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Flugzeugverspätung wegen Enteisung – außergewöhnlicher Umstand

AG Düsseldorf – Az.: 37 C 119/22 – Urteil vom 18.11.2022

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,00 EUR (in Worten: sechshundert Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.12.2021 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten hat das Gericht gestattet, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Zusammenfassung

Der Fluggast W sollte am 5. Dezember 2021 von Minneapolis/St. Paul, MN, über Amsterdam nach Düsseldorf fliegen, aber der Flug von Minneapolis nach Amsterdam hatte Verspätung, so dass W seinen Anschlussflug verpasste. Die Fluggesellschaft bot einen Alternativflug an, aber W kam mit einer Verspätung von 3 Stunden und 51 Minuten am Zielort an. W übertrug seinen Anspruch auf Entschädigung auf den Kläger, der von der Fluggesellschaft eine Zahlung verlangte. Die Fluggesellschaft argumentierte, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen sei, nämlich auf Verzögerungen bei der Enteisung des Flugzeugs, doch das Gericht entschied zugunsten des Klägers und stellte fest, dass die Enteisung in der Verantwortung der Fluggesellschaft liege und daher nicht als außergewöhnlicher Umstand betrachtet werden könne. Außerdem habe die Fluggesellschaft bei der Planung des Flugplans die erforderliche Enteisungszeit nicht berücksichtigt, wodurch der verpasste Anschluss verhindert worden wäre. Das Gericht verurteilte die Fluggesellschaft zur Zahlung von 600 Euro plus Zinsen an den Kläger. Das Gericht ließ auch die Berufung zu, da der Fall eine Rechtsfrage bezüglich der Berücksichtigung von Enteisungszeiten in Flugplänen aufwirft.

Flugzeugverspätung wegen Enteisung - außergewöhnlicher Umstand
(Symbolfoto: Jaromir Chalabala/Shutterstock.com)

Das Gericht entschied, dass die Klage zulässig und begründet ist. Die Airline muss dem Kläger gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe c in Verbindung mit Artikel 4 und 5 der Fluggastrechteverordnung eine Entschädigung zahlen, da sie das ausführende Luftfahrtunternehmen des Langstreckenflugs war und der Kläger sein Ziel aufgrund des verpassten Anschlussfluges mit einer Verspätung von mehr als 3 Stunden erreichte. Die Entschädigung steht dem Kläger aufgrund einer Abtretung von Rechten zu.

Die Airline behauptete, dass die Verspätung auf Verzögerungen bei der erforderlichen Enteisung des Flugzeugs beruhte und argumentierte, dass es sich um außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 5 Absatz 3 der Fluggastrechteverordnung handelte. Das Gericht folgte diesem Argument jedoch nicht und entschied, dass die Verantwortung für die Enteisung bei der Airline liegt und dass Verzögerungen, die auf organisatorische Fehler bei der Enteisung zurückzuführen sind, der Airline zuzurechnen sind.

Darüber hinaus berücksichtigte die Airline nicht die notwendige Zeit für die Enteisung bei der Planung des Flugplans, was dazu führte, dass der Anschlussflug verpasst wurde. Das Gericht entschied, dass dies kein außergewöhnlicher Umstand ist, und folgte damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

Das Gericht ordnete an, dass die Airline dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 600 Euro zuzüglich Zinsen zahlen muss. Das Gericht erlaubte auch eine Berufung, da die Frage der Berücksichtigung von Enteisungszeiten in Flugplänen eine sich wiederholende Rechtsfrage im Bereich der Fluggastentschädigung darstellt, über die bislang keine höchstrichterliche Entscheidung in Deutschland vorliegt.

Tatbestand

Der Fluggast W sollte gemäß Buchungsbestätigung ###### am 05.12.2021 von Minneapolis/St. Paul – MN über Amsterdam nach Düsseldorf befördert werden. Der Flug von Minneapolis/St. Paul – MN nach Amsterdam mit der Flugnummer ##### sollte planmäßig am 05.12.2021 um 21:20 Uhr Ortszeit starten und am 06.12.2021 um 12:15 Uhr Ortszeit landen. Der Flug von Amsterdam nach Düsseldorf mit der Flugnummer ####### sollte planmäßig am 06.12.2021 um 13:10 Uhr Ortszeit starten und am 06.12.2021 um 13:55 Uhr Ortszeit landen. Der Flug ##### war jedoch verspätet und erreichte Amsterdam erst am 06.12.2021 um 12:51 Uhr Ortszeit. Durch die Verspätung konnte die anschließende Verbindung mit ###### nicht erreicht werden. Dem Fluggast wurde eine Ersatzbeförderung mit ####### von Amsterdam nach Düsseldorf angeboten. Trotz der angebotenen Ersatzbeförderung erreichte der Fluggast sein Ziel erst am 06.12.2021 um 17:46 Uhr Ortszeit und hatten damit eine Verspätung von 3 Stunden und 51 Minuten.

Der Flug ##### am 05.12.2021 wurde von der Beklagten durchgeführt.

Die Distanz zwischen dem Abflug- und Ankunftsort beträgt 6.881 km.

