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Berufungsfrist – im arbeitsgerichtlichen Verfahren

Hessisches Landesarbeitsgericht

Az.: 4 Sa 1201/03

Urteil vom 13.01.2004


Leitsatz:

Aufgrund der Neufassung von § 66 Abs. 1 ArbGG beginnt die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung mit Ablauf von 5 Monaten nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils auch dann, wenn innerhalb von 5 Monaten nach der Verkündung das Urteil überhaupt nicht oder ohne oder mit unrichtiger Rechtsmittelbelehrung zugestellte wurde. Für eine Kumulierung der Frist von 5 Monaten des § 66 Abs. 1 S. 2 ArbGG n.F. und der Jahresfrist gem. § 9 Abs. 5 S. 4 ArbGG ist kein Raum mehr.


In dem Berufungsverfahren hat das Hessische Landesarbeitsgericht Kammer 4 in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 02. Dezember 2003 für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Limburg vom 09.01.2003 – 2 Ca 198/02 – wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin hat die Kosten ihrer Berufung zu tragen.
Für die Klägerin wird die Revision zum Bundesarbeitsgerichts zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin und die von ihr verlangte Weiterbeschäftigung in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis.

Wegen des zugrunde liegenden Sachverhaltes, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit am 09.01.2003 verkündeten Urteil, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung verwiesen wird, die Klage abgewiesen.

Gegen dieses der Klägerin am 04.07.2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 31.07.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und dort, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16.10.2003, am 13.10.2003 begründete Berufung der Klägerin.

Die Klägerin bringt vor, nach der letzten Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 02.10.1999 „für die Dauer der Erkrankung einer Hausgehilfin“ habe ihr Arbeitsverhältnis nicht beendet werden können. Die Beklagte habe mit einer Rückkehr und Wiederaufnahme der Arbeit der betreffenden Hausgehilfin bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages vom 02.10.1999 nicht mehr rechnen können. Jedenfalls könne sich die Beklagte auf die Befristungsabrede nicht berufen, nachdem die betreffende Hausgehilfin aus ihrem Arbeitsverhältnis ausgeschieden und nicht mehr auf ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt sei. – Für das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren wird im Übrigen und wegen der Einzelheiten auf die Berufungsbegründung mit Schriftsatz vom 13.10.2003 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Limburg vom 09.01.2003 zu Az.: 2 Ca 198/02 abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund der Befristungsabrede gemäß Schreiben der Beklagten vom 27.08.2002 nicht beendet worden ist, sondern über den 30.09.2002 hinaus unbefristet fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Fristen für die Einlegung der Berufung sowie für deren Begründung seien nicht eingehalten. Darüber hinaus verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil. – Für das zweitinstanzliche Vorbringen der Beklagten wird im Übrigen auf die Berufungsbeantwortung mit Schriftsatz vom 21.11.2003 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen (§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 522 Abs. 1 ZPO).

Die Klägerin hat die Monatsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG n.F. für die Berufungseinlegung nicht eingehalten. Diese Monatsfrist hat mit Ablauf von 5 Monaten nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 09.01.2003 zu laufen begonnen (§ 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F.) und endete mithin am 09.06.2003; die hieran anschließende Monatsfrist (bis zum 09.07.2003) für die Einlegung der Berufung konnte also nicht durch die am 31.07.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufungsschrift der Klägerin gewahrt werden. Auf die Frist von 5 Monaten ab Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils kommt es vorliegend an, weil gem. § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F. spätestens mit deren Ablauf die Frist von einem Monat für die Berufungseinlegung beginnt. Unerheblich ist dagegen, dass das Urteil am 04.07.2003 (mit Rechtsmittelbelehrung) zugestellt wurde; diese Zustellung konnte nicht mehr den Ablauf der Berufungsfrist in Gang setzen, weil bereits mit Ablauf der 5-Monatsfrist (am 09.06.2003, siehe vorstehend) der Lauf der Berufungsfrist begonnen hatte (vgl. BAG vom 08.06.2000, AP Nr. 21 zu § 66 ArbGG 1979 – betreffend die kumulierten Fristen gem. § 515 ZPO a.F.; § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG).

Angesichts der ab 01.01.2002 geltenden Neufassung des § 66 Abs. 1 ArbGG kann nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 08.06.2000, a.a.O.; BAG vom 23.11.1994, AP Nr. 12 zu § 9 ArbGG 1979 – m. w. N.) festgehalten werden (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 4. Aufl., § 66 RdZiff. 15 f.; Schmidt/Schwab/Wildschütz, NZA 01, 1217, 1218; Bader in GK-ArbGG, § 9 RdZiff. 111 a; LAG Nürnberg vom 20.10.2002, LAGE § 66 ArbGG 1979 n.F. Nr. 18; LAG Thüringen vom 05.06.2003, NZA RR 2004, 43; anderer Ansicht – für Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung – Holthaus/Koch, RdA 02, 140, 150 f.; Koch in ErfK, 3. Aufl., § 66 ArbGG RdZiff. 12; Künzl, ZTR 01, 533, 534). Nach dieser Rechtsprechung soll es gem. § 516 ZPO a.F. (§ 517 ZPO n.F.) und § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG im Falle einer fehlenden Urteilszustellung oder Zustellung eines Urteils ohne oder – was dem gleichzusetzen ist (siehe § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG) – unrichtiger Rechtsmittelbelehrung innerhalb von 5 Monaten seit Urteilsverkündung zu einer Verknüpfung/Kumulierung der Fristen des § 516 ZPO a.F. und des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG zu einer „Gesamtfrist“ von 17 Monaten (herrschende Meinung zur bisherigen Rechtsprechung) ab Urteilsverkündung kommen, nach deren Ablauf Rechtskraft des Urteils eintritt und eine Berufungseinlegung nicht mehr zulässig sein soll.

