AG Meppen – Az.: 3 C 279/16 – Urteil vom 17.04.2019
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 650,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.01.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die vorgerichtlichen gezahlten Anwaltsgebühren in Höhe von 147,56 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 07.05.2016 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 12 Prozent und die Beklagte 88 Prozent.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Haftpflichtversicherungsvertrag. Der Kläger ist Versicherungsnehmer bei der Beklagten.
Nach einem Schadensvorfall am 15.07.2015 meldete der Kläger der Beklagten den Schadensfall unter Beifügung eines Kostenvoranschlages. Die Beklagte wandte sich mit Schreiben vom 13.08.2015 direkt an die Geschädigte und wies ihr gegenüber die geltend gemachten Forderungen zurück.
Der Kläger behauptet, dass er an dem Schadenstag im Kassenbereich eines Supermarktes gegen die geschädigte Zeugin gestoßen sei. Dieser sei dadurch ihre Brille von der Nase gerutscht und zu Boden gefallen. Im weiteren Verlauf hätte der Kläger sein Gleichgewicht verloren, sich nicht rechtzeitig fangen können und sei auf die am Boden liegende Brille getreten. Die Brille sei dadurch beschädigt worden. Die Brillenfassung sei gänzlich zerstört, das Brillenglas zerbrochen. Er behauptet weiter, dass er nach der Weigerung der Beklagten, die in dem Kostenvoranschlag ausgewiesene Summe in Höhe von 753,50 € an die Geschädigte gezahlt habe.
Er ist der Auffassung, dass ihm die Beklagte diese Schadenssumme aufgrund des im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bestehenden Versicherungsvertrages zu ersetzen habe.
Der Kläger meint zudem, ihm stehe ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu. Hinsichtlich seiner Aktivlegitimation behauptet er, dass seine Rechtsschutzversicherung ihm eine Befugnis zur Geltendmachung der Ansprüche erteilt habe.
Der Kläger beantragte,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 753,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.01.2016 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtlich gezahlte Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07.05.2016 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, ein Anspruch auf Schadensersatz bestünde weder dem Grunde, noch der Höhe nach.
Außerdem meinte die Beklagte, sie sei deshalb nicht zum Ersatz verpflichtet, da der Kläger vorliegend eine unberechtigte Zahlung als Versicherungsnehmer an eine geschädigte Dritte getätigt habe.
Hilfsweise ist die Beklagte der Ansicht, dass der geltend gemachte Schaden nicht in der geforderten Höhe ersatzfähig sei. Der Zeitwert der Brille im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Schadensereignisses beliefe sich auf nur 34,88 €. Der Anspruch auf Ersatz der 34,88 € sei durch Erfüllung erloschen.
Hilfsweise behauptet die Beklagte, dass sich bei der geschädigten Zeugin eine Sehschärfenveränderung von mehr als 0,5 Dioptrien ergeben habe, sodass die angeblich beschädigten Gläser schadensunabhängig hätten ausgetauscht werden müssen. Der zu ersetzende Schaden berechne sich nach einer Ersatzbeschaffung für eine beschädigte Brille, wobei bei der Berechnung ein Abzug „neu für alt“ vorgenommen werden müsse.
Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten meint die Beklagte, dass es an einem Verzug, im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsbeistandes, gemangelt habe. Desweitern fehle dem Kläger an der Aktivlegitimation, da der Anspruch gem. § 86 VVG übergegangen sei.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin pp., durch den ersuchten Richter pp., in nichtöffentlicher Sitzung des AG Bruchsal am 20.03.2018. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Sitzungsprotokoll (Blatt 138-139 Band I der Akte). Das Gericht hat zudem Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses dessen wird auf das Sachverständigengutachten vom 24.10.2018 (Blatt 192-196 Band I der Akte), sowie das Sitzungsprotokoll 27.03.2019 (Blatt 7-9 Band II der Akte) verwiesen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie die erteilten Hinweise verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus Haftpflichtversicherungsvertrag in Höhe von 650,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über Basiszinssatz ab 06.01.2016, sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147, 56 EUR nebst Zinsen seit dem 07.05.2016 zu.
