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Fahrverbot – Regelfahrverbot – Notwendigkeit der Anordnung

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

Az.: 2 Ss 154/04

Beschluss vom 17.08.2004

Vorinstanz: Staatsanwaltschaft Trier, Az.: 8012 Js 24832/03.4 OWi


In dem Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung hat der 2. Strafsenat – Senat für Bußgeldsachen – des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht von Tzschoppe, den Richter am Oberlandesgericht Mertens und die Richterin am Oberlandesgericht Hardt am 07. Juni 2004 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Daun vom 25. Februar 2004 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene, Unternehmensberater mit einer jährlichen Fahrleistung von nach eigenen Angaben durchschnittlich 100.000 km (in Worten: hunderttausend), wurde am 29.04.2003 auf der A .., Gemarkung K……., Fahrtrichtung T…., auf der die Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 auf 100 km/h beschränkt ist, mit (nach Toleranzabzug) 167 km/h gemessen. Durch Bußgeldbescheid vom 31.07.2003 wurde ihm die Regelgeldbuße von 345 € sowie das Regelfahrverbot von zwei Monaten auferlegt.

Nach anfänglichem Bestreiten seiner Fahrereigenschaft hat der Betroffene angesichts des in der Hauptverhandlung abgespielten Videos den Verstoß zugegeben und lediglich noch um Reduzierung des Fahrverbots angetragen.

Das Amtsgericht hat unter Verdoppelung der Geldbuße das Regelfahrverbot halbiert und dies wie folgt begründet:
„Das Gericht hält es für vertretbar, im Hinblick auf die gravierenden Folgen eines zweimonatigen Fahrverbots, das nach dem Bußgeldkatalog vorliegend zu verhängen wäre, das Fahrverbot bei gleichzeitiger Verdoppelung der Geldbuße um einen Monat zu reduzieren. Das Gericht ist davon überzeugt, dass auch diese Maßnahme geeignet ist, den Betroffenen künftig dazu anzuhalten, die geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen zu beachten.

„Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Dass mit der vorzitierten Begründung, die frei ist von jedweder fallbezogenen Tatsachenfeststellung und rechtlichen Erwägung, vom Regelfahrverbot nicht abgewichen werden kann, liegt auf der Hand. Wie die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft zu Recht beanstandet, stehen derartige Ausführungen in krassem Widerspruch zur ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 25.05.2004 und merkt darüber hinaus – auch im Hinblick auf die neue Verhandlung und Entscheidung – noch folgendes an (vgl. im einzelnen OLG Koblenz, 1 Ss 151/03 vom 01.09.2003 und zuletzt 1 Ss 27/04 vom 22.04.2004 [eine Entscheidung desselben Amtsgerichts betreffend], jeweils m. w. N.):

1.Will der Bußgeldrichter von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot absehen oder es reduzieren, hat er dies besonders eingehend zu begründen.

Zwar unterliegt es in erster Linie tatrichterlicher Würdigung, ob Gründe vorliegen, die ausnahmsweise Anlass geben, von der Rechtsfolge des § 25 Abs. 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 BKatV abzuweichen (BGHSt 38, 231, 237; OLG Hamm NZV 1997, 185; OLG Karlsruhe VRS 88, 476). Anders als der Amtsrichter offenbar gemeint hat, steht dem Tatrichter bei dieser Rechtsfolgenentscheidung jedoch kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen zu (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Denn § 4 BKatV konkretisiert im Sinne der Ermächtigungsnorm die Anordnungsvoraussetzungen eines Fahrverbots als Regelmaßnahme (vgl. BGHSt 38, 125, 132), gewährleistet damit die Gleichbehandlung der Betroffenen und erfüllt so auch ein Gebot der Gerechtigkeit (vgl. BGH NStZ 92, 286, 288). Das Gericht hat stets im Blick zu behalten, dass auch die Staffelung der Fahrverbotsdauer in § 4 BKatV auf einer sorgfältig abgestuften (Vor-)Bewertung einschlägiger Verhaltensweisen durch den Verordnungsgeber beruht. Schon mit Rücksicht auf das Gleichbehandlungs-(und damit Gerechtigkeits-)gebot darf davon ohne triftigen Grund, der im Urteil eingehend dargestellt werden und auf Tatsachen – nicht rein subjektiven Eindrücken und Mutmaßungen – beruhen muss, nicht abgewichen werden. Deshalb hat der Amtsrichter eine ausschließlich auf Tatsachen gestützte, besonders eingehende Begründung zu geben, in der er im einzelnen darlegt, welche besonderen Umstände in objektiver und subjektiver Hinsicht es ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Regelfahrverbot abzusehen (vgl. BGHSt a.a.O. 133; OLG Karlsruhe a.a.O. 478). Sein Entscheidungsspielraum wird durch die gesetzlich niedergelegten und von der höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Strafzumessungskriterien eingeengt und unterliegt auch hinsichtlich der Angemessenheit der Rechtsfolgen in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Beschwerdegericht (vgl. OLG Hamm a.a.O.).

