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Verkehrssicherungspflichtverletzung – Fußgängerverkehr im Baustellenbereich

LG Itzehoe – Az.: 2 O 195/12 – Urteil vom 12.12.2012

1. Die Klage ist in den Klageanträgen zu 1), 2), 4) und 5) dem Grunde nach zu 70 % gerechtfertigt.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägerinnen 70 % der ihnen in Folge des Unfalls vom 05.02.2010 ihres Versicherten H. noch entstehenden übergangsfähigen Aufwendungen zu ersetzen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand

Verkehrssicherungspflichtverletzung - Fußgängerverkehr im Baustellenbereich
Symbolfoto: Von Taljat David /Shutterstock.com

Die Klägerinnen begehren von den Beklagten Schadensersatz sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige übergangsfähige Aufwendungen wegen eines Glatteisunfalls ihres Versicherten H. vom 05.02.2010.

Die Rechtsvorgängerinnen der Klägerinnen – die … Schleswig-Holstein als Rechtsvorgängerin der Klägerin zu 1), die Pflegekasse bei der … Schleswig-Holstein als Rechtsvorgängerin der Klägerin zu 2) – waren zum Zeitpunkt des Schadeneintritts am 05.02.2010 gesetzlicher Krankenversicherer bzw. gesetzlicher Pflegeversicherer des Geschädigten H..

Am 05.02.2010 beging H. in W. von seiner Wohnung in der L. kommend die Straße S. in Richtung F., um in der B. einen Termin wahrzunehmen. Es bestand allgemeine Schnee- und Eisglätte. Die Anlieger des S. hatten diesen ausreichend abgestreut. Letztmalig war am Vortag bis in die Nachmittagsstunden hinein zeit- und gebietsweise leichter Niederschlag gefallen. Gegen 15:00 Uhr traf Herr H. an der Einmündung S./F. ein.

Seit dem 14.09.2009 führte die Beklagte zu 1) im Auftrage der Beklagten zu 2) Tiefbauarbeiten in der F. durch. In diesem Zusammenhang wurde die F., deren Fahrbahnoberfläche gefräst war, halbseitig gesperrt und nur für den Anliegerverkehr freigegeben. Die Beklagte zu 2) erteilte der Beklagten zu 1) die verkehrsrechtliche Anordnung zur Absicherung der Baustelle nach dem Regelplan RSA B I/5, wonach dem Fußgängerverkehr ein zumindest 1 Meter breiter Gehweg zur Verfügung gestellt werden muss. Wegen der Einzelheiten der der Beklagten zu 1) erteilten verkehrsrechtlichen Anordnungen vom 11.09.2009 und 15.12.2009 wird auf die Anlagen A zur Klagschrift Bezug genommen.

Am 19.12.2009 wurde die Baustelle wegen der winterlichen Verhältnisse geschlossen und lag bis Mitte März 2010 still. Zu diesem Zeitpunkt war der Gehweg des Fe. links vom S. bereits gepflastert. Der Gehweg rechts vom S. aus gesehen war vollständig mit Stellgittern gesperrt. Der gegenüberliegende Bürgersteig in der F. war abgestreut und für Fußgänger begehbar.

Um in die B. zu gelangen, beabsichtigte Herr H. vom S. kommend die F., die nicht geräumt oder abgestreut war, zu überqueren, um auf den gegenüber gelegenen abgestreuten Bürgersteig zu gelangen. Wenige Schritte von diesem Bürgersteig entfernt stürzte Herr H. rücklings infolge einer unter dem Schnee verborgenen starken Eisglätte und schlug dabei mit dem Hinterkopf auf. Die zunächst einsetzenden Kopfschmerzen verstärkten sich am Folgetag und es traten erste Lähmungserscheinungen auf. Herr H. wurde stationär im Krankenhaus aufgenommen. Inzwischen ist er schwerbehindert mit Pflegestufe III und dauerhaft behandlungs- und pflegebedürftig.

