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beA-Probleme – Voraussetzungen für Wirksamkeit einer Ersatzeinreichung

OLG Braunschweig – Az.: 4 U 76/22 – Beschluss vom 28.10.2022

Leitsatz des Gerichts:

1. Für eine wirksame Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO muss der Rechtsanwalt darlegen und glaubhaft machen, dass die elektronische Übermittlung im Zeitpunkt der beabsichtigten Einreichung aus technischen Gründen unmöglich war. Gleiches gilt für die vorübergehende Natur des technischen Defektes. Es genügt eine (laienverständliche) Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen.

2. Bezüglich des Zeitpunktes der erforderlichen Darlegung und Glaubhaftmachung kommt nach dem Wortlaut von § 130d Satz 3 ZPO („oder“) dem Zeitpunkt der Ersatzeinreichung selbst kein Vorrang gegenüber der – dann jedoch „unverzüglichen“ – Nachholung zu.

3. Im Anwendungsbereich des § 130d Satz 3 ZPO genügt für die Glaubhaftmachung eine (formgerechte) anwaltliche Versicherung über das Scheitern der Übermittlung. Fehlt diese bzw. wird sie nicht ohne schuldhaftes Zögern beigebracht, ist die Ersatzeinreichung unwirksam.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 13. Juni 2022 – 10 O 3636/21 – wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf eine Wertstufe bis 22.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des Widerrufs seiner auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrages zur Finanzierung eines Kraftfahrzeugkaufs gerichteten Willenserklärung in Anspruch.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 21.298,88 Euro zu zahlen zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit nach Übergabe des Kraftfahrzeuges Audi A4 Avant 2.0 TDI, Fahrzeugidentifizierungsnummer W…, nebst Fahrzeugschlüsseln und Fahrzeugpapieren am Hauptsitz der Beklagten,

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Kraftfahrzeuges gemäß Antrag zu 1 in Verzug befindet,

3. festzustellen, dass der Beklagten aus dem Darlehensvertrag mit der Nr.: … seit Zugang des Widerrufsschreibens des Klägers vom 25.05.2021 kein Anspruch mehr gegen den Kläger auf vertragsgemäße Zins- und Tilgungsleistungen zusteht,

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.474,89 Euro als Nebenforderung zu zahlen, zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen; sowie hilfsweise für den Fall der Stattgabe mit Blick auf den Klageantrag zu 1 im Wege der Widerklage

1. festzustellen, dass der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten Wertersatz für den Wertverlust des Fahrzeugs Audi A4 Avant S line 2.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer: W…, zu leisten, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung von Beschaffenheit, Eigenschaft und Funktionsweise des Fahrzeugs nicht notwendig war;

2. festzustellen, dass der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten den vereinbarten Sollzins in Höhe von 1,97 % p. a. für einen Zeitraum zwischen Auszahlung des Darlehens und Rückgabe des Fahrzeugs aus Ziffer 1 zu zahlen.

Weiter hilfsweise für den Fall der Stattgabe in Bezug auf die Klageanträge zu 2 und 3 hat die Beklagte im Wege der Widerklage beantragt,

den Kläger zu verurteilen, das im Klageantrag zu 1 identifizierte Fahrzeug an die Beklagte herauszugeben und zu übereignen.

Der Kläger hat beantragt, die Hilfswiderklage abzuweisen.

Durch Urteil vom 13. Juni 2022 hat das Landgericht festgestellt, dass der Beklagten aufgrund des Widerrufs ab dem Zugang der Widerrufserklärung vom 25.05.2021 kein Anspruch mehr gegen den Kläger auf vertragsgemäße Zins- und Tilgungsleistungen zustehe, im Übrigen hat es die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Auf die Widerklage hat es festgestellt, dass der Kläger verpflichtet sei, das näher bezeichnete Fahrzeug an die Beklagte herauszugeben und zu übereignen. Hinsichtlich des Sachverhalts und der Begründung wird auf die Ausführungen in dem landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.

Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 14. Juni 2022 zugestellt worden.

Gegen das Urteil hat der Kläger am 14. Juli 2022 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz von Montag, dem 15. August 2022, eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, hat der Kläger eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15. September 2022 beantragt, die antragsgemäß gewährt wurde.

Mit Schriftsatz vom 7. September 2022 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass ab dem 13. September 2022 nach Ausscheiden der bisherigen Sachbearbeiterin aus der Kanzlei ein Wechsel in der Sachbearbeitung dieses Verfahrens stattfinde, und dass weitere Korrespondenz an die zukünftige, namentlich benannte Sachbearbeiterin gerichtet werden möge.

Die Berufungsbegründung vom 15. September 2022 ging am selben Tage per Telefax beim Oberlandesgericht ein, versehen mit folgender Überschrift: „Hinweis: Leider ist momentan der Versand über das beA-Postfach aufgrund von technischen Schwierigkeiten nicht möglich.“

Mit Verfügung vom 16. September 2022 hat die stellvertretende Senatsvorsitzende die Prozessbevollmächtigten des Klägers auf die Regelung des § 130d ZPO sowie darauf hingewiesen, dass der Schriftsatz vom 15. September 2022 nicht in der gültigen Form eingegangen sei, sie aufgefordert, den besagten Schriftsatz als elektronisches Dokument einzureichen, und darauf aufmerksam gemacht, dass es an der Glaubhaftmachung fehle, soweit vorübergehende technische Gründe vorgebracht würden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfügung vom 16. September 2022 verwiesen, die den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. September 2022 zugestellt wurde.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben daraufhin die Berufungsbegründung vom 15. September 2022 am 21. September 2022 als elektronisches Dokument eingereicht und unter Bezugnahme auf § 130d Satz 3 ZPO auf die folgende Sachlage hingewiesen:

„Bei dem Kartenwechsel der beA-Karte kam es zu technischen Problemen. In der Folge war ein Versand nicht mehr möglich. Sodann erfolgten mehrere Anrufe bei der BRAK sowie eine E-Mail mit der Darlegung des Problems an den beA-Support. Es wurde auch ein neues Software-Zertifikat erstellt, jedoch konnte dieses nicht mehr mit den bisherigen Geräten heruntergeladen und aktiviert werden.

Dies hatte zur Folge, dass nicht über das beA-Postfach verschickt werden konnte. Es war demnach unmöglich, fristgebundene Schriftsätze elektronisch per beA einzureichen. Um fristwahrend Stellung zu nehmen, erfolgte die Übersendung per Telefax.

Das beA-Postfach ist nun wieder funktionstüchtig, folglich erfolgt die elektronische Nachreichung anbei. Wir bitten dies entsprechend zu berücksichtigen.“

Mit Verfügung vom 23. September 2022 hat der Senat die Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen, dass die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen sein dürfte, da sie nicht in der gesetzlichen Frist begründet worden sei. Die Berufungsbegründung vom 15. September 2022 sei an diesem Tage per Fax und daher nicht in der gesetzlichen Form des § 130d ZPO eingereicht worden. Eine Heilung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO sei durch die Erläuterungen in dem Schriftsatz vom 21. September 2022 nicht eingetreten, da es jedenfalls an der gemäß § 130d Satz 3 ZPO erforderlichen Glaubhaftmachung fehle.

Auf diesen Hinweis haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2022 gemäß § 294 ZPO ausdrücklich anwaltlich die Richtigkeit der folgenden Sachlage versichert:

„Aufgrund des Kartenwechsels der beA-Karte am 13.09.2022 um 16:27 Uhr kam es zu mehreren technischen Problemen. Die erhaltene Anleitung zur Inbetriebnahme der neuen beA-Karte war unvollständig. Zudem konnte die Karte von der von uns verwendeten Software nicht mehr gelesen werden. Daraufhin wurden alle zur Verfügung stehenden Lesegeräte ausprobiert, jedoch war die Karte mit keinem Gerät lesbar. Sodann erfolgten mehrere Anrufe bei der BRAK sowie eine E-Mail mit der Darlegung des Problems an den beA-Support.

