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Brandschaden – Haftung aufgrund eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs

Nachbarschaftsstreit: Brandschaden und die Frage der Haftung

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein wies die Berufung der Klägerin, einer Hausratversicherung, gegen die Beklagte, die Eigentümerin eines Grundstücks, zurück. Die Klägerin forderte Schadensersatz aufgrund eines Brands, den der Sohn der Beklagten verursacht hatte. Das Gericht entschied, dass die Beklagte nicht als Störerin im Sinne des § 1004 BGB anzusehen sei und somit nicht haftet, da sie keine Verantwortung für das Verhalten ihres erwachsenen Sohnes trägt und den Brand nicht zurechenbar verursacht hat.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 10 U 33/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Berufung der Klägerin abgewiesen: Das Gericht lehnt die Forderung der Hausratversicherung auf Schadensersatz ab.
  2. Ursache des Brands: Ein Haarföhn, der vom Sohn der Beklagten unsachgemäß verwendet wurde, verursachte den Brand.
  3. Keine Störereigenschaft der Beklagten: Das Gericht stellt fest, dass die Beklagte nicht als Störerin im Sinne des § 1004 BGB gilt.
  4. Keine Haftung für Handlungen des Sohnes: Die Beklagte trägt keine Verantwortung für das unabhängige Verhalten ihres erwachsenen Sohnes.
  5. Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch unanwendbar: Eine analoge Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wird verneint.
  6. Keine Veranlassung oder Gefahrenbeherrschung durch die Beklagte: Das Gericht sieht keinen direkten Einfluss der Beklagten auf den Brand.
  7. Unterschied zu anderen Fällen: Die Situation unterscheidet sich von Fällen, in denen Eigentümer aktiv eine Gefahr schaffen.
  8. Keine allgemeine Haftpflicht: Das Urteil bestätigt, dass nicht automatisch eine Haftung des Grundstückseigentümers bei Schäden durch Dritte besteht.

Brandschäden und Nachbarrecht: Haftungsfragen im Fokus

Brand Mitstörerhaftung Nachbar
(Symbolfoto: ambrozinio /Shutterstock.com)

Das Thema Brandschaden und Haftung im Kontext des Nachbarrechts stellt einen bedeutsamen und oft komplexen Bereich des deutschen Zivilrechts dar. Es behandelt die Frage, inwiefern Eigentümer für Schäden haften, die durch Ereignisse auf ihrem Grundstück entstanden sind und sich auf das Eigentum der Nachbarn auswirken. Dies umfasst insbesondere die rechtlichen Herausforderungen und Pflichten, die sich aus nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüchen ergeben, einem Bereich, der häufig in gerichtlichen Auseinandersetzungen endet.

Im Mittelpunkt steht dabei die Bewertung der Störereigenschaft des Eigentümers im Sinne des § 1004 BGB sowie die Interpretation und Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB. Die rechtliche Einordnung solcher Fälle ist entscheidend dafür, ob und in welchem Umfang eine Partei für den entstandenen Schaden verantwortlich gemacht werden kann. Der folgende Artikel analysiert ein konkretes Urteil, das sich mit diesen Fragen auseinandersetzt. Es wird beleuchtet, wie das Gericht im spezifischen Fall eines Brandschadens die Haftung beurteilt und welche Schlussfolgerungen daraus für ähnliche Fälle gezogen werden können. Tauchen Sie mit uns ein in die Welt des Nachbarrechts und entdecken Sie, wie Gerichte in solchen Fällen entscheiden.

Der Brandschaden im Mittelpunkt des Rechtsstreits

Im Jahr 2018 kam es zu einem Brand im Mittelreihenhaus der Beklagten, welcher durch den Sohn der Beklagten ausgelöst wurde. Dieser hatte einen Haarföhn in seinem Zimmer eingeschaltet und auf sein Bett gelegt, bevor er einschlief. Die daraus resultierenden Ruß- und Löschwasserschäden betrafen auch das Nachbarhaus, das von den Eheleuten L1 bewohnt wird. Die Klägerin in diesem Fall, eine Hausratversicherung, leistete für den Schaden ihrer Versicherungsnehmerin, den Eheleuten L1, eine Entschädigung in Höhe von 40.731,02 € und trat damit in ihre Rechte ein.