Unstreitig ist der Weg von der Wohnung des Geschädigten über den K. bis zur B. 200 Meter länger als der gewählte Weg. Der Weg vom S. links die F. hinunter in Richtung G./V. bis zu der dort vorhandenen beampelten Fußgängerüberwegung ist ca. 160 m lang.

Der Sohn des Geschädigten, der Zeuge C. H., meldete den Sturz der Polizeidienststelle am 09.02.2010. Der Zeuge PM Le. erstellte hierzu einen Einsatzbericht, in dem es unter anderem heißt: In der F. befindet sich in dem betroffenen Abschnitt derzeit eine Baustelle. Diese betrifft den Abschnitt zwischen G. und R.. Die Straße ist dort nur halbseitig befahrbar. Weiterhin ist der Gehweg auf der Straßenseite S., in Richtung R. (weiter B.) ebenfalls gesperrt. Herr H. musste somit die Straße überqueren, um an sein Ziel zu gelangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berichts wird auf die Anlage G zum Schriftsatz vom 29.08.2012 Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten der streitgegenständlichen Örtlichkeiten wird auf folgende Fotos Bezug genommen: Blatt 24, 25 d. A. (vom Unfalltag), Blatt 106 d. A. (aufgenommen von dem Zeugen H. am 10.02.2010, Blatt 78, 79), Blatt 43 (aufgenommen durch den Zeugen Kr. am 11.02.2010 ), Anlagen D und E zum klägerischen Schriftsatz vom 29.08.2012 (aufgenommen durch Polizeibeamte nach dem 09.02.2010) und Blatt 96 d. A. (aufgenommen am Tag der Stilllegung der Baustelle, 19.12.2009).

Die Klägerinnen behaupten , unfallbedingt sei bei dem Geschädigten eine Pflegebedürftigkeit eingetreten. Die von den Klägerinnen erbrachten Aufwendungen seien kausal auf den erlittenen Unfall zurückzuführen.

Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Beklagte zu 1) hafte für die Unfallfolgen, weil sie es pflichtwidrig unterlassen habe, auf der zur B. führenden rechten Seite der F. einen Fußweg in mindestens einen Meter Breite einzurichten.

Die Klägerinnen meinen, es sei für den Geschädigten nicht zumutbar gewesen, den 200 m längeren Weg über den K. zur B. zu wählen. Für den 67jährigen Geschädigten sei vielmehr ein Umweg von insgesamt 400 m (Hin- und Rückweg) keine Alternative gewesen.

Der Fußweg auf der linken Seite der F. zur beampelten Fußgängerüberwegung sei nicht zugänglich gewesen, da er ebenfalls durch Sperrgitter und Materialien versperrt gewesen sei. Der Bereich der Fußgängerüberwegung sei zudem nicht geräumt und gestreut gewesen.

Die Klägerinnen meinen, eine Haftung der Beklagten zu 2) ergäbe sich daraus, dass sie die Einhaltung ihrer Vorgaben an die Beklagte zu 1), einen Fußweg von 1 m Breite zu gewährleisten, nicht überprüft habe und keine Sorge dafür getroffen habe, dass diese eingehalten werden. Damit sei sie ihrer Überwachungspflicht nicht nachgekommen. Zudem habe der Beklagten zu 2) als Baulastträger die Glättebeseitigung auf der F. oblegen.

Die Klägerinnen beantragen,

1. die Beklagten zu verurteilen, gesamtschuldnerisch an die Klägerin zu 1) 53.203,13 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 51.439,67 € seit dem 03.12.2011 sowie auf weitere 1.763,46 € seit dem 17.03.2012 zu zahlen,

2. die Beklagten zu verurteilen, gesamtschuldnerisch an die Klägerin zu 2) 19.830,33 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 17.745,33 € seit dem 03.12.2011 sowie auf weitere 2.085,00 € seit dem 17.03.2012 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, gesamtschuldnerisch an die Klägerinnen alle ihnen in Folge des Unfalles vom 05.02.2010 ihres Versicherten H. noch entstehenden übergangsfähigen Aufwendungen zu ersetzen,

