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Verkehrsunfall: Wer trägt die Schuld?

Verkehrsunfall: Gerichtsurteil – Was die Parteien jetzt erwartet

Das Landgericht Kiel bestätigte das Versäumnisurteil gegen die Beklagten in einem Verkehrsunfallfall, bei dem der Beklagte zu 2) als schuldig befunden wurde, das Fahrzeug der Klägerin beschädigt zu haben. Die Entscheidung basierte auf umfassenden Beweisen, einschließlich einer Videosequenz, die den Unfallhergang klar darlegte. Die Beklagten wurden zur Zahlung von Schadensersatz und Kosten verurteilt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 O 167/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestätigung des Versäumnisurteils: Das LG Kiel hält das Urteil vom 12.08.2022 aufrecht.
  2. Haftung der Beklagten: Die Beklagten müssen als Gesamtschuldner für die Kosten des Rechtsstreits und den entstandenen Schaden aufkommen.
  3. Beweislage: Die Videosequenz spielt eine entscheidende Rolle bei der Urteilsfindung.
  4. Kollision durch Rückwärtsfahren: Der Beklagte zu 2) verursachte den Unfall durch Rückwärtsfahren mit einem Lastzug.
  5. Fehlende Alternativdeutungen: Die Beklagten präsentierten keine plausible alternative Unfallursache.
  6. Richterliche Überzeugung: Die Entscheidung basiert auf der freien Überzeugung des Gerichts gemäß § 286 Abs. 1 S. ZPO.
  7. Verantwortung des Fahrers: Der Beklagte zu 2) hätte sich des freien Raums hinter seinem Fahrzeug vergewissern müssen.
  8. Schadensersatz und Kosten: Die Klägerin erhält Schadensersatz für Reparaturen, Sachverständigen- und Anwaltskosten.

Verkehrsunfälle und rechtliche Konsequenzen

Verkehrsunfälle sind eine häufige Ursache für rechtliche Auseinandersetzungen. In diesen Fällen stehen oft Schadensersatzansprüche und Fragen der Verursachung im Mittelpunkt. Ein zentraler Aspekt ist dabei die Klärung, wer für den entstandenen Schaden verantwortlich ist und welche rechtlichen Folgen dies nach sich zieht. Besonders interessant werden solche Fälle, wenn es um die Bewertung von Beweismitteln wie Videosequenzen oder Zeugenaussagen geht. Diese können ausschlaggebend sein für die Entscheidung eines Gerichts, insbesondere wenn es um die Zuweisung von Kosten und die Bestimmung von Gesamtschuldnern geht.

In der Betrachtung eines konkreten Falls, wie dem des Landgerichts Kiel, wird deutlich, wie komplex und detailreich die juristische Aufarbeitung eines Verkehrsunfalls sein kann. Die Beurteilung solcher Fälle erfordert nicht nur ein tiefes Verständnis des Verkehrsrechts, sondern auch die Fähigkeit, aus der Menge an Informationen die entscheidenden Punkte herauszufiltern. Der nachfolgende Bericht wird einen detaillierten Einblick in einen solchen Fall geben, bei dem es um bedeutende Fragen wie Haftung, Schadensbewertung und die Interpretation von Beweisen geht. Lassen Sie uns gemeinsam eintauchen in die Welt der juristischen Analyse und die Feinheiten dieses speziellen Falles erkunden.

Der Verkehrsunfall und seine juristischen Folgen

Im Fokus des Urteils des Landgerichts Kiel, Az.: 6 O 167/22 vom 19.01.2023, steht ein Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Der Unfall ereignete sich am 11.11.2021, als der Sohn der Klägerin, der Zeuge, das Fahrzeug seiner Mutter auf einem Betriebsgelände parkte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch der Beklagte als Fahrer eines Lastzuges auf dem Gelände. Im Laufe des Vormittags erlitt das Fahrzeug der Klägerin einen Anstoßschaden, dessen Nettoreparaturkosten sich auf 5.263,64 € beliefen. Hinzu kamen noch nicht ausgeglichene Sachverständigenkosten und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.

