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Bekenntnis der Schuld nach Verkehrsunfall am Unfallort

Verkehrsunfall und Haftungsfragen: Ein Blick auf das LG Ansbach Endurteil

In einem komplexen Fall von Verkehrsunfall und Schadensersatzansprüchen hat das Landgericht Ansbach ein Urteil gefällt, das die Haftungsfragen und die Rolle der Verkehrsteilnehmer unter die Lupe nimmt. Im Kern des Falles stand ein Zusammenstoß zwischen einem LKW, der von einem Zeugen H. gefahren wurde, und einem PKW, gesteuert vom Beklagten zu 1). Der LKW gehörte der Klägerin, während der PKW bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war. Die Klägerin verlangte Schadensersatz für Reparaturkosten, Sachverständigenkosten, Mietwagenkosten und weitere Auslagen. Das Hauptproblem lag in der Klärung der Haftungsverhältnisse und der Frage, ob und inwieweit die Beklagten für den entstandenen Schaden aufkommen müssen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 O 86/20 >>>

Die Klägerin und ihre Forderungen

Bekenntnis der Schuld nach Verkehrsunfall am Unfallort
Komplexität der Haftungsfragen: LG Ansbach Urteil beleuchtet Sorgfaltspflichten und Verkehrsregeln in Verkehrsunfall-Schadensersatzansprüchen. (Symbolfoto: Monkey Business Images /Shutterstock.com)

Die Klägerin argumentierte, dass der Zeuge H. alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen habe, einschließlich der Reduzierung der Geschwindigkeit und der Aktivierung des linken Blinkers. Sie behauptete auch, dass ein Überholverbot an der Unfallstelle bestand und der Beklagte zu 1) gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) verstoßen habe. Die Klägerin forderte, dass die Beklagten als Gesamtschuldner für den gesamten Schaden aufkommen sollten.

Die Beklagten und ihre Verteidigung

Die Beklagten hingegen argumentierten, dass der Zeuge H. gegen seine Rückschaupflicht verstoßen habe und der linke Blinker nicht rechtzeitig aktiviert wurde. Sie bestritten auch die Höhe der von der Klägerin geforderten Mietwagenkosten und behaupteten, diese seien nicht ortsüblich und angemessen. Darüber hinaus wurde ein am Unfalltag abgegebenes Schuldeingeständnis des Beklagten zu 1) als unwirksam erklärt.

Beweisaufnahme und Sachverständigengutachten

Das Gericht führte eine Beweisaufnahme durch, die die Vernehmung des Zeugen H. und die Einholung eines Sachverständigengutachtens umfasste. Das Gutachten und die Vernehmung dienten der Klärung des Unfallhergangs und der Ermittlung der Haftungsquote.

Das Urteil und seine Konsequenzen

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Klage nur teilweise begründet sei. Die Klägerin erhielt Schadensersatz in Höhe von 1.824,17 € für Reparatur- und Schadensermittlungskosten sowie 875,00 € für Mietkosten eines Ersatzfahrzeugs. Die Beklagten wurden auch verurteilt, die Klägerin von Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 402,60 € freizustellen. Die Kosten des Rechtsstreits wurden zwischen den Parteien aufgeteilt, wobei die Klägerin 2/3 und die Beklagten 1/3 zu tragen hatten.

Das Urteil beleuchtet die Komplexität der Haftungsfragen im Straßenverkehr und zeigt, dass die Einhaltung der Verkehrsregeln und die Beachtung der Sorgfaltspflichten entscheidend für die Klärung von Schadensersatzansprüchen sind. Es dient als wichtiger Präzedenzfall für ähnliche Fälle, in denen die Haftungsverhältnisse und die Rolle der Verkehrsteilnehmer geklärt werden müssen.

