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Bemessung Hinterbliebenengeld – Schockschaden – 10.000 Euro

Schockschaden-Urteil: Hinterbliebenengeld von 10.000 Euro festgesetz

Das Landgericht Heidelberg hat in einem Urteil entschieden, dass die Klägerin Anspruch auf ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 5.000 Euro hat. Ein höherer Anspruch, insbesondere auf Schmerzensgeld wegen eines Schock- oder Fernwirkungsschadens, wurde abgelehnt, da kein hinreichender Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall und der geltend gemachten Depression der Klägerin besteht. Die Kosten des Rechtsstreits werden zwischen Klägerin und Beklagter aufgeteilt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 O 93/21  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Hinterbliebenengeld: Die Klägerin erhält 5.000 Euro Hinterbliebenengeld.
  2. Ablehnung höherer Ansprüche: Kein Anspruch auf ein höheres Schmerzensgeld.
  3. Fehlender Zurechnungszusammenhang: Keine Verbindung zwischen dem Unfall und der Depression der Klägerin.
  4. Kostenverteilung: Kosten des Rechtsstreits werden zu 60% von der Klägerin und zu 40% von der Beklagten getragen.
  5. Vorläufige Vollstreckbarkeit: Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  6. Unfallkausalität: Der Unfall wurde als Ursache für den Tod der Mutter der Klägerin anerkannt.
  7. Ermäßigtes Hinterbliebenengeld: Aufgrund der Umstände (Alter und Gesundheitszustand der Mutter) wurde ein reduzierter Betrag festgesetzt.
  8. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten: Die Klägerin kann nur einen Teil der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erstattet bekommen.

Rechtliche Aspekte des Hinterbliebenengeldes und des Schockschadens

In der Rechtsprechung gibt es Bereiche, die sowohl emotional als auch juristisch von großer Bedeutung sind. Ein solches Feld stellt die Bemessung des Hinterbliebenengeldes im Kontext von Schockschäden dar. Es geht dabei um die finanzielle Entschädigung für Hinterbliebene nach traumatischen Ereignissen, die oft mit schwerwiegenden psychischen Folgen verbunden sind. Dieser Bereich des Rechts berührt tiefgehend die menschlichen Aspekte des Lebens, insbesondere dann, wenn es um den Verlust nahestehender Personen geht.

Das Thema wirft wichtige Fragen auf, etwa wie sich der immaterielle Schaden, der durch den Verlust eines geliebten Menschen entsteht, in finanzieller Hinsicht bemessen lässt. Dabei spielen die juristischen Rahmenbedingungen, wie sie beispielsweise durch Urteile höherer Gerichte, hier konkret des Landgerichts Heidelberg, definiert werden, eine entscheidende Rolle. Die Klärung solcher Fragen erfordert nicht nur ein tiefes Verständnis für das Gesetz, sondern auch für die menschlichen Aspekte, die hinter jedem Fall stehen.

Im nachfolgenden Beitrag wird ein konkretes Urteil des LG Heidelberg detailliert betrachtet, welches richtungsweisend für die Praxis der Bemessung von Hinterbliebenengeld sein könnte. Es wird interessant zu sehen sein, wie das Gericht in diesem speziellen Fall zwischen den rechtlichen Normen und dem menschlichen Leid abgewogen hat. Tauchen Sie mit uns ein in die Welt des Sozial- und Versicherungsrechts, wo juristische Präzision und menschliche Empathie aufeinandertreffen.

Tragischer Unfall und seine rechtlichen Folgen

Das Landgericht Heidelberg hatte über einen komplexen und emotional aufgeladenen Fall zu entscheiden, der sich um die rechtlichen Konsequenzen eines tragischen Unfalls dreht. Im Zentrum stand die Klage einer Frau, deren Mutter nach einem Verkehrsunfall verstorben war. Der Fall beleuchtet die schwierige Frage der rechtlichen Verantwortung und die Bemessung von Hinterbliebenengeld sowie die Anerkennung von Schockschäden.