Das Hauptproblem konnte jedoch schließlich auf die fehlerhafte Anleitung zurückgeführt werden. Die erforderliche Software zum Lesen der Karte war in dieser nicht enthalten und nur durch einen separaten Download möglich, welcher am 20.09.2022 erfolgte. Um 14:46 Uhr war ein Versenden über die Rechtsanwältin C wieder möglich.

Während des besagten Zeitraums vom 13.09.2022 bis zum 20.09.2022 war ein Versand über das beA-Postfach nicht möglich. Um fristwahrend Stellung zu nehmen, erfolgte die Übersendung per Telefax. Daran anschließend erfolgt umgehend am 21.09.2022 die Ersatzeinreichung mit einer Erklärung der Sachlage.

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Der Kartenwechsel musste auch zu diesem Zeitpunkt erfolgen, da die Rechtsanwältin D die Kanzlei am 13.09.2022 verlassen hat. Der Versand musste somit über die zuvor als Nachfolgerin angezeigte Rechtsanwältin C erfolgen.

[…]“

Die Beklagte hat angekündigt zu beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht darauf aufmerksam, dass die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers über 20 Berufsträger verfüge. Dass alle Berufsträger technische Probleme bei der Übersendung über das elektronische Anwaltspostfach gehabt hätten, sei nicht erkennbar.

II.

1. Die Berufung des Klägers war gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger die Berufungsbegründungsfrist versäumt hat.

Gemäß § 522 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Das erstinstanzliche Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 14. Juni 2022 zugestellt worden. Auf den rechtzeitig am Montag, dem 15. August 2022, eingegangenen Fristverlängerungsantrag hin ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 15. September 2022 verlängert worden.

Innerhalb dieser Frist ist die Berufung nicht in der gesetzlichen Form des § 130d ZPO begründet worden.

a) Die Berufungsbegründung, die am 15. September 2022 per Fax beim Oberlandesgericht einging, ist nicht formgerecht eingereicht worden.

Nach § 130d Satz 1 ZPO, der seit dem 1. Januar 2022 in Geltung steht, sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Die formgerechte Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung unwirksam. Auf die Einhaltung könnte auch der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (vgl. nur BT-Drs. 17/12634, S. 27; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. März 2022 – I-12 U 61/21 –, Rn. 8, juris).

Die Übermittlung der Berufungsbegründung per Fax innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ist nach alledem grundsätzlich unwirksam.

b) Die Einreichung per Fax ist nach den gegebenen Umständen des vorliegenden Falles auch nicht in Form der Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 und 3 ZPO ausnahmsweise wirksam.

Nach diesen Vorschriften bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, soweit die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.

Die Voraussetzungen dieser Norm sind vorliegend nicht erfüllt. Es fehlt an der unverzüglichen Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen.

Für die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Sinne der Norm ist es unerheblich, ob die Ursache der Sphäre des Gerichts oder der Sphäre des Einreichenden entstammt (BT-Drs. 17/12634, S. 27).

Nach dem Wortlaut der Norm kommt es nur auf die technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Einreichung an. Dies sowie die vorübergehende Natur des technischen Defekts müssen dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Es genügt eine (laienverständliche) Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen (Biallaß, in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 130d ZPO [Stand: 18.10.2022], Rn. 66; vgl. auch Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. Juni 2022 – 1 LA 1/22 –, Rn. 7, juris).

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Beteiligten nicht damit belastet werden, nach dem Ursprung der technischen Störung zu forschen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. Juni 2022 – 1 LA 1/22 –, Rn. 3, juris). Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. Juni 2022 – 1 LA 1/22 –, Rn. 3, juris; Siegmund, NJW 2021, 3617 <3618> Rn. 12).

aa) Den Darlegungsanforderungen genügte – abgesehen von der fehlenden Glaubhaftmachung – der Hinweis auf der am 15. September 2022 per Fax eingereichten Berufungsbegründungsschrift, nach dem der Versand über das beA-Postfach aufgrund von technischen Schwierigkeiten momentan leider nicht möglich sei, von vornherein nicht.