Rechtliche Grundlage des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs

Die Klägerin machte einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog gegen die Beklagte geltend. Sie argumentierte, dass der Gebrauch des Föhns durch den Sohn der Beklagten dem bestimmungsgemäßen Gebrauch der Immobilie zuzurechnen sei. Da der Sohn der Beklagten keinen bestimmenden Einfluss auf die Nutzung der gesamten Immobilie ausübte, sei die Störereigenschaft der Beklagten als Eigentümerin nicht entfallen. Die Klägerin forderte somit die Begleichung des Schadens durch die Beklagte.

Die Entscheidung des Landgerichts und des Oberlandesgerichts

Das Landgericht wies die Klage ab, indem es die Beklagte nicht als Störerin im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB qualifizierte. Es sah keinen zurechenbaren gefahrträchtigen Zustand, den die Beklagte herbeigeführt hätte. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein bestätigte dieses Urteil. Es argumentierte, dass die Beklagte nicht verantwortlich für den Brand sei, da sie keinen Einfluss auf das Verhalten ihres erwachsenen Sohnes hatte und die bloße Tatsache, dass sie ihren Sohn im Haus wohnen ließ, nicht ihre Störereigenschaft begründe. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen und sie trug die Kosten des Berufungsverfahrens.

Juristische Feinheiten und die Rolle des Bundesgerichtshofs

In ihrer Berufung führte die Klägerin an, dass der Fall vergleichbar sei mit früheren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, wie dem Fall eines vom Grundstückseigentümer beauftragten Handwerkers, der einen Schaden verursacht. Die Beklagte hielt dagegen, dass sie keinen mittelbaren Störungswillen hatte, da sie keine Beeinträchtigung veranlasst oder eine Gefahrenquelle beherrscht hatte. Das Gericht folgte dieser Argumentation und lehnte einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch ab.

Das Urteil zeigt die komplexen Überlegungen auf, die in Fällen von nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüchen angestellt werden müssen. Es hebt die Bedeutung der Störereigenschaft und der Zurechnung von Handlungen in solchen Fällen hervor. Dieser Fall dient als ein Beispiel dafür, wie Gerichte die Verantwortlichkeit bei Brandschäden beurteilen, die sich auf Nachbargrundstücke auswirken.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wird die Störereigenschaft im Rahmen des § 1004 Abs. 1 BGB definiert?

Die Störereigenschaft im Rahmen des § 1004 Abs. 1 BGB bezieht sich auf eine Person oder Einheit, die das Eigentum einer anderen Person beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung darf jedoch nicht durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes erfolgen.

Es gibt verschiedene Arten von Störern, die im Kontext des § 1004 BGB relevant sind:

  1. Handlungsstörer: Dies ist derjenige, der durch sein Verhalten die Eigentumsbeeinträchtigung verursacht.
  2. Zustandsstörer: Dies ist der Eigentümer oder Besitzer von Sachen, von denen die Beeinträchtigung ausgeht. Ein Beispiel wäre das Umstürzen eines Baumes auf das Nachbargrundstück. Reine Naturereignisse können allerdings nicht zugerechnet werden.
  3. Mittelbarer Störer: Dieser veranlasst Dritte zur Beeinträchtigung. Ein Beispiel wäre ein Flughafenunternehmer, der für den Fluglärm verantwortlich ist.

Die Störereigenschaft ist für die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach § 1004 Abs. 1 BGB von zentraler Bedeutung. Der Störer ist Schuldner dieser Ansprüche.

Die Geschäftsfähigkeit und die Deliktsfähigkeit sind für die Störereigenschaft als solche ohne Belang. Sie können aber Bedeutung erlangen, wenn es um Schadensersatz für die pflichtwidrige Nichtbeseitigung einer Störung geht.

Der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB selbst ist verschuldensunabhängig. Als Rechtsfolge kann das Unterlassen oder die Beseitigung der Störung verlangt werden.

Was sind die Kriterien für die Zurechnung einer Handlung oder eines Zustandes als störend im Sinne des Nachbarrechts?

Die Zurechnung einer Handlung oder eines Zustandes als störend im Sinne des Nachbarrechts hängt von verschiedenen Kriterien ab.

Erstens, die Veranlassung: Eine Person oder Einheit, die eine Handlung veranlasst hat, die zu einer Beeinträchtigung des Eigentums einer anderen Person führt, kann als Störer betrachtet werden. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn eine Person eine laute Party veranstaltet, die den Frieden der Nachbarn stört[1].