Die dramatischen Ereignisse und ihre rechtliche Bewertung

Der Unfall ereignete sich am 08. Dezember 2019, als die Mutter der Klägerin mit einer Bekannten unterwegs war. Durch einen Fahrfehler geriet sie zwischen das Auto und einen Zaun und erlitt dabei schwere Beinverletzungen. Sie wurde in der Uniklinik H. behandelt, wo sie später verstarb. Der Tod wurde zunächst als natürlich angesehen, doch spätere Untersuchungen zeigten, dass der Unfall eine wesentliche Rolle spielte. Dies führte zu einer rechtlichen Auseinandersetzung über die Entschädigung, die die Tochter der Verstorbenen von der Haftpflichtversicherung der Unfallverursacherin forderte.

Das Urteil des Landgerichts Heidelberg

Das Gericht sprach der Klägerin ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 5.000 Euro zu. Dieser Betrag basiert auf den §§ 10 Abs. 3 StVG und 115 VVG. Interessanterweise wurde ein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen eines Schock- oder Fernwirkungsschadens verneint. Das Gericht folgte dabei der restriktiven Rechtsprechung, die solche Ansprüche nur in sehr begrenzten Fällen zulässt. Es wurde festgestellt, dass zwar ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Tod der Mutter besteht, jedoch kein direkter Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall und den psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin.

Einblicke in die Bewertungskriterien und Schlussfolgerungen

Bei der Festsetzung des Hinterbliebenengeldes wurden verschiedene Faktoren berücksichtigt. Dazu gehörten das Näheverhältnis zwischen Mutter und Tochter, der Gesundheitszustand der Mutter vor dem Unfall und die Umstände des Unfalls selbst. Die Entscheidung des Gerichts zeigt, wie komplex die Bewertung von Hinterbliebenengeld ist und wie sehr sie von den spezifischen Umständen des Einzelfalls abhängt. Die Festsetzung des Betrags auf 5.000 Euro spiegelt die individuelle Situation der Klägerin und ihrer Mutter wider und berücksichtigt die bestehenden rechtlichen Richtlinien.

Der Fall beleuchtet die feinen Nuancen des deutschen Schadensersatzrechts, insbesondere im Hinblick auf Hinterbliebenengeld und Schockschäden. Die Entscheidung des Landgerichts Heidelberg bietet wichtige Einblicke in die rechtliche Handhabung tragischer Unfälle und ihrer weitreichenden Folgen für die Hinterbliebenen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was ist das Hinterbliebenengeld und wie wird es bemessen?

Das Hinterbliebenengeld ist eine Form der Entschädigung, die in Deutschland eingeführt wurde, um den seelischen Schmerz von Personen zu kompensieren, die einen nahestehenden Angehörigen durch die Schuld eines anderen verloren haben. Dieser Anspruch wurde 2017 in Deutschland eingeführt. Es ist kein Schadensersatz für die Tötung eines Menschen und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Nachteile, sondern dient ausschließlich als finanzieller Ausgleich für die seelischen Beeinträchtigungen des Hinterbliebenen, die durch den Verlust einer geliebten nahestehenden Person entstanden sind.

Die Bemessung des Hinterbliebenengeldes ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Bei der konkreten Bemessung ist § 287 ZPO anwendbar. Die Höhe des Hinterbliebenengeldes wird individuell von den Gerichten je nach der Nähesituation zwischen Opfer und Geschädigten bemessen. Dabei muss sich die Bemessung des Hinterbliebenengeldes in das stimmige Gesamtgefüge der deutschen und europäischen Rechtsprechung zum Schmerzens-/Hinterbliebenengeld einfügen.

Es gibt keine festgelegten Beträge für das Hinterbliebenengeld, die Höhe variiert je nach Einzelfall. Beispielsweise wurde in einem Fall einer Tochter, deren Vater bei einem Verkehrsunfall getötet wurde, ein Hinterbliebenengeld von insgesamt 10.000 Euro zugesprochen. In einem anderen Fall erhielt die Tochter einer 45-jährigen Verstorbenen 15.000 Euro.

Es ist zu erwähnen, dass das Hinterbliebenengeld nur in Betracht kommt, wenn die zum Tod führende Verletzung ab dem 22.07.2017 eingetreten ist. Darüber hinaus ist eine schuldhafte unerlaubte Handlung gemäß §§ 823 ff. BGB oder eine zu entschädigende Gefährdungshaftung Voraussetzung für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld.