4. die Beklagten zu verurteilen, gesamtschuldnerisch an die Klägerin zu 1) weitere 8.158, 72 € nebst Verzugszinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

5. die Beklagten zu verurteilen, gesamtschuldnerisch an die Klägerin zu 2) weitere 2.800,00 € nebst Verzugszinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, der Bürgersteig links auf Seiten des S. in Richtung G. sei für Fußgänger begehbar gewesen. Es habe dort keine Absperrung gegeben. Der Geschädigte hätte diesen Weg bis zur Fußgängerüberwegung benutzen können und die Straße dort überqueren können. Der Fußgängerüberweg sei auch geräumt und gestreut gewesen. Hierzu bezieht sich die Beklagte zu 2) auf einen Auszug aus dem Streubuch, wegen dessen Inhalt auf Blatt 85 d. A. Bezug genommen wird. Die Beklagten behaupten auch, der Weg über den K. sei für den Geschädigten eine sichere Alternative zu dem gewählten Weg gewesen.

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Die Beklagten meinen, dem Geschädigten H. sei ein ihre Haftung ausschließendes überwiegendes Eigenverschulden anzulasten.

Das Gericht hat am 25.10.2012 einen Ortstermin an der Unfallstelle in W. durchgeführt und Beweis durch uneidliche Vernehmung der Zeugen Le., M., H. H., C. H., Fr., So., Kr. und Br. erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25.10.2012 (Blatt 87 ff d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Parteivorträge wird auf folgende Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen: Klage vom 11.06.2012 (Blatt 1 ff d. A.), Schriftsatz vom 09.08.2012 (Blatt 19 ff d. A.), Schriftsatz vom 27.08.2012 (Blatt 28 ff d. A.), Schriftsatz vom 29.08.2012 (Blatt 48 ff d. A.), Schriftsatz vom 06.09.2012 (Blatt 58 d. A.), Schriftsatz vom 13.09.2012 (Blatt 65 ff d. A.), Schriftsatz vom 08.10.2012 (Blatt 74 ff d. A.), Schriftsatz vom 12.10.2012 (Blatt 80 ff d. A.), Schriftsatz vom 15.11.2012 (Blatt 98 ff d. A.), Schriftsatz vom 08.11.2012 (Blatt 103 ff d. A.), Schriftsatz vom 22.11.2012 (Blatt 109 ff d. A.) und Schriftsatz vom 26.11.2012 (Blatt 112 ff d. A.).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und dem Grunde nach zu 70 % gerechtfertigt.

Die von den Klägerinnen gegenüber der Beklagten zu 1) geltend gemachten Schadensersatzansprüche ergeben sich aus §§ 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 116 SGB X.

Die Klägerinnen sind berechtigte Inhaber der geltend gemachten Ansprüche. Sie machen Leistungen nach § 116 SGB X geltend, die zum Unfallzeitpunkt auf ihre Rechtsvorgänger übergegangen sind. Nach § 144 Abs. 4 SGB V sind die Klägerin zu 1) als Gesundheitskasse … Nordwest und die Klägerin zu 2) als Pflegekasse bei der … Nordwest in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkasse … Schleswig-Holstein bzw. Pflegekasse bei der … Schleswig-Holstein eingetreten.

Die Klägerinnen haben einen Anspruch auf Ersatz der Schäden, die durch zumindest fahrlässige widerrechtliche Verletzung des Körpers und der Gesundheit des Versicherten H. durch die Beklagte zu 1) verursacht worden sind.

Die von dem Versicherten H. bei dem Sturz erlittenen Gesundheitsschäden sind darauf zurückzuführen, dass die Beklagte zu 1) Maßnahmen aus einer ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht unterlassen hat. Eine Verkehrssicherungspflicht verpflichtet denjenigen, der eine Gefahrenquelle eröffnet hat und andauern lässt, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um andere vor Gefährdungen zu schützen, die von einer solchen Gefahrenquelle ausgehen können.

