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Auffahrunfall – Anscheinsbeweis bei Fahrzeugüberdeckung

Kammergericht Berlin

Az: 12 U 239/07

Beschluss vom 03.07.2008


In dem Rechtsstreit hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin am 3. Juli 2008 beschlossen:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Berufungskläger erhält gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Gelegenheit, hierzu binnen zwei Wochen nach Zugang Stellung zu nehmen.

Gründe:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme zu Recht abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung versprechen keine Aussicht auf Erfolg.

1. Entgegen der Auffassung der Berufung hat das Landgericht nicht verkannt, dass gegen den Beklagten zu 1. der Beweis des ersten Anscheins spreche. Vielmehr ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass es sich nicht um einen typischen Auffahrunfall handelte, der gegen den Auffahrenden den Beweis des ersten Anscheins für dessen Verschulden begründen würde.

Ein solcher Auffahrunfall liegt nämlich nur dann vor, wenn es aus dem gleichgerichteten Verkehr derart zu einem Anstoß kommt, dass bei Parallelität der Längsachsen der Fahrzeuge eine Kollision mit einer Teilüberdeckung der Stoßflächen an Heck und Front der beteiligten Fahrzeuge erfolgt. Hingegen liegt kein typischer Auffahrunfall mit der Folge eines Anscheinsbeweises vor, wenn eine Eckkollision bei Schrägstellung der Längsachse des Vorausfahrenden gegeben ist (st. Rspr., vgl. zuletzt Senat, Beschluss vom 4. Juni 2007 – 12 U 208/06 – NZV 2008, 197 = KGR 2008, 196 = VRS 113, 402).

Ist erwiesen oder sprechen erwiesene Tatsachen dafür, dass der Vorausfahrende erst wenige Augenblicke vor dem Unfall in den Fahrstreifen des Auffahrenden gewechselt ist, wofür insbesondere auch eine Schrägstellung des vorausfahrenden Fahrzeugs spricht, greift der Anscheinsbeweis nicht ein (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 4 StVO Rn 18; siehe auch OLG Hamm, Urteil vom 23. September 2003 – 9 U 70/03 – VersR 2005, 1303). Der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden setzt nämlich voraus, dass beide Fahrzeuge – unstreitig oder erwiesenermaßen – so lange in einer Spur hintereinander hergefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können (vgl. OLG Celle, VersR 1982, 960; OLG München, NZV 1989, 438; Senat, zuletzt Beschluss vom 14. Mai 2007 – 12 U 194/06 – VRS 113, 418 = NZV 2008, 198 = NJOZ 2008, 780).

Bereits aus dem Vorbringen in der Klageschrift und dem eingereichten Gutachten ergibt sich, dass vorliegend eine Eckkollision bei Schrägstellung der beteiligten Fahrzeuge erfolgte, womit die Typizität eines Auffahrens im gleichgerichteten Verkehrs nicht mehr gegeben ist.

2. Zu Recht ist das Landgericht sodann davon ausgegangen, dass der klägerische Fahrer den Unfall allein verschuldete, weil die durchgeführte Beweisaufnahme einen Fahrstreifenwechsel ergeben hat. Es hat die Klage danach zu Recht abgewiesen, da es nach der nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung zu der Auffassung gelangt ist, dass der klägerische Fahrer vor dem Unfall einen Fahrspurwechsel vorgenommen und dabei die nach § 7 Abs. 5 StVO erforderliche Sorgfaltspflicht nicht beachtet hat, weshalb es zu dem vorliegenden Unfall gekommen ist.

a. Das Landgericht hat zu dem Hergang des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls Beweis erhoben durch Vernehmung der klägerseits benannten Zeugen … und … und die Verwertung der schriftlichen Aussage des Zeugen … und diese Beweisaufnahme in der angegriffenen Entscheidung auf den Seiten 4, 5 gewürdigt.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (siehe Senat, Urteil vom 11. März 2004 – 12 U 285/02 – DAR 2004, 387; NZV 2004, 632; Urteil vom 8. Januar 2004 – 12 UU 184/02 – KGR 2004, 269, vgl. auch BGH, Urteil vom 9. März 2005 – VIII ZR 266/03 – NJW 2005, 1583).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. Dabei darf er insbesondere auch einer Partei mehr glauben, als einem Zeugen, auch wenn dieser beeidet wurde, oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil der Beweisbehauptung feststellen, sofern dies nach der aus den übrigen Beweismitteln bzw. dem Akteninhalt gewonnenen Erkenntnisse seiner Überzeugung entspricht (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 286 Rn 13).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und alle Beweismittel ausführlich einzugehen, es genügt, wenn nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 286 Rn 3; Senat, Urteil vom 12. Januar 2004 – 12 U 211/02 – DAR 2004, 223 = KGR 2004, 291).