Das vorliegende Urteil

LG Heidelberg – Az.: 5 O 93/21 – Urteil vom 19.01.2023

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.000,- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.07.2021 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 71,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.07.2021 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 60% und die Beklagte zu 40%.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 12.500,- € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld nach dem Tod der Mutter der Klägerin.

Die am 05.11.1930 geborene Mutter der Klägerin fuhr am 08.12.2019 gemeinsam mit ihrer Bekannten … in deren Pkw, der bei der Beklagten haftpflichtversichert ist, zu einem Restaurant. Auf dem Parkplatz des Restaurants geriet die Mutter der Klägerin, die bereits ausgestiegen war, aufgrund eines Fahrfehlers der [Bekannten] zwischen das Fahrzeug und einen Zaun und erlitt dadurch Beinbrüche. Deswegen wurde die Mutter der Klägerin in der Uniklinik H. stationär behandelt. Dort verstarb sie am 23.12.2019.

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Im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen [die Fahrerin] kam der rechtsmedizinische Obduktionsbericht (Anl. K7, dort S. 3) zu einem Herzpumpversagen bei akuter Koronarthrombose als Todesursache; die Todesart sei „vereinbar mit natürlich“.

Der beklagte Haftpflichtversicherer zahlte außergerichtlich 4.608,24 € zur Regulierung der Schäden und 12.000,- € Schmerzensgeld aus übergegangenem Recht der Mutter an die Klägerin als deren Alleinerbin.

Die Klägerin behauptet, der Tod ihrer Mutter sei durch den Unfall verursacht worden. Nach dem Tod ihrer Mutter habe sie eine tiefe Trauer verspürt. Es habe ein betont inniges Verhältnis bestanden; unter anderem habe sie ihrer Mutter bis zum Unfall den Haushalt fast vollständig versorgt. Die Trauer habe sich später zu einer rezidivierenden depressiven Störung entwickelt, welche zunächst beim Hausarzt (Anl. K2) und ab Mai 2020 von einem Psychiater (Anl. K3) behandelt worden sei, wobei die Klägerin – insoweit unstreitig – eine medikamentöse Therapie ablehnte. Eine psychotherapeutische Behandlung sei während und wegen der Corona-Pandemie unmöglich gewesen. Unter anderem infolge der psychischen Folgen sei sie nun zu 50 % als schwerbehindert eingestuft. Allein aufgrund der psychischen Beeinträchtigungen sei sie vom 22.05. bis 13.11.2020 arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen (in der Zeit davor aus anderen, unfallunabhängigen Gründen).

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12.500,- € zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2021 zu zahlen;

hilfsweise: die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 12.500,- € zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2021 zu zahlen;

2. die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten über 1.054,10 € zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2021 zu zahlen, hilfsweise, die Klägerin von der Gebührenforderung der Rechtsanwälte … in dieser Höhe freizustellen.

Die Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Sie bestreitet die Ursächlichkeit des Unfalls für den Tod. Ferner bestreitet sie psychische Beeinträchtigungen sowie deren Verursachung durch den Unfall. Die Voraussetzungen, die die Rechtsprechung an sog. Schockschäden stelle, seien nicht erfüllt: U.a. müsse der Schock im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. Das sei beim Tod eines Angehörigen in der Regel der Fall, wenn der Hinterbliebene das Ereignis selbst miterlebe, könne aber auch bei einer entsprechenden Benachrichtigung der Fall sein. Insoweit verweist die Beklagte auf die Zeitspanne zwischen Unfall und Tod, in der die Klägerin ihre Mutter – insoweit wiederum unstreitig – im Krankenhaus besuchte. Jedenfalls sei der geforderte Betrag der Höhe nach übersetzt. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten rügt die Beklagte, es seien durch einen Anwaltswechsel und die getrennte Geltendmachung der verschiedenen Ansprüche unnötige Mehrkosten angefallen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens. Wegen der Beweisergebnisse wird auf die Protokolle vom 11.08. und 22.12.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 5.000,- € zu, §§ 10 Abs. 3 StVG, 115 VVG, jedoch kein darüber hinaus gehender Betrag.

