Versteckte Vertragsverlängerungsklausel: Ungültigkeit
Im Kontext der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und Dauerschuldverhältnissen hat sich kürzlich ein bemerkenswerter Fall im Zivilrecht ergeben. Es geht um einen Nutzungsvertrag mit einer überraschenden Vertragsverlängerungsklausel. Das Urteil wirft interessante Fragen über das Ausmaß der Verantwortung und Sorgfalt auf, die von den Vertragsparteien in Bezug auf die AGB erwartet wird.
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Übersicht:
Der Fall: Vertragsverlängerungsklausel versteckt in den Allgemeinen Nutzungsbedingungen
Im Fokus steht eine Vertragsverlängerungsklausel, die in den Allgemeinen Nutzungsbedingungen eines Nutzungsvertrages versteckt war. Dieser Nutzungsvertrag war so gestaltet, dass er sich automatisch um ein Jahr verlängerte, wenn er nicht mindestens drei Monate vor Ablauf von einem Vertragspartner gekündigt wurde. Die Klägerin behauptete, dass sie das Recht hat, diese Klausel in Anspruch zu nehmen.
Die Problematik: Überraschungseffekt und die Erwartungshaltung der Vertragspartner
Gemäß § 305c Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) werden Bestimmungen in den AGB, die so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner damit nicht zu rechnen braucht, nicht als Teil des Vertrags angesehen. Dieser Passus spielt eine Schlüsselrolle in der Argumentation des Beklagten, da die streitige Verlängerungsklausel in den Allgemeinen Nutzungsbedingungen verborgen und nicht deutlich gekennzeichnet war.
Das Urteil: Ungültigkeit der Vertragsverlängerungsklausel
Das Gericht hielt fest, dass der Beklagte aufgrund der festgelegten Nutzungsdauer im Vertrag nicht davon ausgehen musste, dass sich durch die allgemein einbezogenen Nutzungsbedingungen eine entgegengesetzte Regelung ergeben würde. Es wäre für die Klägerin einfacher gewesen, den Kunden direkt nach der vereinbarten Nutzungszeit auf eine mögliche Verlängerung des Vertragsverhältnisses durch einen ausdrücklichen Zusatz hinzuweisen. Somit war die Verlängerungsklausel aufgrund ihrer versteckten Position und fehlenden Transparenz überraschend und daher nicht Bestandteil des Vertrages.
Die Konsequenzen: Mehr Sorgfalt bei der Vertragsgestaltung
Dieses Urteil betont die Notwendigkeit für eine sorgfältige und transparente Vertragsgestaltung. Versteckte Klauseln in den AGB, die das Vertragsverhältnis erheblich verändern können, sind überraschend und damit unwirksam. Diese Entscheidung ist ein starkes Signal an Unternehmen, ihre AGB klar und verständlich zu gestalten und den Kunden nicht durch unklare oder überraschende Klauseln zu benachteiligen.
Dieses Urteil hat weitreichende Konsequenzen für das Vertragsrecht und die Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und zeigt, dass das Prinzip der Fairness und Transparenz in der Rechtsprechung eine zentrale Rolle spielt. […]
Das vorliegende Urteil
LG Landshut – Az.: 53 O 4061/19 – Urteil vom 16.10.2020
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 7.400,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Mit der Klage macht die Klägerin eine Nutzungsgebühr aus einem Vertrag über den Erwerb eines Nutzungsrechtes (nachfolgend „Nutzungsvertrag“) für den – geltend.