Zweitens, die Gefahrenbeherrschung: Wenn eine Person oder Einheit die Kontrolle über eine Gefahr hat, die das Eigentum einer anderen Person beeinträchtigt, kann sie als Störer betrachtet werden. Ein Beispiel hierfür könnte ein Unternehmen sein, das gefährliche Chemikalien lagert und bei einem Unfall diese auf das Nachbargrundstück gelangen.

Drittens, die Vorteilsziehung: Wenn eine Person oder Einheit einen Vorteil aus einer Situation zieht, die das Eigentum einer anderen Person beeinträchtigt, kann sie als Störer betrachtet werden. Ein Beispiel hierfür könnte ein Unternehmen sein, das von einer erhöhten Produktion profitiert, aber dabei Lärm oder Verschmutzung erzeugt, die die Nachbarn stören.

Viertens, der Zustand: Wenn eine Person oder Einheit einen Zustand verursacht oder aufrechterhält, der das Eigentum einer anderen Person beeinträchtigt, kann sie als Störer betrachtet werden. Ein Beispiel hierfür könnte ein Grundstückseigentümer sein, der einen Baum auf seinem Grundstück stehen lässt, der droht, auf das Nachbargrundstück zu fallen.

Fünftens, die Handlung: Wenn eine Person oder Einheit eine Handlung ausführt, die das Eigentum einer anderen Person beeinträchtigt, kann sie als Störer betrachtet werden. Ein Beispiel hierfür könnte ein Bauunternehmer sein, der Bauarbeiten durchführt, die Staub und Lärm erzeugen, die die Nachbarn stören.

Diese Kriterien sind nicht abschließend und die genaue Anwendung hängt von den spezifischen Umständen des Einzelfalls ab.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 10 U 33/23 – Urteil vom 30.03.2023

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 9. Dezember 2021, Az. 5 O 118/21, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

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Gründe

I.

Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht nachbarrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte aus einem Brandschadensereignis geltend.

Am … 2018 kam es zu einem Brand im Mittelreihenhaus der Beklagten im …weg 1a in X. Ursache des Feuers war ein Haarföhn, den der seinerzeit 28-jährige Sohn der Beklagten, Y, in dem von ihm bewohnten Zimmer eingeschaltet auf sein Bett gelegt hatte; er war dann daneben eingeschlafen. Durch die Einwirkungen des Rußes und des Löschwassers kam es zu Schäden am Hausrat der Eheleute H1 und U1 L1, die gemeinsam das Nachbarhaus im …weg 1, das im (Sonder-)Eigentum des Ehemannes U1 L1 steht, bewohnen. Die Klägerin ist die Hausratversicherung der H1 L1.

Die Klägerin hat behauptet, ihrer Versicherungsnehmerin sei ein Schaden in Höhe von 40.731,02 € entstanden. Sie – die Klägerin – habe in dieser Höhe Leistungen an ihre Versicherungsnehmerin erbracht.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hafte für den entstandenen Schaden aus einem verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog. Der Gebrauch des Föhns durch den Sohn der Beklagten sei dem bestimmungsgemäßen Gebrauch der Immobilie zuzurechnen. Die Beklagte habe die Immobilie nicht ihrem Sohn überlassen, vielmehr habe der Sohn keinen bestimmenden Einfluss auf die Nutzung der gesamten Immobilie ausgeübt, so dass ihre eigene Störereigenschaft als Eigentümerin nicht entfallen sei. Nach der gebotenen wertenden Betrachtungsweise sei die Beklagte Anspruchsverpflichtete.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 40.731,02 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. Juni 2019 sowie vorgerichtliche Nebenkosten in Höhe von 865,37 € an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat den behaupteten Schaden der Höhe nach und auch dessen Regulierung durch die Klägerin bestritten.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht als Störerin anzusehen und damit nicht Schuldnerin des geltend gemachten Anspruchs. Der Brand sei weder durch eigenes oder ihr zurechenbares Verhalten entstanden, noch sei er auf einen technischen Defekt einer von ihr beherrschbaren Gefahrenquelle zurückzuführen. Für das Verhalten ihres erwachsenen Sohnes habe sie nicht einzustehen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und einen gemäß § 86 Abs. 1 VVG übergegangenen Anspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog mit der Begründung verneint, dass die Beklagte nicht als Störerin im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB zu qualifizieren sei. Es seien keine Sachgründe gegeben, ihr die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen. Weder habe mit Blick auf die Art der Nutzung der Immobilie und das konkrete Geschehen ihrerseits eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen bestanden, noch habe die Beklagte in zurechenbarer Weise einen gefahrträchtigen, störenden Zustand geschaffen. Sie habe keinen Anlass für das gefährliche Handeln ihres erwachsenen Sohnes gegeben und darauf auch keinen Einfluss gehabt. Die bloße Tatsache, dass die Beklagte ihren erwachsenen Sohn bei sich im Haus habe wohnen lassen, begründe ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht ihre Störereigenschaft im Hinblick auf dessen eigenverantwortliches Handeln. Die fahrlässige Brandstiftung des Sohnes sei nicht in der Nutzung des Grundstücks angelegt gewesen. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, ob der Sohn der Beklagten als Störer zu qualifizieren sei oder nicht.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der landgerichtlichen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der diese ihr erstinstanzliches Klagebegehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vollumfänglich weiter verfolgt.