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Das vorliegende Urteil

LG Ansbach – Az.: 2 O 86/20 – Endurteil vom 25.10.2021

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.824,17 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.02.2019 sowie weitere 875,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.05.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, die Klägerin von angefallenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 402,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit 07.05.2020 freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 2/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/3 zu tragen.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall.

Die Klägerin ist Eigentümerin des LKWs … amtliches Kennzeichen …. Am 17.10.2018 gegen 14:40 Uhr fuhr der Zeuge H. mit dem klägerischen Fahrzeug und dem daran angeschlossenen Auflieger, amtliches Kennzeichen … auf der Ortsverbindungsstraße … zwischen … und … in Richtung …. Der Zeuge H. wollte in die auf die Ortsverbindungsstraße einmündende Abfahrt nach … einfahren. Diese Abfahrt mündet in die gegenüberliegende Fahrbahnhälfte ein. Als er den Abbiegevorgang begann, wurde er von dem aus rückwärtigen Verkehr kommenden PKW, amtliches Kennzeichen …, welches vom Beklagten zu 1) gesteuert wurde, überholt. In der Folge kam es zu einem Zusammenstoß des Beklagtenfahrzeugs mit dem vorderen linken Fahrzeugeck des klägerischen Gespanns. Der Pkw des Beklagten zu 1) ist bei der Beklagten zu 2) pflichtversichert.

Die Beklagte zu 2) hat zur Ausgleichung des entstandenen Schadens vorgerichtlich 3.000,00 € an die Klägerin gezahlt.

Die Klägerin macht nun mit ihrer Klage weitere Schadensersatzansprüche in Höhe von 6.653,33 € (Reparaturkosten, Sachverständigenkosten, Auslagenpauschale) sowie in Höhe von 1.750,00 € (Mietwagenkosten) geltend.

Die Klägerin behauptet, der Zeuge H. habe die Geschwindigkeit im Zuge des beabsichtigten Abbiegevorgangs gedrosselt und habe das Gespann wegen des Gegenverkehrs auch kurzzeitig zum Stillstand gebracht. Die Fahrtgeschwindigkeit habe beim Abbiegevorgang nach Passieren des Gegenverkehrs ca. 3 km/h betragen. Zudem habe der Zeuge H. den linken Fahrtrichtungsanzeiger bereits beim Anfahren an die Einmündung im Zuge der Herabsetzung der Geschwindigkeit gesetzt und ihn bis zur Kollision nicht ausgeschaltet. Die Klägerin behauptet, an der Unfallstelle bestehe ein Überholverbot. Zudem habe der Beklagte zu 1) unter Verstoß gegen die StVO bei unklarer Verkehrslage unzulässigerweise überholt. Der Unfall sei für den Zeugen H. im Übrigen unabwendbar gewesen, da das Beklagtenfahrzeug sich im toten Winkel des klägerischen Fahrzeugs befand und für den Zeugen H. insofern nicht sichtbar gewesen ist.

Die Klägerin meint, die Beklagten haften für den streitgegenständlichen Unfall allein und in vollen Umfang für den entstandenen Schaden wegen einer erhöhten Betriebsgefahr.

Die Klägerin hat ihre ursprünglichen Anträge mit Schriftsatz vom 30.04.2020 (Bl. 27) erweitert.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1.

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 6.653,33 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 27.02.2019 zu bezahlen.

2.

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 1.750,00 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

3.

Die Beklagten werden weiter gesamtschuldnerisch verurteilt die Klägerin von angefallenen vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 805,20 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

4.

Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

5.

Das Urteil ist -notfalls gegen Hinterlegung einer Sicherheitsleistung – vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten beantragen, Klageabweisung

Die Beklagten behaupten, der Zeuge H. habe gegen seine doppelte Rückschaupflicht verstoßen und habe zudem den linken Fahrtrichtungsanzeiger nicht rechtzeitig betätigt. Zudem sei die nach … führende Straße für den Lkw-Verkehr gesperrt.