Beweisaufnahme und gerichtliche Entscheidung

Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 2) habe ihr Fahrzeug beim Rückwärtsfahren beschädigt. In einem schriftlichen Vorverfahren wurde bereits ein Versäumnisurteil erlassen, welches die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung des Schadens verurteilt. Die Beklagten legten Einspruch gegen dieses Urteil ein. Das Gericht stützte seine Entscheidung auf eine Videosequenz und die Zeugenaussage. Die Überzeugung des Gerichts beruhte auf § 286 Abs. 1 S. ZPO, wonach eine Entscheidung nach freier Überzeugung getroffen wird. Der Beklagte zu 2) räumte ein, am Unfalltag vor Ort gewesen zu sein und das Fahrzeug geführt zu haben.

Verantwortung und Haftung im Straßenverkehr

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Beklagte zu 2) für den Unfall voll einzustehen hat. Obwohl er nicht direkt gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen hat, da dieser auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar ist, erlangt er über § 1 StVO mittelbare Bedeutung. Es wurde festgestellt, dass der Anstoß nur durch den Fahrvorgang des Beklagten zu 2) verursacht sein kann, da das Klägerfahrzeug geparkt abgestellt war. Der Beklagte zu 2) hätte sich vergewissern müssen, dass der Raum hinter dem Fahrzeug frei ist. Eine Mithaftung des Klägerfahrzeugs wurde ausgeschlossen, da es nicht „in Betrieb“ war.

Das Urteil des LG Kiel und seine Konsequenzen

Das Gericht hielt das Versäumnisurteil aufrecht und bestätigte die Haftung der Beklagten. Die Klägerin erhält Schadensersatz in voller Höhe im Sinne der §§ 249 ff. BGB, einschließlich Sachverständigenkosten und vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286 BGB, während die Nebenentscheidungen aus §§ 91, 709 S. 1-3 ZPO folgen. Dieses Urteil zeigt deutlich, wie detailliert und komplex die juristische Aufarbeitung und Entscheidungsfindung bei Verkehrsunfällen sein kann und welche Rolle Beweismittel wie Videosequenzen und Zeugenaussagen spielen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Inwiefern ist die Haftung des Rückwärtsfahrenden in einem Verkehrsunfall zu beurteilen?

Die Haftung des Rückwärtsfahrenden in einem Verkehrsunfall in Deutschland hängt von verschiedenen Faktoren ab. Grundsätzlich gilt, dass der Rückwärtsfahrende eine erhöhte Sorgfaltspflicht hat und bei einem Unfall in der Regel die volle Haftung trägt. Dies liegt daran, dass der Rückwärtsfahrende ständig den rückwärtigen Verkehr beobachten und sofort anhalten können muss, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer erkennbar ist.

Allerdings gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel. Wenn zum Beispiel zwei Fahrzeuge gleichzeitig rückwärts ausparken und es zu einer Kollision kommt, haften in der Regel beide Unfallbeteiligten zur Hälfte, sofern beide Fahrzeuge in Bewegung waren. Wenn jedoch ein Fahrzeug bereits vollständig geparkt und der Motor abgestellt war, wird davon ausgegangen, dass der Rückwärtsfahrende allein die Schuld am Unfall trägt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der sogenannte Anscheinsbeweis. Normalerweise wird angenommen, dass der Rückwärtsfahrende bei einem Unfall voll schuldig ist. Dies kann jedoch in bestimmten Fällen widerlegt werden. Wenn zum Beispiel ein Rückwärtsfahrender auf einem Parkplatz sein Fahrzeug vor einer Kollision zum Stillstand abbremsen kann, endet die spezifische Gefahr des Rückwärtsfahrens und damit auch die Haftung.

Schließlich ist zu erwähnen, dass die Haftung des Rückwärtsfahrenden auch von der spezifischen Situation abhängt. So ist zum Beispiel das Rückwärtsfahren in einer Einbahnstraße entgegen der zugelassenen Fahrtrichtung verboten, und der Rückwärtsfahrende trägt in diesem Fall die volle Haftung.

Die genaue Beurteilung der Haftung hängt also von den spezifischen Umständen des jeweiligen Falls ab und kann komplex sein. In jedem Fall ist es ratsam, bei einem Unfall einen Rechtsanwalt oder eine Versicherung zu konsultieren.