Sie macht geltend, die Auffassung des Landgerichts führe zu dem mit dem aus dem bestehenden Nachbarschaftsverhältnis abgeleiteten Regelungs- und Schutzzweck des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs unvereinbaren Ergebnis, dass ein solcher Anspruch weder gegenüber der Beklagten noch gegenüber ihrem Sohn bestehen würde.

Der Brand sei durch eine mit Wissen und Wollen der Beklagten und damit berechtigt im Gebäude wohnende Person, ihren Sohn, verursacht worden, welcher selbst mangels Überlassung des Grundstücks zur selbstbestimmten Nutzung, wie etwa im Falle der Miete, nicht Schuldner eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs sei. Wenn aber der Sohn nicht hafte, bestünden zwingende Gründe, der Beklagten zur Meidung einer systemwidrigen Haftungslücke die aus der Situationsgebundenheit der Grundstücke abgeleitete nachbarrechtliche Haftung als mittelbarer Störerin aufzuerlegen, sofern nur die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks auf die Nutzung des Grundstücks der Beklagten mit deren Wissen und Wollen zurückzuführen sei. Die vorliegende Konstellation sei nicht anders zu bewerten als der vom Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 9. Februar 2018, NJW 2018, 1542) entschiedene Fall eines schädigenden Verhaltens eines vom Grundstückseigentümer beauftragten Handwerkers. Die Beklagte als Grundstückseigentümerin habe den Nutzen aus der Gestattung des Wohnens gezogen, sei es durch ein Entgelt oder sei es durch einen familiären, sozialen Nutzen. Es habe ihrerseits jederzeit die Möglichkeit bestanden, auf Art und Umfang der Nutzung durch ihren Sohn Einfluss zu nehmen. Auf den schädigenden Einzelakt und die diesbezüglich fehlende Einflussmöglichkeit komme es, wie in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall, nicht an.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten und des weiteren Berufungsvorbringens der Klägerin wird auf die Berufungsbegründung vom 14. März 2022 verwiesen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 9. Dezember 2021 (5 O 118/21) dahingehend abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird, 40.731,02 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. Juni 2019 sowie vorgerichtliche Nebenkosten in Höhe von 865,37 € an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Zwar habe die Beklagte auf die Nutzung des Grundstücks im Allgemeinen einen mitbestimmenden Einfluss ausgeübt, jedoch fehle es für einen zumindest mittelbaren Störungswillen ihrerseits an der Veranlassung der Beeinträchtigung oder Beherrschung der Gefahrenquelle durch ihre Person und an einer Vorteilziehung im Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis. Die Beklagte sei damit nicht als Störerin im Sinne des § 1004 BGB zu qualifizieren.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten und des weiteren Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf die Berufungserwiderung vom 11. Mai 2022 verwiesen.

II.

Die zulässige, so insbesondere fristgerecht eingelegte und fristgerecht begründete Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog aus gemäß § 86 Abs. 1 VVG übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin H1 L1 als allein in Betracht kommender Anspruchsgrundlage. Einer analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB steht vorliegend zwar nicht die Subsidiarität des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs entgegen (dazu unten 1.). Die Beklagte ist jedoch nicht als Störerin im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB zu qualifizieren, was Voraussetzung eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist (dazu unten 2.).

1. Einer analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB steht vorliegend nicht die Subsidiarität des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs entgegen.