Die Wiedergabe allein des Gesetzeswortlauts ermöglicht dem Gericht keine eigenständige Subsumtion unter die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes und ist daher ungenügend. Vielmehr ist die – laienhafte – Spezifizierung des technischen Grundes erforderlich (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13. Juni 2022 – 1 LA 1/22 –, Rn. 7, juris).

bb) Auch die Erläuterung in dem Schriftsatz vom 21. September 2022 war ungenügend, um die als Ausnahme ausgestaltete Ersatzeinreichung in Form der Faxübersendung zu rechtfertigen.

Dies gilt nicht etwa, weil diese näheren Erläuterungen zu spät erfolgt seien (1). Es fehlt jedoch auch im Schriftsatz vom 21. September 2022 an der gemäß § 130d Satz 3 ZPO erforderlichen Glaubhaftmachung (2).

(1) Die Erläuterungen in dem Schriftsatz vom 21. September 2022 waren nicht bereits als verspätet zurückzuweisen, weil die Darlegung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung am 15. September 2022 vorrangig gewesen wäre.

Bezüglich des Zeitpunktes der erforderlichen Darlegung und Glaubhaftmachung legt der Wortlaut von § 130d Satz 3 ZPO („oder“) nahe, dass der Zeitpunkt der Ersatzeinreichung selbst gleichrangig neben der – dann jedoch „unverzüglichen“ – Nachholung stehe.

Demgegenüber wird in Rechtsprechung und Literatur unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung die Auffassung vertreten, der Zeitpunkt der Ersatzeinreichung sei für Darlegung und Glaubhaftmachung gegenüber der Nachholung vorrangig. Nur wenn der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststelle, dass eine elektronische Einreichung aus vorübergehenden technischen Gründen nicht möglich sei und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibe, die Unmöglichkeit darzulegen und glaubhaft zu machen, solle es genügen, die Glaubhaftmachung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, nachzuholen (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25. Januar 2022 – 4 MB 78/21 –, Rn. 5, juris, zu § 55d VwGO; Biallaß, in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 130d ZPO [Stand: 07.09.2022], Rn. 63).

Nach dieser Ansicht wäre die Erläuterung im Schriftsatz vom 21. September 2022 gegenüber der Ersatzeinreichung nachrangig gewesen. Denn wie sich aus dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 5. Oktober 2022 ergibt, bestanden die Probleme mit der beA-Karte bereits 2 Tage vor Fristablauf, nämlich seit dem 13. September 2022. Es wäre der Prozessbevollmächtigten des Klägers also bereits am 15. September 2022 möglich gewesen, die bestehenden technischen Schwierigkeiten bei der Übermittlung zu spezifizieren.

Diese enge Ansicht ist jedoch abzulehnen. Richtig ist zwar, dass in der Gesetzesbegründung der Wunsch formuliert wird, die Darlegung vorübergehender technischer Schwierigkeiten möge möglichst zeitgleich mit der Ersatzeinreichung erfolgen. So heißt es in der Gesetzesbegründung: „Die Glaubhaftmachung soll möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen. Jedoch sind Situationen denkbar, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen“ (BT-Drs. 17/12634, S. 28).

Ein solches etwaiges Stufenverhältnis hat jedoch im Wortlaut der Norm keinen Niederschlag gefunden. Es erscheint daher als Verletzung der Wortlautgrenze, die Überlegungen des Gesetzgebers zu einem wünschenswerten Rangverhältnis in die Bestimmung hineinzulesen, obwohl die Konjunktion „oder“ einen Gleichrang der genannten Alternativen nahelegt.

(2) Es kann dahinstehen, ob die Erläuterungen in dem Schriftsatz vom 21. September 2022 inhaltlich zur Darlegung einer insbesondere „vorübergehenden“ technischen Störung ausreichen. Jedenfalls fehlt es in diesem Schriftsatz an der Glaubhaftmachung.

