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Fondsgebundene Rentenversicherung – Rückabwicklung nach Widerspruch

LG Gießen, Az.: 2 O 450/16, Urteil vom 14.03.2017

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.135,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 23.135,08 € seit dem 19.8.2010 und aus weiteren 24.364,92 € vom 19.3.2016 bis zum 14.07.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.822,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 2.12.2016 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt restliche Rückgewähr von Prämienzahlungen auf einen von ihr — unstreitig wirksam — widerrufenen fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag. Mit Versicherungsantrag vom 30.08.2006 (vgl. im Einzelnen Anlage K 1 = Bi 15 ff. d. A.) und Versicherungsschein vom 22.09.2006 (vgl. im Einzelnen Anlage K2 = 8i 18 d. A.) schloss die Klägerin bei der Beklagten eine fondsgebundene Rentenversicherung ab. Die Klägerin zahlte insgesamt 47.500,00 € an Prämien ein. Mit Schreiben vom 26.02.2016 (vgl. im Einzelnen Anlage K 3 = Bi 20 d. A.) widersprach die Klägerin dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages gemäß § 5a VVG a. F. und setzte der Beklagten eine zweiwöchige Zahlungsfrist. Am 14.07.2016 zahlte die Beklagte an die Klägerin 24.364,92 € zurück; die Differenz zum Gesamtbetrag der Prämien in Höhe von 23.135,08 € ist die Klagehauptforderung. Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte könne die erheblichen Wertverluste des Fonds nicht als Entreicherungseinwand abziehen, weil dies dem europarechtlichen Effektivitätsgebot bezüglich ihres Widerspruchsrechtes zuwiderlaufe. Der Wert ihres Fondsanteils belaufe sich — so trägt die Klägerin hilfsweise vor — auf nur noch 20.835.11 €.

Die Klägerin stellt folgende Anträge:

Fondsgebundene Rentenversicherung - Rückabwicklung nach Widerspruch
Symbolfoto: FreedomTumZ/Bigstock

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.135,08 € zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. seit dem 19.03.2016 sowie aus weiteren 24.364,92 € vom 19.3.2016 bis zum 14.7.2016 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.022.96 € zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte erkennt die Klageforderung in Höhe von 358.67 € – ohne Zinsen — an und beantragt im Übrigen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Wert der Fondsanteile der Klägerin habe bei Zugang des Widerspruchs nur noch 20.635,11 € betragen, so dass sich unter Hinzurechnung von dem Vertrag entnommener Abschluss- und Verwaltungskosten in Höhe von 3.596,07 € und 402.41 € ein berechtigter Gesamtanspruch der Klägerin in Höhe von 24.723,59 € ergebe, der durch die unstreitige Zahlung bis auf den anerkannten Restbetrag erfüllt sei. Die Beklagte ist der Auffassung, sie sei um die die Klägerin betreffenden Verluste der Fondsanteile entreichert, das europarechtliche Effektivitätsgebot stehe dem Entreicherungseinwand insoweit nicht entgegen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in vollem Umfange begründet.

Im Hauptanspruch steht der Klägerin ein Anspruch auf Rückgewähr der geleisteten Prämienzahlungen in tenorierter Höhe aus ungerechtfertigter Bereicherung der Beklagten (§ 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1 BGB) zu.

Die Beklagte hat die Prämien in Höhe von insgesamt unstreitig 47.500,00 € ohne Rechtsgrund erlangt. Ein Versicherungsvertrag, zu dessen Erfüllung diese Prämien gezahlt wurden, ist aufgrund des mit Schreiben vom 26.02.2016 erklärten Widerspruchs der Klägerin nicht zustande gekommen. Darüber besteht zwischen den Parteien Einigkeit, nachdem die Beklagte dies unstreitig gestellt hat.

Der verbliebene Streit der Parteien betrifft die Frage, ob die Beklagte sich bezüglich der Wertverluste der klägerischen Fondsanteile auf Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen kann und daher nur den gezahlten Teilbetrag zuzüglich des anerkannten Teilbetrages zahlen muss. Diese Frage ist zwischen den Parteien schriftsätzlich und darüber hinaus ausführlich im Termin zur mündlichen Verhandlung diskutiert worden.