Die Beklagten meinen, eine Haftungsquote bestehe lediglich entsprechend der bereits erfolgten Zahlung in Form von 75 (Klägerin) zu 25 (Beklagten). Das am Unfalltag erstellte Schuldeingeständnis des Beklagten zu 1) sei unwirksam, da es unter dem Eindruck des Unfallgeschehens abverlangt worden ist und deshalb angefochten wurde. Zudem behaupten die Beklagten, die von der Klägerin angesetzten Kosten für die Miete eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs seien der Höhe nach nicht ortsüblich und angemessen.

Das Gericht hat Beweis erhoben zum Unfallhergang durch uneidliche Vernehmung des Zeugen H.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2020. Zudem wurde Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 15.07.2020 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige … hat sein Gutachten am 27.01.2021 erstellt und wurde zur Erläuterung seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2021 mündlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Gutachten vom 27.01.2021 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2021. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenteilen vollumfänglich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat nur teilweise Erfolg.

I.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist das Landgericht Ansbach gemäß § 1 ZPO i.V.m. §§ 23, 71 I GVG sachlich sowie gemäß § 20 StVG örtlich zuständig.

II.

Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.824,17 € (Reparaturkosten + Schadensermittlungskosten) sowie 875,00 € (Mietkosten für Ersatzfahrzeug) aus §§ 7 I, 17 I, II StVG, § 115 I 1 Nr. 1, I 4 VVG i.V.m. §§ 823 I, 249, 421 BGB zu.

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall vom 17.10.2018 aus §§ 7 I, 17 I, II StVG, § 115 I 1 Nr. 1, I 4 VVG i.V.m. §§ 823 I, 249, 421 BGB.

Vorliegend wurde das klägerische Fahrzeug bei dem Betrieb Kfz beschädigt. Folglich haftet der Beklagte zu 1) als Halter eines unfallverursachenden Kfz grundsätzlich für etwaige daraus entstandene Schäden verschuldensunabhängig. Die Beklagte zu 2) haftet als Haftpflichtversicherung gemäß § 115 VVG.

Es kann vorliegend dahin stehen, ob es sich bei der „abgegebenen Erklärung“ des Beklagten zu 1) um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis des Beklagten handelt. Das Gericht ist der Auffassung, dass es sich jedenfalls um ein einseitiges Schuldbekenntnis handelt. Insofern ist zu berücksichtigen, dass auch das bloße Bekenntnis der Schuld, das keinen besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen des Erklärenden verkörpert, die Beweislage des Erklärungsempfängers verbessert. Die gravierende Rechtsfolge einer vollen Beweislastumkehr besitzt eine an der Unfallstelle abgegebene Erklärung allerdings nur dann, wenn den Parteien die Tragweite ihrer Erklärung auch aus Sicht eines in Rechtsdingen unerfahrenen Laien zumindest erkennbar war. Ein solches Bewusstsein wird in der Regel vorhanden sein, wenn die Aussage in schriftlicher Verkörperung erfolgt. Derjenige, der an der Unfallstelle seinem Unfallgegner eine die Schuld bestätigende Erklärung übergibt, weiß, dass die Erklärung im Falle eines eventuellen Rechtsstreits zu Beweiszwecken dient. Demjenigen ist auch bewusst, dass sich der Gegner, der das Anerkenntnis in Händen hält, hinsichtlich des Beweisrisikos in Sicherheit wiegt und geneigt sein wird, von weiteren Aufklärungsmöglichkeiten an Ort und Stelle abzusehen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 01.03.2011, Aktenzeichen: A 4 U 370/10). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass beim Erscheinen der Polizei Tatsachen und Beweismittel hätten gesichert werden können, aufgrund derer eine vollständige Aufklärung des Unfallgeschehens möglich gewesen wäre. Hätte der Beklagte zu 1) die vorbenannte Erklärung nicht abgegeben, hätte die Zeugin auf die polizeiliche Aufnahme weiterhin bestanden. Dies war dem Beklagten zu 1) zudem bekannt. Auch ein Laie würde in der Notiz des Beklagten ein Bekenntnis zum Verschulden des Unfalls sehen.