Der Fluggast trat den ihm gegen die Beklagte zustehenden Ausgleichsanspruch an die Klägerin ab. Die Klägerin zeigte der Beklagten mit Schreiben vom 09.12.2021 die Abtretung an und forderte die Beklagte unter Vorlage der Abtretungserklärung und Fristsetzung zum 23.12.2021 zur Zahlung des Ausgleichsanspruchs auf.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 600,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2021 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die Verspätung des Flugs ##### habe auf Verzögerungen bei der erforderlichen Enteisung des Flugzeugs beruht. Sie ist der Ansicht, dass hierin außergewöhnliche Umstände gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung liegen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Das Amtsgericht Düsseldorf ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs örtlich zuständig, weil entweder der Abflug- oder der Ankunftsort im hiesigen Bezirk liegen.

Die Klägerseite hat gegen die Beklagte einen Entschädigungsanspruch aus Art. 7 Abs. 1 S.1 Buchstabe c in Verbindung mit Art. 4, 5 der Fluggastrechteverordnung aus abgetretenem Recht gemäß § 398 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in geltend gemachter Höhe, weil die Beklagte ausführendes Luftfahrtunternehmen des Langstreckenflugs war und durch den Anschlussverlust der Fluggast das Ziel der Flugreise mit einer Verspätung von mehr als 3 Stunden erreichte. Dies steht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einer Annullierung gleich.

Die Beklagte kann sich nicht auf außergewöhnliche Umstände gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung berufen. Bei der Enteisung des Flugzeugs handelt es sich um eine Tätigkeit, für die die Beklagte selbst verantwortlich ist, da sie für die Sicherheit des Fluggeräts verantwortlich ist. Daher sind die Mitarbeiter der Enteisung Erfüllungsgehilfen nach § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, auch wenn diese nicht bei der Beklagten beschäftigt sind, sondern die Enteisung über eine Enteisungsstelle des Flughafens läuft, die zugleich von anderen Flugzeugen angefahren wird. Organisationsfehler dort, die zu Verzögerungen führen, sind daher der Beklagten zuzurechnen.

Letztlich kommt es aufgrund der ergänzenden Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 21.12.2022 auf den gerichtlichen Hinweis vom 29.11.2022 aber nicht mehr darauf an, ob die langsamen Abläufe an der Enteisungsanlage auf einem der Beklagten zuzurechnenden Organisationsverschulden beruhen, da außergewöhnliche Umstände schon deshalb ausscheiden, weil die Beklagte die Enteisungszeit im Flugplan nicht berücksichtigt hat. Nach den Bekundungen der Zeugin T, der für das Beschwerdemanagement der Beklagten zuständigen Mitarbeiterin, hat das Flugzeug gemäß der Angaben im Computersystem der Beklagten planmäßig die Parkposition um 03:20 Uhr UTC zu verlassen und hat planmäßig um 03:33 Uhr UTC die Startposition zu erreichen. Die Enteisung hat auf dem Weg von der Parkposition zur Startposition mit den Fluggästen an Bord zu erfolgen, da die Enteisung unmittelbar vor dem Start des Flugzeugs erfolgen muss. Durch die Wartezeit bei der Enteisung ist der Abflug nach den Angaben der Zeugin 69 Minuten später als geplant erfolgt und die Parkposition in Amsterdam ist um 11:51 Uhr UTC und damit noch 36 Minuten später erreicht worden. Nach den weiteren Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 21.12.2022 ist eine Enteisung bei einem Abflug in Minneapolis im Winter immer erforderlich, weil es regelmäßig dort schneie. Die Dauer der Enteisung betrage 30 bis 90 Minuten. Da der Beklagten somit bekannt ist, dass die Enteisung in Minneapolis im Winter regelmäßig erforderlich ist und durchschnittlich 60 Minuten dauert, muss ein entsprechender Zeitraum auch im Flugplan berücksichtigt sein, sei es durch eine größere Flugzeitreserve oder durch die Berücksichtigung bei den minimal möglichen Umsteigezeiten (vgl. BGHS Wien Urt. v. 12.10.2015 – 16 C 194/15v, BeckRS 2016, 81341 Rn. 28, beck-online). Das muss jedenfalls für solche Verzögerungen gelten, die nach allgemeiner Erfahrung nicht auf dem jeweiligen Flughafen ungewöhnlich sind. Dabei sind die konkrete Verkehrszeit (Haupt-, Normal- oder Schwachverkehrszeit), die Zahl der in dieser Zeit abzufertigenden Flüge und die Leistungskapazität des Flughafens zu berücksichtigen.

(BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid, 24. Ed. 1.10.2022, Fluggastrechte-VO Art. 5 Rn. 118). Da die Enteisung in Minneapolis im Winter typischerweise zur Vorbereitung des Abflugs erforderlich ist und die tatsächliche Enteisungszeit sich noch im Bereich des Durchschnitts üblicher Enteisungszeiten in Minneapolis bewegt, stellt ein hierdurch verursachter Anschlussverlust keinen außergewöhnlichen Umstand dar

Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, denn die Beklagte befand sich aufgrund der Mahnung spätestens zum im Tenor genannten Zeitpunkt in Verzug.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Absatz 1, § 708 Nummer 11, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Berufung wird nach § 511 Abs. 4 der Zivilprozessordnung zugelassen wegen grundsätzlicher Bedeutung, da es sich bei der Frage der Berücksichtigung von üblichen Enteisungszeiten in Flugplänen um eine sich im Recht der Fluggastentschädigung regelmäßig wiederholende Rechtsfrage handelt, über die soweit ersichtlich bislang im Inland obergerichtlich nicht entschieden ist.

Der Streitwert wird auf 600,00 EUR festgesetzt.

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