Die Kammer verneint die Frage. Der Entreicherungseinwand der Beklagten ist durch das europarechtliche Effektivitätsgebot gesperrt.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof (NJW 2016, 1388 ff.) im rechtlichen Ausgangspunkt ausgeführt, die Klagepartei müsse sich bereicherungsmindernd anrechnen lassen, dass die Fonds, in welche die Sparanteile der gezahlten Prämien angelegt worden sind, Verluste erwirtschaftet haben (vgl. da selbst II. 2. d) bb)). Dem stehe der mit der richtlinienkonformen Auslegung — gemeint ist hier das europarechtliche Effektivitätsgebot – des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a. F. bezweckte Schutz des Versicherungsnehmers nicht entgegen. Denn „das Widerspruchsrecht (werde) jedenfalls dann nicht entwertet, wenn die Verluste nur einen geringen Teil der Sparanteile ausmachen“. Im dort zu entscheidenden Fall lag dieser Teil der Sparanteile bei etwa 3,8 %.Die Kammer ist — gewissermaßen spiegelbildlich zu diesem Hinweis in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs — der Auffassung, dass es einer Entwertung des Widerspruchsrechtes gleichkommt, wenn die Verluste einen erheblichen Teil der Sparanteile ausmachen. Die Frage, wo die Grenze dieser Erheblichkeit im Einzelfalle beginnt, braucht dabei vorliegend nicht entschieden zu werden. Denn an der Erheblichkeit eines solchen Verlustes bestehen nach Auffassung der Kammer jedenfalls dann keine Zweifel, wenn die Verluste mehr als die Hälfte der Sparanteile ausmachen und der Versicherungsnehmer damit im wirtschaftlichen Ergebnis überwiegend so gestellt wird, als wäre der Vertrag wirksam. So liegt der Fall hier.

Im zu entscheidenden Falle sind die Sparanteile mit den Prämienzahlungen identisch. Denn es gab keinen Versicherungsschutz jenseits des im Ablebensfalle auszuzahlenden Fondsguthabens (Deckungsrückstellung). Im Versicherungsschein ist insoweit ausdrücklich vereinbart, dass es keine Mindesttodesfallsumme gibt. Geht man nun davon aus, dass — was die Beklagte substantiiert vorträgt, und sich die Klägerin zumindest hilfsweise zu eigen macht — der Wert der Fondsanteile bei Zugang des Widerspruchs nunmehr 20.635,11 € belief, so liegt der Verlustanteil im hiesigen Fall bei rund 56,6 % der Sparanteile.

Die beklagtenseits zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg (Az.: 8 U 750/16; Anlage B 3 zur Klageerwiderung = BI. 89 ff., 79 ff. d. A.) überzeugt die Kammer nicht. Danach soll das europarechtliche Effektivitätsgebot dem Bereicherungseinwand der Versicherung auch im Falle eines Totalverlustes der Sparanteile der Prämien nicht entgegenstehen. Der weiteren Begründung, dem Effektivitätsgebot komme kein absoluter Rang zu, vielmehr seien ein vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den Beteiligten geboten, kann die Kammer durchaus beipflichten. Diese Erwägung belegt aber nicht, dass die richtlinienkonforme Auslegung der Regelung des Widerspruchsrechtes auch dann nicht in unzulässiger Weise missachtet wird, wenn die Verluste einen erheblichen oder gar sehr hohen Anteil der Sparanteile ausmachen, wie es in dem hier zu entscheidenden Falle gegeben ist. Dem entspricht es, dass die weitere Erwägung des Oberlandesgerichts Nürnberg, der Verstoß des Versicherers gegen seine Belehrungspflicht werde durch das zeitlich unbefristete Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers hinreichend sanktioniert, in den Fällen zirkulär erscheint, in welchen der Versicherungsnehmer wegen der besonders hohen Verlustanteile in wirtschaftlicher Hinsicht in einem ganz erheblichen Maße so gestellt wird, als wäre der Vertrag wirksam, so dass sein Widerspruchsrecht wirtschaftlich zu ganz erheblichen Teilen leerläuft.

Konnte also die Klägerin ursprünglich die Herauszahlung der gesamten geleisteten Prämien in Höhe von 47.500,00 € verlangen, so verbleibt nach der Teilzahlung in Höhe von 24.364,62 € (§ 362 Abs. 1 BGB) der tenorierte restliche Hauptsachebetrag.

Im Nebenanspruch kann die Klägerin unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Schuldnerverzuges die tenorierten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie Zinsen verlangen.

Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 15.3.2017 ist nicht zu berücksichtigen (§ 296 a ZPO).

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

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