Der Beklagte schloss im Juli 2013 mit der damaligen Betreibergesellschaft, -, einen Nutzungsvertrag für den -. Im verwendeten Vertragsformular wurde als Beginn der Nutzungszeit der 01.07.2013 und als Ende der Nutzungszeit der 31.12.2015 vereinbart. Hierbei waren die beiden Zeitpunkte fett mit größerer Schrift hervorgehoben (Anlagen B2/K9). In der übernächsten Zeile folgte ein grau eingefärbtes Textfeld, wonach der Antragsteller bestätigte, dass er
„a) den Inhalt und die Bedingungen dieses Antrages/Vertrages […] gelesen und verstanden habe und […] diese uneingeschränkt […] akzeptiere;
b) für den Fall der Annahme dieses Antrages […] die rückseitigen Nutzungsbedingen sowie alle weiteren Bestimmungen einzuhalten und zu beachten habe […].“
§ 8 Satz 1 der auf der nächsten Seite des Vertragsformulars in kleinerer Schriftgröße als die vorgenannten Bedingungen abgedruckten „Allgemeinen Nutzungsbedingungen“ war mit der Überschrift „Beendigung des Nutzungsvertrages“ versehen und lautete wie folgt:
„Der Nutzungsvertrag endet nach Ablauf der Zeit, für die er eingegangen wurde.“
§ 8 Satz 7 war im selben Abschnitt geregelt und wie folgt formuliert:
„Der Nutzungsvertrag verlängert sich jeweils um ein Jahr mit den jeweils gültigen Bedingungen des Nutzungsrechts für ein Jahr, wenn er nicht von einem Vertragsteil mindestens drei Monate vor Ablauf gekündigt wird und, wenn der Verlängerung durch die SGF nicht widersprochen wird.“
Die Klägerin behauptet, sie sei aktivlegitimiert. Die – sei am 17.05.2018 in – – umbenannt worden. Als Nutzungsgebühr sei ein Betrag in Höhe von EUR 1.850,00 vereinbart worden, so dass sich für die Jahre 2016 bis 2019 ein offener Betrag von insgesamt EUR 7.400,00 ergebe.
Die Klägerin beantragt:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag über 7.400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 11.10.2019 zu zahlen.
II. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 612,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 04.12.2019 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt: Klageabweisung.
Der Beklagte behauptet, mit ihm sei kein jährliches Nutzungsentgelt i.H.v. EUR 1.850,– vereinbart worden. Vereinbart worden seien vielmehr ein einmaliger Investitionskostenbeitrag i.H.v. EUR 2.307,–, eine Jahresnutzungsgebühr für das nicht vollständige erste Vertragsjahr i.H.v. EUR 545,– (01.07.2013 – 31.12.2013) sowie eine Jahresnutzungsgebühr i.H.v. EUR 908,–. Er meint, die in § 8 Satz 7 verwendete Verlängerungsklausel sei als AGB unwirksam. Zum einen sei diese im Gesamtzusammenhang des § 8 intransparent gestaltet. Zum anderen benachteilige sie den Beklagten als Verwendungsgegner unangemessen. Zur Abwehr der Verlängerung werde hier ein Kündigungserfordernis kumuliert mit einem Widerspruchsrecht, das aber einseitig lediglich der Betreibergesellschaft zustehen soll.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.09.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin kann keinen Zahlungsanspruch aus dem vom Beklagten geschlossenen Vertrag herleiten.
1. Der im Jahr 2018 umfirmierten Klägerin (Anlage K8) steht gegen den Beklagten aus dem Nutzungsvertrag kein Anspruch auf Zahlung zu. Das zwischen der Klägerin und dem Beklagten im Juli 2013 geschlossene Vertragsverhältnis endete mit Ablauf der vereinbarten Nutzungszeit am 31.12.2015.
2. Entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin hat sich das Vertragsverhältnis nicht nach § 8 Satz 7 der Allgemeinen Nutzungsbedingungen verlängert, da diese Vertragsverlängerungsklausel gemäß § 305c Abs. 1 BGB als überraschende Bestimmung i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB einzustufen ist und als solche nicht Vertragsbestandteil werden konnte.
a. Die Allgemeinen Nutzungsbedingungen wurden unstreitig als Allgemeine Geschäftsbedingungen der Klägerin bei Vertragsschluss in die Nutzungsvereinbarung miteinbezogen, § 305 BGB.