Nach § 130d Satz 3 ZPO ist die vorübergehende Unmöglichkeit „glaubhaft“ zu machen. Fehlt die Glaubhaftmachung oder leidet sie selbst an einem Wirksamkeitshindernis, ist auch die Ersatzeinreichung unwirksam (Siegmund, NJW 2021, 3617 <3618> Rn. 13).

Die Glaubhaftmachung im Sinne der Norm meint Glaubhaftmachung gemäß § 294 ZPO (Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 130d Rn. 2).

Unter der Ägide dieser Norm gilt: „Zwar kann die Schilderung von Vorgängen durch einen Rechtsanwalt die mitgeteilten Tatsachen in gleicher Weise glaubhaft machen, wie dies sonst durch eine eidesstattliche Versicherung der Fall ist, wenn der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichert (Senatsurteil vom 2. November 1988 – IVb ZR 109/87 – FamRZ 1989, 373 f.; BGH Beschluss vom 18. Mai 2011 – IV ZB 6/10 – juris Rn. 11; Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2014 – XII ZB 257/14 – FamRZ 2015, 135 Rn. 16). Hierzu [bedarf] es aber jedenfalls einer Versicherung der Richtigkeit dieser Angaben […]“ (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2017 – XII ZB 463/16 –, Rn. 14, juris). Ein einfacher Schriftsatz genügt hierfür nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2014 – XII ZB 257/14 –, Rn. 21, juris; Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 294 Rn. 5).

Im Anwendungsbereich des § 130d Satz 3 ZPO genügt daher eine (formgerechte) anwaltliche Versicherung über das Scheitern der Übermittlung (Schultzky, MDR 2022, 201 <202>; Biallaß, in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 130d ZPO [Stand: 18.10.2022], Rn. 65).

An einer solchen ausdrücklichen Versicherung unter Bezugnahme auf die anwaltlichen Standespflichten fehlt es in dem Schriftsatz vom 21. September 2022.

cc) Die ergänzende Erläuterung nebst ausdrücklicher anwaltlicher Versicherung in dem Schriftsatz vom 5. Oktober 2022 erfolgte nicht mehr unverzüglich.

Die Glaubhaftmachung hat „unverzüglich“ zu erfolgen. Das bedeutet entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB (vgl. BeckOGK/Rehberg, 1.9.2022, BGB § 121 Rn. 11) „ohne schuldhaftes Zögern“.

Freilich hat die breite Anwendbarkeit der Legaldefinition auf zahlreiche Vorschriften des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts zur Folge, dass der Begriff „unverzüglich“ keinesfalls einheitlich verstanden und angewandt werden kann. Vielmehr kommt es für die Bestimmung der „Unverzüglichkeit“ entscheidend auf Sinn und Zweck sowie systematische Stellung der jeweiligen Norm an (BeckOGK/Rehberg, 1.9.2022, BGB § 121 Rn. 12).

An dieser Stelle nunmehr sind die bereits erwähnten Überlegungen des Gesetzgebers zur möglichst im Zeitpunkt der Ersatzeinreichung gewünschten Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übersendung dogmatisch zutreffend zu verorten (vgl. in diese Richtung bereits Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 6 Sa 337/20 –, Rn. 128, juris).

Die Einführung der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs ab dem 1. Januar 2022 erfolgte ausdrücklich in dem Bestreben, die Vorteile des elektronischen Rechtsverkehrs flächendeckend auszunutzen und einen wirtschaftlichen Betrieb sicherzustellen (BT-Drs. 17/12634, S. 27). Eine Ausnahme für die zwingende Benutzung in § 130d Satz 2 ZPO wurde aus Gründen der Sicherstellung des wirkungsvollen Zugangs zu Rechtsschutz und eines fairen Verfahrens nur für den Ausnahmefall vorgesehen, wenn die Justiz aus technischen Gründen nicht auf elektronischem Wege erreichbar sei. „Um Missbrauch auszuschließen“ wurde jedoch geregelt, dass die vorübergehende technische Unmöglichkeit bei Ersatzeinreichung oder unmittelbar danach glaubhaft zu machen sei (BT-Drs. 17/12634, S. 27).Im Wege der Formulierungen „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ hat der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass professionelle Einreicher hierdurch nicht von der Notwendigkeit entbunden seien, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen (BT-Drs. 17/12634, S. 28).