Nach Teil A, Abschnitt 1.3.1 Abs. 11 der Richtlinie für die Sicherheit von Arbeitsstellen (RSA) bestand die Verkehrssicherungspflicht im Unfallbereich für die Beklagte zu 1), da sie im öffentlichen Straßenraum Tiefbauarbeiten ausgeführt hat. Die Verkehrssicherungspflicht bestand auch noch zum Unfallzeitpunkt, da die Beklagte zu 1) auch während der Stilllegung die tatsächliche Herrschaft über die Arbeitsstelle ausübte.

Entgegen ihrer Verpflichtung aus der gültigen Richtlinie B I/5 RSA hat die Beklagte zu 1) im Baustellenbereich, S. in Richtung Fri., keinen 1 m breiten Gehweg für den Fußgängerverkehr zur Verfügung gestellt. Unstreitig war dieser Gehweg mit in die Absperrung einbezogen. Entgegen der Ansicht der Beklagten wäre es auch möglich gewesen, in diesem Bereich einen 1 m breiten Fußweg zur Verfügung zu stellen. Wie sich aus der glaubhaften Aussage des Zeugen Kr., tätig bei der Beklagten zu 2), ergibt, war in diesem Bereich der Gehweg bereits so weit hergestellt worden, dass der Bordstein gesetzt und die Tragschicht eingebracht worden waren. Es fehlte lediglich noch die Pflasterung, was eine Sperrung des Gehweges zur Folge hatte. Die Beklagte zu 1) hätte somit auf der Tragschicht einen behelfsmäßigen Notweg für die Fußgänger einrichten können und müssen. Selbst wenn der Wintereinbruch plötzlich und unerwartet gekommen wäre, entbindet dies die Beklagte zu 1) nicht von ihrer Pflicht, für die Sicherheit der Fußgänger im Bereich ihrer Arbeitsstelle Sorge zu tragen. Sobald Arbeitsstellen unmittelbar in einem Verkehrsbereich des Fußgängerverkehrs liegen, sind zusätzlich die Festlegungen in Teil B, Abschnitt 2.4.RSA zu beachten. Danach darf die Sicherheit der Fußgänger im Bereich der Arbeitsstellen nicht beeinträchtigt werden (vgl. Teil B, Abschnitt 2.4.0 Abs. 1 RSA). Gehwege sind nach Möglichkeit weiterzuführen ggf. über Notwege. Bei dem im Regelplan B I/5 RSA vorgesehenen Gehweg von 1 m handelt es sich dabei um eine Mindestbreite, die nicht unterschritten werden soll (vgl. Teil B, Abschnitt 2.4.1. Abs. 1 RSA).

Aufgrund der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte zu 1) kam es zu dem Sturz des Geschädigten H. auf der Fahrbahn der F.. Hätte die Beklagte zu 1) den Gehweg bzw. einen Notweg zur Verfügung gestellt, hätte der Geschädigte H. diesen benutzen können und hätte den Weg über die Fahrbahn zur Erreichung des dortigen Fußweges vermeiden können. Der konkrete Sturz wäre ausgeblieben.

Die Beklagte zu 1) handelte auch fahrlässig. Sie hat es pflichtwidrig unterlassen, Schutzvorkehrungen für den Fußgängerverkehr in Richtung Fri. zu treffen. Es gilt umso mehr, als sie in dem mit der Beklagten zu 2) geschlossenen Bauvertrag auch ausdrücklich auf die Einhaltung der Vorgaben der Richtlinie RSA B I/5 verpflichtet worden ist.

Die Klage ist in den Anträgen zu 1), 2), 4) und 5) noch nicht entscheidungsreif. Es ist zunächst eine Beweisaufnahme zu der streitigen Unfallursächlichkeit sämtlicher geltend gemachten Aufwendungen durchzuführen. Deswegen hält das Gericht es für angemessen, gemäß § 304 Abs. 1 ZPO ein Zwischenurteil über den Grund zu erlassen. Allerdings ist über die Frage eines Mitverschuldens des Geschädigten H., das sich auf die Ersatzansprüche der Klägerinnen auswirkt, zu entscheiden, da dies den Grund der Haftung betrifft.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht der Überzeugung, dass der Unfall zu 30 % auf ein Mitverschulden des Geschädigten H. zurückzuführen ist.

