtigen Grundes i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB, der den Ausspruch einer fristlosen Kündigung rechtfertigen könnte, als unwirksam. Es liegen keine Tatsachen vor, aufgrund derer der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Parteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.07.2000 (zu diesem Zeitpunkt endete das Arbeitsverhältnis ohnehin aufgrund der von der Klägerin selbst ausgesprochenen Kündigung) nicht mehr zugemutet werden konnte.

Zwar hat die Klägerin am 03.07.2000 gegen die ihr gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG obliegende Anzeigepflicht verstoßen. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine Arbeitsunfähigkeit unverzüglich dem Arbeitgeber mitzuteilen. Unverzüglich bedeutet allerdings nicht sofort. Das Gesetz gibt dem Arbeitnehmer nur auf, den Arbeitgeber so schnell zu informieren, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Dies erfordert im Regelfall eine telefonische Nachricht zu Beginn der betrieblichen Arbeitszeit (vgl. Dörner, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 2. Auflage, § 5 EFZG Rd.-Nr. 13 m. w. N.). Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Klägerin bereits vor ihrem Arztbesuch am Vormittag des 03.07.2000 um 07:30 Uhr hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass sie ärztlicherseits arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und somit ihre Tätigkeit bei der Beklagten zu Beginn der betrieblichen Arbeitszeit nicht werde aufnehmen können. Die Klägerin war somit verpflichtet, bereits vor ihrem Arztbesuch oder auch von der Arztpraxis aus telefonisch die Beklagte davon in Kenntnis zu setzen, dass sie ihre Arbeit (voraussichtlich) an dem betreffenden Tag nicht antreten werde.

Dieses Fehlverhalten ist jedoch nicht geeignet, den Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu rechtfertigen. Dabei kann offen bleiben, ob die Klägerin bereits am 28.06.2000 gegen ihre Anzeigepflicht verstoßen hat, in dem sie erst um ca. 09:00 Uhr über eine Arbeitskollegin die Beklagte von ihrer Arbeitsunfähigkeit in Kenntnis setzte und daher zu Recht mit Schreiben vom 29.06.2000 abgemahnt wurde. Eine weitere gleichartige Pflichtverletzung seitens der Klägerin ist jedenfalls nicht ersichtlich. Dies gilt auch – entgegen der Ansicht der Beklagten – für den 16.02.2000. Die Klägerin hätte unstreitig an dem betreffenden Tag ihre Arbeit erst um 14:30 Uhr antreten müssen; sie hat jedoch bereits vormittags zwischen 10:00 Uhr und 11:00 Uhr der Beklagten ihre Arbeitsunfähigkeit angezeigt, so dass diesbezüglich ein Fehlverhallten nicht ersichtlich ist.

Zu Gunsten der Beklagten kann somit allenfalls davon ausgegangen werden, dass die Klägerin vor ihrem Fehlverhalten vom 03.07.2000 ein einziges Mal wegen eines gleichartigen Fehlverhaltens zu Recht abgemahnt worden war. Die wiederholte Verletzung der Anzeigepflicht ist zwar nicht grundsätzlich ungeeignet, einen Grund Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu bilden. Aus nach § 626 Abs. 1 BGB zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalles sowie bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile ergibt sich jedoch für den vorliegenden Fall, dass die streitbefangene fristlose Kündigung nicht gerechtfertigt ist. Dies folgt insbesondere bereits daraus, dass das Fehlverhalten der Klägerin sowohl am 28.06.2000 als auch am 03.07.2000 in Ansehung aller Umstände keineswegs als besonders schwerwiegend zu bewerten ist. Die Klägerin hat nämlich am 28.06.2000 bereits um ca. 09:00 Uhr und am 03.07.2000 unmittelbar nach Beendigung ihres Arztbesuches der Beklagten ihre Arbeitsunfähigkeit angezeigt. Es liegt daher in beiden Fällen eine relativ geringfügige Verletzung der Anzeigepflicht vor.

In Anbetracht dessen war es der Beklagten keineswegs unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zu dem bei Kündigungsausspruch bereits feststehenden Beendigungszeitpunkt (31.07.2000), einen Zeitraum von lediglich noch für vier Wochen, fortzusetzen. Entgegen der diesbezüglich von der Beklagten im Berufungsverfahren geäußerten Rechtsauffassung ist bei der Prüfung, ob ein bestimmter Sachverhalt einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darstellt, insbesondere auch die Dauer der ohne diese Kündigung verbleibenden Vertragszeit zu berücksichtigen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB und entspricht im Übrigen allgemeiner Meinung (vgl. Müller – Glöge, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 2. Auflage, § 626 BGB Rd.-Nr. 74 m. w. N.).

Die Berufung der Beklagten war daher mit der sich Aus § 97 Abs. ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand angesichts der in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung.

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