Die Ersatzpflicht der Beklagten ergibt sich aus §§ 100, 106 S. 2 VVG i.V.m. dem Haftpflichtversicherungsvertrag. Gem. § 100 VVG wird die Leistungsverpflichtung des Versicherers durch eine während der Versicherungszeit eingetretene Tatsache, den Versicherungsfall, begründet. Der Versicherungsnehmer muss für die Tatsachen, aufgrund derer der Dritte einen Anspruch gegen den Versicherungsnehmer hat, verantwortlich sein. Nach § 106 S. 2 VVG kann der Versicherungsnehmer nur dann Zahlung an sich verlangen, wenn er selbst den Haftpflichtgläubiger mit bindender Wirkung für den Versicherer befriedigt hat.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung der geschädigten Zeugin ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass eine Haftung der Versicherungsgeberin dem Grunde nach besteht. Das Verhalten des Klägers war kausal für den an ihrer Brille eingetreten Schaden. Nach Aussage der geschädigten Zeugin ist der Kläger gegen sie gestoßen, woraufhin die von ihr getragene Brille zu Boden gefallen ist. Der Kläger der aufgrund des Stoßes das Gleichgewicht verloren hat, ist sodann auf die am Boden liegende Brille getreten.
Die Haftung der Höhe nach beläuft sich auf die von dem Kläger an die geschädigte Zeugin ausgezahlten 650,00 EUR.
Die Höhe des Schadensersatzanspruchs kann, anders als von der Beklagten vorgetragen, nicht anhand des von ihr in Auftrag gegebenen Privatgutachtens, berechnet werden. Der Privatgutachter geht insoweit unzutreffend von einem Zeitwert von 34,88 EUR aus. Dieser Wert wird, nach Aussage des gerichtlich bestellten Sachverständigen, anhand von Parametern berechnet, welche auf Wiederbeschaffungsrhythmen abstellen. Nach Aussage des Sachverständigen gibt es für die Nutzung von Brillen jedoch keine einheitlichen, zugrunde zu legende, Wiederbeschaffungszeiträume. Die Wiederbeschaffung sei vielmehr von dem jeweiligen Brillenträger abhängig. Das Gericht macht sich die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen insgesamt unter eigener kritischer Würdigung ausdrücklich zu eigen.
Auch der Einwand des Abzuges „neu für alt“ kann von der Beklagten vorliegend nicht geführt werden. Die Geschädigte ist durch die aufgezwungene Ersatzbeschaffung einer Brille nicht bessergestellt worden. Die von ihr ersatzweise angeschaffte Brille hat für sie keinen gesteigerten Gebrauchswert. Zwar handelt es sich bei Brillen um Gebrauchsgegenstände, die der Abnutzung unterliegen und deshalb nicht für eine lebenslange Nutzungsdauer bestimmt sind. Der Grundsatz, dass ein durch die Schädigungshandlung adäquat kausal verursachter Vorteil anzurechnen ist, gilt allerdings nicht ausnahmslos. Entscheidend ist vielmehr, ob der Abzug „neu für alt“ dem Geschädigten unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zumutbar ist. Grundsätzlich soll der Schadensersatz dem Geschädigten vollen Ausgleich verschaffen, ihn aber auch nicht bereichern. Ein Abzug „neu für alt“ kann unter Umständen dann ausgeschlossen sein, wenn der Geschädigte wirtschaftlich nicht in der Lage ist, die Mehrkosten der Neubeschaffung zu tragen oder es aus medizinischen oder sonstigen wichtigen Gründen sofortigen Ersatzes der beschädigten Sache bedarf. Das heißt, dass ihm hinsichtlich der Frage des Obs und des Zeitpunktes der Neuanschaffung keine Dispositionsfreiheit bleibt. In diesen Fällen wird ein Abzug „neu für alt“ nur dann anzunehmen sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Gebrauchswert der alten Brille gerade für den Geschädigten schon im Zeitpunkt des Schadensfalls reduziert war, wie etwa durch