Hinsichtlich der damaligen örtlichen Verhältnisse geht das Gericht zunächst davon aus, dass der sich links vom S. befindliche Gehweg zum Zeitpunkt der Sperrung der Baustelle bereits mit einer Pflasterung versehen und damit fertig gestellt war. Das ergibt sich aus den glaubhaften Aussagen der Zeugen Kr. und Br. im Zusammenhang mit dem zur Akte gereichten Foto vom Tage der Stilllegung. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Weg ebenfalls gesperrt war, wie die Zeugen H. bekundet haben, oder ob dieser frei zugänglich war sowie ob der Gehweg gestreut und geräumt war. Denn jedenfalls war es dem Geschädigten H. nicht zuzumuten, zur Erreichung seines rechts vom S. liegenden Zieles in der B., den 160 m langen Weg nach links die F. hinunter bis zur Ampelkreuzung zu nehmen, um diese zu überqueren und sodann weitere 160 m bis zu seinem Ausgangspunkt auf dem gegenüberliegenden Gehweg zu gehen. Denn ein Umweg in dieser Größenordnung bei allgemeiner Schnee- und Eisglätte erhöht nach Auffassung des Gerichts sogar die Sturzgefahrwahrscheinlichkeit für den zum Unfallzeitpunkt 67jährigen Geschädigten. Vielmehr dürfte es bei diesen Straßenverhältnissen angezeigt sein, auf möglichst kurzem Wege sein Ziel zu erreichen. Hinzu kommt, dass nicht eindeutig geklärt werden konnte, ob nicht auch der Fußgängerüberweg an der Ampel ungeräumt und ungestreut war. Nach der Bekundung der Zeugin H. war die dortige Fußgängerüberquerung ebenfalls vereist, wohingegen der Zeuge Kr. dem Streuplan entnimmt, dass der Bereich der Fußgängerüberwegung an der Fußgängerampel zwischen 7 und 12 Uhr gestreut worden sei, da in diesem Zeitraum insgesamt die Schulwege gestreut worden seien.

Nach Auffassung des Gerichts hätte der Kläger auch nicht von seiner Wohnung in der L. direkt zur F. und daraufhin zur Fußgängerampel gehen können. Hierzu hat die Zeugin H. glaubhaft bekundet, dass der Geschädigte den S. deswegen für seinen Weg genutzt habe, weil auch die L. nicht geräumt und gestreut gewesen sei.

Nach Auffassung des Gerichts hätte der Geschädigte H. auch nicht etwa über den Umweg über den K. zur B. gehen müssen. Bei seinem gewählten Weg vom S. kommend und die F. überquerend, um auf den gegenüberliegenden abgestreuten Bürgersteig zu gelangen, handelte es sich um einen deutlich kürzeren und nicht gefährlicheren Weg zu seinem Ziel in der B.. Dies ergibt sich daraus, dass unstreitig allgemeine Schnee- und Eisglätte herrschte und der S. ausreichend von den Anliegern abgestreut wurde. Der Weg über den K. wäre ca. 200 m pro Wegstrecke länger gewesen mit der Folge, dass über einen 400 m längeren Weg das Risiko einer Sturzgefahr bestanden hätte.

Dem Geschädigten H. ist nach Überzeugung des Gerichts jedoch insofern ein Mitverschulden, das das Gericht mit 30 % bewertet, anzulasten, als er vor Überqueren der F. den ungeräumten und ungestreuten gefährlichen Zustand der Straße erkennen konnte und sich gewissermaßen sehenden Auges in diese konkrete Gefahr begab, wenn auch nachvollziehbar, um den gegenüberliegenden sicheren Gehweg zu erreichen.

