Oberlandesgericht Celle
Az: 2 Ws 180/11
Beschluss vom 06.07.2011
In der Strafsache wegen Beleidigung hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 16. Mai 2011 am 6. Juli 2011 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Celle vom 5. Oktober 2010 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat dem Landgericht die Akte mit dem Antrag übersandt, Termin zu bestimmen. Der damalige Vorsitzende der 3. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg hat daraufhin mit Verfügung vom 16. Dezember 2010 Termin zur Hauptverhandlung bestimmt auf den 10. Februar 2011. Mit Verfügung vom 8. Februar 2011 hat der damalige Vorsitzende der 3. Strafkammer diesen Hauptverhandlungstermin wegen krankheitsbedingter Verhinderung einer Zeugin wieder aufgehoben und die Sache dann seinem Dezernatsnachfolger vorgelegt. Der sodann zuständige Vorsitzende der 5. kleinen Strafkammer wies den Angeklagten zunächst mit Verfügung vom 4. Mai 2011 darauf hin, dass die Kammer die Voraussetzungen des § 313 StPO zu prüfen haben wird und erließ sodann am 16. Mai 2011 den angefochtenen Beschluss, wonach die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Celle nicht angenommen wurde. Gegen diesen Beschluss, der der Verteidigerin formlos am 19. Mai 2011 zugegangen ist, wendet der Angeklagte sich mit seiner sofortigen Beschwerde vom 23. Mai 2011.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Zwar sind Beschlüsse, mit denen gemäß § 322a StPO die Nichtannahme der Berufung beschlossen wird, gemäß § 322a Satz 2 StPO grundsätzlich unanfechtbar. Dies gilt jedoch nach allgemeiner Meinung nur dann, wenn tatsächlich ein Fall des § 322a StPO vorliegt (vgl. dazu Meyer Goßner, StPO, 54. Aufl., § 322a Rdnr. 8; HK-Rautenberg, StPO, § 322 a Rdnr. 9). Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit der Nichtannahme der Berufung wird nach allgemeiner Auffassung insbesondere dann gemacht, wenn mit der Nichtannahme der Berufung zugleich die Rücknahme eines früheren Annahmebeschlusses verbunden ist. Die Rücknahme eines solchen Annahmebeschlusses soll nicht mehr möglich sein (vgl. dazu OLG Zweibrücken, NSZ RR 2002, 245; Löwe Rosenberg/Gössel, StPO, § 322a Rdnr. 7; Meyer Goßner, a. a. O., Rdnr. 8; HK Rautenberg, a. a. O., Rdnr. 9).
Um einen solchen Fall handelt es sich hier. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass ebenfalls nach allgemeiner Auffassung die Annahme der Berufung auch stillschweigend erfolgen kann, nämlich stets dann, wenn ohne vorherigen ausdrücklichen Annahmebeschluss terminiert wird (vgl. dazu OLG Zweibrücken, a. a. O.; KK-Paul, StPO, 6. Aufl., § 322a Rdnr. 2; LR-Gössel, § 322a Rdnr. 5; Meyer Goßner, a. a. O., Rdnr. 3; Ries, Anwaltsblatt 93, 51, 56). Dies ist hier geschehen. In dem sich daran anschließenden Nichtannahmebeschluss lag daher zugleich die unzulässige Rücknahme der bereits zuvor erfolgten Annahme.
Fraglich könnte allerdings sein, ob die oben zitierte Rechtsprechung und Literatur deshalb auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, weil hier die Terminsbestimmung, so der ehemalige Vorsitzende der 3. Strafkammer ausdrücklich, auf einem Versehen beruhte. Das OLG Zweibrücken hat in der oben zitierten Entscheidung nämlich ausdrücklich ausgeschlossen, dass dort ein Versehen vorlag. Der Umstand, dass hier ein Versehen der Terminierung zugrunde lag, rechtfertigt jedoch keine andere Beurteilung. Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, ist für die Frage der Abänderbarkeit der Entscheidung auf den Empfängerhorizont abzustellen. Für den Angeklagten hat sich die Sachlage so dargestellt, dass seine Berufung mit der Terminierung auch angenommen wurde. Dadurch ist für ihn ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der auch, so die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend, besonderen Bestandsschutz genießen muss.
Dies ist vergleichbar mit anderen Konstellationen, in denen gerichtliche Entscheidungen zu einer formellen Rechtsposition des Angeklagten führen, ohne zugleich in Rechtskraft zu erwachsen, und die ebenfalls nicht ohne Änderung der Sachlage zurückgenommen werden können. Beispielsweise sei hier der Fall einer Verteidigerbeiordnung gemäß § 140 Abs. 2 StPO wegen Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage angeführt. Auch hier gilt, dass die Bestellung nicht allein deshalb zurückgenommen werden kann, weil der Richter etwa nachträglich seine Ansicht über die Schwierigkeit der Sach oder Rechtslage geändert hat (vgl. dazu Meyer Goßner, a. a. O., § 140 Rdnr. 34).
Die Sache ist daher zur erneuten Terminierung an die 5. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg zurückzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.