nutzungsbedingte Vorschäden oder eine Sehstärkenveränderung. Von einer solchen Verschlechterung der Nutzung, die eine Neuanschaffung im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses erforderlich gemacht hätten, ist nach der Durchführung der Beweisaufnahme gerade nicht auszugehen. Die Geschädigte selbst gibt in ihrer Zeugenvernehmung an, dass sie mit der alten Brille viel besser hat sehen können, als mit der neuen Ersatzbrille. Sie sei durch die neue Brille in keiner Weise bessergestellt, sie hätte ihr Leben vielmehr auf die neue Brille ausrichten müssen. Das gerichtlich beauftragte Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Glasstärkenunterschiede zwischen den Werten im Kostenvoranschlag und der streitgegenständlichen Brille nicht erkennbar sind. Vielmehr würde es sich bei der Aussage, dass eine Glasstärkenänderung von einer Dioptrie eine Verbesserung der Sehleistung von 25 % ausmache, um eine pauschale Annahme handeln. Zusammengenommen ist also davon auszugehen, dass die Nutzungsmöglichkeit der neuen Brille die Geschädigte nicht bereichert haben. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die neu angeschaffte Brille deutlich günstiger war, als die Beschädigte. Die alte Brille hatte, nach Aussage der geschädigten Zeugin, einen Anschaffungswert in Höhe von 1.000 €, während die neue Brille 753,50 € kostete. Die neue Brille war demnach rund 25 % günstiger als die alte. Von dem Erwerbspreis in Höhe von 753,50 € hat die Geschädigte selbst einen Betrag in Höhe von 100,00 € gezahlt. Während der Kläger 650,00 € an die geschädigte Zeugin gezahlt hatte. Diese Angaben zugrunde gelegt wurde in der Zahlung in Höhe von 650,00 € an die Geschädigte schon ein Abzug in Höhe von rund 35 % im Vergleich zum Erwerbspreis der alten Brille vorgenommen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist ein weiterer Abzug unangemessen.
Der Anspruch auf Verzugszinsen ergibt sich aus § 288 BGB. Der Klägerbevollmächtigte forderte die Beklagte letztmalig zur Zahlung bis zum 05.01.2016 auf. Mit Verstreichen dieser Zahlungsfrist besteht ein Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von 5 % Punkten über Basiszinssatz gem. § 288 Abs. 1 BGB.
Ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB. Danach sind dem Kläger die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten dann zu erstatten, wenn sie nach Eintritt des Verzuges aus Sicht des Forderungsgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Der Kläger hat dargelegt, dass er vor Einschaltung des Prozessbevollmächtigten zunächst selbst gegen die Beklagte vorgegangen ist. Dieser Vortrag wird durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.06.2016 zugestanden. Erst nachdem diese die Deckung gegenüber der Geschädigten verweigert hat, hat er sich zur Durchsetzung seiner Rechte an den Prozessbevollmächtigten gewandt. Die Beklagte befand sich nach mehrmaliger Korrespondenz mit dem Kläger in Zahlungsverzug. Der Geltendmachung des Ersatzanspruches fehlt es auch nicht an der Aktivlegitimation. Die Rechtsschutzversicherung hat mit Schreiben vom 11.01.2016 dem Kläger die Geltendmachung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Klageverfahren im eigenen Namen gestattet. Der Kläger hat ausweislich der eingereichten Überweisung vom 19.01.2016 die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € gezahlt. Der Anspruch auf Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit ergibt sich aus § 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, § 711 ZPO auf Beklagtenseite und § 709 S. 1 ZPO auf Klägerseite.