Mit der Neufassung des § 66 Abs. 1 ist die bisher in § 516 ZPO a.F. enthaltene Regelung, die lediglich über die Verweisung in § 64 Abs. 6 ArbGG für das arbeitsgerichtliche Verfahren galt, in das Arbeitsgerichtsgesetz selbst aufgenommen worden. Zudem wirkt § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F. mit seiner Regelung des Fristbeginns, in Parallelität zu den Bestimmungen der ZPO, gleichermaßen und einheitlich für die Frist zur Berufungseinlegung wie die Frist zur Berufungsbegründung. Damit lässt sich nicht mehr vertreten, § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG sei die für das arbeitsgerichtliche Verfahren speziellere Vorschrift im Verhältnis zu der allgemeinen, lediglich durch Verweisung geltenden Bestimmung des § 516 ZPO a.F. und deshalb neben § 516 ZPO zum Tragen zu bringen. § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F. mit seiner Bestimmung des spätesten Fristbeginns für die Berufungseinlegung und § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG stehen nunmehr als Regelungen für das arbeitsgerichtliche Verfahren nebeneinander. Der Begriff „spätestens“ im Zusammenhang mit dem Fristbeginn begründet jedenfalls für das Rechtsmittel der Berufung einen Vorrang für die in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F. enthaltene Regelung des Fristbeginns und des dadurch bestimmten Fristablaufs. „Spätestens“ ist dahin zu begreifen, dass jedenfalls und in zeitlicher Hinsicht unabhängig von anderen Bestimmungen über Fristbeginn und -ablauf die Monatsfrist für die Berufungseinlegung (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG n.F.) zu laufen beginnt. § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F. trifft ohnehin auch die durch § 9 Abs. 5 Satz 3, 4 ArbGG geregelte Fallgestaltung: Das „in vollständiger Form abgefasste Urteil“ (§ 66 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz ArbGG n.F.), mit dessen Zustellung die Monatsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG n.F. für die Berufungseinlegung beginnt, ist nur ein Urteil, das als Bestandteil auch eine (richtige) Rechtsmittelbelehrung enthält (BAG vom 06.03.1980, AP 1 zu § 9 ArbGG 1979). Wenn nun in unmittelbarem Anschluss hieran (in Halbsatz 2 von § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F.) bestimmt wird, dass spätestens 5 Monate nach Urteilsverkündung die Berufungseinlegungsfrist beginnt, so ist damit (auch) der Fall geregelt, dass es nicht zu einer Zustellung eines in vollständiger Form abgefassten Urteils gekommen ist – sei es, dass ein Urteil überhaupt nicht oder ohne oder mit unrichtiger Rechtsmittelbelehrung zugestellt wurde (siehe BAG vom 23.11.1994) – und dass dann eben die 5-Monatsfrist für den Beginn der Berufungseinlegungsfrist maßgeblich sein soll. Nach der Festlegung eines einheitlichen Beginns sowohl für die Berufungseinlegungs- wie die Berufungsbegründungsfrist in der Neufassung des § 66 Abs. 1 Satz 1, 2 ArbGG kann auch nicht mehr zweifelhaft sein, dass die Regelung in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F. insgesamt sich nur (und auch, was die Berufungsbegründungsfrist anbelangt) auf die Berufungseinlegungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG n.F. bezieht; in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F. heißt es, dass „beide Fristen beginnen …“. Angesichts dieses Gleichlaufs des Fristbeginns und -ablaufs für Berufungseinlegung und Berufungsbegründung erscheint es bei einem Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung kaum lösbar, wie die Berufungsbegründungsfrist nach Beginn und Ablauf zu bestimmen wäre: Für die Berufungsbegründungsfrist gilt ausschließlich § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG n.F.; § 9 Abs. 5 Satz 3, 4 ArbGG beziehen sich aber nicht auf die Rechtsmittelbegründungsfristen (siehe Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, a.a.O., § 66 RdZiff. 15 a).

Schließlich spricht für ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung, dass damit eher dem Beschleunigungsgrundsatz im arbeitsgerichtlichen Verfahren genügt wird als mit der bisherigen Rechtsprechung und dem Zweck gerecht wird, bei unterbliebener Zustellung eines Urteils oder Zustellung eines nicht in vollständiger Form abgefassten Urteils (s.o.) den Eintritt der Rechtskraft nicht allzu lange in der Schwebe zu lassen.

Vorliegend kommt zugunsten der Klägerin auch nicht Vertrauensschutz im Hinblick auf die Rechtsmittelbelehrung in Betracht (siehe BAG vom 23.11.1994, a.a.O.; LAG Nürnberg, a.a.O.). Die in dem am 04.07.2003 der Klägerin zugestellten Urteil enthaltene Rechtsmittelbelehrung entspricht in ihrem Wortlaut den § 66 Abs. 1 Satz 1, 2 ArbGG n.F. und belehrt damit auch richtig über die zu beachtende 5-Monatsfrist ab Urteilsverkündung für eine Berufungseinlegung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision erfolgt gem. § 72 Abs. 2 Ziffer 1, 2 ArbGG.

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