Das vorliegende Urteil

LG Kiel – Az.: 6 O 167/22 – Urteil vom 19.01.2023

Das Versäumnisurteil vom 12.08.2022 bleibt aufrechterhalten.

Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 12.08.2022 darf nur gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags fortgesetzt werden.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch.

Der Zeuge … – Sohn der Klägerin – nutzte das Fahrzeug seiner Mutter am 11.11.2021, amtliches Kennzeichen …. Er parkte das Klägerfahrzeug am Morgen auf dem Betriebsgelände in der … in …, dort unmittelbar am Zaun und mit Blickrichtung Zaun. Er hatte dort dienstlich zu tun und war mit dem Privat-Pkw vor Ort. Der Beklagte war an jenem Morgen vormittags ebenfalls als Fahrer eines Lastzuges (amtliches Kennzeichen der Zugmaschine …), welcher bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert ist, auf dem Betriebshof anwesend. Das weitere Geschehen ist streitig. Jedenfalls erlitt das Klägerfahrzeug an diesem Vormittag einen Anstoßschaden, welcher zu Nettoreparaturkosten von 5.263,64 € führte. Zudem fielen noch – jeweils bislang noch nicht ausgeglichene – Sachverständigenkosten über 938,08 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 713,76 € an.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 2) habe in Rückwärtsfahrt befindlich ihr Fahrzeug gerammt und beschädigt.

Die Klägerin hat zunächst im schriftlichen Vorverfahren ein antragsgemäßes Versäumnisurteil erstritten, wonach die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an die Klägerin € 5.263,64 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 21.7.2022 zu zahlen und die Beklagten weiter als Gesamtschuldner verurteilt werden, die Klägerin von den Kosten der Firma …, zu Rechnungsnummer … in Höhe von € 938,08 und von den Gebühren des Rechtsanwalts …, zu Rechnungsnummer … in Höhe von € 713,76 freizustellen. Gegen das am 25.08.2022 und 26.08.2022 zugestellte Versäumnisurteil haben die Beklagten mit bei Gericht am 05.09.2022 eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt.

Die Klägerin beantragt nunmehr, das Versäumnisurteil vom 12.08.2022 aufrechtzuerhalten.

Die Beklagten beantragen, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte … der Staatsanwaltschaft … beigezogen. Das dortige Strafverfahren gegen den Beklagten zu 2) wegen des Verdachts der Unfallflucht wurde mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Im Termin vom 08.12.2022 hat das Gericht die streitgegenständliche Videosequenz, wie sie dem Urteil beigefügt ist, eingesehen, den Beklagten zu 2) persönlich angehört und den Zeugen … vernommen. Zum entsprechenden Ergebnis wird auf die Sitzungsniederschrift vom 08.12.2022 verwiesen.

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Entscheidungsgründe

Der Einspruch der Beklagten gegen das schriftliche Versäumnisurteil – zugestellt am 25.08.2022 und 26.08.2022 – ist am 05.09.2022 bei Gericht eingegangen, damit im Sinne von § 339 Abs. 1 ZPO fristgemäß und der Einspruch gegen das Versäumnisurteil in der Folge zulässig.

Die zulässige Klage ist indes vollen Umfangs begründet, weshalb das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten ist.

Die Beklagten – die Beklagte zu 1) i.V.m. § 115 VVG – haften der Klägerin für deren Fahrzeugschäden aus §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, wie es das Versäumnisurteil vom 12.08.2022 ausweist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung der Inaugenscheinnahme der streitgegenständlichen Videosequenz ist das Gericht davon überzeugt, dass der Beklagte zu 2) mit seinem Lastzug – Zugmaschine … – am 11.11.2021 vormittags auf dem Betriebsgelände … in … gegen das abgestellte Fahrzeug der Klägerin stieß, was er hätte vermeiden können. Nach § 286 Abs. 1 S. ZPO hat das Gericht nämlich nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine – ohnehin nicht erreichbare – absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (st. Rspr.,  jüngeren Datums etwa OLG München BeckRS 2020, 15498 Rn 4). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes steht der durch den Beklagten zu 2) verursachte und verschuldete Anstoß fest.