Die flächendeckende Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs liegt daher im öffentlichen Interesse. Durch das Erfordernis der unverzüglichen Glaubhaftmachung bezweckt der Gesetzgeber nicht nur die Erzielung schneller Klarheit über das Vorliegen einer Ausnahmefallgestaltung, sondern hält auch dazu an, rasch und nachhaltig Rechenschaft über die Nutzung des Ausnahmetatbestandes abzulegen.

Unter Berücksichtigung dieser Interessenlage hätte die Glaubhaftmachung unter Berücksichtigung der Umstände des hier vorliegenden Falles spätestens mit der ergänzenden Erläuterung in dem Schriftsatz vom 21. September 2022 erfolgen müssen. Dies gilt umso mehr, als dass die stellvertretende Senatsvorsitzende die Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits mit Verfügung vom 16. September 2022 unter Hervorhebung im Fettdruck auf folgendes hingewiesen hatte: „Soweit vorübergehende technische Gründe vorgebracht werden, fehlt es an der Glaubhaftmachung.“ Auf diesen Hinweis nicht entsprechend zu reagieren, kann nicht anders als ein schuldhaftes Zögern gewertet werden.

2. Dem Kläger war auch nicht von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

Zwar hat der Kläger die versäumte Prozesshandlung – nämlich die Einreichung einer der gesetzlichen Form entsprechenden Berufungsbegründung – am 21. September 2022 nachgeholt, sodass gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich der Raum für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen eröffnet ist.

Allerdings erfolgte die Fristversäumung nicht ohne Verschulden des Klägers im Sinne des § 233 Satz 1 ZPO, nachdem sich dieser das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Letzteres liegt wie dargelegt jedenfalls darin, dass sie trotz Hinweises des Gerichts vom 16. September 2022 die Angaben in dem Schriftsatz vom 21. September 2022 nicht glaubhaft gemacht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

4.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO auf eine Wertstufe bis 22.000,00 Euro festzusetzen.

Da der Kläger wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung keine wirksamen und damit berücksichtigungsfähigen Berufungsanträge gestellt hat, ist auf die Beschwer durch das erstinstanzliche Urteil abzustellen, § 47 Abs. 1 Satz 2 GKG (vgl. auch BeckOK KostR/Schindler, 39. Ed. 1.10.2022, GKG § 47 Rn. 13).

Als unbegründet abgewiesen worden ist die Klage mit Blick auf den Zahlungsantrag in Höhe von 21.298,88 Euro, die Feststellung des Annahmeverzuges und den Zahlungsantrag betreffend vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten. Streitwertbestimmend ist insoweit wegen § 43 Abs. 1 GKG allein der Zahlungsantrag in der Hauptsache, allerdings wegen § 43 Abs. 1 GKG bereinigt um enthaltene Zinsen in Höhe von maximal 1.429,64 Euro.

Weiter ist der Kläger durch das erstinstanzliche Urteil zwar insoweit beschwert, als auf die Hilfswiderklage festgestellt worden ist, dass der Kläger verpflichtet sei, das finanzierte Fahrzeug an die Beklagte herauszugeben und zu übereignen.

Dieser Feststellung kommt aber im Verhältnis zu dem Zahlungsantrag in Höhe von 21.298,88 Euro keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu, da die Beklagte die Herausgabe nach Zahlung dieses Betrages zugesteht. Es erscheint daher gerechtfertigt, die Beschwer als mit dem Wert dieses in erster Instanz abgewiesenen Zahlungsantrages abgegolten anzusehen.

 

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