b. Nach § 305c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. § 305c Abs. 1 beruht nach Basedow (MüKoBGB/Basedow, 8. Aufl. 2019, BGB § 305c Rn. 1) „auf der Überlegung, dass der Kunde die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der AGB, die ihm gemäß § 305 Abs. 2 verschafft werden muss, oft nicht ausnutzt oder nicht ausnutzen kann, sei es, weil er das Klauselwerk als ganzes ungelesen akzeptiert, sei es auch, weil er es zwar liest, aber nicht über die Rechts- und Geschäftskunde verfügt, derer er bedarf, um zu erkennen, wie „überraschend“ sich eine Klausel in bestimmten Fallkonstellationen auswirken kann. § 305c Abs. 1 zielt daher auf Vertrauensschutz ab: Der Kunde soll in jedem Falle, er mag die AGB gelesen haben oder nicht, darauf vertrauen dürfen, dass sich die einzelnen Regelungen im Großen und Ganzen im Rahmen dessen halten, was nach den Umständen bei Abschluss des Vertrages erwartet werden kann“.
c. Auch wenn bei Dauerschuldverhältnissen Verlängerungsklauseln alles andere als ungewöhnlich sind, kann hierbei der Überraschungseffekt aufgrund der konkreten Umstände des Vertragsabschlusses und der äußeren Gestaltung des Formulars eintreten (Müller/Schmitt: Verlängerungsklauseln in der AGB-Kontrolle, NJW 2017, 1991, beck-online).
i. Nach den auf Seite 2 des Nutzungsvertrages drucktechnisch klar und eindeutig erkennbaren Angaben fiel das Ende der Nutzungszeit auf den 31.12.2015. Dies war zumindest für einen Kunden von durchschnittlicher Geschäftserfahrung aus dem äußeren Erscheinungsbild des verwendeten Vertragsformulars so ersichtlich. Nach dem Inhalt der streitigen Verlängerungsklausel in § 8 Satz 7 der Allgemeinen Nutzungsbedingungen verlängerte sich indessen der Nutzungsvertrag jeweils um ein Jahr mit den jeweils gültigen Bedingungen des Nutzungsrechts für ein Jahr.
Diese vertragliche Regelung widerspricht nach Auffassung des Einzelrichters dem Transparenzgebot. Der Beklagte musste bei der auf Seite 2 des Nutzungsvertrages eindeutig festgelegten Nutzungsdauer nicht davon ausgehen, dass sich über die allgemein einbezogenen Nutzungsbedingungen eine entgegengesetzte Regelung ergibt. Es wäre vielmehr für die Klägerin ein Leichtes gewesen, im unmittelbaren Anschluss an die vereinbarte Nutzungszeit den Kunden auf eine Verlängerung des Vertragsverhältnisses nach den rückseitigen Nutzungsbedingungen durch einen ausdrücklichen Zusatz in selber Schriftgröße hinzuweisen. Auf diese drucktechnische Gestaltung war in Ansehung des übrigen Schriftbildes des Vertrages und der Nutzungsbedingungen offenbar bewusst verzichtet worden. Der Beklagte muss sich daher die Regelung des § 8 Satz 7, die noch dazu im Abschnitt „Beendigung des Nutzungsvertrages“ am Ende des Fließtextes optisch völlig unauffällig und daher für einen durchschnittlichen Kunden leicht übersehbar formuliert worden war, nicht entgegenhalten lassen. Er konnte darauf vertrauen, dass sich die einzelnen Regelungen in den Nutzungsbedingungen im Rahmen dessen halten, was auf Seite 2 des Nutzungsvertrages grundlegend, so auch zur Nutzungsdauer, vereinbart worden war.
ii. Eine etwaige Unterzeichnung des Vertrages durch den Beklagten, der im Rahmen der mündlichen Verhandlung informatorisch angegeben hatte, keine Erinnerung mehr an das Vertragswerk und dessen Unterzeichnung zu haben, ändert daran nichts. Zwar war auf Seite 2 des Vertragsformulars die Bestätigung durch den Antragsteller enthalten, wonach der Inhalt und die Bedingungen des Antrages sowie für den Fall der Annahme dieses Antrages die rückseitigen Nutzungsbedingungen einzuhalten und beachtet werden sollte. Eine solche pauschale Bestätigung seitens eines Vertragspartners kann selbstredend nicht dazu führen, die im Streit stehende Verlängerungsklausel als Individualabrede i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB zu qualifizieren.