1. Der Klägerin steht kein Schmerzensgeldanspruch wegen eines Schock- oder Fernwirkungsschadens aus §§ 7 StVG, 115 VVG, 253 BGB zu. Derartige Ansprüche erkennt die Rechtsprechung – bei restriktiver Handhabung – einem Dritten im Fall des fremdverschuldeten Todes oder schwerer Verletzung naher Angehöriger zu, wenn der Dritte dadurch in der Folge selbst erhebliche, (ggf. psychisch vermittelte, aber) pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigungen erleidet und letztere mit Blick auf den Anlass verständlich erscheinen (vgl. Grüneberg, BGB, 82. Aufl., Vorb v § 249 BGB Rn. 40 m.w.N.).

a) Der Anspruch scheitert dabei nicht an fehlender Kausalität des Unfalls für den Tod der Mutter der Klägerin. Vielmehr hat die Beweisaufnahme – abweichend von dem von der Klägerin vorgelegten Obduktionsbericht aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (Anl. K7), das eine natürliche Todesursache für möglich hielt – ergeben, dass eine solche Unfallkausalität vorlag. Dabei gilt im Zivilprozess nach § 286 ZPO kein geringerer Beweismaßstab als im Strafverfahren. Nach der hiesigen Beweisaufnahme sieht das Gericht jedoch den Vollbeweis als erbracht an, dass der damalige Obduktionsbericht zu einem falschen Ergebnis kam. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige Prof. …, der als Direktor des Instituts für Rechtsmedizin in … hierfür besonders qualifiziert ist, hat überzeugend ausgeführt, dass die damaligen Obduktionsbefunde zu einer anderen Schlussfolgerung führen, als sie damals gezogen wurde. Unmittelbar todesursächlich sei zwar ein Herzpumpen- bzw. Multiorganversagen, das – wenn es keinen Unfall gegebenen hätte – auch für sich genommen den Tod hätte erklären können. Es bestünden jedoch keine vernünftigen Zweifel, dass der Unfall den Tod angestoßen habe, indem nämlich der Unfall und die darauf folgenden Operationen den schon zuvor durch zahlreiche Vorerkrankungen belasteten Gesamtzustand zusätzlich geschwächt hätten. Insoweit sei der Tod durch das Unfallgeschehen zumindest erheblich vorverlegt worden. Insbesondere hinsichtlich der im Obduktionsbericht als todesursächlich hervorgehobenen Koronarthrombose liege ein Interpretationsfehler vor. Denn weder habe es sich um ein frisches Gerinnsel gehandelt (andernfalls sei die Befundung als wandanhaftend nicht zu erklären) noch habe (laut Obduktionsbericht) ein vollständiger Verschluss des Koronargefäßes vorgelegen, sodass davon auszugehen sei, dass es sich um eine zumindest bereits einige Zeit bestehende, vom Körper aber kompensierte Engstelle gehandelt habe.

Die Vernehmung der damaligen Obduzentin, der Zeugin Dr. …, hat keine abweichenden Erkenntnisse ergeben. Sie konnte sich lediglich anhand des Obduktionsprotokolls an die damaligen Vorgänge erinnern, u.a. an technische Schwierigkeiten bei der unmittelbaren Befundung im Obduktionssaal sowie an Diskussionen über das Ergebnis. Vom Obduktionsbericht abweichende Befunde hatte sie hingegen nicht in Erinnerung. Auch die aus den Befunden vom hiesigen gerichtlichen Sachverständigen gezogenen, vom damaligen Obduktionsbericht abweichenden Schlussfolgerungen konnte die Zeugin – insoweit als Fachfrau – nachvollziehen.

Das Gericht folgt den Ausführungen des Sachverständigen. Danach waren der Unfall und die dadurch erlittenen Verletzungen zwar weder die unmittelbare noch die hauptsächliche Todesursache. Sie haben aber den weiteren, letztlich tödlichen Verlauf insofern angestoßen, als sie in der Folge zu einer zunehmenden Schwächung des ohnehin erheblich vorbelasteten Gesamtzustands der damals 89-jährigen Mutter der Klägerin führten.

b) Die Klägerin als nahe Angehörige hat nach ihrem Vortrag in der Folge auch erhebliche, pathologisch fassbare Beeinträchtigungen erlitten. Einer Beweisaufnahme hierüber bedurfte es jedoch nicht.

c) Denn jedenfalls fehlt es am hinreichenden Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall und der von der Klägerin geltend gemachten Depression.