Im Ausgangspunkt gesteht der Beklagte zu 2) nämlich zu, an besagtem Unfalltag vor Ort und auch derjenige Fahrer des Aufliegerzuges gewesen zu sein, welcher auf die Videosequenz zu sehen ist. Es ist also nicht etwa die Fahrereigenschaft streitig oder gar, dass das Zugfahrzeug … gar nicht zur „Tatzeit“ am „Tatort“ gewesen wäre. Vielmehr hat der Beklagte zu 2) im Termin vom 08.12.2022 eingeräumt, auf dem Gelände rangiert zu haben, weil er warten musste und noch kein Tor anfahren konnte.

Desweiteren ist während der Zeit der Anwesenheit dieses vom Beklagten zu 2) gelenkten Beklagtenfahrzeugs auf dem Betriebsgelände das Klägerfahrzeug beschädigt worden. Das wusste der Zeuge … stimmig zu bestätigen. Unstreitig muss der Anstoß dergestalt intensiv und seiner Art nach so gewesen sein, dass auch die Heckscheibe des Klägerfahrzeugs zu Bruch ging. Das wäre mit einem Anstoß durch einen anderen Pkw kaum sinnhaft vorstellbar. Zudem war der Anstoß so stark, dass – wie der Zeuge … in seiner Vernehmung glaubhaft berichtete – das Klägerfahrzeug insgesamt in Richtung Zaun verschoben wurde.

Plausible Deutungen, welches Alternativgeschehen in Frage käme, haben die Beklagten nicht vorgebracht. Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass diese prozessual zur Führung des Entlastungsbeweises verpflichtet wären. Das Gegenteil ist richtig. Indes kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es an Anhaltspunkten für eine Reserveursache fehlt. Gänzlich hypothetische Überlegungen können keine vernünftigen Zweifel im Sinne des § 286 ZPO begründen.

Vor diesem Hintergrund ist die gesichtete Videosequenz vom rückwärts rangierenden Beklagtenfahrzeug als hinreichend anzusehen, um davon ausgehen zu dürfen, dass gewissermaßen links außerhalb des Bildes der Schaden stiftende Anstoß stattfand, nachdem das Beklagtenfahrzeug aus dem Sichtfeld der Kamera fuhr. Eine entsprechende Überzeugungsbildung hält das Gericht jedenfalls für statthaft, nach dem die nach § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO veranlasste polizeiliche Nachermittlung mit Bericht vom 13.10.2022 die entsprechenden Streckenverhältnisse verdeutlicht hat. Danach beträgt die Entfernung zwischen der Front des Beklagtenfahrzeugs auf Höhe der rechten gedachten Verlängerungslinie des Tors 13 lediglich noch 22 Meter bis zum Anstoßpunkt am Klägerfahrzeug. Vor diesem Hintergrund ist die Videosequenz zu sehen: Noch mit Fahrzeugteilen im Bild befindlich setzt die gelbe Zugmaschine über die genannte Verlängerungslinie des Tors 13 hinaus weiter – geschätzt mindestens 2 Meter, wofür man auch kein Gutachten braucht – in die Richtung des Klägerfahrzeugs zurück und verschwindet erst dann aus dem Bild. Ein sich bewegender Schatten oberhalb des Bildbereichs, von welchem sich die gelbe Zugmaschine aus dem Sichtfeld der Kamera bewegt, ist danach noch kurz wahrzunehmen und lässt auf den Fortbestand der Rückwärtsfahrt außerhalb des Sichtfeldes der Kamera schließen. Bei einer aufgrund der polizeilichen Ermittlungen ergebenden Gesamtzuglänge von wenigstens 18 Metern (eher etwas mehr) müsste das Beklagtenfahrzeug danach außerhalb des Kamerasichtfeldes innerhalb dann noch verbleibender weniger Meter zum Stehen gekommen sein, um nicht mit dem Klägerfahrzeug zu kollidieren. Das mag zwar theoretisch denkbar sein, da die Videosequenz die realen Geschwindigkeiten nicht wiedergibt. Diese waren wesentlich geringer als der Anschein der Bildwiedergabe. Aber das Gericht hält diesen Einwand für keinen vernünftigen Zweifel im Sinne des § 286 ZPO angesichts der oben dargestellten Rahmenbedingungen. Das gilt im Übrigen auch für die theoretische Überlegung, dass das Heck des Zuges gewissermaßen links oder rechts neben das Klägerfahrzeug rangiert wurde, also kein Anstoß stattfand. Vielmehr zeigt die Gesamtschau der zugrunde zu legenden Umstände, dass die wahrscheinlichste Erklärung für den Klägerschaden ein Anstoß mit dem vom Beklagten zu 2 geführten Sattelzug ist.