d. Vor dem Hintergrund eines Verstoßes gegen § 305c BGB kann die Frage offen bleiben, ob die Wirksamkeit von § 8 Satz 7 der Nutzungsbedingungen an der Inhaltskontrolle, mithin der Zahlungsanspruch der Klägerin auch an §§ 307 Abs. 1 S. 1, 306 Abs. 2 gescheitert wäre. Zwar lässt die darin gewählte Formulierung nur den Schluss zu, dass die Klägerin als Verwenderin mit dieser Widerspruchslösung versucht, durch einseitige Vertragsgestaltung eigene Interessen an einer Loslösung vom Vertrag auf Kosten ihres Vertragspartners durchzusetzen, ohne von vornherein dessen Interessen an Planungssicherheit und Vertragskomfort hinreichend zu berücksichtigen. Jedenfalls wäre aber die Konsequenz einer Unwirksamkeit dieser Klausel nach § 307 BGB nicht etwa ein Widerspruchsrecht zu Gunsten des Beklagten oder eine komplette Unwirksamkeit von § 8 Satz 7, sondern nach hiesiger Einschätzung – aufgrund der Teilbarkeit der Klausel – vielmehr eine nicht per se verbotene Reduktion auf § 8 Satz 7 Satz 1 Halbsatz 1.
3. Die Nebenforderung teilt das rechtliche Schicksal der unbegründeten Hauptforderung.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
III. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant
1. Vertragsrecht
Das Vertragsrecht, ein wichtiger Teil des Zivilrechts, ist in diesem Fall ein zentrales Rechtsgebiet. Es befasst sich mit der Entstehung, der Durchführung und der Beendigung von Verträgen. Insbesondere die Vertragsklauseln, wie in diesem Fall die Vertragsverlängerungsklausel und die Allgemeinen Nutzungsbedingungen, sind ein wesentlicher Bestandteil des Vertragsrechts. In diesem spezifischen Fall wurden die Allgemeinen Nutzungsbedingungen kritisiert, weil sie eine überraschende Vertragsverlängerungsklausel enthielten, die als unwirksam erachtet wurde.
2. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 305c Abs. 1
§ 305c Abs. 1 BGB ist eine entscheidende Rechtsnorm in diesem Kontext. Dieser Paragraph behandelt „Überraschende und mehrdeutige Klauseln“ in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Im vorliegenden Fall wurde die Vertragsverlängerungsklausel als „überraschend“ eingestuft, da sie nicht deutlich sichtbar war und der Vertragspartner nicht damit rechnen musste. Somit wurde die Klausel als nicht Teil des Vertrages betrachtet und die Anwendung dieses Paragraphen führte dazu, dass die Vertragsverlängerungsklausel als unwirksam erklärt wurde.
3. Allgemeines Geschäftsbedingungsrecht (AGB-Recht)
Das AGB-Recht regelt die Einbeziehung und den Inhalt von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Verträge. Es dient dem Schutz des Vertragspartners vor ungerechtfertigten Benachteiligungen durch vorformulierte Vertragsbedingungen. Im vorgelegten Fall spielte das AGB-Recht eine entscheidende Rolle, da die strittige Klausel in den Allgemeinen Nutzungsbedingungen enthalten war. Der Sachverhalt zeigte, dass überraschende Klauseln in den AGB, die eine erhebliche Änderung des Vertragsverhältnisses bewirken können, unwirksam sind.
4. Dauerschuldverhältnis
Das Dauerschuldverhältnis, als ein spezieller Vertragstyp im deutschen Recht, war ebenfalls ein wichtiger Faktor in diesem Fall. Ein Dauerschuldverhältnis, wie der hier betrachtete Nutzungsvertrag, ist ein fortlaufendes Vertragsverhältnis, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. In diesem speziellen Fall wurde die Klausel, die die automatische Verlängerung des Dauerschuldverhältnisses vorsieht, aufgrund ihrer Überraschungswirkung und mangelnden Transparenz als unwirksam erachtet.