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Berufungsbegründung – gesetzliche Anforderung der Rechtsfehlerbezeichnung

Bundesgerichtshof

Az: V ZB 154/06

Beschluss vom 28.02.2007


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 28. Februar 2007 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 28. August 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 4.136,70 EUR.

Gründe:

I.

Mit notariellem Vertrag vom 25. Mai 2004 kaufte die Klägerin von den Beklagten ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück in P. unter Ausschluss der Gewährleistung. Zur Entsorgung des Wohnhauses diente eine Kleinkläranlage, deren Errichtung zwar genehmigt, die aber von der zuständigen Wasserbehörde nicht abgenommen worden war.

Die Behörde erließ nach dem Erwerb des Grundstücks durch die Klägerin einen Verwaltungsakt, in dem sie der Klägerin die Neuherstellung der Kleinkläranlage aufgab. Die Klägerin kam dieser Verfügung der Behörde nach.

Sie hat von den Beklagten die dadurch entstandenen Kosten als Schadensersatz verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde will die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses des Oberlandesgerichts und auf ihre Berufung eine ihrem Antrag entsprechende Sachentscheidung erreichen.

II.

Das Berufungsgericht meint, dass die Berufung nicht in der gesetzlichen Form begründet worden sei.

Da die die Klage abweisende Entscheidung des Landgerichts auf zwei selbständige Erwägungen gestützt worden sei, von denen jede für sich die Entscheidung trage, hätte die Berufungsbegründung jeden dieser Gründe angreifen müssen. Das sei nicht geschehen. Die Entscheidung des Landgerichts beruhe auch auf der Erwägung, dass die Klägerin den Beklagten keine Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben habe und daher von diesen keinen Schadensersatz verlangen könne. Die Klägerin habe hingegen nur die Ausführungen des Landgerichts zu der von diesem nicht festgestellten Arglist der Beklagten angegriffen, jedoch nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Erwägungen des Landgerichts zur Klageabweisung wegen Fehlens einer Aufforderung zur Nachbesserung unzutreffend seien.

III.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Berufungsgerichts ist nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch zulässig. Eine Rechtsbeschwerde gegen den eine Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss ist allerdings nur dann zulässig, wenn einer der in § 574 Abs. 2 ZPO bezeichneten Zulassungsgründe vorliegt (BGHZ 155, 21, 22).

Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich hier daraus, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Dieser Zulassungsgrund liegt auch dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung auf einem Rechtsfehler beruht, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (Senat, BGHZ 154, 288, 295; Beschl. v. 7. Okt. 2004, V ZR 328/03, NJW 2005, 153). Solche Folgen haben Entscheidungen, bei denen die Vorinstanz bei der Auslegung oder Anwendung von Vorschriften des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts gegen grundlegende, verfassungsrechtlich abgesicherte Gerechtigkeitsanforderungen verstoßen hat und die Entscheidung deshalb von Verfassungs wegen einer Korrektur bedarf (Senat, BGHZ 154, 288, 295; Beschl. v. 7. Oktober 2004, V ZR 328/03, NJW 2005, 153).

Ein Verfahrensfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren korrigiert werden muss, ergibt sich dann, wenn Vorschriften, die die Zulässigkeit eines Rechtsmittels regeln, fehlerhaft ausgelegt werden, so dass dadurch der Zugang zur Rechtsmittelinstanz in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert und damit durch die Handhabung einer verfahrensrechtlichen Vorschrift der Anspruch auf die Durchsetzung des materiellen Rechts in unzumutbarer Weise verkürzt wird (BVerfGE 84, 366, 369; Beschl. v. 25. Juli 2005, 1 BvR 2419/03 und 1 BvR 2420/03, zitiert nach juris). Eine solche Handhabung des Verfahrensrechts verletzt den aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitenden Justizgewährungsanspruch.

2. Eine derartiger Verfahrensfehler liegt hier vor. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO, wonach der Berufungskläger verpflichtet ist, die Umstände zu bezeichnen, aus denen sich der dem Erstgericht vorgeworfene Rechtsfehler und dessen Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt, die Anforderungen an die rechtlichen Ausführungen überspannt.

a) Allerdings ist das Berufungsgericht – wie auch von der Rechtsbeschwerdeführerin eingeräumt – bei der Auslegung der Norm von einem rechtlich zutreffenden Ansatz ausgegangen. Hat das Erstgericht – wie hier – die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende Erwägungen gestützt, muss der Kläger in seiner Berufungsbegründung das Urteil auch in allen diesen Punkten angreifen und für jede der mehreren Erwägungen darlegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist sein Rechtsmittel unzulässig (BGHZ 143, 169, 171; BGH, Beschl. v. 10. Januar 1996, IV ZB 29/95, NJW-RR 1996, 572; Urt. v. 18. Juni 1998, IX ZR 389/97, NJW 1998, 3126). Die Neugestaltung des Rechts der Berufung durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I. S. 1887) hat an diesen Anforderungen nichts geändert (BGH, Beschl. v. 14. März 2005, II ZB 31/03, NJW-RR 2005, 793; Beschl. v. 18. Oktober 2005, VI ZB 81/04, NJW-RR 2006, 285).

b) § 520 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO erfordert indes weder, dass der Berufungskläger in der Begründung des Rechtsmittels zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten im erstinstanzlichen Urteil Stellung nimmt (BGH, Urt. v. 5. Okt. 1983, VIII ZR 224/82, NJW 1984, 177, 178; Urt. v. 8. April 1991, II ZR 35/90, NJW-RR 1991, 1186, 1187), noch gebietet die Vorschrift eine inhaltliche Trennung der Angriffe nach den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung (BGH, Urt. v. 13. November 2001, VI ZR 414/00, NJW 2002, 682, 683). Der gesetzlichen Anforderung an die Berufungsbegründung, den Rechtsfehler und dessen Entscheidungserheblichkeit zu bezeichnen, ist auch bei einer auf zwei selbständige Gründe gestützten klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung genügt, wenn der nur auf eine Begründung bezogene Angriff aus Rechtsgründen auch den anderen Abweisungsgrund im angefochtenen Urteil zu Fall bringt.