Soweit in Rechtsprechung und Literatur zur Eingrenzung der Schockschadensansprüche mit einer etwas unglücklichen Formulierung gefordert wird, die eigenen Gesundheitsbeeinträchtigungen des Anspruchsstellers müssten mit Blick auf den Anlass „verständlich“ erscheinen, handelt es sich letztlich um eine Begrenzung unter dem Gesichtspunkt des hinreichenden Zurechnungszusammenhangs (vgl. auch BGH, Urt. v. 06.12.2022 – VI ZR 168/21 –, juris Rn. 17 a.E., 24). Im Kernbereich handelt es sich um Fälle, in denen der Anspruchsteller den Tod eines nahen Angehörigen im Zuge eines schweren Unfalls selbst miterlebt (vgl. BGH NJW 2015, 1451) oder der erlittene „Schock“ zumindest unmittelbar auf der Benachrichtigung vom Unfall beruht. Teilweise wird ein überraschender, unvermittelter Eingriff gefordert, während bei voraussehbaren Entwicklungen eine Ersatzfähigkeit grundsätzlich ausscheiden soll (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 22.08.2013 – 1 U 118/11 –, juris Rn. 26; Jahnke/Burmann, in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., Vorbem. zu § 249 Rn. 132 f.). Zu berücksichtigen ist, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (BGH, Urt. v. 06.12.2022 – VI ZR 168/21 –, juris Rn. 24 m.w.N.).

Nach dieser wertenden Betrachtungsweise ist hier ein hinreichender Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall einerseits und den geltend gemachten späteren Depressionen andererseits zu verneinen. Weder hat die Klägerin den Unfall selbst miterlebt, noch beruhen die geltend gemachten Depressionen auf der Nachricht vom Unfall. Vielmehr waren sie – nach dem Klägervortrag – erst Folge des mittelbar und später eingetretenen Todes der Mutter. So tragisch der Tod als solcher und die hier vorliegenden besonderen Umstände auch sind, kann doch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin sich unfallunabhängig darauf einstellen musste, dass ihre 89-jährige, gesundheitlich erheblich vorbelastete Mutter in absehbarer Zeit versterben würde. Hier ist insbesondere von Bedeutung, dass die unmittelbare Todesursache – nämlich ein Herzpumpen- oder ein Multiorganversagen – sich nach den Ausführungen des Sachverständigen ohne Weiteres auch bei Hinwegdenken des Unfalls erklären ließe; das heißt, mit der eigentlich todesursächlichen Entwicklung war früher oder später ohnehin zu rechnen. Die Unfallfolgen haben insoweit lediglich zu einer zeitlichen Vorverlagerung geführt. Bis zur hiesigen Beweisaufnahme konnte angesichts des gegenteiligen Obduktionsergebnisses nicht einmal davon ausgegangen werden, dass der Unfall überhaupt todesursächlich war – anders als im Regelfall des Schockschadens, in dem der todesursächliche Kausalverlauf unmittelbar miterlebt wird. Zwar ändert das nichts daran, dass – wie oben festgestellt – zwischen dem Unfall und dem späteren Versterben nicht nur ein Kausal-, sondern auch ein (wenn auch schwacher) Zurechnungszusammenhang besteht. Dieser vom Unfall ausgehende Zurechnungszusammenhang erstreckt sich aber nicht mehr auf die durch den Tod vermittelte Trauerreaktion der Klägerin. Einfacher gesagt: Die geltend gemachten Depressionen sind als Folge dem Tod zuzurechnen, nicht aber dem Unfall.

d) Selbst wenn man jedoch dem Grunde nach von einem Schmerzensgeldanspruch ausgehen wollte, käme jedenfalls der Höhe nach kein höherer Betrag in Betracht als unter dem Gesichtspunkt des Hinterbliebenengelds (dazu sogleich zu 2.) ohnehin ausgeurteilt.