2.Bei der Bemessung des Fahrverbots hat der Bußgeldrichter sich grundsätzlich an die Vorgaben der BKatV zu halten. Die Anordnung des Regelfahrverbots in den Anwendungsfällen des § 4 BKatV wahrt nicht nur die Verhältnismäßigkeit der Sanktion, sondern gewährleistet darüber hinaus die Gleichbehandlung der Betroffenen und erfüllt damit auch ein Gebot der Gerechtigkeit (BGHSt 38,125,137). Auch muss sich der Bußgeldrichter stets bewusst sein, dass ein Aufweichen der geltenden, allgemein und mit großer Akzeptanz anerkannten Fahrverbotsregelung dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen und die erzieherische Wirkung der Besinnungsmaßnahme „Fahrverbot“ empfindlich schwächen würde.

3. Bei der Bemessung der Sanktion hat der Bußgeldrichter zu beachten, dass es schon in Fahrlässigkeitsfällen zum Wesen der Erziehungs- und Besinnungsmaßnahme „Fahrverbot“ gehört, dem Betroffenen u. U. auch empfindliche berufliche und wirtschaftliche Nachteile zu bereiten. Nur so kann diese Sanktion ihre erzieherische Wirkung („Denkzettelfunktion“) voll entfalten. Es wäre deshalb grundsätzlich verfehlt, die Sanktion deswegen entfallen zu lassen oder auch nur zu reduzieren, weil sie eben diese Wirkung erzielen würde. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigt daher nicht jeder spürbare berufliche Nachteil eine Ausnahme vom Regelfahrverbot. Nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, wie sie z.B. im (real) drohenden Verlust der beruflichen und damit wirtschaftlichen Existenz zu sehen wäre, könnte dies begründen (OLG Koblenz, 2 Ss 4/99 vom 11.02.1999 und 2 Ss 160/ 96 vom 02.07.1996; OLG Hamm NZV 91,121 sowie 2 Ss OWi 623/95 vom 09.07. 1995, 2 Ss OWi 703/95 vom 26.06.1995, 2 Ss 386/95, vom 18.07.1995, 1 Ss OWi 211/2000 und 2 Ss OWi 830/95 vom 20.07.1995, alle in: www.burhoff.de; vgl auch BVerfG NJW 95,1541; OLG Düsseldorf NZV 95,161; OLG Oldenburg NZV 95, 405 und die Zusammenstellung bei Bode ZfS 95, 21 m.w.N.). Davon kann hier nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht einmal ansatzweise die Rede sein.

Handelt es sich, wie der Amtsrichter zutreffend festgestellt hat, um eine eindeutig vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung, gelten diese Grundsätze nicht nur in erhöhtem Maße; es ist dann praktisch ausgeschlossen, unter dem Gesichtspunkt der außergewöhnlichen Härte zu einer Reduzierung des Regelfahrverbots zu gelangen (allg. Meinung und ständige Rechtsprechung beider Senate des OLG Koblenz).

4. Anlass, vom Regelfahrverbot nach unten abzuweichen, bestand hier um so weniger vor dem Hintergrund der Urteilsfeststellung, der Betroffene lege jährlich durchschnittlich 100.000 Kilometer (!) am Steuer seines Fahrzeuges zurück. Eine einfache überschlägige Berechnung hätte dem Amtsrichter gezeigt, dass ein Kraftfahrer, dessen Erwerbstätigkeit nicht ausschließlich darin besteht, ein Kraftfahrzeug zu führen (sondern, wie hier, Unternehmen zu beraten), eine solche Fahrstrecke nur dann zurücklegen kann, wenn er es in Kauf nimmt, dabei praktisch permanent gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen zu verstoßen. Der Senat merkt dazu vorsorglich an, dass es bei einer solchen Berechnung von vornherein verfehlt wäre, nur eine durchschnittliche Autobahngeschwindigkeit zugrunde zu legen.

Angesichts der Tatsache, dass nur wenige Unternehmen ihren Standort unmittelbar an Autobahnabfahrten haben, müsste vielmehr ein aus Autobahn-, Landstraßen- und Stadtfahrten gebildeter realitätsnaher Geschwindigkeitsmix zugrunde gelegt werden, der dann weit unter der durchschnittlichen Autobahngeschwindigkeit liegen würde. Auf Grund einer solchen – richtig vorgenommenen – Berechnung hätte es sich zudem aufgedrängt, das bisherige Fahrverhalten des Betroffenen, soweit es aktenkundig geworden ist, besonders kritisch zu würdigen. Der Bußgeldrichter hätte dann nicht übersehen (und im Urteil verschwiegen), dass der Betroffene, wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung geltend macht, seit 2001 bereits zweimal wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen vorgeahndet und dabei sogar schon einmal mit einem Fahrverbot belegt worden war. Dieses Wissen, erst recht in Verbindung mit der (zutreffenden) Feststellung, dass im vorliegenden Fall sogar Vorsatz gegeben war, hätte es nicht nur von vornherein ausgeschlossen, das Regelfahrverbot zu halbieren, sondern vielmehr dazu führen müssen, die Regelsanktion (wegen Vorbelastung und Vorsatz) noch spürbar zu erhöhen, so dass bei der neuen Entscheidung auch kaum Anlass bestehen wird, angesichts des nunmehr zu verhängenden zweimonatigen Fahrverbots die erhöhte Geldbuße wieder wesentlich herabzusetzen.

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