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Dachsanierung – weiterer Tatsachenvortrag in Berufung durch Privatgutachten

BUNDESGERICHTSHOF

Az.: VII ZR 279/05

Beschluss vom 21.12.2006

Vorinstanzen:

LG Stuttgart, Az.: 9 O 457/04, Entscheidung vom 27.04.2005

OLG Stuttgart, Az.: 3 U 113/05, Entscheidung vom 16.11.2005


Leitsätze:

a) Wird ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weiteren Tatsachenvortrag, etwa unter Vorlage eines Privatgutachtens, zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert, stellt dies kein neues Vorbringen im Sinne der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO dar.

b) Auch im Bauprozess ist eine Partei nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten unter Beifügung eines Privatgutachtens oder gestützt auf sachverständigen Rat vorzubringen.


In dem Rechtsstreit hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am 21. Dezember 2006 beschlossen:

Der Beschwerde des Beklagten wird stattgegeben.

Das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. November 2005 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 100.000 €

Gründe:

I.

Die Klägerinnen verlangen Schadensersatz wegen Mängeln einer vom Beklagten geplanten Dachsanierung.

Sie beauftragten den Beklagten im Jahr 2001 damit, einen Vorschlag für die Dachsanierung eines Industriegebäudes mit fünf sog. Sheddächern und einer weiteren geneigten Dachfläche zu erarbeiten. Auf der Grundlage des vom Beklagten erstellten Leistungsverzeichnisses wurde die Fa. M. mit der Sanierung beauftragt. Noch während der Ausführung der Arbeiten bildeten sich an den Dachbahnen Falten und Risse. Auf sämtlichen Dachflächen rutschten die Bitumenbahnen ab. Nachdem die Klägerinnen die Fa. M. erfolglos zur Beseitigung der Mängel aufgefordert hatten, beantragten sie gegen diese ein selbständiges Beweisverfahren. Der gerichtliche Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die vom Beklagten ausgeschriebenen Materialien angesichts der vorhandenen Dachneigung nicht geeignet seien. Nach Erstellung des Gutachtens erweiterten die Klägerinnen das selbständige Beweisverfahren auf den Beklagten. Mit der Klage machen sie einen Teilbetrag der geschätzten Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 100.000 € geltend.

Das Landgericht hat den Beklagten nach mündlicher Anhörung des im selbständigen Beweisverfahren beauftragten Sachverständigen im beantragten Umfang zum Schadensersatz verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es liege ein vom Beklagten zu vertretender Planungsfehler in Form eines Ausschreibungsfehlers vor, weil die Dachsanierung mit den vom Beklagten ausgeschriebenen Materialien handwerklich nicht fachgerecht zu erbringen gewesen sei.

Mit der Berufung hat der Beklagte, gestützt auf ein nach Urteilserlass eingeholtes Privatgutachten, weitere Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten erhoben. Das Berufungsgericht hat diese als verspätet angesehen und die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Das Berufungsgericht führt aus, der Beklagte sei gemäß §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO mit Einwendungen ausgeschlossen, die auf dem Ergebnis des Privatgutachtens beruhten. Der Beklagte habe Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten bereits in erster Instanz vorbringen müssen. Er sei im selbständigen Beweisverfahren und im Rahmen der ergänzenden Anhörung des Sachverständigen vor dem Landgericht zum Sachverständigengutachten gehört worden, ohne Einwendungen vorzubringen. Er habe keine Gründe vorgebracht, weshalb die Überprüfung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens durch einen Privatgutachter während des Laufs des erstinstanzlichen Verfahrens nicht möglich gewesen sei.

III.

Das Berufungsgericht hat verfahrensfehlerhaft angenommen, der Beklagte sei mit Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten in der Berufungsinstanz gemäß §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen, die auf dem nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils eingeholten Privatgutachten beruhen. Damit hat es zugleich in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

1.

Die vom Beklagten in der Berufungsinstanz unter Hinweis auf das nachträglich eingeholte Privatgutachten erhobenen Einwendungen sind nicht als neues Angriffsmittel im Sinne der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO zu bewerten. Um neues Vorbringen handelt es sich, wenn dieses sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert und erstmals substantiiert, nicht jedoch, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (BGH, Urteile vom 18. Oktober 2005 – VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 333, vom 8. Juni 2004 – VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 251 und vom 26. Juni 2003 – VII ZR 281/02, BauR 2003, 1559 = ZfBR 2003, 686 = NZBau 2003, 560 m.w.N.).

Der Beklagte hat in der Berufungsinstanz gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten keine in diesem Sinne neuen Einwendungen erhoben, sondern sein erstinstanzliches Vorbringen lediglich ergänzt und erläutert. Er hat in erster Instanz beanstandet, dass die gelieferte Klappbahn nicht den Vorgaben der Ausschreibung entspreche und die aufgetretenen Mängel auf Verarbeitungsfehler der mit der Ausführung der Arbeiten beauftragten Firma M. zurückzuführen seien. In der Berufungsinstanz hat er unter Bezugnahme auf die Ausführungen des von ihm beauftragten Privatgutachters die Art der Verarbeitungsfehler im Einzelnen dargelegt sowie die Umstände bezeichnet, die die Annahme nahe legen, dass für die Sanierung fehlerhaftes und nicht dem Leistungsverzeichnis entsprechendes Material verwendet worden ist.

2.

Im Übrigen durfte das Berufungsgericht die vorgebrachten Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten schon deshalb nicht als verspätet zurückweisen, weil dem Beklagten keine Nachlässigkeit zur Last fällt (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).

Eine Partei ist nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten unter Beifügung eines Privatgutachtens oder gestützt auf sachverständigen Rat vorzubringen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2005 – VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 335; vom 8. Juni 2004 – VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 253 und vom 19. Februar 2003 – IV ZR 321/02, NJW 2003, 1400). Dieser Grundsatz findet außer bei medizinischen Fachfragen auch bei Fallgestaltungen Anwendung, in denen ein Erfolg versprechender Parteivortrag fachspezifische Fragen betrifft und besondere Sachkunde erfordert (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 aaO.). Der Beklagte war danach nicht gehalten, gehalten, zur Erhebung fachlich fundierter Einwendungen bereits in erster Instanz einen privaten Sachverständigen zu beauftragen. Die Ermittlung der Umstände, die für den Mangel ursächlich gewesen sind, erfordert besonderes Fachwissen, das sich eine Partei in der Regel nur durch Hinzuziehung eines Sachverständigen verschaffen kann. Eine Partei ist auch dann nicht gehindert, sich zur Ergänzung ihres Sachvortrags eines anerkannten Sachverständigen zu bedienen, wenn sie selbst über Fachkenntnisse verfügt.

3.

Der in der unzulässigen Zurückweisung des Vorbringens liegende Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat sich mit den auf das Privatgutachten gestützten Einwendungen des Beklagten nicht auseinandergesetzt. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es anders entschieden hätte, wenn es die vom Beklagten in der Berufungsinstanz erhobenen Einwendungen berücksichtigt hätte.

 

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