2. Die Klägerin kann gemäß §§ 10 Abs. 3 StVG, 115 PflVG ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 5.000,- € verlangen.

a) Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld aus §§ 844 Abs. 3 BGB, 10 Abs. 3 StVG besteht grundsätzlich selbständig und unabhängig von einem (eigenen) Schmerzensgeldanspruch. Er kann lediglich nicht kumulativ zu einem eigenen Schmerzensgeldanspruch eingefordert werden, es erfolgt also keine Addition der Ansprüche (vgl. LG Tübingen VersR 2020, 236; Doukoff, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 844 BGB Rn. 157). Denn das Hinterbliebenengeld ist vom Gesetzgeber ausdrücklich ergänzend für solche Fallgestaltungen eingeführt worden, in denen – wie im Ergebnis hier – aufgrund der restriktiven Handhabung der Schockschäden kein eigener Schmerzensgeldanspruch des Hinterbliebenen besteht (vgl. BT-Drs. 18/11397, S. 12).

b) Die Voraussetzungen des Hinterbliebenengelds sind dem Grunde nach erfüllt; insbesondere ist der Tod der Mutter der Klägerin zurechenbar auf den durch das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug verursachten Unfall zurückzuführen (s.o.).

c) Zur Höhe erscheint hier ein Hinterbliebenengeld von 5.000,- € angemessen.

Der Gesetzgeber ist indirekt von einer Richtgröße von 10.000,- € ausgegangen (BT-Drucks. 18/11397, S. 11; vgl. auch BeckOGK/Eichelberger, Stand: 01.12.2022, § 844 BGB Rn. 217). Bemessungskriterien sind insbesondere das Näheverhältnis des Anspruchstellers zum Verstorbenen sowie der Grad des Verschuldens des Verletzers (Genugtuungsfunktion; vgl. BeckOGK/Eichelberger a.a.O.; insoweit auch OLG Schleswig, Urt. v. 23.02.2021 – 7 U 149/20 –, juris Rn. 35, 41).

aa) Das Näheverhältnis ergibt sich hier bereits aus dem – unstreitig auch gelebten – Mutter-Tochter-Verhältnis. Allerdings soll im Fall des Todes eines Elternteils im vorgerückten Alter dem erwachsenen Kind generell nur ein ermäßigter Betrag zustehen, weil sich der natürliche Verlust der Eltern zumindest abgezeichnet hat und außerdem das Kind meist schon aus dem Elternhaus ausgezogen ist und selbst eine Familie gegründet hat (Doukoff, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 844 BGB Rn. 158; vgl. auch LG Tübingen: 7.500,- € für die volljährigen Kinder eines 60-jährigen; LG München II DAR 2020, 464: 5.000,- € für den 48-jährigen Sohn des Getöteten). Danach ist in der hiesigen Konstellation der zum Todeszeitpunkt 57-jährigen, im eigenen Hausstand lebende Klägerin und ihrer damals bereits 89-jährigen, erheblich vorerkrankten Mutter ein sehr weitgehender Abschlag von dem Richtwert vorzunehmen. Die von der Klägerin vorgetragene weitgehende Versorgung der Mutter durch die Klägerin vermag daran nichts Entscheidendes zu ändern: Sie spräche allenfalls im umgekehrten Verhältnis für eine Abhängigkeit der Mutter von der Klägerin, rechtfertigt aber nicht aus dem Blickwinkel der Klägerin eine Gleichstellung mit dem Verlust eines minderjährigen Kindes oder eines Ehegatten.

bb) Die Genugtuungsfunktion entfällt vollständig, so dass auch insoweit jedenfalls keine Erhöhung angezeigt erscheint. So tragisch der Unfall und seine Folgen hier auch sind, beruht er weder auf Vorsatz noch auf Leichtfertigkeit der Fahrerin, sondern auf einem schrecklichen Versehen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Todesursache selbst im Wesentlichen in dem zuvor schon eingeschränkten Gesundheitszustand der Mutter lag und der Unfall und dessen weiter Folgen den tödlichen Verlauf lediglich anstießen. Bei der Bemessung der Entschädigungshöhe ist – anders als bei der haftungsbegründenden Zurechnung – eine bereits vorhandene Schadensanfälligkeit des Getöteten ein berücksichtigungsfähiger Umstand (vgl. zum Schmerzensgeld BGH, Urt. v. 06.12.2022 – VI ZR 168/21 –, juris Rn. 33).