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Zwar wurde das klägerische Fahrzeug beim Betrieb des Beklagtenfahrzeugs beschädigt, jedoch hängt die Haftungsquote gemäß § 17 II, I StVG von den wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträgen der Partei ab, soweit nicht für die Alleinhaftung gegen eine Partei ein unwiderleglicher Anscheinsbeweis eingreift oder eine Partei nicht zum Schadensersatz verpflichtet ist, da der Unfall für sie ein unabwendbares Ereignis gemäß § 17 III StVG darstellt.

1.1 Gemäß § 17 III StVG ist die Verpflichtung zum Schadensersatz nach den Absätzen 1 und 2 für einen Beteiligten ausgeschlossen, wenn der Unfall für ihn durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Gemäß S. 2 gilt ein Ereignis nur dann als unabwendbar, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat.

Den Nachweis für diese Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls hat derjenige zu tragen, der sich darauf beruft.

Vorliegend konnten nach Ansicht des Gerichts weder die Klägerin noch die Beklagten diesen Unabwendbarkeitsnachweis führen.

Der Sachverständige … führt in seinem Gutachten vom 27.01.2021 (Bl. 112) und bei seiner mündlichen Einvernahme am 27.09.2021 (Bl. 186) überzeugend aus, dass sich der Unabwendbarkeitsnachweis für den Zeugen H. nicht absolut und vollständig führen lässt. Zwar führte er aus, dass sich das Beklagtenfahrzeug mit hoher Wahrscheinlichkeit je nach Fahrlinie im Zeitpunkt des spätesten Abbiegeentschlusses (0,5 Sekunden vor der tatsächlichen Lenkbewegung) vollständig oder größtenteils im verdeckten Bereich hinter dem klägerischen Sattelanhänger befand und eine länger andauernde Erkennbarkeitsmöglichkeit für den Zeugen H. vollständig auszuschließen sei, jedoch bestehe die Möglichkeit, dass sich das Beklagtenfahrzeug zumindest teilweise im möglichen einsehbaren Bereich der linken Außenspiegel befand und insofern der Unfall für den Zeugen H. nicht unvermeidbar war. Der Sachverständige konnte nicht endgültig feststellen, wo genau sich das Beklagtenfahrzeug im Zeitpunkt des spätesten Abbiegeentschlusses befand, ob bereits auf der Gegenfahrbahn oder noch hinter dem klägerischen Fahrzeug auf derselben Fahrbahn. Der Sachverständige konnte deswegen nicht in allen Varianten vollständig ausschließen, dass das Beklagtenfahrzeug nicht zu irgendeinem Zeitpunkt im möglichen einsehbaren Bereich des Zeugen H. gewesen sein kann, so dass nicht absolut auszuschließen ist, dass die Möglichkeit einer Erkennung des von hinten herannahenden Beklagtenfahrzeug für den Zeugen H. vorliegen könnte (Bl. 107). Die verkürzte Reaktionszeit von 0,5 Sekunden als spätesten Abbiegeentschluss nimmt der Sachverständige an, da der Abbiegeentschluss bereits getroffen wurde und insofern kein Reiz für die Lenkreaktion benötigt wird.

1.2 Da ein Unabwendbarkeitsnachweis nicht geführt werden konnte, gilt gemäß § 17 II StVG für die Haftungsabwägung bei einem Schaden für einen der beteiligten Fahrzeughalter Abs. 1 entsprechend. Demnach hängt im Verhältnis der Kfz-Halter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Auflage 2020, StVG § 17 Rn. 11).