An diese Grundsätze der freien Beweiswürdigung hat sich das Landgericht in dem angefochtenen Urteil gehalten.

Es hat auf den Seiten 4 und 5 des Urteils im Einzelnen ausgeführt, weshalb es davon ausgeht, dass der Fahrer der klägerischen Taxe von dem linken in den rechten Fahrstreifen wechselte, bevor sich der Unfall ereignete. Den Ausführungen des Landgerichts folgt der Senat.

So ist es entgegen den Angriffen der Berufung nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht unter Darlegung der hierfür entscheidenden Gründe erklärt, dass es dem nicht neutralen Zeugen … und der nach ihrer eigenen Aussage sehr aufgeregten und in ihrer Aussage nicht sicheren Zeugin … nicht folgt, sondern auf Grund der schriftlichen Aussage des Zeugen … davon überzeugt ist, dass der Zeuge … vor dem Unfall einen Fahrstreifenwechsel vornahm.

Der Zeuge … , der nach den Bekundungen in seiner schriftlichen Aussage selbst hinter dem Beklagten zu 1. auf der rechten Spur fuhr, gab an, dass das klägerische Fahrzeug zügig geradezu auf gleicher Höhe neben dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. auf der linken Spur fuhr und sodann nach rechts vor den Pkw des Beklagten zu 1. nach wechselte. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der unbeteiligte Zeuge … , der auf Grund seiner Position direkt hinter dem Beklagten zu 1. die Entwicklung des Geschehens vor ihm beobachten konnte, einen Spurwechsel des klägerischen Fahrers behaupten sollte, wenn dieser gar nicht stattgefunden hatte.

Dass die Zeugin … in ihrer Vernehmung ersichtlich unsicher war und auch angab, dass alles so schnell gegangen sei, gab dem Landgericht zu Recht Anlass, ihre Angaben als nicht geeignet anzusehen, das Vorbringen des Klägers entgegen der Aussage des Zeugen … als bewiesen zu erachten.

b. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb das Landgericht gehalten gewesen wäre, ein Unfallrekonstruktionsgutachten einzuholen. Dass der Beklagte zu 1. mit dem von ihm gesteuerten Fahrzeug mit der rechten vorderen Ecke gegen die hintere linke Ecke des klägerischen Fahrzeugs fuhr, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Beklagten haben das klägerische Vorbringen zu den Anstoßstellen nicht bestritten.

Weshalb die Beweisaufnahme sonst nicht erschöpfend gewesen sein sollte, ist der Berufungsbegründung ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Vernehmung des Zeugen … hat der Kläger nicht beantragt, weshalb das Landgericht zu Recht den bloßen Widerspruch gegen die urkundliche Verwertung der schriftlichen Aussage des Zeugen nicht als ausreichend angesehen hat (vgl. Zöller-Greger, 26. Aufl., § 373 ZPO, Rn 9; BGH, Urteil vom 19. Dezember 1969 – VI ZR 128/68 – VersR 1970, 322).

c. Im Falle eines unzulässigen Fahrstreifenwechsels haftet der Fahrstreifenwechsler grundsätzlich allein für die Folgen eines in diesem Zusammenhang geschehenen Verkehrsunfalls.

Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die dessen Mitverschulden belegen; allein die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Pkw rechtfertigt keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers (KG, Urteil vom 12. Juni 2003 – 22 U 134/02 – KGR 2003, 272).

Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich die Kollision zweier Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass dieser den Unfall unter Verstoß gegen die vorgenannten Pflichten verursacht und verschuldet hat. In der Regel haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel für die Unfallschäden allein (Senat, Urteil vom 2. Oktober 2003 – 12 U 53/02 – VRS 106, 23 = KGR 2004, 106 = VM 2004, 29 Nr. 26 = VersR 2004,621 L).

3. Es wird nach alledem anheim gestellt, die weitere Durchführung der Berufung zu überdenken.

 

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