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Ausgangsbeschränkungen / Infektionsschutzmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie – Abwägung

BVerfG – Az.: 1 BvR 755/20 – Ablehnung einstweilige Anordnung vom 07.04.2020

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

Die Voraussetzungen zum Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Der Beschwerdeführer ist insbesondere nicht darauf verwiesen, zunächst verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Ausgangsbeschränkungen / Infektionsschutzmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie - Abwägung
Symbolfoto: Von Alexander Limbach/Shutterstock.com

Zwar gilt auch im verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kommt daher nur in Betracht, wenn der Beschwerdeführer beziehungsweise Antragsteller bestehende Möglichkeiten, fachgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen, ausgeschöpft hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Erstens Senats vom 13. August 2019 – 1 BvQ 66/19 -, Rn. 2; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Dezember 2019 – 2 BvQ 91/19 -, Rn. 2; stRspr).

Dies muss sich der Beschwerdeführer hier aber nicht entgegenhalten lassen. Neben dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof (Entscheidung vom 26. März 2020 – 6-VII-20 -) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30. März 2020 – 20 NE 20.632 – im Eilverfahren entschieden, dass die auch hier streitgegenständliche Verordnung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 24. März 2020 über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie nicht außer Vollzug gesetzt wird. Danach erscheint es im Rahmen des Eilrechtsschutzes gegenwärtig unzumutbar, dem Beschwerdeführer abzuverlangen, zwar nun in eigener Sache, aber zu identischen Rechtsfragen um Eilrechtsschutz nachzusuchen. Jedenfalls insoweit wäre in der zur Verfügung stehenden Zeit die vorherige Anrufung der Fachgerichte derzeit offensichtlich sinn- und aussichtslos (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>; 70, 180 <186>; 145, 20 <54 Rn. 85>; stRspr).

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 112, 284 <291>; 121, 1 <14 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2020 – 1 BvQ 15/20 -, Rn. 16; stRspr).

2. a) Die Verfassungsbeschwerde ist, jedenfalls soweit die angegriffenen Maßnahmen den Beschwerdeführer selbst betreffen, zumindest nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Sie bedarf eingehenderer Prüfung, was im Rahmen eines Eilverfahrens nicht möglich ist. Auch insoweit ist dem Beschwerdeführer derzeit nicht entgegenzuhalten, dass er den Rechtsweg nicht erschöpft hätte. Vorherigen Rechtsschutz in der Hauptsache konnte er wegen der Kürze der Zeit nicht erlangen.

b) Daher ist über den Antrag auf einstweilige Anordnung aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist allerdings wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 106, 51 <58>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juni 2018 – 2 BvR 1094/18 -, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Oktober 2018 – 2 BvR 1845/18 -, Rn. 18; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. März 2020 – 2 BvQ 6/20 -, Rn. 18; stRspr). Bei der Folgenabwägung sind die Auswirkungen auf alle von den angegriffenen Regelungen Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur die Folgen für den Beschwerdeführer (vgl. für förmliche Gesetze BVerfGE 122, 342 <362>; 131, 47 <61>).

Danach ist die begehrte einstweilige Anordnung nicht zu erlassen. Der Beschwerdeführer legt zwar nachvollziehbar dar, dass die angegriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie seine grundrechtlich geschützten Freiheiten weitgehend verkürzen, weil er danach derzeit etwa keine Partnerschaft anbahnen, mit anderen musizieren oder demonstrieren könne. Auch ist nicht zu verkennen, dass die angegriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Grundrechte der Menschen, die sich in Bayern aufhalten, erheblich beschränken. Sie geben vor, den unmittelbaren körperlichen Kontakt und weithin auch die reale Begegnung zu beschränken oder ganz zu unterlassen, sie untersagen Einrichtungen, an denen sich Menschen treffen, den Betrieb und sie verbieten es, die eigene Wohnung ohne bestimmte Gründe zu verlassen. Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und hätte die Verfassungsbeschwerde Erfolg, wären all diese Einschränkungen mit ihren erheblichen und voraussichtlich teilweise auch irreversiblen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Folgen zu Unrecht verfügt und etwaige Verstöße gegen sie auch zu Unrecht geahndet worden.

Erginge demgegenüber die beantragte einstweilige Anordnung und hätte die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg, würden sich voraussichtlich sehr viele Menschen so verhalten, wie es mit den angegriffenen Regelungen unterbunden werden soll, obwohl diese Verhaltensbeschränkungen mit der Verfassung vereinbar wären. So dürften dann insbesondere Einrichtungen, deren wirtschaftliche Existenz durch die Schließungen beeinträchtigt wird, wieder öffnen, viele Menschen ihre Wohnung häufiger verlassen und auch der unmittelbare Kontakt zwischen Menschen häufiger stattfinden. Damit würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen nach derzeitigen Erkenntnissen (ausführlich dazu BayVerfGH, Entscheidung vom 26. März 2020 – 6-VII-20 -, Rn. 16 f.) erheblich erhöhen.

Aus der Verfassungsbeschwerde ist damit insgesamt nicht ersichtlich oder sonst erkennbar, dass die Folgen einer Fortgeltung der angegriffenen Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie in einem Maße untragbar wären, dass ausnahmsweise eine geltende Regelung im Eilrechtsschutz außer Vollzug gesetzt werden müsste. Die hier geltend gemachten Interessen sind gewichtig, erscheinen aber nach dem hier anzulegenden strengen Maßstab nicht derart schwerwiegend, dass es unzumutbar erschiene, sie einstweilen zurückzustellen, um einen möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz zu ermöglichen, zu dem der Staat aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG prinzipiell auch verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 77, 170, <214>; 85, 191 <212>; 115, 25 <44 f.>). Gegenüber den Gefahren für Leib und Leben wiegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit weniger schwer. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die angegriffenen Regelungen von vornherein befristet sind, im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkungen zahlreiche Ausnahmen vorsehen und bei der Ahndung von Verstößen im Einzelfall im Rahmen des Ermessens individuellen Belangen von besonderem Gewicht Rechnung zu tragen ist.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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