Hierfür ist in einem ersten Schritt das Gewicht des Verursachungsbeitrags des einen und des anderen Kfz-Halters zu bestimmen. Dabei ist zu beachten, dass insoweit zum Nachteil der einen oder der anderen Seite nur feststehende Umstände berücksichtigt werden dürfen, und zwar auch nur solche Umstände, die sich auch nachweislich auf den Unfall ausgewirkt haben, entweder auf den Unfallhergang oder auf den Schadensumfang (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Auflage 2020, StVG § 17 Rn. 12).

Sodann sind in einem zweiten Schritt die beiden Verursachungsanteile gegeneinander abzuwägen. Wenn Gewichtsunterschiede nicht festzustellen sind, ergibt sich eine Haftungsquote von 50% (BGH NZV 2007, 354; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Auflage 2020, StVG § 17 Rn. 13)

1.2.1

Der Verursachungsbeitrag eines beteiligten Kfz-Halters wird gebildet durch die Summe der Gefahren, die in der konkreten Unfallsituation von den Kfz ausgegangen sind und sich bei dem Unfall ausgewirkt haben, und zwar zum Nachteil des Unfallgegners. Lediglich möglich oder vermutete Tatsachen bleiben außer Betracht. Die Abwägung ist Sache des Tatrichters (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Auflage 2020, StVG § 17 Rn. 14).

Diese Gefahren können sich aus objektiven Umständen (Beschaffenheit, Geschwindigkeit, konkretes Fahrmanöver) sowie aus subjektiven Umständen, insbesondere aus dem Fahrverhalten des Fahrers (Verstoß gegen Verkehrsregeln), ergeben. Liegen derartige objektive oder subjektive Umstände vor, ist die von dem Kfz in der konkreten Unfallsituation ausgehende Betriebsgefahr evtl. durch Verschulden des Fahrers erhöht mit der Folge, dass der Verursachungs- (Verantwortungs-) Beitrag schwerer wiegt (BGH NVZ 2010, 167; 2007, 190; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Auflage 2020, StVG § 17 Rn. 15). Zu beachten ist, dass diese Umstände feststehen müssen, und ferner, dass auch feststehen muss, dass sie sich auf den Unfall – Unfallhergang oder Schadensumfang – ausgewirkt haben, und zwar zum Nachteil des Unfallgegners.

a. Auf Seiten der Klägerin ist insbesondere zunächst neben der allgemeinen Betriebsgefahr eines Sattelzugs der gegenständlichen Form (30%) zu berücksichtigen, dass der Zeuge H., wie der Sachverständige feststellt, das Beklagtenfahrzeug bei Beachtung der doppelten Rückschaupflicht über den linken Außenspiegel zu einem Zeitpunkt vor dem Unfall hätte erkennen können. Jedoch ist zugunsten der Klägerin einzustellen, dass, wie vom Sachverständigen ebenfalls festgestellt, nur eine sehr kurze und nicht eine länger andauernde Erkennbarkeitsmöglichkeit des Beklagtenfahrzeugs für den Zeugen H. vorgelegen haben kann und eine Vielzahl anderer Beobachtungserforderlichkeiten und Sichteinschränkungen (Gegenverkehr, niedriger Sonnenstand, größere linksseitige Bepflanzung) bestand. In der Folge war eine länger andauernde Blickorientierung in die Spiegel bereits aus technischer Sicht nicht möglich (Bl. 94). Insofern ist der Klägerin ein leichter Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht anzulasten.

