OLG Düsseldorf, Az.: 9 U 18/95, Urteil vom 23.08.1995
Der Kläger verlangt vom Beklagten die hälftige Kürzung des Betonsockels der Brüstung einer Dachterrasse.
Die Parteien sind Nachbarn. Der Beklagte ließ auf seinem Grundstück umbauen und modernisieren. Die Bebauung steht auf der Grundstücksgrenze. Der Kläger erklärte auf einem Grundrißplan sowie auf einer Ansichtsplanung am 13.4.1992 schriftlich sein Einverständnis mit der Baumaßnahme. Der Streit der Parteien betrifft die neue Einfassung der Dachterrasse im hinteren Grundstücksbereich.
Die frühere Einfassung der Dachterrasse mit einem Vierkantgeländer mit drei waagerechten breiten Bohlen ersetzte der Beklagte durch eine 60 cm hohe Brüstung aus massiven Betonfertigteilen, auf die ein 30 cm hohes Stahlgeländer aus drei parallelen Vierkantrohren montiert ist. Der Kläger hat behauptet, diese Ausführung der Einfassung der Dachterrasse sei aus den Plänen für ihn nicht ersichtlich gewesen. Er und seine Mieter hätten der Bauausführung rechtzeitig widersprochen. Der Lichteinfall auf sein Grundstück werde massiv verschlechtert.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Der Kläger habe die neue Ausführung der Einfassung nicht genehmigt und sei auch nicht verpflichtet, diese zu genehmigen, weil sie ihn erheblich beeinträchtige.
Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Der Kläger hat keinen Anspruch auf hälftige Kürzung des Betonsockels der Dachterrasse durch den Beklagten.
1. Der Anspruch des Klägers ist nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes begründet. Die Vorschriften der §§ 903 ff BGB geben einem Grundstückseigentümer einen Abwehranspruch nach § 1004 I BGB nur gegen von außen kommende positive Einwirkungen auf sein Grundstück. Eine solche Einwirkung auf das Grundstück des Klägers geht von dem beanstandeten Bauvorhaben auf dem Grundstück des Beklagten hingegen nicht aus.
2. Das Beseitigungsbegehren des Klägers läßt sich auch nicht mit der Verletzung nachbarschützender Bauvorschriften rechtfertigen. Zwar kann die Verletzung solcher Vorschriften sowohl einen verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch des Nachbarn nach § 1004 BGB analog als auch einen Schadensersatzanspruch auf Naturalrestitution gem. § 823 II BGB begründen (vgl. BGH NJW 1985, 2825, 2826). Dafür, daß der Beklagte bei der Errichtung der Balkoneinfassung gegen nachbarschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoßen und insoweit unzulässig gebaut hätte, hat der Kläger jedoch keinen Sachvortrag unterbreitet, noch sind nach den Umständen Anhaltspunkte dafür ersichtlich.
3. Das Klagebegehren ist schließlich auch nicht nach § 1004 I BGB in Verbindung mit den Vorschriften des nordrhein-westfälischen Nachbarrechtes gerechtfertigt.
Über die Vorschriften des BGB hinaus enthalten die Vorschriften des landesrechtlichen Nachbarrechtes noch andere Beschränkungen des Eigentums an Grundstücken, Art. 124 EGBGB.
Im vorliegenden Fall ist die Zulässigkeit des Bauvorhabens auf dem Grundstück des Beklagten nach § 4 I NachbG NW zu beurteilen. Danach bestehen gegen die Errichtung der Terrassenbrüstung keine Bedenken.
a) Die Frage der Zulässigkeit der Errichtung der Terrassenbrüstung durch den Beklagten ist nach § 4 I NachbG NW zu beurteilen.
Diese Vorschrift regelt die Frage, unter welchen Voraussetzungen „… zum Betreten bestimmte Bauteile wie Balkone und Terrassen …“ in Grenznähe angebracht werden dürfen. Im vorliegenden Fall streiten die Parteien zwar nicht über die Zulässigkeit der vom Beklagten errichteten Terrasse selbst. Gleichwohl ist die vom Kläger beanstandete Brüstung nach dieser Vorschrift und nicht nach § 1 NachbG NW zu beurteilen, der die Frage der Zulässigkeit der Errichtung von Außenwänden von Gebäuden in Grenznähe regelt. Denn die Terrassenbrüstung ist nicht Teil einer Außenwand eines Gebäudes i.S.v. § 1 NachbG NW. Nach der Legaldefinition in § 1 II 1 NachbG NW sind Gebäude selbständig benutzbare überdachte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Danach ist weder die Terrasse selbst ein Gebäude, weil sie eine nicht überdachte bauliche Anlage ist. Die Betonbrüstung könnte nur dann als Außenwand gem. § 1 NachbG NW beurteilt werden, wenn sie als deren Verlängerung Teil der Außenwand des unter der Dachterrasse liegenden Gebäudes anzusehen wäre. Dagegen spricht aber, daß der Betonsockel der Balkonbrüstung schon konstruktiv kein Teil dieser Außenwand ist, sondern aus Fertigteilen besteht, die lediglich auf die Außenwand aufgesetzt worden sind. Auch funktionell ist der Betonsockel nicht Teil dieser Außenwand, sondern er dient lediglich zur Einfassung der Dachterrasse. Er ist mithin Teil der Terrasse und daher nach § 4 I NachbG NW zu beurteilen.
b) Die Balkonbrüstung der Dachterrasse des Beklagten ist nach § 4 I NachbG NW zulässigerweise errichtet worden.
Nach dieser Vorschrift hätte der Beklagte nur dann mit der Dachterrasse und deren Balkonbrüstung einen Mindestabstand von 2 m von der Grenze einhalten müssen, wenn die Dachterrasse an der Außenwand eines Gebäudes angebracht worden wäre, die parallel oder in einem Winkel bis zu 60° zur Grenze des Grundstücks des Klägers verlief.
Allerdings beträgt der Grenzabstand des Betonsockels der Einfassung der Dachterrasse weniger als 2 m. (Wird ausgeführt.)
Jedoch scheidet die Anwendung von § 4 I NachbG NW deshalb aus, weil die Dachterrasse nebst Betoneinfassung an eine Außenwand anschließt, die im Winkel von 90° zur Grenze des Grundstücks des Klägers verläuft. Die Terrasse auf dem Grundstück des Beklagten auf dem vorhandenen Anbau schließt an die Rückwand des dort errichteten Gebäudes an. Diese rückseitige Gebäudeaußenwand verläuft rechtwinklig zur Grenze des Grundstücks des Klägers, mithin weder parallel noch in einem Winkel bis zu 60°. In einem solchen Fall dürfen Balkone und Terrassen – und damit auch deren Einfriedigungen – an der Rückwand des Gebäudes bis dicht an die seitliche Grundstücksgrenze heranreichen, ohne den in § 4 I NachbG NW vorgeschriebenen Mindestabstand einhalten zu müssen (Schäfer, Nachbarrechtsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, 8. Aufl., § 4 Anm. 2; vgl. zur entsprechenden Vorschrift des Niedersächsischen Nachbarrechtes OLG Celle Nds.Rpfl 1972, 38).
4. Die Balkonbrüstung wäre im übrigen auch dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 4 I NachbG NW zur Einhaltung des Mindestabstandes von der Grenze grundsätzlich vorlägen. Denn sie ist jedenfalls nach § 5 d NachbG NW privilegiert.
Da sie unstreitig lediglich die vorhandene Balkoneinfassung ersetzt, dürfen die Mindestabstände nach dieser Vorschrift im bisherigen Umfang unterschritten werden.