cc) Inwieweit das konkret erlittene Leid als Bemessungskriterium heranzuziehen ist, erscheint unklar. Nach der Gesetzesbegründung – die ausdrücklich auf eine Ergänzung der Rechtsprechung zu Schockschäden abzielt – soll das Hinterbliebenengeld gerade unabhängig vom Nachweis einer medizinisch fassbaren Gesundheitsbeeinträchtigung gefordert werden können. Die Entschädigung soll und kann keinen Ausgleich für den Verlust des Lebens darstellen. Was der Verlust eines Menschen für seine Hinterbliebenen bedeutet, kann ebenfalls nicht in Geld bemessen werden. Mit der Entschädigung soll der Hinterbliebene lediglich in die Lage versetzt werden, seine durch den Verlust des besonders nahestehenden Menschen verursachte Trauer und sein seelisches Leid zu lindern (BT-Drs. 18/11397, S. 8). In welchem konkreten Umfang das vom Gesetzgeber vorausgesetzte seelische Leid vom jeweiligen Hinterbliebenen empfunden wird, soll grundsätzlich unerheblich sein. Denn abgesehen von Beweisschwierigkeiten hätten andernfalls Kleinkinder, Demenzkranke oder solche Hinterbliebene, die – vielleicht sogar infolge desselben Verkehrsunfalls – ihrer kognitiven oder emotionalen Fähigkeiten beraubt sind, keinen Anspruch (vgl. BeckOGK/Eichelberger, Stand: 01.12.2022, § 844 BGB Rn. 213; anders insoweit OLG Schleswig, Urt. v. 23.02.2021 – 7 U 149/20 –, juris Rn. 34, wonach auf das konkrete seelische Leid und nicht auf bloß objektive Kriterien abzustellen sein soll).

Letztlich kann das aber hier dahinstehen. Denn selbst wenn man das konkret erlittene Leid als Bemessungskriterium heranziehen wollte und die von der Klägerin geltend gemachte Depression zu ihren Gunsten unterstellen würde, wäre demgegenüber wiederum mindernd zu berücksichtigen, dass sie die ihr ärztlich empfohlene medikamentöse Therapie abgelehnt hat, so dass sich im Ergebnis keine wesentliche Erhöhung ergäbe.

dd) Nach allem erscheint ein Betrag von 5.000,- € angemessen.

3. Ersatz für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin nur insoweit verlangen, als die Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes erforderlich und zweckmäßig war. Dies ist nur in Höhe derjenigen Gebühren der Fall, die angefallen wären, wenn die Klägerin von vornherein nur einen Anspruch in der ihr zustehenden Höhe (5.000,- €) geltend gemacht hätte, und zwar durch einen Anwalt gemeinsam mit den Schadenspositionen aus übergegangenem Recht. Der Zusammenrechnung der ererbten und der originär eigenen Ansprüche steht insoweit nicht entgegen, dass es sich um verschiedene Streitgegenstände mit ursprünglich unterschiedlichen Anspruchsinhabern handelt. Denn im Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Beklagten im Januar 2020 waren die Ansprüche insgesamt bereits in der Hand der Klägerin vereint. Dann war es ihr unter Schadensminderungsgesichtspunkten zumutbar, diese Ansprüche gemeinsam geltend zu machen. Dass und weshalb ein Anwaltswechsel erforderlich gewesen wäre, legt die Klägerin nicht dar.

Erstattungsfähig ist danach nur die Differenz zwischen den bereits erstatteten Anwaltskosten in Höhe von 1.100,51 €, die nach dem 2020 geltenden Gebührenrecht auf den vorgerichtlich geleisteten Betrag von 16.608,24 € entfielen, und den insgesamt berechtigten Anwaltskosten in Höhe von 1.171,67 €, die sich aus dem Gegenstandswert einschließlich Hinterbliebenengeld (also 21.608,24 €) ergeben.

4. Verzugszinsen stehen der Klägerin aus §§ 286, 288 BGB zu.

5. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 709 bzw. 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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