§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB begründet seiner Konzeption nach einen eigenständigen Anspruch. Der Anspruch steht mit anderen Ansprüchen, die sich aus der Beeinträchtigung eines Grundstücks ergeben können, in Anspruchskonkurrenz. Anders liegt es bei dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch, den der Bundesgerichtshof in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB unter Übertragung von dessen Wertungen auf andere Fallkonstellationen entwickelt hat. Dieser Anspruch dient der Ausfüllung von Lücken in den bestehenden Abwehrrechten und ist deshalb subsidiär. Das schließt eine Anwendung grundsätzlich aus, soweit eine andere in sich geschlossene Regelung besteht (BGH, Urteil vom 19. September 2008 – V ZR 28/08, BGHZ 178, 90 Rn. 21 ff). Das ist jedoch hinsichtlich der allgemeinen deliktsrechtlichen Bestimmungen der §§ 823 ff. BGB nicht der Fall (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2013 – V ZR 230/12, BGHZ 198, 327 Rn. 5).

2. Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog scheidet aus, weil die Beklagte nicht als Störerin im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist.

Ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß § 1004 Abs. 1, § 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen. Über den Wortlaut des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hinaus erfasst werden auch Störungen durch sogenannte Grobimmissionen wie etwa Wasser (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2013 – V ZR 230/12, BGHZ 198, 327 Rn. 7 m.w.N.). Ein solcher Anspruch kommt auch dann in Betracht, wenn die Nutzung von Sondereigentum durch rechtswidrige Einwirkungen beeinträchtigt wird, die von anderem Sondereigentum ausgehen (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2013 – V ZR 230/12, BGHZ 198, 327 Rn. 9 ff.; Urteil vom 18. Dezember 2020 – V ZR 193/19, NJW-RR 2021, 610 Rn. 8; Grüneberg/Herrler, 82. Aufl. 2023, § 906 BGB Rn. 4; Grüneberg/Wicke, 82. Aufl. 2023, § 13 WEG Rn. 4).

a.) Unstreitig ist es auf Grund des Brandes und der Löscharbeiten im Reihenmittelhaus der Beklagten zum Eintritt von Ruß und Löschwasser in das Reihenendhaus der Eheleute L1 und in Folge dessen zur Beschädigung von Hausrat gekommen. Die Eheleute L1 hatten, der Natur eines Brandereignisses geschuldet, keine tatsächliche Möglichkeit, diese Einwirkungen durch die Geltendmachung von Abwehransprüchen gemäß § 1004 Abs. 1, § 862 Abs. 1 BGB zu verhindern. Die Beschädigungen am Hausrat übersteigen auch das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Einwirkung. Schließlich beruhen die Beeinträchtigungen auch auf einer privatwirtschaftlichen Nutzung des Sondereigentums der Beklagten.

b.) Weitere Voraussetzung eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist jedoch, dass der Anspruchsgegner als Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist.

Die Störereigenschaft folgt nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, hier dem Sondereigentum, von dem die Einwirkung ausgeht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine „Sicherungspflicht“, also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt. Es kommt darauf an, ob der Grundstückseigentümer oder -besitzer nach wertender Betrachtung für den gefahrenträchtigen Zustand seines Grundstücks verantwortlich ist, er also zurechenbar den störenden Zustand herbeigeführt hat. Eines konkreten Anlasses für ein vorbeugendes Tätigwerden bedarf es insoweit nicht. Wesentliche Zurechnungskriterien sind dabei unter anderem die Veranlassung, die Gefahrenbeherrschung oder die Vorteilziehung (BGH, Urteil vom 9. Februar 2018 – V ZR 311/16, NJW 2018, 1542 Rn. 6 ff. m.w.N.). Diese müssen indessen nicht zwingend alle vorliegen.

Dieses zu Grunde gelegt, ist die Beklagte nicht Störerin im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB. Es liegen keine Sachgründe vor, der Beklagten als Sondereigentümerin die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen.

aa.) Der Annahme einer Verantwortlichkeit der Beklagten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht zwar nicht notwendig entgegen, dass die Beeinträchtigung der Eheleute L1 auf die Handlung eines Dritten, nämlich des Sohnes der Beklagten, als unmittelbarem Handlungsstörer zurückzuführen ist. Mittelbarer Handlungsstörer ist auch derjenige, der die Beeinträchtigung des Nachbarn durch einen anderen in adäquater Weise durch seine Willensbetätigung verursacht. Ein adäquater Zusammenhang besteht dann, wenn eine Tatsache im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2018 – V ZR 311/16, NJW 2018, 1542 Rn. 12; Urteil vom 7. April 2000 – V ZR 39/99, BGHZ 144, 200 Rn. 10).