Zwar besteht kein allgemeiner Grundsatz dahingehend, dass bei Stürzen in Folge von Glatteis stets ein Mitverschulden des Fußgängers anzusetzen ist. Dies ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls, ob dem Geschädigten vorgeworfen werden kann, er habe durch ein Verhalten, das den durch Schnee und Eis herbeigeführten winterlichen Verhältnissen nicht genügend Rechnung getragen habe, zur Schadensentstehung beigetragen (vgl. OLG Mündchen, Urteil vom 13.03.2008, AZ. 1 U 4314/07). Wie in dem vom OLG München zu entscheidenden Fall ist das Gericht auch hier der Auffassung, dass es dem Geschädigten nicht angelastet werden kann, dass er bei den herrschenden Witterungsverhältnissen überhaupt sein Haus verlassen hat. Dieser Vorwurf kann dem Geschädigten angesichts der monatelangen winterlichen Verhältnisse nicht gemacht werden. In dem dort zu entscheidenden Fall, ebenso wie hier, stand dem Geschädigten auch ein zumutbarer Umweg nicht zur Verfügung.

Der besondere Umstand, der es rechtfertigt, dem Geschädigten H. ein Mitverschulden zumindest in Höhe von 30 % anzulasten, liegt hier jedoch darin, dass er sich sehenden Auges in den bekannt gefährlichen Bereich auf der F. begeben und damit das Risiko einer Selbstgefährdung in Kauf genommen hat. Ein Mitverschulden hätte nur dann gänzlich entfallen können, wenn, wie beispielsweise in dem vom OLG München entschiedenen Fall, eine Erkennbarkeit der Gefährlichkeit des Sturzbereiches nicht hätte festgestellt werden können.

Im übrigen teilt das Gericht die in Teilen der Rechtsprechung vertretene Auffassung, wonach der Umstand, dass ein Passant auf einem erkennbar nicht geräumten oder abgestumpften Weg zu Fall kommt, prima facie für dessen mangelnde Aufmerksamkeit spricht ( vgl.: OLG Düsseldorf VersR 2000,63; OLG München VersR 2003, 518 ).

Die von den Klägerinnen gegenüber der Beklagten zu 2) geltend gemachten Schadensersatzansprüche sind gemäß §§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 GG i. V. m. § 116 SGB X ebenfalls zu 70 % dem Grunde nach gerechtfertigt.

Der Beklagten zu 2) ist eine fahrlässige Amtspflichtverletzung zur Last zu legen. Sie hat es in ihrer Eigenschaft als Baulastträgerin pflichtwidrig unterlassen, für die Einhaltung des Regelplans B I/5 RSA durch die Beklagte zu 1) zu sorgen. Dies ergibt sich aus §§ 45 Abs. 2 und 6 StVO i. V. m. RSA. Die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten zu 2) ergibt sich daraus, dass sie Arbeiten im öffentlichen Straßenraum hat ausführen lassen. Dabei besteht die Verkehrssicherungspflicht neben derjenigen der Beklagten zu 1), vgl. Teil A, Abschnitt 1.3.1. Abs. 11 RSA.

Die Beklagte zu 2) wäre verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, dass der vorgeschriebene 1 m breite Gehweg durch die Beklagte zu 1) vorgehalten wird. Obwohl dieser Zustand bereits seit Stilllegung der Baustelle im Dezember 2009 bestand, hat sie bis zum Unfalltag, dem 05.02.2010, nicht dafür gesorgt, dass die Beklagte zu 1) mit der Schaffung eines Gehweges auf der rechten Seite der F. den Anforderungen des Regelplanes genügt.

Auch im Verhältnis zu der Beklagten zu 2) ist ein Mitverschulden des Geschädigten H. in Höhe von 30 % zu berücksichtigen.

Über den mit dem Klageantrag zu 3) geltend gemachten Feststellungsantrag kann bereits abschließend entschieden werden. Insofern besteht auch ein Feststellungsinteresse der Klägerinnen, da zukünftig mit weiteren unfallbedingten Aufwendungen für den geschädigten Versicherten zu rechnen ist.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

 

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