Der Beklagte zu 2) hat für den Unfall auch voll einzustehen. Er hat zwar nicht direkt gegen die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO verstoßen, weil diese auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar ist (BGH r+s 2016, 149 Rn. 11, Beck-online). So liegt es hier, weil der Betriebshof in der … in …  eher Parkplatzcharakter hat denn dem üblichen Straßenverkehr vergleichbar ist. Anerkannt ist aber, dass auch außerhalb des fließenden Straßenverkehrs § 9 Abs. 5 StVO über § 1 StVO mittelbare Bedeutung erlangt (ders. a.a.O.). Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Verschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen (ders. a.a.O.) Das gilt jedenfalls dann, wenn feststeht, dass der Rückwärtsfahrende zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung war (OLG Hamm BeckRS 2020, 46353 Rn. 32). So liegt es hier, weil der Anstoß nur durch den Fahrvorgang des Beklagten zu 2) verursacht sein kann, da das Klägerfahrzeug unstreitig geparkt abgestellt war. Solchermaßen hätte der Beklagte zu 2) sich vergewissern müssen, dass der Raum hinter dem Fahrzeug frei ist, und zwar auch in den Bereichen, die er im Rückspiegel nicht übersehen kann (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 27. A. 2022, StVO, § 9 Rn. 69, Beck-online). Insbesondere auf eine Sichtbehinderung durch Fahrzeugteile kann er sich nicht berufen (dies. a.a.O.). Ist dem Fahrer die volle Sicht verwehrt, so muss er sich einer Hilfsperson bedienen, die hinter dem zurückstoßenden Fahrzeug mit dem Fahrzeugführer Verbindung durch Zeichen und Rufe aufrechterhält (dies. a.a.O. Rn 70 mwN). Hieran gemessen kann an der vollen Haftung des Beklagten zu 2) für die Kollision mit dem Klägerfahrzeug kein Zweifel bestehen, weil er sich bei fehlender Sicht nach hinten jedenfalls eines Einweisers beim Manövrieren hätte bedienen müssen. Dass dies praxisunüblich sein mag, erst recht beim Rangieren mit Lkw auf einem Betriebsgelände im Bereich der Logistik, kann an der rechtlichen Lastenverteilung nichts ändern. Im Übrigen muss eine Mithaftung des Klägerfahrzeugs aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr nach §§ 7, 17 StVG ausscheiden, weil es abgestellt, also nicht „in Betrieb“ war. Hiervon unabhängig war der Zeuge … dienstlich vor Ort und parkte nach seiner stimmigen Aussage dort, wo es ihm von Seiten des Betreibers des Betriebsgeländes geheißen worden war.

Die Klageforderung ist auch der Höhe nach vollen Umfangs im Sinne der § 249 ff. BGB begründet. Hierzu kann auf die klägerseitigen Zahlen zurückgegriffen werden, wie sie in der Klagschrift genannt sind. Substantiell sind diese von den Beklagten nicht angegriffen worden. Die begründete Klägerforderung umfasst als ersatzfähigen Schaden nach §§ 249 ff. BGB grundsätzlich auch die – der Höhe nach nicht angegriffenen – Sachverständigenkosten (vgl. etwa BGH NJW 2016, 3092 Rn. 8, Beck-online) und die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (vgl. BGH NJW 2012, 2427 Rn. 70, Beck-online).

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286 BGB.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 S. 1-3 ZPO.

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