Bei der Betriebsverursachung des Zeugen H. ist für die Klägerin ebenfalls einzustellen, dass der Zeuge H. die Fahrbahn beim Abbiegevorgang etwas geschnitten hat. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung festgestellt, dass das klägerische Fahrzeug auf der Fahrbahn noch mind. 6 m weiterfahren hätte können, um einen technisch ordnungsgemäßen Abbiegevorgang einzuleiten (Bl. 188, 189). Hieraus ergibt sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, dass das klägerische Fahrzeug den Ort, an dem sich die beiden Fahrlinien der beteiligten Fahrzeuge treffen erst mehr als 2 Sekunden später erreicht hätte, was dazu führt, dass das Beklagtenfahrzeug in dieser Konstellation bereits am klägerischen Fahrzeug vorbeigefahren wäre.

b. Auf Seiten der Beklagten ist neben der allgemeinen Betriebsgefahr des Pkw (20%) zu berücksichtigen, dass, wie der Sachverständige überzeugend feststellt, an dieser Stelle ein vollständig gefahrloser Überholvorgang aufgrund der Rechtskurve und dem vorausfahrenden klägerischen Lkw in dieser Situation aus technischer Sicht nicht möglich war. Zwar bestand hier kein Überholverbot, jedoch ist dies insbesondere auf die doch erheblich Sichtbeeinträchtigungen (vgl. Oben) durch die genannten Komponenten zurückzuführen. Insofern ist dem Beklagten zu 2) ein Verstoß gegen § 5 III Nr. 1 StVO anzulasten, da er bei unklarer Verkehrslage überholt hat. Gemäß § 5 III Nr. 1 StVO ist ein Überholen bei unklarer Verkehrslage unzulässig. Eine solche unklare Verkehrslage ist gegeben, wenn der Überholer nach allen Umständen mit einem ungefährdeten Überholen nicht rechnen darf. Dies ist vorliegend der Fall. Hierfür spricht insbesondere die vorhandene Rechtskurve sowie die Sichtbeeinträchtigungen in Form des klägerischen Lkw, der Randbepflanzung und des konkreten Sonnenstands. Zudem ist eine solche unklare Verkehrslage gegeben, wenn nicht sicher beurteilt werden kann, wie sich der Vorausfahrende verhält. Der Zeuge H. gab glaubhaft an, dass er bereits vor dem Abbiegevorgang seine Geschwindigkeit reduziert hat. Der Sachverständige konnte zwar diese Drosselung der Geschwindigkeit nicht bestätigen, jedoch konnte er feststellen, dass die Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs im Zeitpunkt der Kollision mit ca. 7 – 10 km/h deutlich unter der Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeug (mind. 55 – 60 km/h) lag. Insofern geht das Gericht davon aus, dass das klägerische Fahrzeug zumindest kurz vor der Kollision deutlich langsamer gefahren ist als das Beklagtenfahrzeug und folglich durch den Beklagten zu 1) nicht sicher beurteilt werden konnte, wie sich das klägerische Fahrzeug verhält.

1.2.2Nach umfassender Abwägung sämtlicher einzelfallbezogener Umstände, insbesondere der oben genannten Verursaschungsbeiträge, kommt das Gericht zu einer Haftungsquote von 50%. Gewichtsunterschiede zwischen den jeweiligen Verursachungsbeiträgen vermag das Gericht nicht festzustellen.

2. Der unstreitige Schaden der Klägerin (9653,33 €) ist unter Bemessung der allgemeinen Auslagenpauschale mit 25,00 € statt 30,00 € daher entsprechend der festgestellten Quote zu 50% erstattungsfähig. Unter Abzug der bereits gezahlten 3.000,00 € ergibt sich insofern ein noch zu erstattender Betrag in Höhe von 1.824,17 €.

Die mit Klageerweiterung geltend gemachten Mietaufwendungen der Klägerin für ein entsprechendes Ersatzfahrzeug sind nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 27.01.2021 (S. 35; Bl 113) in Höhe von 1.750,00 € netto auch ortsüblich und angemessen. Insofern sind auch diese Kosten entsprechend der festgestellten Quote erstattungsfähig.

Die vorgerichtlich angefallenen Rechtsverfolgungskosten sind ebenfalls als Teil des Schadens entsprechend der festgestellten Quote erstattungsfähig.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO. Der Streitwert ergibt sich aus § 48 GKG, §§ 3 ff. ZPO.

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