So ist es hier. Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Angriffe der Berufung gegen die vom Landgericht verneinte Arglist der Beklagten den Anforderungen an deren ordnungsgemäße Begründung genügen, weil die Klägerin Schadensersatz hätte verlangen können, ohne den Beklagten noch unter Fristsetzung eine Gelegenheit zur Behebung des Mangels geben zu müssen, wenn den Beklagten ein arglistiges Verschweigen des Mangels zur Last gelegt werden müsste.

aa) Richtig ist zwar, dass der Anspruch des Käufers auf Schadensersatz wegen einer nicht wie geschuldet erbrachten Leistung nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3 BGB voraussetzt, dass der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gem. § 439 Abs. 1 BGB bestimmt hat (BGHZ 162, 219, 221; BGH, Urt. v. 22. Juni 2005, VIII ZR 1/05, MDR 2006, 141, 142; Urt. v. 7. Dezember 2005, VIII ZR 126/05, NJW 2006, 988, 989). Kommt der Käufer dem nicht nach, steht ihm gegen den Verkäufer ein Anspruch auf Erstattung der Kosten einer selbst vorgenommenen Mängelbeseitigung grundsätzlich nicht zu (BGH, aaO).

Das gilt jedoch nicht, wenn dem Verkäufer Arglist zur Last fällt. Hat der Verkäufer beim Abschluss eines Kaufvertrags eine Täuschungshandlung begangen, so hat er selbst die für eine Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage zerstört. In solchen Fällen hat der Käufer ein berechtigtes Interesse daran, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor eventuellen neuerlichen Täuschungsversuchen zu schützen (Senat, Beschl. v. 14. Dezember 2006, V ZR 249/06, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).

bb) Die vorgenannte Entscheidung des Senats ist zwar erst nach dem die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss ergangen. Der Senat ist indes einer auch bereits zuvor ganz überwiegend im Schrifttum (vgl. AnwKomm-BGB/Dauner-Lieb, § 281 Rdn. 42 und § 323 Rdn. 28; AnwKomm-BGB/Büdenbender § 440 Rdn. 18; AnwKomm-BGB/Raab § 636 Rdn. 23; Bamberger/Roth/Faust, BGB, § 440 Rdn. 37; MünchKomm-BGB/Westermann, 4. Aufl., § 440 Rdn. 8; Erman/Grunewald, BGB, 11. Aufl., § 440 Rdn. 3; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rdn. 521; KK-Schuldrecht/Willingmann/Hirse, § 281 Rdn. 16 und § 323 Rdn. 17; KK-Schuldrecht/Tonner/Crellwitz § 440 Rdn. 16; Palandt/Putzo, BGB, 65. Aufl., § 440 Rdn. 8; PWW/Schmidt, BGB, § 440 Rdn. 8; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB [2004], § 440 Rdn. 22; Schur, ZGS 2002, 243, 248; differenzierend Lorenz, NJW 2004, 26 f; ders., NJW 2006, 1925, 1927; MünchKomm-BGB/Ernst, § 281 Rdn. 60 und § 323 Rdn. 130) und auch von vielen, wenn auch nicht von allen Instanzgerichten vertretenen Rechtsauffassung beigetreten (LG Köln, Urt. v. 30. August 2005, 5 O 479/04, Rdn. 25, zitiert nach juris; LG Bonn, NJW 2004, 74, 75; differenzierend: OLG Celle, OLGR 2005, 185, 186; a.A. LG Berlin, Urteil vom 1. Februar 2005, 5 O 176/04, Rdn. 161, zitiert nach juris).

Die herrschende Auffassung im Schrifttum und die veröffentlichte Rechtsprechung der Instanzgerichte zu einer Rechtsfrage des allgemeinen Kaufrechts hat ein Gericht jedoch auch dann zu beachten, wenn die streitige Rechtsfrage durch das Revisionsgericht noch nicht entschieden worden ist. Ein Berufungsgericht muss daher bei der Prüfung der Zulässigkeit eines auf eine Begründung im erstinstanzlichen Urteil beschränkten Angriffs die Auswirkungen auf den anderen Abweisungsgrund von sich aus auch dann berücksichtigen, wenn der Berufungskläger in der Begründung hierzu keine Rechtsausführungen gemacht hat. Ergibt sich jedenfalls aus dem Vortrag des Rechtsmittelführers, dass nach einem in der Literatur und Rechtsprechung verbreitet anzutreffenden Standpunkt die Folge ist, dass beide Begründungselemente des angegriffenen Urteils in Frage gestellt werden, so genügen diese Ausführungen den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbegründung.

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Der die Berufung der Klägerin als unzulässig verwerfende Beschluss des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über das Rechtsmittel an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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