Ein solcher Fall der mittelbaren Handlungsstörerschaft liegt, wie von der Klägerin angeführt, etwa vor, wenn ein Grundstückseigentümer einen Handwerker mit Dachreparaturen beauftragt, in deren Zuge es zu einem Brandereignis kommt (BGH, Urteil vom 9. Februar 2018 – V ZR 311/16, a.a.O.). Gleiches gilt im Hinblick auf Störungen der Nachbarschaft durch die Drogenszene für den Betreiber eines Drogenhilfezentrums und seinen Vermieter, der das Grundstück zu diesem Zwecke vermietet (BGH, Urteil vom 7. April 2000 – V ZR 39/99, a.a.O.).

bb.) Dem ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Die Beklagte hat den störenden Zustand nicht zurechenbar herbeigeführt. Als Willensbetätigung der Beklagten kommt allein in Betracht, dass sie ihrem Sohn in ihrem Haus ein Zimmer zu Wohnzwecken zur Verfügung gestellt hat. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung hat sie damit keinen gefahrenträchtig(er)en Zustand ihres Grundstücks herbeigeführt.

In den vorzitierten vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen wurde im Falle der Dachsanierung durch die Beauftragung des Dachdeckers mit gefahrgeneigten Arbeiten durch die Eigentümer eine neue, vom Grundstück ausgehende Gefahr geschaffen. Im Falle des Drogenzentrums wurde durch die Vermietung zum Betrieb eines Drogenzentrums bzw. dessen Betrieb die Nutzung des Grundstücks neu bestimmt und so eine „Gefahr“ geschaffen. In beiden Fällen hatten die Willensbetätigungen der Eigentümer bzw. des Mieters mithin einen Grundstücksbezug.

Dies ist bei der Überlassung eines Zimmers an ein weiteres Familienmitglied zu (unveränderten) Wohnzwecken nicht der Fall, soweit dieses, wie hier nicht, nicht bereits als in besonderem Maße unzuverlässig (vgl. den Drogenszenefall) oder gar pyromanisch veranlagt hervorgetreten ist. Der bloße Umstand, dass durch die Überlassung des Zimmers und die damit größere Zahl der Bewohner rein statistisch die Gefahr steigt, dass ein Mitbewohner durch unsachgemäße Handhabung elektrischer Geräte oder aber auch Feuer, Zigaretten etc. fahrlässig einen Brand verursacht, stellt keinen hinreichenden Grundstücksbezug dar. Dem von der Klägerin im Weiteren angeführten Umstand einer Vorteilsziehung im Sinne eines Wohnens in Gesellschaft bei gegenseitiger Hilfe fehlt gleichfalls der notwendige Grundstücksbezug.

cc.) Soweit die Klägerin geltend macht, dass dann, wenn der Sohn mangels Überlassung des Grundstücks zur selbstbestimmten Nutzung nicht Schuldner eines verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs sei, zur Meidung einer systemwidrigen Haftungslücke ein zwingender Sachgrund anzunehmen sei, der Klägerin die nachbarrechtliche Haftung als mittelbarer Störerin aufzuerlegen, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Dabei kann dahinstehen, ob das Grundstück dem Sohn zur selbstbestimmten (Mit-)Nutzung überlassen wurde oder nicht.

Im Ausgangspunkt zutreffend ist, dass der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB der Ausfüllung von Lücken in bestehenden Abwehrrechten des beeinträchtigten Grundstücksnachbars dient. Auf die Ausführungen zu Ziffer 1. wird verwiesen.

Dies bedeutet indessen nicht, dass stets entweder der von einem Grundstück aus handelnde Störer oder aber der Grundstückseigentümer Schuldner eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches sein muss. Auf Fälle schadensstiftender Handlungen von Einbrechern etc. sei hingewiesen. Wie vorstehend dargestellt, knüpft die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Haftung des Grundstückseigentümers als mittelbarer Störer für das Verhalten Dritter positiv daran an, dass er zurechenbar den störenden Zustand des Grundstücks herbeigeführt hat. Dann aber kann allein daran, dass kein anderer (Mieter etc.) Schuldner eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs ist, eine nachbarrechtliche Haftung nicht angeknüpft werden.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die sich rechtlich im Rahmen der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung bewegt.

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